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Published in: Gesunde Pflanzen 2/2021

Open Access 03-03-2021 | Original Article / Originalbeitrag

Was ist eine ökologische Schadensschwelle?

Authors: Horst-Henning Steinmann, Friederike de Mol, Joachim Kakau, Bärbel Gerowitt

Published in: Journal of Crop Health | Issue 2/2021

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Zusammenfassung

Schwellenwerte im Pflanzenschutz sollen einen Anhaltspunkt geben, bei welcher Schaderregerdichte eine Bekämpfung mit Pflanzenschutzmitteln erfolgen soll bzw. wirtschaftlich sinnvoll ist. Für zahlreiche Ackerbaukulturen sind in den vergangenen Jahrzehnten Schwellenwerte erarbeitet bzw. festgesetzt worden. Wirtschaftliche Schadensschwellen, Bekämpfungsschwellen sowie Bekämpfungsrichtwerte sind Begriffe, die bei diesen Konzepten verwendet werden. Die Begriffe lassen sich per Definition unterscheiden, werden aber manchmal auch synonym verwendet. Seit dem Erscheinen und der Praxiseinführung des Schwellenkonzeptes wird es nicht nur von Unterstützung, sondern auch von Kritik begleitet. Eine Kritik lautet, dass sich ändernde Rahmenbedingungen die einmal festgesetzten Schwellen im Zeitverlauf unbrauchbar machen.
Bisher sind die Schwellenkonzepte auf die Ertragsverluste und die mit der Bekämpfung entstehenden direkten Kosten ausgerichtet. Der Fokus liegt damit auf der Betriebswirtschaft. Nebeneffekte der Pflanzenschutzanwendung auf Nicht-Zielorganismen, die Nahrungskette und andere Aspekte der Biodiversität werden nicht berücksichtigt. Auch dies ist Anlass zur Kritik am Schwellenkonzept, da aufgrund dieser Fokussierung der vielfältige Nutzen der Ökosystemleistungen nicht bepreist und nachteilige Auswirkungen des chemischen Pflanzenschutzes nicht bewertet werden.
Es ist bisher völlig unklar, wie eine solche, ökologische Sachverhalte berücksichtigende, Schadensschwelle herzuleiten ist und welche Daten dazu erforderlich sind. Weiterhin fehlt es an ersten Vorstellungen, welche Größenordnungen die Schwellen in einem solchen Konzept im Vergleich zu den bisher vorliegenden annehmen würden. Der Beitrag widmet sich daher konzeptionellen Überlegungen über Grundlagen so genannter ökologischer Schwellenkonzepte im Ackerbau und einer möglichen Herangehensweise an die Erarbeitung.
Es werden Szenarien diskutiert, die alternative Funktionstypen und Verläufe von Befalls-Verlust-Relationen unter Einbeziehung ökologischer Effekte abbilden. Weiterhin ist denkbar, bisher nicht berücksichtigte Effekte auf die Kostenfunktion zu addieren. Die Überlegungen münden in der These, dass derartige neu berechnete Schadensschwellen oberhalb der bisher verwendeten anzusiedeln sind, während die Anwendungspraxis zu Werten unterhalb der seit Jahrzehnten bekannten Schwellen tendiert. Handlungsbedarf wird aufgezeigt.
Notes
Zu diesem Beitrag ist ein Erratum online unter https://​doi.​org/​10.​1007/​s10343-021-00574-2 zu finden.

