1 Einleitung
Als „Engel aus dem Osten“ (Basler Zeitung
2012) und „stille Heldinnen“ (Kurier
2018) werden sie in den Medien bezeichnet; als „Wa(h)re Engel“ (Deutschlandfunk
2016) und „Haushaltssklavinnen“ (Blick
2017): die Arbeitskräfte, die in Deutschland, Österreich und der Schweiz rund um die Uhr betagte Menschen in deren Privathaushalt betreuen. Die sogenannte 24 h-Betreuung hat sich in den drei Ländern – ebenso wie in anderen Wohlfahrtsstaaten des Globalen Nordens – in der letzten Dekade zu einem verbreiteten, aber auch kontrovers diskutierten Modell der Versorgung betreuungs- und pflegebedürftiger Menschen entwickelt. Auf einem neuen, transnationalen Dienstleistungsmarkt lässt sich insbesondere seit den EU-Osterweiterungen
1 ein Anstieg an Agenturen beobachten, die vorwiegend Frauen aus mittel- und osteuropäischen Staaten rekrutieren und für Betreuungs- und Pflegetätigkeiten an Privathaushalte vermitteln (vgl. u. a. Bachinger
2014; Chau
2017; Lutz
2007). Diese Arrangements sind Ausdruck einer tiefgreifenden Neuorganisation von Care, in der Prozesse der Kommodifizierung
2 ebenso zum Tragen kommen wie die verstärkte Transnationalisierung von Sorgearbeit (Anderson und Shutes
2014; Aulenbacher et al.
2014). Basierend auf globalen Ungleichheiten sichern reichere Wohlfahrtsstaaten ihre soziale Reproduktion auf Kosten ärmerer Staaten (Hochschild
2001; Williams
2012).
Trotz der zunehmenden Verbreitung und Formalisierung der 24 h-Betreuung in Deutschland, Österreich und der Schweiz bleibt das Modell in allen drei Ländern umstritten. Vermittlungsagenturen, welche als Bindeglied zwischen Angebots- und Nachfrageseite eine Schlüsselposition auf den sich etablierenden Home-Care-Märkten einnehmen, sehen sich in den medialen Diskursen mit dem Vorwurf unlauterer und/oder ausbeuterischer Geschäftspraktiken konfrontiert. Auf ihren Webseiten bemühen sie sich – häufig direkt auf die mediale Diskussion bezugnehmend –, gesellschaftliche Zustimmung zum durch sie vermittelten 24 h-Betreuungsarrangement herzustellen. Als zentraler Bestandteil ihrer Rechtfertigungsstrategien versprechen die Unternehmen den Haushalten in allen drei Ländern ein legales Angebot entsprechend den jeweils geltenden Bestimmungen.
Der vorliegende Beitrag untersucht in ländervergleichender und -übergreifender Perspektive ebendiese Legalitätsnarrative, die auf den Webseiten von Agenturen prominent auftreten, aber noch nie vertieft analysiert wurden. Er fragt danach, auf welche Dimensionen von Legalität Agenturen Bezug nehmen und was es bedeutet, wenn Legalität zum zentralen Bezugspunkt der Herstellung von Legitimität wird; er setzt die Legalitätsnarrative mit den jeweiligen Regulativen und öffentlichen Diskursen in Beziehung und zeigt, wie durch die Bezugnahme auf Legalität prekäre
3 Arbeitsbedingungen und Machtungleichheiten in der 24 h-Betreuung entnannt
4 werden. Er macht darüber hinaus deutlich, wie die bestehenden Regulative den Markt strukturieren, auch wenn sie de facto häufig nicht durchgesetzt werden können.
