4.1 Relevante Nachteile des Erbbaurechts
Zumindest deutsche Investoren in Wohnimmobilien sind bezüglich des Erbbaurechts zurückhaltend (FAZ
2019; GEWOS
2018, S. 23–26). Über das Erbbaurecht werden die Eigentumsrechte an einer Immobilie „auseinandergerissen“. Hierdurch werden Transaktionskosten erzeugt, die bei einer Immobilie im Volleigentum nicht anfallen. Dabei handelt es sich v. a. um Überwachungs- und Durchsetzungskosten, aber – angesichts des Charakters als eines langfristigen und unvollständigen Vertrages (Richter und Furubotn
2003, S. 168) – auch um die Kosten möglicher Nachverhandlungen bestehender Verträge. Der Erbbaurechtnehmer hat i. d. R. mehr oder weniger starke Eingriffe in die Verfügungsrechte zu erdulden; oft werden die Erbbaurechtsverträge auch unnötig mit solchen Eingriffen überfrachtet. Im Rahmen des Münchner Verfahrens (Werth
1989), das sowohl bei der Verkehrs- wie auch bei der Beleihungswertermittlung verwendet wird, werden diese Nachteile (je nach Verfügbarkeit von Vergleichsdaten aus dem Markt) mit Abschlägen von 10 bis zu 50 % des Bodenwertes bzw. von 5 bis zu 15 % des Gesamtwertes der Immobilie wertmindernd angesetzt (Schneider
2017, S. 10–11). Dies führt sowohl zu Problemen bei der Veräußerbarkeit wie auch bei der Beleihbarkeit.
Der in Deutschland dominierende Einsatz von Erbbaurechten im Kontext von Einfamilienhäusern zu eigenen Wohnzwecken unterscheidet sich z. T. deutlich von anderen Ländern, wie z. B. den USA (Funt
2019; s. auch Abschn. 2). Dies ist teilweise auf Tradition, teilweise aber auch auf institutionelle Hemmnisse (z. B. die geringe Kompatibilität des Erbbaurechts mit den Regelungen des WEG) zurückzuführen. Die Fokussierung auf Einfamilienhäuser führt u. a. dazu, dass die einschlägigen Kosten und Wertminderungen nicht auf eine Mehrzahl von Wohneinheiten verteilt werden können.
Die Skepsis vieler Investoren ist angesichts dieser Nachteile insoweit nachvollziehbar.
4.2 Relevante Vorteile des Erbbaurechts
Mit Erbbaurechten sind jedoch auch Vorteile verbunden. Damit Erbbaurechte aber kompetitiv werden, müssten diese Vorteile die oben angerissenen Nachteile zumindest kompensieren.
Vorteile bestehen aus Sicht kommunaler Erbbaurechtgeber v. a. in städtebaulicher Hinsicht (der Zugriff auf das Grundstück bleibt erhalten) und aufgrund der Tatsache, dass Sozialbindungen – anders als bei Volleigentum – über die gesamte Dauer des Erbbaurechtvertrages möglich sind (BGH, Urteil vom 8. Februar 2019, Az. V ZR 176/17).
Als Vorteil auf Seiten des Erbbaurechtnehmers wird i. d. R. die Liquiditätsersparnis genannt, die sich aus dem „kapitallosen“ Zugang zum Boden v. a. bei höheren Bodenwertniveaus ergibt (s. Abschn. 2). Korrespondierend hierzu muss der Erbbaurechtgeber u. U. jedoch auf Liquidität durch potenzielle Veräußerungserlöse des Grundstücks verzichten. Zudem sind die Erbbauzinsen im Rahmen von Vermietungen ertragsteuerlich abzugsfähig – allerdings mindert sich der Vorteil in konsolidierter Betrachtung (über beide Partner hinweg), wenn der Erbbaurechtgeber die Erbbauzinsen versteuern muss.