Einleitung

Schadschwellen, Schadensschwellen bzw. Bekämpfungsrichtwerte sollen zur Entscheidungshilfe im Pflanzenschutz dienen. Schaderreger von Kulturpflanzen müssen nach diesem Konzept erst bekämpft werden, wenn eine bestimmte Befallsdichte oder Befallsintensität überschritten ist. Das Prinzip beruht bei der wirtschaftlichen Schadensschwelle auf der Äquivalenz von Bekämpfungskosten und den durch den zu bekämpfenden Schaderreger verursachten Einbußen. Bei Bekämpfungsschwellen handelt es sich nach verbreiteter Ansicht um Richtwerte, die das Eintreten einer schadensrelevanten Populationsstärke des Erregers verhindern sollen. Diese Schwellen helfen dabei, routinemäßige Anwendungen von chemischen Pflanzenschutzmitteln – und damit den Pflanzenschutzaufwand insgesamt – zu reduzieren. Damit ist das Schwellenkonzept ein fundamentaler Bestandteil des Integrierten Pflanzenschutzes.
Schadens- bzw. Bekämpfungsschwellen haben ihre Wurzeln in den Dreißiger- bis Fünfzigerjahren (Stern 1973). Eine frühe Ausformulierung der Idee findet sich bei Stern et al. (1959). Die ersten praktischen Entwicklungen und Anwendungen erfolgten für Heuschreckenbefall in US-amerikanischen Ackerkulturen und bald auch im Dauerkulturanbau (z. B. Zitrusfrüchte) (Stern 1973). Überwiegend waren tierische Schaderreger im Fokus. Nach den ersten näherungsweisen Erfahrungen wurden in umfangreichen Feldversuchen exakte Grundlagen erarbeitet und anwendbare Schwellenwerte für eine Vielzahl von Schaderregern publiziert. In Deutschland wurden wegweisende Schadensschwellensysteme für den Obstbau entwickelt, besonders im Südwesten des Landes (Steiner und Bosch 1968).
In einjährigen Ackerbaukulturen begannen in Deutschland in den Siebzigerjahren umfangreiche Versuchsserien und Auswertungen zur Ermittlung von Schwellenwerten; so zum Beispiel für Unkräuter im Wintergetreide (Beer und Heitefuß 1981) oder Aphiden in Winterweizen (Freier und Wetzel 1976). Seit den späten Achtzigerjahren haben Schwellenwertkonzepte auch Verbreitung in computerbasierte Informations- und Entscheidungshilfesysteme gefunden. Aber auch praxisnahe Ratgeber kommen nicht mehr ohne Angaben zu Schwellenwerten aus. Die Datengrundlage ist allerdings divers. Für manche Schaderregerkomplexe liegen umfangreiche empirische Studien zu Bekämpfungsschwellenwerten vor. Für andere, z. B. zahlreiche tierische Schaderreger, wurden pragmatische Richtwerte eingeführt (Diercks und Heitefuß 1990; Ramsden et al. 2017).
Über den tatsächlichen Umfang des Einsatzes von Schwellenwerten in der Ackerbaupraxis liegen kaum Erkenntnisse vor. Anders als in solchen Kulturen, in denen die Integrierte Produktion durch Verträge, Zertifizierungen ö. ä. geregelt ist (z. B. Sonderkulturen wie Obst oder Wein) existieren keine Zahlen über Teilnehmer an Schwellenkonzepten oder Anwender von Schwellen in Ackerbaukulturen. In der Schweiz wurde ein Weg eingeschlagen, bei dem Integrierte Produktion einen aktiven Beitritt seitens der Landwirte unter Anerkennung von Richtlinien erfordert (IP Suisse 2019). Dadurch kann in etwa die Umsetzung abgeschätzt werden, sofern sie Bestandteil der Richtlinien sind. In Deutschland ist angesichts der EU-Regeln zur Sustainable Use Directive (EU 2009) der Weg gegangen worden, für die Landwirtschaft die Umsetzung des Integrierten Pflanzenschutzes ab dem 01.01.2014 zu erklären. Inwieweit diese Umsetzungsquote auch für die Schadensschwellen gilt, ist nicht zu ermitteln. Es ist aber davon auszugehen, dass Schadensschwellen im Ackerbau nicht die breite Anwendung gefunden haben, wie es anfänglich erhofft wurde (Ramsden et al. 2017; Thiel et al. 2019).
Kulturpflanzenbestände sind in der Regel auf hohe Erträge und einheitliche Strukturen ausgelegt. Dadurch besteht Anfälligkeit gegenüber Schaderregern und ein Bedarf für Managementmaßnahmen. Schadensschwellenkonzepte erfordern daher die Bereitstellung von soliden Grundlagen und Beratungsmaterial durch Wissenschaft und Beratungseinrichtungen sowie die Mitwirkung der Landwirte. Zweifel an den Schwellen, betriebliche Arbeitsengpässe oder andere Motivationshemmnisse begrenzen die breite Anwendung. Ein weiteres Hemmnis kann auch die Unsicherheit über die Interaktionen im Agrarökosystem sein. Die Schaderreger sind bekannterweise Teil der Nahrungsketten und -netze und verursachen nicht nur wirtschaftlichen Schaden an den Kulturen, sondern dienen auch ihren Gegenspielern/Prädatoren als Nahrungsquelle. Diese wiederum können helfen, die Schaderregerpopulationen auf natürliche Weise zu begrenzen. Diese Fähigkeit zur Selbstregulation des (Agrar‑)Ökosystems ist eine wichtige Ökosystemdienstleistung.
Derartige Ökosystemdienstleistungen sind äußerst schwer im kleinräumigen Maßstab zu quantifizieren. Erst recht ist es schwer, diese Leistungen in Geldwert umzurechnen. In den jüngst vergangenen Jahren sind erste Ansätze entstanden, wie diese Leistungen monetär bewertet werden können (Constanza et al. 1997; von Haaren und Albert 2016). Konsequent zu Ende gedacht, müssten diese Leistungen auch in den Schadensschwellenkonzepten berücksichtigt werden, wo aber bisher als ökonomische Komponente neben den Ertragsverlusten lediglich die Ausbringungs- und Präparatekosten budgetiert werden.
Ackerbausysteme mit einer hohen Pflanzenschutzintensität gehen häufig mit einer verringerten biologischen Vielfalt einher (z. B. Geiger et al. 2010; Gaba et al. 2016). Andererseits steht steigende Pflanzenschutzintensität nicht notwendigerweise für einen Anstieg der Erträge (Gaba et al. 2016; Trimpler et al. 2017). Schwellenwerte können also dabei helfen, Pflanzenschutzmaßnahmen einzusparen und durch die verringerten Pflanzenschutzmittelmengen positive Umweltwirkungen zu erzielen. Dennoch bleibt das Konzept unvollständig. Aufgrund des einfachen ökonomischen Prinzips (Ertrag vs. Pflanzenschutzkosten) bleiben die Berechnungen nur sehr an der Oberfläche. Es erfolgt keine Berücksichtigung des entgangenen Nutzens (z. B. Schädigung von Nützlingen) bzw. des durch Nebenwirkungen des Pflanzenschutzes angerichteten Schadens. Die Schadens- und Bekämpfungsschwellen spiegeln somit die agrarökologischen externen Effekte nicht wider. Anders ausgedrückt: Diese in Geld umgerechneten Belastungen (Kosten) oder Leistungen (Nutzen) des Agrarökosystems werden in den klassischen Schwellenkonzepten nicht eingepreist.
Die Integration dieser Kosten in die Agrarpraxis ist eine lange geäußerte Forderung des Naturschutzes bzw. von Agrarkritikern. Aber auch der wirtschaftsnahe Industrieverband Agrar (IVA) hat dieses Thema angesprochen und als ökologische Schadensschwelle in einem Grundsatzpapier als ein Ziel für die Weiterentwicklung des Pflanzenschutzes genannt (IVA 2019). Der folgende Beitrag greift diese Diskussion auf und versucht den Weg zu einer solchen ökologischen Schadensschwelle aufzuzeigen. Dazu müssen vorab einige Begriffe geklärt und das grundsätzliche Prinzip der Schadensschwelle nachgezeichnet werden. Betrachtungen über Chancen und Grenzen des Schadensschwellenkonzeptes sollen helfen abzuschätzen, ob mit der ökologischen Schwelle wichtige Schwachstellen des Konzeptes überwunden oder ob neue Probleme geschaffen werden.
Als Entscheidungshilfen im Pflanzenschutz werden Schadensschwellen auf die Ackerflächen bezogen, weil dort die Pflanzenschutzmittel angewendet werden. Es handelt sich daher um ein Konzept für die produktiven Flächen, das sich dadurch von anderen, außerhalb dieser Ackerfläche umgesetzten Maßnahmen zur Förderung der biologischen Vielfalt (z. B. Blüh- und Pufferstreifen als ökologische Vorrangflächen) unterscheidet. In einem Landschaftskontext stehen Produktionsflächen und die umgebenden Strukturen jedoch in vielfältigem Austausch, was ein Nachdenken über den ökosystemaren Charakter der Schadensschwellen rechtfertigt.

Wichtige Begriffe

Tab. 1 gibt eine Übersicht zu Begriffen aus dem Umfeld des Schadensschwellenkonzeptes. Weiterhin sind Definitionen für Begriffe aufgelistet, die bei der Diskussion über die Ökosystemdienstleistungen unverzichtbar sind.
Tab. 1
Begriffsdefinitionen und -abgrenzungen zum Konzept der ökologischen Schadensschwelle
  