2 Konzeptuelle und empirische Grundlagen
Die empirische Basis des Beitrags bilden zum einen eine Analyse der sich überschneidenden Gender‑, Care‑, Migrations- und Arbeits(markt)regime
5 der drei Länder, zum anderen eine Untersuchung der Webseiten von Betreuungs- und Vermittlungsagenturen. Den gesellschaftlichen Kontext für die Entstehung und Etablierung der 24 h-Betreuung bildet in allen drei Ländern ein sich wandelndes Genderregime, in dem sich anstelle des vormals dominanten Ernährer-Hausfrauen-Modells ein modernisiertes bzw. modifiziertes Familienmodell etablieren konnte. Trotz einer Zunahme an weiblicher (Teilzeit‑)Erwerbstätigkeit werden Haushalts‑, Betreuungs- und Pflegeaufgaben weiterhin als innerfamiliär zu erbringende Tätigkeiten gesehen und vorrangig Frauen zugeschrieben (Appelt und Fleischer
2014; Backes et al.
2008; Bühler und Heye
2005). Angesichts der Lücken in der Verfügbarkeit und Leistbarkeit professioneller (mobiler) Betreuung sowie der Konstruktion der migrantischen Carearbeiter_innen als quasi Familienangehörige wird die 24 h-Betreuung zur scheinbar optimalen Lösung für die Beibehaltung des familialistischen Ideals der Betreuung zu Hause (Weicht
2010). Begünstigt wurde die Herausbildung der Home-Care-Märkte durch die Liberalisierung der innereuropäischen Migrationsregime. Bürger_innen mittel- und osteuropäischer Staaten erhielten Arbeitsmarktzugang, welcher sich in der Praxis aufgrund geschlechts- und ethnizitätsbasierter Arbeitsmarktsegregation jedoch häufig auf gesellschaftlich abgewertete Bereiche wie Carearbeit beschränkt (Bachinger
2014, S. 135). Hinsichtlich ihrer Einbettung in das jeweilige Gender‑, Care- und Migrationsregime weist die 24 h-Betreuung in Deutschland, Österreich und der Schweiz Gemeinsamkeiten auf. Die Form der arbeitsrechtlichen Regulierung zeigt hingegen wesentliche Unterschiede.
Wie sich Agenturen auf die gesetzlichen Grundlagen beziehen, untersucht der Beitrag anhand von Webseitenanalysen der Agenturen, die Ende 2017 in Frankfurt am Main, Wien und Zürich Carearbeiter_innen für die 24 h-Betreuung vermittelten. Dabei wurde ein mehrstufiger Ansatz verfolgt: Mit dem Ziel einer Bestandsaufnahme des vorhandenen Betreuungsmarktes in den drei untersuchten Städten erfolgte zunächst eine Erfassung aller Internetauftritte von Anbietenden transnationaler Arbeits- und Dienstleistungsangebote im Bereich der 24 h-Betreuung. Darauf basierend wurde ein Sample von 10 bis 20 Agenturen pro Land gebildet, welches die organisationale Diversität der Unternehmenslandschaft hinsichtlich der Dimensionen Rechtsform, Geschäftsmodell, Unternehmensgröße, Preisniveau, Dienstleistungsangebote und Rekrutierungsländer widerspiegelt. Der Prozess der Fallauswahl wurde beendet, wenn eine theoretische Sättigung erreicht war, d. h., durch die Hinzunahme weiterer Fälle keine zusätzlichen Einsichten mehr gewonnen werden konnten. Die so getroffene Auswahl bildete die Basis für die inhaltsanalytische Feinanalyse der Legalitätsnarrative. Hierfür wurden die Webseiten hinsichtlich der Bezugnahmen auf Legalität und Abgrenzung zu Mitbewerber_innen bzw. dem kritischen medialen Diskurs untersucht. Dabei wurden auch die Lücken und Auslassungen in den herausgearbeiteten Narrativen in den Blick genommen und danach gefragt, welche Aspekte der 24 h-Betreuung entnannt werden. Die Ergebnisse dieser Analyse werden in zwei länderübergreifenden Kapiteln ausgeführt, wobei die herausgearbeiteten Narrative beschrieben, einander gegenübergestellt und mit den jeweils geltenden Regulativen in Verbindung gesetzt werden. Diesen Kapiteln vorangestellt ist eine Übersicht über die rechtliche Rahmung des 24 h-Betreuungssektors in den drei untersuchten Ländern.