Das Erbbaurecht weist noch einen weiteren spezifischen Vorteil auf, der bislang kaum diskutiert wurde (BMI
2020, S. 10–11): Mit der Aufspaltung der Eigentumsrechte hat man auch zwei Akteure auf unterschiedlichen Marktseiten, die miteinander in einen Austausch treten. Wo ein solcher Austausch stattfindet, sind jedoch i. d. R. auch Tauschgewinne möglich. Das Erbbaurecht kann nämlich als ein Instrument zur Reallokation von Risiken begriffen werden. Beispielsweise sind gebäudebezogene Risiken (übersehene Baumängel, größere Reparaturen etc.) zu einem erheblichen Teil vom Vermieter zu tragen; der Erbbaurechtgeber kann sich dieser Risiken hingegen i. d. R. entledigen. Bei einem Ausfall des Mieters hat zudem der Vermieter zwar die Kaution, aber ansonsten de facto oft nicht viel in der Hand. Räumungsklagen benötigen Zeit und kosten auch Nerven; häufig müssen die Kosten vorgestreckt werden. Nicht selten bleiben die Vermieter bei Zahlungsausfällen auf einem erheblichen Teil der Verluste sitzen. Zuweilen wird die Wohnung auch in verwüstetem Zustand hinterlassen. Der Schutz gegen Mietausfälle und Mietnomaden kostet ebenfalls Geld. Ein Erbbaurechtnehmer hingegen wird einen Zahlungsausfall möglichst vermeiden, da er das im Gebäude steckende Eigenkapital verlieren kann. Das Gebäude dient letztlich als Sicherheit für die Erbbauzinsforderungen sowie die Zins- und Tilgungsforderungen der Bank. Die Ausfallwahrscheinlichkeit säumiger Erbbaurechtnehmer ist erfahrungsgemäß sehr gering. Im Falle eines dauerhaften Zahlungsausfalls kann Seitens der Bank oder des Erbbaurechtgebers die Zwangsversteigerung betrieben werden. Regelmäßig werden die Verträge so gestaltet, dass der Erbbauzins im Falle einer Zwangsversteigerung bestehen bleibt. Je besser der Standort (und je höher der Bodenwert), umso höher ist die Chance, dass ein Erwerber den Vertrag fortführt. Betreibt die Bank die Zwangsversteigerung, sind die weiteren Erbbauzinszahlungen dann vom Erwerber zu übernehmen. Falls die Ansprüche des Erbbaurechtgebers noch zusätzlich durch Heimfallregelungen gestützt werden, gelten die Ansprüche der Erbbaurechtgeber als „überbesichert“ (Ernst & Young
2017, S. 4, table 1.2). Bock und Nagel (
2019, S. 184–185) verweisen auf empirische Untersuchungen, nach denen der Heimfall so gut wie nie ausgeübt werden braucht. Im Übrigen müsste der Grundstückseigentümer bei Geltendmachung des Heimfalls auch die auf dem Gebäude lastenden Schulden übernehmen (§ 33 ErbbauRG).
1 Generell gilt: Je höher das Eigenkapital des Erbbaurechtnehmers, umso größer die Sicherheit für Bank und Erbbaurechtgeber. Schließlich kann auch noch eine gewisse Abkopplung von der wirtschaftlichen Situation des Erbbaurechtnehmers durch eine Indexierung des Erbbauzinses erreicht werden, die sich am Verbraucherpreisindex orientiert. Der Erbbaurechtgeber erhält i. d. R. somit einen hochgradig sicheren Zahlungsstrom. Dessen Risiko ist (bei geeigneter Gestaltung) oftmals nicht weit weg von dem einer festverzinslichen Bundesanleihe (Löhr
2017, S. 12). Allerdings ist zumindest in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase die Rendite aus einem Erbbaugrundstück deutlich höher; zudem sind die Erbbauzinsen i. d. R. auch gegen Entwertung durch Inflation gesichert (Aholt
2016; Sänze
2017). Dies kann trotz der geringeren Fungibilität den Anforderungen von Investoren u. U. besser entsprechen als die Investition in eine Bundesanleihe.
Anders beim Erbbaurechtnehmer: Dieser hat den Erbbauzins unabhängig davon zu tragen, ob es ihm wirtschaftlich gut oder schlecht geht (JLL
2019, S. 6; Keilhauer
2017, S. 5; Löhr
2019, S. 188). Separat von den Finanzierungskosten, welche Erbbaurechtnehmer und Volleigentümer im Verhältnis zum Investitionsvolumen in ähnlicher Weise zu tragen haben
2, stellen die Erbbauzinsen insoweit noch eine zusätzliche Fixkostenbelastung des Erbbaurechtnehmers dar. Diese wirkt sich sowohl auf die Erträge wie die Liquidität aus. Im Falle einer positiven Geschäftsentwicklung ergibt sich hieraus eine entsprechend hohe Chance, bei einem Misserfolg aber auch eine erhöhte Verlustgefahr. Der Erbbaurechtnehmer trägt also über die fixierten Erbbauzinsen ein entsprechend erhöhtes sog. Operating Leverage-Risiko. Dieses muss abgegolten werden, wenn der Erbbaurechtskontrakt marktkonform sein soll.