Begriff
Erläuterung
Quelle
Entscheidungshilfen – betriebliche, schlagspezifische Ebene
1
Schadensschwelle
Befallsdichte oder -intensität, bei der ein nachweisbarer Ertragsverlust eintritt; in der Regel in exakten Versuchen ermittelt
Nach Freier et al. (1994)
2
Wirtschaftliche Schadensschwelle
Befallsdichte oder -intensität, bei der Schäden eintreten, die den Kostenaufwand einer Bekämpfung rechtfertigen
Franz (1978); Freier et al. (1994)
3
Bekämpfungsschwelle
Befallsdichte oder -intensität zu einem bestimmten Zeitpunkt, bei der eine Schadensabwehr den zu erwartenden Befall unter der ökonomischen Schadensschwelle hält
Freier et al. (1994)
4
Bekämpfungsrichtwert
a) in der ehem. DDR gleichbedeutend mit Bekämpfungsschwelle
Freier et al. (1994); eigene Zusammenstellung
b) heute in den östl. Bundesländern auch allgemein für Schadens- und Bekämpfungsschwellen verwendet
c) in den westl. Bundesländern: vorl. Bekämpfungsschwelle auf der Basis von Expertenerfahrung (Datenlage unsicherer als bei Schadensschwellen)
5
Schadensprognose
a) im einfachsten Fall die situationsbezogene Abschätzung anhand Erregerbonitur und Schwellenwerten
Eigene Zusammenstellung
u. a. nach Heitefuß (2000)
b) Kombination von Feldsituation (Befall), Schwellenwerten mit Umweltdaten (Boden, Wetter) und Populationsdynamik der Erreger mittels stochastischer oder mechanistischer Modelle
6
Entscheidungshilfemodelle
Computergestützte Hilfsmittel, die neben Schadensprognose, Schwellenwertanwendung auch Empfehlungen für Terminierung, Auswahl und Dosierung von PSM enthalten können
Eigene Zusammenstellung
Ökologische Prinzipien
7
„Ökologisch mitbegründete Schadensschwelle“
Berücksichtigt negative Auswirkungen der chem. Bekämpfung auf das Agrarökosystem und liegt daher oberhalb der ökonom. Schadensschwelle aufgrund einer näherungsweisen Verdopplung der Bekämpfungskosten
Franz (1978), in Grundzügen bei Steiner (1968)
8
Nutzenschwelle
Notwendige Dichte von Nützlingen, um Schädlinge unterhalb der ökonomischen Schadensschwelle zu halten
Freier (1993)
Über Feld und Betrieb hinausreichend
9
Ökosystem(dienst-)leistung
„Direkte und indirekte Beiträge von Ökosystemen zum menschlichen Wohlergehen, das heißt Leistungen und Güter, die dem Menschen einen direkten oder indirekten wirtschaftlichen, materiellen, gesundheitlichen oder psychischen Nutzen bringen.“ Auf den PS bezogen: Fähigkeit zur Selbstregulation, z. B. Begrenzung der Schaderregerpopulation durch Nützlinge; kann näherungsweise monetär bewertet werden, ist aber i. d. R. im unternehmerischen Handeln unbekannt
TEEB DE (2021), eigene Zusammenstellung
10
Öffentliche Güter
„Güter, die gleichzeitig durch verschiedene Personen genutzt werden können und deren Nutzung durch einzelne Personen die Nutzung durch andere Personen nicht beeinträchtigt, ohne dass weitere Personen von der Nutzung ausgeschlossen werden können oder sollen.“
TEEB DE (2021)
11
Externalität (externer Effekt)
Auswirkung (positiv oder negativ) einer wirtschaftlichen Aktivität, die sich nicht in Marktpreisen niederschlägt und damit nicht im Handeln des Verursachers berücksichtigt wird
Nach TEEB.DE (2021)
Sonstiges
12
Ecological Threshold
Punkt, an dem in einem diskontinuierlichen Ursache-Wirkungsgefüge die Stabilität eines Ökosystems sich nachteilig ändert; eine Art ökologischer Kipppunkt
Nach Muradian (2001)
Unter den Punkten 1 bis 4 sind die elementaren Schwellenbegriffe zusammengefasst (Tab. 1). Die per Definition festgelegten Unterschiede sind sinnvoll und für die Erarbeitung sowie die wissenschaftliche Diskussion unverzichtbar. Allerdings ist zweifelhaft, ob die Nuancen in die Anwenderpraxis zu transportieren sind. In der Beratungspraxis werden zwischen den Bundesländern zuweilen inkonsistente Verwendungen sichtbar – nachzulesen in den gedruckten Beratungsbroschüren. Werte, die in einigen Bundesländern als wirtschaftliche Schadensschwellen benannt werden, sind in anderen Ländern als Bekämpfungsrichtwerte zu finden. In diesem Beitrag wird bevorzugt der Terminus Schwelle bzw. Schadensschwelle verwendet und steht damit für das grundsätzliche Konzept. Sofern vom Pflanzenschutz die Rede ist, so ist – wenn nicht anders ausgeführt – chemischer Pflanzenschutz gemeint.
Das Schwellenkonzept ist im Kern eine Prognose des zu erwartenden Ertragsausfalles bzw. eine Entscheidungshilfe zu seiner Vermeidung. Daher handelt es sich um eine Form der Schadensprognose (Tab. 1, Punkt 5). Den Schwellenwerten liegen in der Regel Untersuchungen und Beobachtungen aus Studien zugrunde, auf deren Basis Befalls-Verlust-Relationen entwickelt wurden. Diese Informationen helfen dabei, die Bekämpfungsentscheidung herbeizuführen. Dabei handelt es sich bei dem mit festgelegten Schwellen arbeitenden Vorgehen um eine Ja/Nein-Entscheidung (Bekämpfen, Nicht-Bekämpfen). Zur Schadensprognose können aber auch weitere Informationen herangezogen werden, die eine genauere Abschätzung der Situation eines bestimmten Feldes ermöglichen.
Weitergehende Entwicklungen (Tab. 1, Punkt 6) beziehen Modellierungen des Schadensausmaßes, die Erregerdynamik aber auch Wetterdaten mit ein. In den vergangenen 30 Jahren wurde eine Vielzahl von computergestützten Entscheidungshilfesystemen entwickelt, oftmals gekoppelt mit einer Hilfestellung für die Wahl der geeigneten Präparate und deren Dosierung. Eine nationale Auswahl findet sich unter dem Portal ISIP (www.​isip.​de), aber auch andere Angebote existieren, unter anderem mit kommerziellem Hintergrund.
Die Begriffe 1 bis 6 stehen für schlagbezogene Bekämpfungsentscheidungen mit überwiegend wirtschaftlicher Sichtweise. Mit den Begriffen 7 und 8 kommen ökologische Nutzaspekte hinzu, die bereits in den Sechzigerjahren formuliert wurden (Tab. 1). Steiner (1968) beklagt die zu seiner Zeit schon 20 Jahre andauernde Fokussierung auf Lösungen des chemischen Pflanzenschutzes vor anderen, nicht-chemischen Methoden. Um den durch die breite Anwendung besonders von Insektiziden entgangenen Nutzen für die Kulturpflanzen abzubilden, schlägt er eine Verdopplung der kalkulatorischen Bekämpfungskosten vor, was konsequenterweise zu einer Anhebung der Schwellenwerte führen muss. Franz (1978) greift in einem Grundsatzartikel diesen Gedanken erneut auf und stellt ihn unter das Motto ökologisch mitbegründete Schadensschwelle. Die von Freier (1993) vorgeschlagene Nutzenschwelle ist eine konsequente Weiterführung dieser Idee.
Die in den Zeilen 9 bis 11 (Tab. 1) eingeführten Begriffe sind für die weitere Ökologisierung der Schadensschwellen von Bedeutung. Hierbei wird über die Grenze des einzelnen Feldes hinausgedacht, da ökosystemare Regelungssysteme nicht an der Feldgrenze haltmachen. Pflanzenschutzmaßnahmen wirken ebenfalls nicht nur auf die Zielfläche, sondern auch auf andere Umweltkompartimente und Regelsysteme. Mit einer Neubewertung des Schwellenkonzeptes bzw. einer Erweiterung müssen die Ökosystemdienstleistungen in das Konzept integriert werden. Diese Leistungen, die sowohl innerhalb des Feldes als auch in übergeordneten Skalen wirken können, sind bisher bei der Bemessung von Schadensschwellen weitestgehend unberücksichtigt. Öffentliche Güter sind betroffen, wo sich das landwirtschaftliche Wirken nicht auf den Besitz des Landwirtes beschränkt. Die dadurch entstehenden Beeinträchtigungen werden auch als Externalitäten oder – sofern bewertbar – als externe Kosten bezeichnet. Diese bezeichnen diejenigen Auswirkungen, die zu nachteiligen Auswirkungen im Agrarökosystem führen. Externalitäten können im Allgemeinen sowohl Schäden (= Kosten) als auch Nutzen sein, die üblicherweise den Bewirtschaftern nicht zugerechnet werden. Externalitäten, zu denen auch die Ökosystemleistungen gehören, sind nicht ausschließlich auf Nützlinge und Schaderreger begrenzt. Auch andere Kompartimente des Ökosystems – wie Luft, Wasser und Boden – können hinsichtlich ihrer Qualität und Leistungsfähigkeit betroffen sein, was zu externen Kosten führt. Dabei ist es unerheblich, dass Pflanzenschutzmittel bei der Ausbringung zugelassen und damit frei von schädlichen Auswirkungen sein müssen, denn die Zulassungsprüfungen finden standardmäßig anhand kleinräumiger Daten und Abschätzungen statt. In der Vergangenheit wurden Zulassungen von Wirkstoffen zurückgezogen oder nicht erneuert, weil bei erneuter Betrachtung nachteilige Effekte auf Grundwasser oder Naturhaushalt sichtbar wurden. In der Umweltökonomie werden die daraus entstandenen Effekte als Schaden betrachtet und es wird eine Quantifizierung angestrebt. Der vorliegende Beitrag fokussiert jedoch die Schaderregerkomplexe und ihre Gegenspieler und nicht die abiotischen Externalitäten.
Angenommen, der Begriff ökologische Schadensschwellen setzt sich in dem hier verwendeten Kontext durch, so darf diese Schwelle keineswegs verwechselt werden mit Ecological Thresholds (Tab. 1, Punkt 12), die in der internationalen Literatur zur Biological Conservation eine Rolle spielen. Diese Schwellen stehen für eine kritische Umweltqualität, für die sich in jüngerer Zeit auch der Begriff Kipppunkt eingebürgert hat. Ein bestimmter Anteil an Saumbiotopen in einer Landschaft oder eine Menge an biologischer Vielfalt, unterhalb derer wichtige Ökosystemfunktionen nicht mehr stattfinden können ist damit gemeint. Dadurch steht dieser Begriff für eine kritische Auseinandersetzung mit Auswirkungen auf Ökosysteme, für die auch die Landwirtschaft verantwortlich sein kann. An Entscheidungshilfen zum Pflanzenschutz denkt international bei Ecological Thresholds kaum jemand.