4 „Wir sorgen dafür, dass rechtlich alles im grünen Bereich ist.“ – Legalitätsnarrative von Vermittlungsagenturen
Konfrontiert mit dem Vorwurf unseriöser Unternehmenspraktiken, stellen die Agenturen aller drei Länder in ihren Internetauftritten den legalen Charakter der eigenen Tätigkeit heraus, wobei auf die unterschiedlichen Rechtslagen wie auch Mediendiskurse Bezug genommen wird. Kaum eine der untersuchten Webseiten verzichtet darauf, die rechtliche Grundlage ihres Angebots zu benennen und die Notwendigkeit gesetzeskonformen Handelns zu unterstreichen: „Was ist das Geheimnis einer wirklich sicheren 24 h Betreuung? Sich an geltende Gesetze und Vorschriften zu halten und dabei die höchstmögliche Qualität zu finden – das ist der zentrale Bestandteil“ (D6
21). Agenturen versichern ihren potenziellen Kund_innen, entsprechend den jeweils geltenden nationalen Bestimmungen zu agieren und generell ein gesetzeskonformes Dienstleistungs- und Arbeitsangebot zu gewährleisten. Als Beleg dafür verweisen Agenturen auf Gesetzestexte, Verordnungen, Bewilligungen, Zertifikate und/oder Musterverträge. Diese verschiedenen Elemente der Formalisierung sind als Sinnbild für Legalität oft prominent auf den Webseiten verlinkt oder stehen zum Download bereit.
Vor dem Hintergrund einer fehlenden spezifischen Regulierung der 24 h-Betreuung präsentieren die untersuchten Agenturen in Deutschland – unabhängig davon, auf welches Beschäftigungsverhältnis sie sich stützen – ihr jeweiliges Modell als einzig legale und faire Alternative zu den Angeboten der Konkurrenz. Essenzieller Bestandteil der Leistungsversprechen der Agenturen ist die Suggestion einer zeitlich grenzenlosen Verfügbarkeit über die Person der Betreuungskraft: Offensiv wird eine „24 h Pflege“, „24 h Pflegekraft“, „24 h Rufbereitschaft“, „Rundum-Betreuung Tag und Nacht“ usw. propagiert; lediglich im Kleingedruckten finden sich gegebenenfalls Hinweise darauf, dass auch bei dieser Form der häuslichen Betreuung gesetzliche Mindeststandards einzuhalten sind: „Die Bezeichnungen ‚24 h Betreuung‘, ‚24 h Pflege‘ etc. sind gängige Bezeichnungen für die von uns angebotene Dienstleistung. Um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen, weisen wir ausdrücklich darauf hin, dass die von uns vermittelten Betreuungskräfte nicht 24 h tätig sind. Pausen- und Ruhezeiten sind bereits aufgrund von gesetzlichen Vorgaben strengstens einzuhalten“ (D9).
Wie „Arbeitszeit“ in diesem spezifischen Setting überhaupt zu definieren ist, bleibt auf den Webseiten der deutschen Agenturen allerdings offen. Nicht thematisiert werden darüber hinaus die gesetzlich geltenden Regelungen zu Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst. Vor allem der Umgang mit Pausenzeiten und möglichen nächtlichen Einsätzen wäre von hoher Relevanz, als im Angestelltenverhältnis eben auch diese Zeiten gegebenenfalls vergütet werden müssten. Implizit auf das Übereinkommen 189 der International Labour Organization
22 Bezug nehmend, bezeichnen einige Webseiten darum das angebotene Arrangement als „Betreuung in häuslicher Gemeinschaft“. Mit Verweis auf die im Arbeitszeitgesetz geregelte Ausnahme
23 hatte Deutschland bei dessen Ratifizierung im Jahr 2013 erklärt, Arbeitnehmer_innen, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen, von dessen Geltungsbereich auszunehmen und aufgrund der unklaren, knappen Begründung so auch die Tür zur Legitimation der 24 h-Betreuung geöffnet (Scheiwe und Schwach
2013, S. 1119).