Wie durch diese Risikoverlagerung ein Mehrwert gegenüber Volleigentum erzeugt werden kann, wird im nachfolgenden Abschnitt erläutert. Hierbei kommt das von David Ricardo (
2004) entdeckte Prinzip der komparativen Vorteile zum Tragen, das bei Weitem nicht auf den Außenhandel beschränkt ist. Vielmehr handelt es sich um ein Grundprinzip des arbeitsteiligen Austauschs (Samuelson
1998, S. 778), der an anderer Stelle von der Finanzindustrie rege genutzt wird (z. B. bei Zinsswaps; s. Hull
2009, S. 203–205; zur Kritik s. S. 206–207).
4.3 Potenzielle Tauschgewinne
Nachfolgend wird das Entstehen eines Tauschgewinns aufgrund der Risikoverschiebung anhand eines Beispiels illustriert, das in den nachfolgenden Abschnitten fortentwickelt wird (das Beispiel beruht auf Löhr und Braun
2017). Dabei geht es nicht um eine exakte Darstellung der wirtschaftlichen Auswirkungen, sondern um eine grobe Illustration der Wirkung der wertbeeinflussenden Komponenten. Die Renditeforderungen beider Seiten setzen sich im Wesentlichen aus einem Basiszinssatz (abgeleitet aus dem Kapitalmarktzinssatz) und einer Risikoprämie zusammen. Weiter kann es bei erwarteten Steigerungen zu Abschlägen kommen, was vorliegend aber nicht näher thematisiert wird.
Aus Vereinfachungsgründen wird in den untenstehenden Beispielen auch für den Erbbaurechtsvertrag die Formel der ewigen Rente zugrunde gelegt (also die i. d. R. begrenzte Laufzeit nicht beachtet). Der Basiszinssatz wird mit null Prozent angenommen. Unterschiedliche Renditeforderungen leiten sich damit ausschließlich aus unterschiedlichen Risiken ab. Es wird – unter Abstraktion von möglichen Portfolioeffekten
3 – von einer linearen Beziehung zwischen Rendite und Risiko ausgegangen. Der Liegenschaftszinssatz (Volleigentum) wird hier – ebenfalls vereinfachend – mit dem internen Zinsfuß einer Immobilie in Volleigentum gleichgesetzt.
4 Erwerbsnebenkosten und steuerliche Aspekte werden vorliegend nicht berücksichtigt.
Für Volleigentum ergibt sich unter diesen Umständen die in Tab.
1 dargestellte Datenkombination.
Tab. 1
Ausgangsdaten für eine Immobilie im Volleigentum
Gebäude | 28.000 | 700.000 | 4,00 |
Boden | 12.000 | 300.000 | 4,00 |
Gesamt | 40.000 | 1.000.000 | 4,00 |
Es wird nun davon ausgegangen, dass der Erbbaurechtgeber eine geringere Risikoneigung als ein Volleigentümer hat; diejenige des Erbbaurechtnehmers soll entsprechend höher sein. Im Rahmen eines Erbbaurechtkontraktes möge es nun dem Erbbaurechtgeber gelingen, die Hälfte des auf den Bodenanteil entfallenden Risikos auf den Erbbaurechtnehmer zu überwälzen.
5 Das Risiko des Erbbaurechtgebers sinkt also um 50 %. Dementsprechend muss bei einer linearen Beziehung zwischen Rendite und Risiko auch die Renditeforderung von 4,00 % p. a. (Volleigentum) auf 2,00 % p. a. zurückgehen. Die Renditeforderung des Erbbaurechtnehmers soll sich zusammen mit dem gestiegenen Risiko von 4,00 auf 4,86 % p. a. erhöhen (also um 12,14 %). Die Ermittlung illustriert Anhang A.
In Anhang C wird dargestellt, dass auch beim unterstellten linearen Rendite‑/Risiko-Zusammenhang Risiken wie Renditeforderungen des Erbbaurechtgebers (\(r_{G}\)) systematisch stärker absinken müssen, als die Risiken und Renditeforderungen des Erbbaurechtnehmers (\(r_{N}\)) ansteigen. Der sich aus dem kapitalisierten Erbbauzins für den Erbbaurechtgeber ergebende Wertzuwachs (gegenüber dem Bodenwertanteil) ist daher höher als der Minderwert beim Erbbaurechtgeber (gegenüber dem Gebäudewertanteil bei Volleigentum). Per Saldo wird so ein Mehrwert erzeugt, der sich mit steigendem Bodenwertanteil erhöht (s. Anhang D).
