Alle sprechen von der Industrie 4.0 - der nächsten Stufe der Digitalisierung. Das widerspricht der Vorgehensweise im Technischen Vertrieb, bei dem das persönliche Gespräch immer noch auf Platz eins der bevorzugten Kommunikationsformen steht.
Eine Forschungsgruppe an der technischen Hochschule Aschaffenburg hat sich damit befasst, ob das ökonomisch und auch ökologisch sinnvoll ist. Im Technischen Vertrieb findet die Digitalisierung bisher nicht oder nur schleppend statt, wie die Sales Excellence-Autoren Prof. Dr.-Ing. Ludger Schneider-Störmann, Leiter des Vertriebsingenieurstudiengangs an der Hochschule Aschaffenburg und Julian Büttner, Student für Internationales Technisches Vertriebsmanagement an der TH Aschaffenburg, im Titelbeitrag der Sales Excellence-Ausgabe 12 | 2019 anführen. Ein möglicher Grund könnten Scheuklappen im Umgang mit digitalen Tools sein, aber auch mangelndes Know-how oder Bedenken, dass die digitalen Helfer den Außendienst irgendwann ersetzen.
Das Gegenteil ist jedoch aus Sicht von Dr. Anabel Ternès der Fall: Der typische Außendienstmitarbeiter werde nicht überflüssig, er dürfte künftig aber zu einem späteren Zeitpunkt im Verkaufsprozess zum Einsatz kommen – dann sei Expertise gefragt: "Intelligente Vertriebstools wie Social Monitoring oder auch Social Signal Tools identifizieren zum Beispiel die relevanten Informationen zu Kunden oder Interessenten und erleichterten so die Gesprächsaufnahme", erklärt sie. Unternehmen können ihrer Meinung nach ohne digitalisierte und automatisierte Prozesse "weder im Wettbewerb bestehen noch den Ansprüchen ihrer Kunden gerecht werden", bestätigt sie im Sales Excellence-Beitrag "Digitale Tools strategisch einsetzen" (Ausgabe 4 | 2019). Das Potenzial der digitalen Helfer sei ausgesprochen interessant, werde aber im Vertrieb vernachlässigt.
Persönliche Gespräche bleiben wichtig
Digitale Endgeräte, Videokonferenzen und andere technische Möglichkeiten der Digitalisierung, etwa für Meetings, setzen sich bisher jedoch nicht durch, da das persönliche Gespräch gerade bei erklärungsbedürftigen Produkten wichtig ist, so Schneider-Störmann und Büttner. "Eine Verknüpfung zwischen den Endgeräten der Ein- und Verkäufer, wie es gerade in der Industrie 4.0 zwischen Maschinen etabliert wird, scheint für viele unvorstellbar. So verbringen viele Verkäufer noch heute unproduktive Reisezeit", konstatieren die Vertriebsexperten der Hochschule Aschaffenburg. Im Gegensatz dazu nutzten produzierende Abteilungen in Unternehmen die netzgebundene Kommunikation oft schon seit Jahren.
Eine Erklärung für die zurückhaltende Haltung im Vertriebsalltag technischer Verkäufer finden die Experten darin, dass, die Vertrautheit bei persönlichen Begegnungen mit Kunden in einem digitalen Kanal nicht die gleiche Qualität bieten kann. Gerade dies hat aber einen hohen Stellenwert. "Vertriebler sind grundsätzlich offen gegenüber den Neuerungen der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten, erkennen aber keinen gesteigerten Nutzen darin", sehen sie als ein Dilemma.
Vertriebswerkzeuge 4.0
Die wissenschaftliche Bestandsaufnahme von Schneider-Störmann/Büttner zeigt, dass aktuell technische Anwendungen, etwa Chatbots oder Videokonferenzen, zwar in der Industrie eingesetzt werden, "jedoch eher bei Projektabsprachen". Hingegen spielen sie weniger bis gar keine Rolle in Verkaufsgesprächen des Technischen Vertriebs, womit Kommunikationspotenziale nicht genutzt werden. Etwas weiter sind Marketingabteilungen. Sie setzen auch im B2B-Bereich mehr und mehr die Informationskanäle sozialer Medien ein, etwa um Produktpräsentationen und Neuigkeiten zu verbreiten. "All dies hat, mit Ausnahme der Chatbots, nur wenig mit Industrie 4.0 zu tun", meinen die Autoren. Typische Einsatzmöglichkeiten für den technischen Vertrieb sind vor allem
- virtuelle Produktschulungen und Firmenrundgänge,
- Online- und Off-site-Produktgestaltung,
- virtuelle Meetings,
- Einkäufer-Verkäufer-Teams oder
- virtuelle standortübergreifende Sales-Teams.
Dabei zahlen virtuelle Tools aus Sicht der Vertriebsexperten direkt auf die Wertschöpfung für den Vertrieb ein, nämlich durch enormen Zeitgewinn, Kostenersparnis, aber auch eine bessere Ökobilanz durch weniger Reisetätigkeit, was mehr Zeit für das Kundenmanagement eröffnet. Als weitere Vorteile nennen sie gestiegene Effizienz von Meetings durch Online-Produktgestaltung, digitale Produktbetrachtungen oder Firmenrundgänge.
Für die Zukunft gilt aus Sicht der Vertriebsexperten für die Kommunikation im Technischen Vertrieb: Trotz wachsendem Anteil der Nutzung digitaler Werkzeuge wird sich der Zug nicht schneller in Richtung digitaler Tools im Vertrieb bewegen, solange die Vorteile nicht "durch Künstliche Intelligenz (KI) erkannt und analysiert werden können".
Die komplette Titelgeschichte mit einem Überblick über Anwendungsbereiche für digitale Tools im Vertrieb Sie in der Sales Excellence-Ausgabe 12 | 2019, Seite 12 ff.
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Quelle: Aus: Wie digital muss Vertrieb eigentlich sein? S. 12 |