Auch für das Legalitätsverständnis von Verleih- und Vermittlungsagenturen in der Schweiz spielen Arbeits(zeit)bestimmungen – und generell Arbeitsbedingungen – eine entscheidende Rolle. Diese stehen seit einigen Jahren aufgrund kritischer Medienberichterstattungen, gewerkschaftlicher Interessenvertretung und politischer Vorstöße (bspw. Marti und Ackermann
2016; Schmid-Federer
2012) im Zentrum der öffentlichen Debatte. Verhandelt wird wie in Deutschland das Spannungsfeld zwischen dem Versprechen einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung und der arbeitsrechtlichen Konformität des Arrangements. Dieses löst sich mit der Ausnahme des Privathaushaltes vom Arbeitsgesetz bis zu einem gewissen Grad zwar legalistisch gesehen auf, dennoch hat die institutionelle Rahmung des Arrangements über Beschäftigungsverhältnisse und die damit ermöglichte Gewerkschaftsarbeit zu einer Problematisierung der Arbeitsbedingungen geführt, zu der sich Agenturen positionieren müssen: „Faire Arbeitsbedingungen sind für uns eine Selbstverständlichkeit. Unsere Betreuerinnen [sic] arbeiten mit regulären Arbeitsverträgen, […] sind ordentlich in der Schweiz gemeldet und werden fair entlöhnt [sic]“ (CH3).
Darüber hinaus zielen die Narrative Schweizer Agenturen auf die Auflösung des (vermeintlichen) Widerspruchs zwischen Erschwinglichkeit und Legalität: „Wir wollen Ihnen eine finanziell tragbare Lösung anbieten und den Haushälterinnen [sic] eine gesicherte und legale Basis für Ihre [sic] aufopfernde Arbeit garantieren“ (CH12). Das Versprechen an die zukünftigen Kund_innen ist eine „Alternative […], mit der Sie preiswert […] und legal gepflegt werden können“ (CH6). Eine zentrale Dimension der beworbenen Legalität ist für viele Agenturen die Abführung der erforderlichen Sozialbeiträge: „[A]lle unsere Angestellten [erfüllen] zu 100 % die strengen Anforderungen des hier vorherrschenden Arbeitsrechts – inklusive aller Versicherungen und Sozialabgaben“ (CH8).
Letzteres nimmt, gekoppelt an die Selbstständigkeit der Betreuungskräfte, auch in den Legalitätsnarrativen österreichischer Vermittlungsagenturen eine zentrale Position ein: „Die Personenbetreuer/innen sind selbstständig tätig [und] haben in Österreich das Gewerbe der ‚Personenbetreuung‘ angemeldet […]. Sie sind in Österreich sozial-, kranken-, unfall- und pensionsversichert“ (A3). Den Agenturen dient also der rechtliche Rahmen der angebotenen Personenbetreuung zur Darstellung der eigenen Legalität. Um die Gesetzeskonformität des vermittelten Betreuungsarrangements zu unterstreichen, verweisen Agenturen auch auf die Einhaltung des gesetzlich vergleichsweise detailliert definierten Aufgabenprofils der Betreuungskräfte. Dessen Darstellung entspricht häufig (wortwörtlich) der Gewerbeordnung
24, Informationen über die Delegation pflegerischer bzw. ärztlicher Tätigkeiten verweisen auf die entsprechenden Paragraphen des Gesundheits- und Krankenpflege- bzw. des Ärztegesetzes.