Stärken und Schwächen von Schadensschwellen

Die mittlerweile über 80-jährige Arbeit zu Entscheidungshilfen im Pflanzenschutz mittels Schadensschwellen hat eine Fülle von brauchbaren und auch manchmal exotischen Lösungen hervorgebracht. Im Grundsatz sind alle Maßnahmen zu begrüßen, die dabei helfen, den chemischen Pflanzenschutz zu reduzieren. Die Stärke der Schwellenwerte ist, dass sie den Kern des Integrierten Pflanzenschutzes bilden, sobald die Anwendung der Pflanzenschutzmittel ins Spiel kommt. Der Integrierte Pflanzenschutz ist laut Definition des Pflanzenschutzgesetzes ein Zusammenwirken von verschiedenen Elementen ackerbaulicher wie auch chemischer Praktiken, wobei die Letztgenannten erst nach dem Ausschöpfen aller nicht-chemischen Möglichkeiten zum Einsatz kommen sollen. Die Berücksichtigung von Entscheidungshilfen und Schwellensystemen vor der Anwendung der Pflanzenschutzmittel ist somit der zentrale Bestandteil, um den chemischen Pflanzenschutz nicht zur Routine werden zu lassen.
Zur Gesamtschau gehört aber auch die Feststellung, dass die Berücksichtigung von Schwellen nach wie vor mühsam ist und dass sie sich trotz großer Öffentlichkeitsarbeit wohl in vielen Fällen nicht durchgesetzt haben. Über die tatsächliche Anwendung liegen allerdings keine Erkenntnisse vor.
Auf der Basis von 32 qualitativen Interviews haben Thiel et al. (2019) am Beispiel der Anwendung von Insektiziden im Ackerbau Erfahrungen von Landwirten und deren Umgang mit Entscheidungen dargestellt. Dabei zeichneten sich vielfach skeptische Einstellungen zu Schwellenwerten und der erforderlichen Überwachung der Schaderreger. Auch die niedrigen Preise der Insektizide tragen dazu bei, die Schwellen gar nicht erst zu berücksichtigen. Im Folgenden werden die wichtigsten Kritikpunkte angesprochen, die die Anwendung von Schwellen begrenzen.

Unsichere Datenlage

In einer Übersichtsauswertung aus Großbritannien haben Ramsden et al. (2017) dargelegt, dass die zur Verfügung stehenden Werte nur zu einem Teil in exakten und publizierten Versuchsserien ermittelt wurden, sondern oftmals auf schwer zugänglichem oder gar anekdotischem Wissen beruhen. Das muss nicht per se ein Nachteil sein, denn auch ein pragmatisch hergeleiteter Schwellenwert kann gute Dienste leisten, wenn er sich bewährt und andere Werte nicht existieren. Dennoch kann unzureichende Publikation die Transparenz und Nachbearbeitung sowie die Vertrauenswürdigkeit der Werte hemmen.
Für die flächenmäßig bedeutenden Ackerbaukulturen stehen nach Durchsicht der Pflanzenschutzratgeber der Länder Schwellenwerte für über 50 Schaderreger bereit. Dennoch bleiben Lücken und nicht für alle Erreger sind Schwellenwerte erarbeitet worden. In manchen Konstellationen sind Schwellen nicht praktikabel (z. B. Erzeugung von virusfreiem Pflanzgut, besondere Reinheits- oder Qualitätsanforderungen).

Neben- und Langzeiteffekte der Schaderreger

Schaderreger – auch in geringer Menge – zu tolerieren, birgt Gefahren. Saugende Insekten können neben den Saugschäden auch als Überträger von Krankheiten (z. B. Virosen) fungieren. Manche Unkrautarten sind als Zwischenwirte für Krankheiten und Schaderreger relevant (Norris und Kogan 2000, 2005). Die hieraus resultierenden Schäden sind oftmals in den Ertragsverlusten nicht eingeschlossen. Daher ist es aus risikovermeidender Sicht plausibel, die Schaderreger möglichst restlos zu bekämpfen. Kritisch wird auch das Vermehrungspotenzial gesehen, das entsteht, wenn eine Schaderregerpopulation zur erfolgreichen Reproduktion (z. B. Samenreife) gelangt und sich damit ein Anwachsen des Problems einstellt. In frühen Studien zu Unkrautschadensschwellen hat sich dies nicht gezeigt (Gerowitt und Heitefuß 1990). Dennoch besteht die Sorge fort und andere Studien warnen vor dem Populationsanstieg im Zusammenhang mit den Schwellenwerten (Norris 1999). Diese Sorge erhält Vorschub durch Befürchtungen, dass die Schaderregerpopulationen langfristig schwerer mit Pflanzenschutzmitteln zu begrenzen sind, wenn mit dem Auslaufen der Zulassungen zahlreicher alter Wirkstoffe und einer dadurch eingeschränkten Mittelauswahl die Bekämpfungsoptionen in der Zukunft abnehmen.

