Nirgends gibt es so viele Sprachblüten wie im öffentlichen Sektor. In ihrer monatlichen Kolumne blickt Agenturchefin Petra van Laak auf die Auswüchse – mit einem Augenzwinkern, aber immer konstruktiv.
Mein Bruder ist selbstständig und hat mehrere Mitarbeitende. Einer von ihnen ist ein freundlicher, leiser Herr. Er stammt aus dem mittleren Osten, und mein Bruder unterstützt ihn mit allen Kräften darin, dauerhaft in Deutschland bleiben zu können.
Keine Sorge, ich beschreibe jetzt nicht die bürokratischen Hürden. Mein Job ist es, mich um das Thema Sprache zu kümmern. Ich nehme mir also den Deutsch-Test für Zuwanderer (DTZ) vor, der dem freundlichen Mitarbeiter schon viel Anlass zur Sorge gegeben hat. Mein erster Eindruck: Wer Deutsch noch nicht gut kann, versteht schon die Einleitung zum DTZ nicht.
Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?
Um das ‚Zertifikat Integrationskurs‘ zu erhalten, müssen Sie zunächst in der Sprachprüfung ‚Deutsch-Test für Zuwanderer‘ (DTZ) das Gesamtergebnis B1 nachweisen. Sie zeigen damit, dass Sie ein wesentliches Ziel des Integrationskurses erreicht haben.“
Schon die simpelsten Regeln für verständliche Sprache werden in diesem kurzen Textstück missachtet:
- Der Satz beginnt mit dem Nebensatz, genauer: mit einem Konsekutivsatz. Solche Sätze geben eine Folge an, die sich aus dem Geschehen des Hauptsatzes ergibt. Aber hier wird es umgedreht: erst die Folge, dann das Hauptgeschehen. Das ist verwirrend.
- Der Text enthält zahlreiche erklärungsbedürftige Begriffe: Zertifikat, Integrationskurs, Sprachprüfung, Gesamtergebnis. Menschen, die (noch) nicht so gut Deutsch können, müssen sich jeden einzelnen Begriff in seiner korrekten Bedeutung erarbeiten.
- Der letzte Satz ist ungenau formuliert. Was heißt „ein wesentliches Ziel“? Zudem wird das Verb „zeigen“ in seiner abstrakten Bedeutung von „beweisen“ verwendet. Das erschwert das Verständnis zusätzlich. Denn zuerst lernt man in einer Fremdsprache die konkrete, einfachste Bedeutung eines Wortes. Bei „zeigen“ ist das: mit dem Finger oder Arm auf etwas deuten.
Hier eine passende Variante des Textes für Menschen, die gerade Deutsch lernen:
Wollen Sie das ‚Zertifikat Integrationskurs‘ bekommen? Dann müssen Sie eine Prüfung machen. Die Prüfung heißt ‚Deutschtest für Zuwanderer‘ (DTZ). Der Test ist ein Sprachtest. Sie müssen in der Prüfung zeigen, dass Sie Deutsch auf dem Niveau B1 können. Niveau B1 heißt: Sie können in der Sprache Deutsch gut reden und schreiben. Das ist ein wichtiges Ziel Ihres Integrationskurses.“
Weiter hinten im Text -ungt es gewaltig
Wie war das nochmal mit den Wörtern, die auf -ung enden? Genau, sie stehen für den umständlichen und schwer verständlichen Nominalstil. Wer’s ausführlich nachlesen mag: Die erste Kolumne aus dem Januar hat genau diese Nominalkonstruktionen zum Thema. Davon wimmelt es in der Einleitung zum DTZ:
Zulassung zur einmaligen Wiederholung der Abschlussprüfung
Wenn Sie nach vollständigem Besuch des Integrationskurses den Sprachtest nicht auf Niveau B1 bestanden haben, kann Sie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Mal zur Wiederholung von 300 Unterrichtsstunden zulassen. Diese Zulassung umfasst auch die einmalige kostenlose Wiederholung der Sprachprüfung.“
Was fällt auf?
- Der Text enthält viele ung-Wörter: Zulassung (2 x), Wiederholung (3 x), …prüfung (2 x).
- Wieder beginnt der Text mit einem Nebensatz. Das zeigt der Konditionalsatz mit „wenn“.
- Es gibt einen Satz mit 31 Wörtern. Ideal sind maximal 15 Wörter.
- Mit „umfasst“ gibt es ein abstraktes Verb.
- Wichtiger Inhalt geht unter, indem das Wort „kostenlos“ dem Wort „Wiederholung“ einfach vorangestellt wird: „einmalige kostenlose Wiederholung der Sprachprüfung“.
So wäre es besser:
Erlaubnis, die Abschluss-Prüfung noch einmal zu machen
Haben Sie den Sprachtest nach dem Integrationskurs nicht bestanden? Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge kann Ihnen helfen. Sie dürfen 300 Unterrichtsstunden wiederholen. Sie dürfen auch den Sprachtest noch einmal machen. Das kostet Sie nichts.“
Wie verständlich ist der Text in anderen Sprachen?
Auf der Website des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge werden die hier zitierten Inhalte auch in Englisch, Türkisch, Russisch, Französisch und Arabisch angeboten. Ich frage mich: Sind die Formulierungen in den anderen Sprachen ebenfalls so kompliziert und unverständlich wie im Deutschen?
Ein schottischer Freund und Übersetzer sagt: Ja, das ist kompliziertes Englisch. Für die anderen Sprachen bemühe ich die Website translate.google.com. Die jeweiligen Übersetzungsergebnisse stimmen fast buchstabengenau mit der deutschen Fassung überein. Das zeigt: Hier wurde offenbar nicht händisch übersetzt, sondern Künstliche Intelligenz (KI) bemüht. Das ist im Grunde nichts Schlechtes. Wenn der Ausgangstext aber so umständlich geschrieben ist wie in unseren Beispielen, sind auch die Übersetzungen nicht lesefreundlich.
Smarte Technik kann für bessere Texte sorgen
Das Stichwort KI bringt uns zu der Frage: Sollten Verwaltungen smarte Tools für besseres Amtsdeutsch nutzen? Die Antwort lautet: Auf jeden Fall! Aber kombiniert mit klugem Input, sorgfältiger Redigatur und einer Prise echter menschlicher Kreativität. Also nicht den großen Sprachmodellen freien Lauf lassen, sondern sie als Unterstützung nutzen. Dazu mehr in der nächsten Kolumne im September!
Fragen Sie sich vielleicht, ob KI bei dieser Kolumne zum Einsatz kam? Ja, jedoch nicht im Haupttext, sondern bei den verbesserten Versionen der Originalzitate. Die von mir genutzten Tools sind extrem hilfreich. Details folgen bald.
Sind Ihnen in letzter Zeit Sprachblüten aufgefallen? Schicken Sie sie gerne an die Autorin! Hier geht es zu Petra van Laaks Kontaktdaten.