25 Agenturen heben dadurch nicht nur die Legalität des vermittelten Dienstleistungsangebots, sondern auch die eigene pflegerisch-medizinische Expertise hervor. Legalitätsnarrative sind im österreichischen Kontext also eng mit der Betonung der Professionalität von Betreuung und Vermittlung verbunden, Arbeitsbedingungen spielen dabei eine untergeordnete Rolle.
„Agenturen treten im Kontext der österreichischen Regulierungen also als VermittlerInnen legal rekrutierter Arbeitskräfte und legaler Dienstleistungsangebote auf“ (Aulenbacher et al.
2018, S. 50). Gleichzeitig weisen sie jedoch die Haftung für die versprochene Gesetzeskonformität von sich. Welche Betreuungs- und Pflegetätigkeiten wie erbracht werden, liege aufgrund der Selbstständigkeit der Betreuungskräfte alleine in deren Verantwortung.
26 Mit der damit vermeintlich einhergehenden Autonomie argumentieren auch deutsche Agenturen, die selbstständig tätige Kräfte vermitteln: „Selbstständige sind viel flexibler bei Ihrer [sic] Planung und haben mehr Entscheidungsfreiheit als angestellte Betreuungspersonen“ (D2). Zur Untermauerung dessen wird Österreich herangezogen: „Betreuungskräfte in Österreich können wählen, ob sie die Dienstleistung in Selbständigkeit oder im abhängigen Beschäftigungsverhältnis erbringen möchten. 95 % entscheiden sich aus den genannten Gründen für die Selbständigkeit“ (D1). Diese setzte sich in Österreich freilich nicht als Folge entsprechender Präferenzen der migrantischen Arbeitskräfte, sondern aufgrund der niedrigeren Kosten und der höheren Flexibilität für die Bezieher_innen der Betreuungsleistungen durch (Haidinger
2016, S. 103). Weil selbstständige Betreuungskräfte von Arbeits(zeit)schutzbestimmungen und Mindestlohnregelungen ausgenommen sind und nicht vollständig in das soziale Sicherungssystem des Landes, in dem sie 24 h-Betreuung leisten, integriert sind
27, bietet die Selbstständigkeit vornehmlich den vermittelnden Agenturen und den nachfragenden Privathaushalten Vorteile und erlaubt gleichzeitig die Ausblendung sozialer Hierarchien und Machtungleichheitsverhältnisse.
Zusammengefasst dient Legalität den Agenturen als zentraler Bezugspunkt für die Herstellung von Legitimität. Die unübersichtliche (Deutschland und Schweiz) und liberalistische (alle drei Länder) Regulierung der 24 h-Betreuung stellt indes, wie in den vorhergehenden Kapiteln dargestellt wurde, sehr niedrige Ansprüche an die inhaltliche Ausgestaltung der Betreuungsarrangements. Daher können Agenturen in allen drei Ländern mit Recht von sich behaupten, gesetzeskonform zu agieren, ohne dass dadurch bereits etwas über die Qualität der Arbeitsverhältnisse oder des Dienstleistungsangebots gesagt ist. Der vielfach getätigte Verweis auf Verträge und Gesetze betont die zunehmende Formalisierung der Carearbeit; dass in anderen Branchen übliche Qualifikations- und Arbeitsstandards im Bereich der 24 h-Betreuung unterlaufen werden, rückt in den Hintergrund. Zudem gestalten sich arbeitsrechtliche Kontrollen schwierig bzw. ist der Privathaushalt teilweise überhaupt von Kontrollen ausgenommen, wodurch gesetzliche Vorgaben in der Praxis häufig nicht zum Tragen kommen. Betreuungskräfte wiederum können vertragliche Bestimmungen, etwa hinsichtlich Arbeitszeitregelungen oder des konkreten Aufgabenbereichs, oft nicht durchsetzen, da sie im Vergleich zu den Pflegebedürftigen und/oder deren Angehörigen weniger Aushandlungsmacht besitzen
28 (Haidinger
2016, S. 93–95; Schilliger
2014, S. 150).