Fehlende Aktualisierung

Bald nach der Einführung der Schwellenwerte regte sich bereits der Wunsch nach einer Neujustierung der Werte, z. B. bei den Unkrautschadensschwellen. Grund dafür ist, dass sich die Ackerbausysteme ständig im Wandel befinden. Neben dem Ertragsniveau und den Sorteneigenschaften sind Produktpreise sowie die Präparatekosten Änderungen unterworfen. Ein Wandel der klimatischen Bedingungen führt zu milderen Wintern, verlagerten Aussaatterminen und phänologischen Entwicklungen. Auch sind die Erregerspektren mitunter andere als vor 30, 40 Jahren zur Zeit der Schadensschwellenforschung. Kritiker unter den Landwirten berufen sich oftmals auf die sich ändernden Rahmenbedingungen und nehmen dies als Anlass, den Schwellenwerten nicht zu trauen.
Dynamische Schadensschwellenmodelle bzw. -systeme berücksichtigen zwar Änderungen des Preisgerüstes, arbeiten aber überwiegend mit ursprünglichen Ertrags-Verlustbeziehungen. Modelle, die auf die Prognose des Schaderregerauftretens bzw. deren Dynamik abzielen, wurden und werden mit Blick auf sich ändernde Klimaverhältnisse überarbeitet. Bei den relevanten Schwellenwerten in Ackerbaukulturen wurden und werden nach Wissen der Autoren in der Regel keine Aktualisierungen vorgenommen.
Eine Forschung zur Aktualisierung der Schadensschwellen ist somit, abgesehen von Einzelaktivitäten, nicht erfolgt. Niemann et al. (2000) untersuchten angesichts einer langandauernden Niedrigpreisphase für Getreide die Auswirkungen einer Verdopplung der Unkrautschadensschwelle im Wintergetreide auf Restverunkrautung und Ertrag, ohne aber die Dimension dieser heraufgesetzten Schwelle exakt herzuleiten. Die erhöhten Schwellen zeigten sich bei Beibehaltung einer ansonsten üblichen Produktionsintensität (z. B. Dünger) als praktikabel. Bei einer Verringerung der allgemeinen Produktionsintensität wurden aber Ertragseinbußen deutlich (Niemann et al. 2000).

Resistenzlage

Die Praxisempfehlungen zum Einsatz der Pflanzenschutzmittel in den Ackerbaukulturen sind geprägt von Warnungen zur Resistenzsituation wichtiger Schaderreger. Im Vordergrund stehen die Ungräser der Winterkulturen (Ackerfuchsschwanz, Windhalm) sowie wichtige Rapsschädlinge (z. B. Rapsglanzkäfer); aber auch pilzliche Erreger sind betroffen. Ist eine Resistenz innerhalb einer Erregerpopulation erst einmal manifestiert, dann dominiert dieses Ereignis die Managemententscheidungen zur Bestandesführung. Üblicherweise wird empfohlen, höchstmögliche Wirkungsgrade bei der Bekämpfung anzustreben. Diese Empfehlung ist aber in der Regel mit der Berücksichtigung von Schwellenwerten nicht zu vereinbaren, da die tolerierten Individuen als Quelle für die weitere Resistenzverbreitung angesehen werden. Dieses Vorgehen wird beispielsweise in den USA als „Zero Tolerance“ in den Verbreitungsregionen des herbizidresistenten Amaranthus palmerii auch von Unkrautforschern propagiert (Ervin und Frisvold 2016). Anderslautende Befunde und Modellierungen, die dem Schadensschwellenkonzept sogar eine resistenzverzögernde Wirkung zuschreiben (Richter et al. 2018), finden in der Praxis offensichtlich wenig Gehör.

Routine, Risikoeinstellung

Der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert das Risiko von Ertragsausfällen und ggf. auch von Qualitätseinbußen bei den Ernteprodukten. Landwirte, die das Risiko dieser Beeinträchtigungen scheuen, sind geneigt, Pflanzenschutzmaßnahmen als Versicherungsprinzip vorzuhalten. Risikoaverse Landwirte setzen daher tendenziell eine höhere als die gewinnmaximierende Menge ein (Finger et al. 2017). Die Berücksichtigung von Schadensschwellen kann im Anbausystem eine zusätzliche Quelle für Ertragsvariationen sein, da selbst ein sehr gut belegter Schwellenwert mit einer Unsicherheitsmarge behaftet ist. Viele Landwirte befürchten einen „worst case“ und führen daher das Versicherungsprinzip als Hemmnis für die Berücksichtigung von Schadensschwellen an (Thiel et al. 2019). Diese Sichtweise schätzt den potenziellen Schaden durch die Schaderreger größer ein als den potenziellen Nutzen für das Ökosystem. Hinzukommt, dass das Leitbild des „sauberen Ackers“ bei vielen Landwirten immer noch Priorität hat und zur Ablehnung von Schwellenwerten führt.
Der landwirtschaftliche Strukturwandel bringt es weiterhin mit sich, dass Betriebe organisatorisch sehr auf die Einsparung von Arbeitszeit und -kräften bedacht sind. Das gilt auch für den Pflanzenschutz. Es bestehen Hinweise, dass Pflanzenschutzmaßnahmen vielfach nach Routineplänen durchgeführt werden (Bürger et al. 2012). Befunde aus dem Vergleichsbetriebsnetz zum Pflanzenschutz berichten zwar von einem geringen Anteil von Routineanwendungen (Freier et al. 2011), diese sind aber aufgrund der gezielten Auswahl und der intensiven Beratung dieser Betriebe nur eingeschränkt übertragbar. Auch solche Organisationsformen, wie die Vergabe von Pflanzenschutzmaßnahmen an Lohnunternehmen oder die betriebsübergreifende Landnutzung mittels Bewirtschaftungsverträgen stehen der Berücksichtigung von Schadensschwellen entgegen, da mit der Auslagerung von Entscheidungen an externe Bewirtschafter eine Risikovermeidung Vorrang bekommt bzw. die Applikationstechnik und die Präparateauswahl im Vordergrund der Beratung steht. Anekdotische Belege hierfür finden sich in Betriebsreportagen von Fachzeitschriften sowie in Branchenumfragen (z. B. LU Report Pflanzenschutz 2017).