Tab.
2 stellt dies beispielhaft dar: Die 12.000 € p. a. Erbbauzinsen sollen dem Bodenertrag bei Volleigentum entsprechen. Diese werden nunmehr im Vergleich zum Bodenertrag bei Volleigentum vom Erbbaurechtgeber mit einem um 50 % reduzierten Kapitalkostensatz diskontiert (also 2,00 % p. a.) und führen damit für ihn zu einem doppelt so hohen Wert des Zahlungsstroms. Umgekehrt erhöht sich der Diskontierungszinssatz für die Erträge aus dem Erbbaurecht von 4,00 auf 4,86 % p. a. (also um 12,14 %). Der Wert des Zahlungsstroms aus dem Erbbaurecht fällt daher geringer aus als derjenige aus dem Gebäudeanteil bei Volleigentum. Weil der beim Erbbaurechtgeber entstehende Mehrwert aber den Minderwert beim Erbbaurechtnehmer überkompensiert, ergibt sich gegenüber Volleigentum (Wert: 1.000.000 €) nunmehr ein Wert von 1.176.500 €, was vorliegend einem Mehrwert von 17,65 % entspricht. Zu diesem Wert gelangt man auch, wenn man die gesamten Reinerträge der Immobilie i. H. von 40.000 € mit 3,40 % p. a. diskontiert, also einer geringeren Rate als bei Volleigentum.
Tab. 2
Potenzieller Mehrwert des Erbbaurechts (im Beispielsfall)
Erbbaurechtgeber | 12.000 | 2,00 | 600.000 |
Erbbaurechtnehmer | 28.000 | 4,86 | 576.500 |
Gesamt | 40.000 | 3,40 (!) | 1.176.500 |
Es lässt sich also zeigen, dass der potenzielle Mehrwert
-
umso höher ist, je stärker die Risikoverlagerung auf den Erbbaurechtgeber ausfällt. Zumal Mehrfamilienhäuser eine deutlich höhere Risikoprämie aufweisen als Einfamilienhäuser (dies ist an den Liegenschaftszinssätzen ablesbar), kann bei den Letztgenannten der beschriebene Effekt kaum erzielt werden.
-
auch mit dem Bodenwertanteil ansteigt. Je höher der Bodenwertanteil, umso größer ist der Anteil der Reinerträge der Immobilie, der auf den Erbbaurechtgeber entfällt und mit dessen geringeren Renditeforderungen diskontiert wird. Dies bedeutet, dass gerade in angespannten Wohnungsmärkten mit hohen Bodenwerten das Potenzial für die Erzielung eines Mehrwertes besonders hoch ist.
Die Auswirkungen der Risikoverschiebung und der Variation der Bodenwertanteile zeigt Tab.
3 noch einmal im Überblick auf (s. die Formel zum Mehrwert
v+(a, k) in Anhang D).
Tab. 3
Potenzielle Mehrwerte in Abhängigkeit von Bodenwertanteil und Risikoverlagerung
Beim Erbbaurechtgeber verbleibendes Risiko (a) (in %) | 70 | 1,38 | 4,88 | 9,89 |
50 | 5,26 | 17,65 | 33,33 |
30 | 16,84 | 53,85 | 98,08 |
Im Beispielsfall liegt ein Bodenwertanteil von 30 % und ein beim Erbbaurechtgeber verbleibendes Risiko von 50 % vor; der potenzielle Mehrwert gegenüber Volleigentum beträgt 17,65 %. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die erzielbaren Tauschgewinne aufgrund der unterstellten unendlichen Laufzeit des Erbbaurechtsvertrags tendenziell überzeichnet sind.
Der potenzielle Mehrwert lässt sich andererseits im Portfoliokontext erhöhen, da hier i. d. R. kein linearer Zusammenhang zwischen Rendite und Risiko mehr besteht (s. Anhang E). Weitere ökonomische Größen, die sinnvoll zur Schaffung eines höheren Mehrwerts genutzt werden können, sind neben der Laufzeit des Erbbaurechtvertrages (mindestens zwei Renovierungszyklen – je mehr, umso höher der Mehrwert) die Anpassung des Erbbauzinses sowie Entschädigungen bei Ablauf des Erbbaurechts (Keilhauer
2017, S. 6). Hierauf kann vorliegend mangels Raum allerdings nicht eingegangen werden.
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