5 „Von solchen Geschäftsverhältnissen müssen und können wir uns klar distanzieren.“ – Abgrenzungsnarrative von Vermittlungsagenturen
Verbunden sind die Legalitätsverweise häufig mit Abgrenzungsnarrativen gegenüber anderen Agenturen, denen illegale und ausbeuterische Geschäftspraktiken vorgeworfen werden. Auf zahlreichen Webseiten sind negativ konnotierte oder gar skandalisierende Medienartikel über solche Unternehmen zu finden. Die konkreten Abgrenzungsbestrebungen weisen dabei länderspezifische Unterschiede auf, in denen sich, wie schon in den Legalitätsnarrativen, die nationale Rechtslage zur 24 h-Betreuung ebenso widerspiegelt wie der jeweilige mediale Diskurs. Angesichts der rechtlichen Unklarheiten auf dem Markt der 24 h-Betreuung in Deutschland bewerben Agenturen das eigene Angebot als eine für Privathaushalte sichere Alternative zu irregulären Beschäftigungsformen – oftmals auch mit Verweis auf drohende rechtliche Konsequenzen: „Das sichert Sie vor Annahme einer illegalen Betreuungstätigkeit rechtlich ab, die bei einer Aufdeckung erhebliche Strafen und Nachzahlungen für Sie bedeuten würde“ (D4). So unterstreicht eine polnische Betreuungskräfte nach Deutschland entsendende Agentur „[k]eine Schwarzarbeit, keine Scheinselbständigkeit, keine arbeitnehmerähnlichen Verhältnisse, kein Lohndumping“ (D6) zu betreiben, wobei das Negativimage der eigenen Branche bekräftigt wird und man sich zugleich davon distanziert: „Arbeitsbedingungen für entsendete Menschen aus Mittel- und Osteuropa werden zu oft missachtet. […] Derzeit existieren in der Branche leider überhaupt keine Standards. Wünschenswert sind Transparenzkriterien, die eine Ausbeutung des Personals verhindern – zum Wohle der Pflegeperson, eine Mindestqualifikation des Personals und eine Versicherungspflicht“ (ebd.).
Unterdessen erfolgt diese Abgrenzung von Agenturen in Österreich, wo Betreuung und Vermittlung als selbstständige Gewerbe gesetzlich anerkannt wurden, stärker über die Dimension der Vermittlungsqualität. Für eine hochwertige Betreuung sei entscheidend, dass Bedarfserhebung und Qualitätsvisiten von Fachkräften durchgeführt werden. Skepsis sei dementsprechend angebracht „bei Vermittlern [sic], die einen anderen Beruf haben, denn zum Beispiel ein Anwalt [sic] oder Finanzberater [sic] kann wahrscheinlich die Bedürfnisse einer an Alzheimer erkrankten Person nur schwer einschätzen“ (A3). Qualitätsvolle Vermittlung setze dazu genaue und persönliche Personalauswahl voraus bzw. eine, bei der „keine ausländische Agentur dazwischen“ (A1) ist. Zentrale Kritikpunkte sind darüber hinaus unseriöse „Billig-Angebote“ (A3), „leere Versprechen“ (A13) hinsichtlich des Preises und „versteckte Kosten“ (A5). Diese Abgrenzungsversuche greifen nicht nur den medialen Diskurs rein profitorientierter bzw. ausbeuterischer Agenturen auf, sondern verweisen auch auf die gesetzliche Vorschrift der transparenten Kostendarstellung, welche viele Agenturen in der Praxis nicht erfüllen (vgl. Österle et al.
2013).