Kosten, Preise

Der Einfluss von Erzeugerpreisen und der Präparatekosten ist nicht nur aufgrund deren Volatilität relevant, sondern auch hinsichtlich ihrer absoluten Höhe. Seit Bestehen von Schadensschwellen für Insekten war der außerordentlich niedrige Preis der meisten Insektizide ein Anreiz für die routinemäßige Behandlung der Bestände. Die Kosten für Insektizide, zumal, wenn die Ausbringung in Kombination mit anderen Maßnahmen erfolgt, fallen praktisch nicht ins Gewicht. Die niedrigen Kosten vieler Insektizide aber auch anderer Mittel spiegeln die Markt- und Patentsituation wider, nicht aber die externen Kosten des Pflanzenschutzes.
Mit Blick auf die Kostenseite wird von Landwirten vielfach der Arbeitsaufwand genannt, der für die erforderlichen Bestandeskontrollen anfällt (Thiel et al. 2019). In der – besonders im Frühjahr – arbeitsreichen Zeit der Feldbestellung und Bestandespflege kollidieren Schaderregerbonituren häufig mit anderen dringenden Arbeiten. Dies kann zu hohen Nutzungskosten der Arbeit führen. Hilfestellungen durch Warndienste, erste mit optischen Sensoren ausgestattete Hilfsmittel und Onlineangebote (z. B. Unkraut-Apps) helfen, den Zählaufwand zu reduzieren. Untersuchungen haben auch gezeigt, dass der Bonituraufwand durchaus überschaubar ist (z. B. Pluschkell 1997). Dennoch spielt das Argument der Arbeitskosten als Hemmnis nach wie vor eine große Rolle.
Offensichtlich sprechen einige pragmatische und risikobetrachtende Gründe überwiegend gegen die Anwendung von Schadensschwellen – vielleicht ein Grund für die geringe Durchsetzung. Manche Anwender wird das theoretische, mit einem Fundament aus Studien und Modellen unterfütterte Konzept nicht überzeugen, weil es sich im Praxisbetrieb nicht leicht überprüfen lässt. Schwellen zu rechtfertigen, die sich aus Konsequenzen für die ökosystemaren Zusammenhänge sowie die Belange der öffentlichen Güter ableiten, stößt wahrscheinlich auch nicht bei allen Entscheidern auf Zustimmung. Die Anwender setzen in erster Linie auf betriebsinterne und -wirtschaftliche Kriterien als auf solche Kriterien, die außerhalb des eigenen Handlungs- und Verfügungsrahmens stehen. Seit der Einführung des Greenings in der Europäischen Agrarpolitik und den dadurch zunehmenden Randstrukturen könnte ja auch dem Anspruch an Rückzugsräume in der Agrarlandschaft Genüge getan sein. In der Produktivfläche wäre es dann nicht notwendig, die Wirkungen auf die Biodiversität noch weiter zu berücksichtigen. Da von den Flächen aber Auswirkungen in die Landschaft ausgehen, erscheint es uns sinnvoll und dringend geboten, die Schwellenkonzeption um die ökosystemare Komponente zu erweitern, die dann für die Anwender von Pflanzenschutzmaßnahmen eingepreist werden kann. Die folgenden Überlegungen sollen eine theoretische Grundlage dafür herleiten.

Entwicklung eines theoretischen Rahmens für ökologische Schadensschwellen

In diesem Abschnitt werden grundlegende schematische Herleitungen angestellt. Die verwendeten Erklärungsmodelle sind aus der Literatur abgeleitet und werden exemplarisch hinsichtlich ihrer Plausibilität diskutiert. Die Abbildungen nehmen keinen Bezug auf konkrete Ertragshöhen, Aufwandmengen oder Produktpreise und verwenden auch keinen expliziten Flächenbezug. Diskutiert werden Schaden und Kosten als elementare Bestandteile der Berechnung von Schadensschwellen sowie einige Szenarien über die Einbeziehung von Externalitäten. Dabei wird der Fokus auf die produktiven Flächen gerichtet, als Externalitäten sind aber auch außerhalb des Feldes entstehende Effekte zu berücksichtigen.

Schaden

Schwellenwerte als Schlüsselelement des Integrierten Pflanzenschutzes sind im Grundsatz ökonomisch basiert (Zadoks 1985; Auld et al. 1987). Schwellenwerte kennzeichnen Dichten von Schadorganismen, ab denen Bekämpfungsmaßnahmen getroffen werden sollten, um ökonomischen Schaden zu verhindern und sind also höchste Populationsdichten, die ökonomisch toleriert werden können (Stern et al. 1959). Grundlage sind Befalls-Verlust-Relationen für die Kulturpflanzen und ihre speziellen Schaderreger, die in Versuchen erarbeitet werden. Abb. 1a zeigt einen schematischen Verlauf einer Befalls-Verlust-Relation (BVR), wobei der Ertragsverlust hier gleich in seinem Geldwert abgetragen ist. Dadurch ist es möglich, die Bekämpfungskosten (BK) auf der gleichen Achse aufzutragen. Am Schnittpunkt halten sich beide Kosten die Waage. Bis zum Erreichen der als Schwelle S eingezeichneten Erregerdichte ist es günstiger, nicht zu bekämpfen; sind die Dichten höher ist es wirtschaftlich, eine Bekämpfung durchzuführen. Bei höheren Bekämpfungskosten ist diese Schwelle auch erst bei größeren Ertragsverlusten erreicht – es kann also ein höherer Besatz mit Schadorganismen toleriert werden.
Die Kostenseite ist hier sehr vereinfachend einbezogen. Die verwendete Gerade gilt für den Fall, dass die Bekämpfung sowohl bei niedrigem als auch bei hohem Schaderregeraufkommen mit den gleichen Kosten erledigt werden kann. In der Praxis dürfte gelten, dass die Bekämpfungskosten bei höherer Erregerdichte ansteigen oder dass zumindest bei sehr hohen Dichten zu einem aufwändigeren – und damit teureren – Management gewechselt werden muss (siehe Abschnitt. 4.2).
Bei der Schätzung der Befalls-Verlust-Relation sind verschiedene Herangehensweisen möglich. Für die Arbeit mit Unkräutern hat sich seit den Achtzigerjahren vielfach die nichtlineare hyperbolische Funktion nach Cousens (1985) durchgesetzt (Abb. 1b, BVRh). Diese Funktion scheint experimentell gewonnene Werte nach wie vor am besten abzubilden (Oliveira et al. 2018). Kennzeichnend für diese Darstellung ist der Ursprung im Nullpunkt und der auf einem Plateau abflachende Verlauf. Der ansteigende Kurvenabschnitt bei niedriger Schaderregerdichte wird teilweise auch vereinfachend als Gerade (G) abgebildet.
Mit der Wahl dieser Art von Funktion wird impliziert, dass ein Schaden bereits mit dem ersten Individuum des Erregers auftritt. Dieser Befund ist rein mathematisch aus der Funktion abzuleiten. Im Experiment sind Ertragseffekte bei sehr niedriger Schaderregerdichte in der Regel aber nicht nachweisbar. Dadurch entsteht das Paradox, dass die Definition 1 (Tab. 1) im engeren Sinne mit der in Abb. 1a, b verwendeten Funktion – zumindest im Bereich der niedrigen Schaderregerdichten – nicht vereinbar ist. Die hyperbolische Funktion BVRh überschätzt damit möglicherweise den Beitrag der ersten Individuen zum Ertragsverlust.
Älter als die von Cousens (1985) vorgeschlagene Funktion ist das von Zimdahl (1980) aufgestellte Postulat einer sigmoidalen Kurve (Abb. 1c); ebenfalls diskutiert am Beispiel für den durch Unkräuter bedingten Ertragsverlust. Bei diesem Verlauf (BVRs) tritt bei niedriger Schaderregerdichte noch kein oder nur ein kaum messbarer Schaden auf. Die Kompensationsfähigkeit des Kulturbestandes bei niedrigem Schaderregeraufkommen könnte für diesen Kurvenverlauf sprechen. Im Bereich der hohen Schaderregerdichten kommen beide Funktionen zu ähnlichen Verläufen.
Ähnlich wie Zimdahl gehen auch Freier et al. (1994) in einer konzeptionellen Darstellung davon aus, dass der Schaden nicht bereits mit den ersten Individuen – hier Blattläuse im Weizen – beginnt und steil ansteigt (Abb. 1d), sondern erst ab einer gewissen Dichte. Freier et al. wählen für ihre Kurvendarstellung allerdings keine sigmoidale oder logistische Form. Sie nehmen an, dass im Bereich sehr niedriger Blattlausdichten sogar ein Nutzen entsteht, indem sie die Funktion in den Bereich eines negativen Verlustes abtauchen lassen (BVRz). Abb. 1d zeigt eine zusammengesetzte Funktion (BVRz). Im rechten Ast folgt sie einem sigmoiden Verlauf wie BVRs. Der linke Ast ist eine unbekannte Funktion, dieser Ast greift die Nutzenidee geringer Dichten von Schadorganismen auf. Eine Schätzung dieses Astes mithilfe von Daten ist unseres Wissens bisher nicht erfolgt. Dieser Nutzen beruht auf dem Phänomen, dass niedrige Dichten von Schaderregern noch kaum in der Lage sind, messbaren Schaden, z. B. durch Nährstoffentzug oder Saugschaden zu verursachen. Positiv hinzu kommt ein Nahrungs- oder Lebensraumangebot für Nützlinge, die wiederum für die Begrenzung von Schaderregerpopulationen vorteilhaft sind.

Kosten

Die Kostenfunktion kann in ihrer einfachsten Annäherung als konstante Gerade ohne Steigung dargestellt werden (Abb. 2, BKk). Hierbei wird angenommen, dass ein Pflanzenschutzmittel in einer zugelassenen Aufwandmenge über den gesamten Dichtebereich des Schaderregers wirksam ist. Aus dieser Menge multipliziert mit dem Preis des Mittels ergeben sich die Präparatekosten, zu denen die Kosten für Ausbringungstechnik und ggfs. ein Lohnanspruch hinzuaddiert werden.
In der Praxis ist davon auszugehen, dass die Kostenfunktion einen ansteigenden Verlauf nimmt. Werden die Präparatemengen der Befallshöhe entsprechend angepasst oder durch weitere Mittel ergänzt, kann dies mittels einer Geraden mit Steigung ausgedrückt werden (BKS). In dem Fall, dass bei höherer Erregerdichte auch mehrere Anwendungen oder Durchfahrten erforderlich sind, ergibt sich unter Umständen ein disruptiver treppenartiger Verlauf, da die Technikschritte nur ganzzahlig erfolgen können (BKd). Mechanische Verfahren, deren Kosten nur aus dem Technikanteil bestehen, verlaufen nach diesem Schema wenn beispielsweise ein, zwei oder viele Hackdurchgänge zur Unkrautbekämpfung ausgeführt werden. Die exemplarischen Kostenfunktionen müssen die Ordinate nicht am selben Punkt schneiden, denn welche Kosten entstehen, ist eine Entscheidung des Anwenders und beruht nicht auf einem naturwissenschaftlichen Gesetz.
Der Schnittpunkt von Kosten- und Ertragsverlustfunktion definiert die wirtschaftliche Schadensschwelle. Die genaue Lage dieses Schnittpunktes unter Einbeziehung aller Kosten und Nutzen zu kennen, ist damit eine zentrale Grundlage für den Integrierten Pflanzenschutz.

Beispiele

Im Folgenden wird in einigen Szenarien durchgespielt, wie die Einbeziehung der Externalitäten auf die Herleitung von Schadensschwellen wirken könnte. Die Befalls-Verlustfunktion (Yield Loss Function) bildet ja ursprünglich eine in naturalen Einheiten abgetragene Reaktion auf den Schaderregerbefall ab. Mittels der Produktpreise ist die Einheit der x‑Achse in Geldeinheiten umzurechnen. Dies ist bereits in Abb. 1a erläutert.
Andere Leistungen des Ökosystems können ebenfalls in Geldbeträgen dargestellt werden. Das gilt beispielsweise, wenn durch Nützlinge die Dichte der Schaderreger begrenzt und damit die Ertragsdepression auf der betreffenden Fläche gemindert wird. Dieser Effekt muss sich demzufolge auf die Schätzung des Ertragsverlustes auswirken. Anders ist es aber, wenn Ökosystemleistungen betrachtet werden, die gar nicht unmittelbar auf den Ertrag oder gar auf die betrachtete Fläche wirken. Die Bestäubungsleistung in der Landschaft oder die Prädation von Unkrautsamen sind solche Leistungen. Die erste ist aufgrund ihrer Wirkung auf andere Flächen nicht dem Ertrag des betrachteten Schlages zuzuordnen. Die zweite Leistung entfaltet zwar einen Nutzen auf dem jeweiligen Schlag, wird aber nicht im Erntejahr messbar. Derartige Systemleistungen müssen (können) bewertet und mit auf die x‑Achse aufgetragen werden. Da auch der Kulturpflanzenertrag eine Leistung des Ökosystems „Acker“ ist, liegt es nahe, die x‑Achse als die Achse der Systemleistungen (in Geldwert) anzusehen. Zum Geldwert des Ertrages würden dann auch andere Leistungen hinzuaddiert.
Bei der Ermittlung und Darstellung von Schadensschwellen werden auf der x‑Achse üblicherweise nicht der absolute Ertrag, sondern die (Ertrags‑)Verluste aufgetragen (siehe Abb. 1a). Analog dazu können auch die Verluste anderer Systemleistungen hinzuaddiert werden, sofern es sich um Verschlechterungen des Systems handelt. Kommen positive Wirkungen des Ökosystems zur Betrachtung, wird dieser Betrag von den anderen Verlusten subtrahiert. Auf diese Weise kann die x‑Achse auch jenseits des Nullpunktes weitergeführt werden, wenn es sich in der Summe nicht um Verluste, sondern um Gewinne handelt. Dieses Prinzip ist auch in Abb. 1d (Freier et al. 1994) enthalten.
Mithilfe dieser „neu“ definierten Achse können nun – zunächst schematisch – die Externalitäten in das Schadensschwellenkonzept integriert werden. Im Folgenden sollen plausible Annahmen über mögliche Verläufe der dabei entstehenden Funktionen getroffen werden. Mögliche Annahmen sind:
  • Die bisher verwendeten Funktionen (z. B. das Modell gemäß Abb. 1b) sind unvollständig, weil sie aufgrund ihrer Fokussierung auf den Ertrag wichtige Systemleistungen ausblenden.
  • Die Kostenfunktionen sind aufgrund ihrer Unvollständigkeit unzutreffend.
Szenario 1 (Verschiebung der Funktion entlang der Erregerdichte)
Hierbei wird angenommen, dass sich aufgrund der bisher unberücksichtigten nützlichen Wirkungen des Agrarökosystems die Funktion der Systemleistungsverluste nach rechts verschiebt (Abb. 3). Jedem Schaderregerindividuum wird dadurch ein zusätzlicher Wert (= Nutzen) zugemessen – beispielsweise in seiner Eigenschaft als Nahrung für Nützlinge. Die Größenordnung dieses Nutzens definiert das Ausmaß der Verschiebung. In der Konsequenz rückt die Schadensschwelle nach rechts, da der Schnittpunkt mit den hier der Einfachheit halber linear dargestellten Bekämpfungskosten (BK) in diese Richtung wandert. Es könnten bzw. müssten mehr Individuen der Schaderregerpopulation toleriert werden, bevor der Gegenwert der Bekämpfungskosten erreicht ist.
Dieses Szenario ist denkbar bei Unkrautsituationen, in denen die Unkräuter als Nahrung bzw. Habitat für unspezifische Bestäuber oder räuberische Insekten dienen. Bei hoher Verunkrautungsdichte würde dennoch der maximale Verlust an Systemleistungen entstehen, da der unkrautbedingte Ertragsverlust am Ende überwiegt. Die ersten Unkräuter verwirklichen jedoch bereits den Nutzen und kompensieren damit den bisher bei niedrigen Unkrautdichten unterstellten Ertragsverlust.
Szenario 2 (Verschiebung der Funktion entlang der Verlustachse)
Diese Annahme ist im Verlauf ähnlich wie Variante 1, es wird jedoch vermutet, dass die Schadensfunktion sich nach unten verschiebt (Abb. 4). Im Unterschied zum vorigen Szenario verschiebt sich damit auch das Plateau der Funktion nach unten. Der maximale Verlust an Systemleistungen – also das Plateau – sinkt aufgrund einer vermuteten günstigeren Stabilität des Ökosystems. Hinsichtlich der Schwellenwerte erfolgt wie im Szenario 1 eine Verschiebung nach rechts.
Dieses Szenario könnte beispielsweise zutreffen, wenn eine als Schaderreger tolerierte Verunkrautung Nützlinge anlockt, die als Insektenprädatoren wirken und dabei helfen, Insektizidmaßnahmen einzusparen. Das Vorkommen der Räuber wirkt begrenzend auf die Saugschäden der Aphiden und verringert sogar den maximalen Gesamtschaden im Anbausystem. Ein anderes Beispiel könnten Blattläuse als Schaderreger sein, die gleichzeitig als Nahrungsquelle für den Aufbau der Population von Blattlausprädatoren dienen. Jeder Blattlaus wird damit neben ihrem durch Saugtätigkeit verursachten Schaden ein Nutzen bei der Förderung der Blattlausgegenspieler zugewiesen. Dadurch entstünde über den gesamten Kurvenbereich ein Nettonutzen.
Szenario 3 (Änderung des Funktionstyps)
Bei diesem Szenario wird unterstellt, dass sich Form oder Art der Verlustfunktion ändert. So könnte unter Berücksichtigung der ökosystemaren Zusammenhänge ein flacherer, ein atypischer Verlauf oder gar eine Sigmoidfunktion den Verlauf besser abbilden als das bisher häufig favorisierte hyperbolische Modell (Abb. 5). Es erfolgt damit ein Rückgriff auf die bereits von Zimdahl (1980) vorgeschlagene Kurve des unkrautbedingten Ertragsverlustes (vgl. Abb. 1c).
Szenario 4 (Änderung der Kostenfunktion)
Nach dem Prinzip der externen Kosten (siehe Tab. 1) ist die Produktionskostenfunktion in der Regel unvollständig. Die nachteiligen und dem Erzeuger bisher weitestgehend unbekannten Auswirkungen auf das Ökosystem bzw. deren Kosten müssten den bisher sichtbaren Produktionskosten hinzuaddiert werden. Dies kann beispielsweise der durch den Einsatz der Pflanzenschutzmittel entgangene Nutzen, z. B. bei der Selbstregulation sein. Um diesen Betrag verschiebt sich die Kostenfunktion BK nach oben zur Funktion BK’ (Abb. 6). Für andere Kostenfunktionstypen (vgl. Abb. 2) würde sich eine entsprechende Anhebung ergeben. Wichtig ist, dass ein Effekt nur einmal, nämlich entweder in der Kosten- oder der Verlustfunktion abgebildet werden darf. Der Weg über die Kostenseite ermöglicht es, auch solche externen Effekte zu berücksichtigen, die an ganz anderer Stelle im Ökosystem entstehen (z. B. Beeinträchtigungen von Luft- oder Wasserqualität).