In der Schweiz prägt die Regulierung der 24 h-Betreuung in Form von Personalvermittlung bzw. -verleih die Abgrenzungsnarrative von Agenturen. So werden der Besitz der entsprechenden Bewilligungen und die Einhaltung der arbeitsrechtlichen Mindestanforderungen zum Unterscheidungsmerkmal: „Prüfen Sie bitte bei Ihrer Analyse der verschiedenen Anbieter [sic], ob diese Bewilligungen vorhanden sind“ (CH3). Ein anderes Unternehmen warnt davor, dass „[b]ei den Billig-Pflegeagenturen […] Betreuerinnen [sic] oft ohne Arbeitsbewilligung zu prekären Bedingungen“ (CH4) arbeiten müssten. Mit expliziten Distanzierungen belegen Agenturen ihr eigenes Problembewusstsein und signalisieren Betroffenheit: „Von solchen Geschäftsverhältnissen müssen und können wir uns klar distanzieren. […] Es ist erschreckend zu sehen, unter welchen Bedingungen auch Schweizer Anbieter [sic] Pflege- und Betreuungskräfte anstellen und vermitteln“ (ebd.).
Mittels Abgrenzung von unseriösen Mitbewerber_innen betonen Agenturen nicht nur die eigene Rechtskonformität, sondern stützen gleichzeitig einen öffentlichen Diskurs, der die grundlegende Prekarität der 24 h-Betreuung auf ausbeuterische Praktiken einzelner sogenannter schwarzer Schafe unter den Agenturen reduziert. „Zahlreiche Agenturen sind sich ihrer Verantwortung bewusst und nehmen Qualität auch in der Organisation sehr ernst. Wie in jeder Branche gibt es jedoch auch in der Personenbetreuung nach wie vor Anbieter [sic], die es mit Transparenz und Kundenfreundlichkeit [sic] etwas zu locker nehmen“ (A14). Geschlechts-, ethnizitäts- und klassenbasierte Arbeitsteilungen und Ungleichheiten werden dadurch nicht grundsätzlich hinterfragt, sondern als Basis für das Funktionieren dieses Betreuungsarrangements implizit vorausgesetzt und die herrschaftsförmige Organisation von Care entnannt (z. B. Aulenbacher et al.
2014).
6 Fazit
24 h-Betreuung hat sich in Deutschland, Österreich und der Schweiz in der letzten Dekade zu einem verbreiteten, aber auch kontrovers diskutierten und zum Teil skandalisierten Modell der Betreuung und Pflege im Privathaushalt entwickelt. Der vorliegende Beitrag erweitert den Forschungsstand zu diesem transnationalen Betreuungsarrangement in zweifacher Hinsicht: Zum einen bietet er eine fundierte Gegenüberstellung der rechtlichen Rahmung transnationaler Caredienstleistungen in den drei Ländern. Er zeigt auf, wie sich die Ausformung von 24 h-Betreuungsarrangements im konkreten sozialpolitischen und institutionellen Kontext der drei Länder jeweils unterschiedlich gestaltet: In Deutschland stellt die Entsendung das dominante, aber vor dem Hintergrund einer fehlenden spezifischen Regulierung umstrittene Modell dar. In Österreich berechtigt das Gewerbe der Organisation von Personenbetreuung Agenturen zur Vermittlung selbstständiger Personenbetreuer_innen. Und in der Schweiz ist der Verleih angestellter Betreuungskräfte an Haushalte sowie die Vermittlung von Betreuer_innen für eine Anstellung direkt im Haushalt über Agenturen mit Schweizer Sitz zulässig. Zum anderen ergründet der Beitrag die Positionierungen und Selbstdarstellungen von Vermittlungsagenturen in diesen rechtlich-institutionellen sowie den damit einhergehenden diskursiven Kontexten. Er zeigt, wie länderspezifische Regulative den Markt strukturieren, indem sie den medialen und politischen Diskurs prägen, an dem sich Unternehmen im Ringen um gesellschaftliche Anerkennung für das von ihnen vermittelte Betreuungsarrangement orientieren.
Die auf den Webseiten vorgefundenen Legalitäts- und Abgrenzungsnarrative weisen sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede auf, die mit den jeweiligen Regimen in Verbindung gebracht werden können. So ist in Deutschland und der Schweiz die Abgrenzung von illegalen Beschäftigungsmodellen (und unlauter agierenden Vermittlungsagenturen) von zentraler Bedeutung. Hintergrund ist im ersten Fall die rechtlich uneindeutige Situation: Aufgrund des Fehlens einer eindeutigen Regulierung präsentieren deutsche Agenturen ihr jeweiliges Modell als einzig legale Alternative zu konkurrierenden Angeboten. Im Falle der Schweiz hat die institutionelle Rahmung des Arrangements über Beschäftigungsverhältnisse und die damit ermöglichte Gewerkschaftsarbeit zu einer öffentlichen Problematisierung unerlaubter Beschäftigungsformen und fehlender Unternehmensbewilligungen geführt. Konfrontiert mit medialer Skandalisierung sowie gewerkschaftlicher Thematisierung prekärer Arbeitsverhältnisse, sichern Agenturen in beiden Ländern ihren potenziellen Kund_innen die vollständige Legalität der angebotenen Dienstleistungen zu und versprechen dabei insbesondere Konformität mit den nationalen Arbeits(zeit)schutzbestimmungen. Aufgrund der Ausnahme vom Arbeitsgesetz (Schweiz) respektive der unklaren Anwendbarkeit und mangelnden Kontrollierbarkeit des Arbeitszeitgesetzes (Deutschland) beinhalten diese Bestimmungen im Vergleich zu anderen Sektoren indes deutlich weniger arbeitsrechtliche Vorgaben.
In Österreich stellt währenddessen die Selbstständigkeit der Betreuungskräfte Dreh- und Angelpunkt der Legalitätsverweise der Agenturen dar. Dabei beziehen sie sich einerseits auf die gewerberechtliche Meldung sowie die Integration in das Sozialversicherungssystem.
29 Andererseits spielen in den Legalitäts- und Abgrenzungsnarrativen österreichischer Agenturen das gesetzlich definierte Tätigkeitsprofil der Betreuer_innen sowie die pflegerische Expertise der Agenturen eine große Rolle – was zum einen die relativ detaillierte Regulierung der Betreuungstätigkeiten, zum anderen die mediale Kritik an fachfremden Vermittler_innen widerspiegelt. Die Legalitätsnarrative sind also eng mit der Betonung der Professionalität von Betreuung und Vermittlung verbunden, Arbeitsbedingungen spielen eine im Vergleich zu den zwei Nachbarländern untergeordnete Rolle.
Zusammengefasst sticht die Beteuerung eines rechtlich einwandfreien Angebots unter den national geltenden Regulativen als dominantes Narrativ auf den Webseiten der Betreuungs- und Vermittlungsagenturen hervor. Der prominente Verweis zeugt von einem öffentlichen Diskurs, der vom Gegenteil ausgeht und Agenturen unter Druck setzt, ihr eigenes Angebot legitimatorisch abzusichern. Mittels Abgrenzung von unseriösen Mitbewerber_innen wird die eigene Rechtskonformität zusätzlich betont. Die Einhaltung von Gesetzen sagt indes aufgrund der niedrigen Anforderungen der liberalistischen und zum Teil unvollständigen Regulierungen in der Regel noch nichts über die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses oder des Dienstleistungsangebots aus. Der Verweis auf Verträge, Gesetze und Bewilligungen lässt die Tatsache in den Hintergrund rücken, dass die in anderen Branchen üblichen Qualifikations- und Arbeitsstandards unterlaufen werden. Die grundsätzliche Prekarität der 24 h-Betreuung bleibt de-thematisiert, indem diese zum Problem einzelner Agenturen mit unlauteren Geschäftspraktiken gemacht wird. Strukturelle Prekarität und Machtungleichheiten in der 24 h-Betreuung werden damit weitgehend entnannt.