Konsequenzen

Allen diskutierten Szenarien ist gemeinsam, dass der Schnittpunkt von Kosten- und Verlustfunktion vom Punkt S (der bisherigen Schwelle in Abb. 7) nach rechts in den Bereich höherer Schaderregerdichten wandert (Richtung S1). Dies ist hier am Beispiel des Szenarios einer angehobenen linearen Kostenfunktion dargestellt. Es müssten also höhere Dichten der Schaderreger toleriert werden als bisher angenommen. Die bisherigen Schwellenwerte wären damit zu niedrig angesetzt.
Demgegenüber steht der Einwand, dass viele Schaderreger neben den Ertragsverlusten auch andere Nachteile verursachen können: Qualitätsverluste des Erntegutes oder die Übertragung von Pflanzenkrankheiten durch Unkräuter bzw. tierische Vektoren. Auch diese Effekte müssen bewertet und in die Verlustfunktion eingerechnet werden. Es ist aber anzunehmen, dass bisher die für die Landwirtschaft nachteiligen Effekte eher in die Entscheidungen eingeflossen sind als die für das Ökosystem entstehenden Kosten bzw. Nutzen (vgl. die oben gemachten Ausführungen zur Risikoeinstellung). Damit sind bisher bevorzugt Schwellenwerte im Bereich S bis S0 – also gegen null strebend – angewandt worden (Abb. 7).
Bisher liegen für alle Arten von Externalitäten nur unzureichende Daten vor. Die erste pragmatische Umsetzung einer ökologischen Schadensschwelle könnte daher darin bestehen, die bestehenden, schon vorhandenen Schwellenwerte S tatsächlich anzuwenden und von S0 abzurücken. Damit wäre schon viel erreicht und angesichts der bisher unsicheren Datenlage wäre ein Kompromiss erzielt.

Resümee und Handlungsempfehlungen

Pflanzenschutz und Biodiversität sind im Grundsatz nur schwer miteinander vereinbar. Aufgabe und Ziel von Pflanzenschutzmaßnahmen ist es, den Kulturpflanzen einen Vorsprung zu verschaffen und die begleitende Flora und Fauna zurückzudrängen. Ganz ohne Pflegemaßnahmen sind Agrarsysteme deswegen nicht zu unterhalten. Das ist offenkundiges traditionelles Wissen, und auch im Ökologischen Landbau müssen Pflanzenschutzmaßnahmen betrieben werden. Die Einbeziehung ökosystemarer Zusammenhänge in den Pflanzenschutz ist aber angesichts der Beeinträchtigungen für die Selbstregulierungsfähigkeit der Ackerbausysteme eine wichtige Aufgabe.
In diesem Beitrag geht es um eine Einbeziehung der Externalitäten in das wirtschaftliche Schadensschwellenkonzept. Ob der Begriff einer ökologischen Schadensschwelle dafür tatsächlich richtig und treffend ist, wird sich in Zukunft zeigen. Im Ergebnis entstünden neue und damit wirtschaftlich, ökosystemar und gesellschaftlich relevante Schadensschwellen. Sollte dies irgendwann umgesetzt werden, dann wäre jede Schadensschwelle eine ökologische Schadensschwelle und ein weiterer Begriff nicht erforderlich.
Bisher fehlen jegliche Größenordnungen zu diesen „neuen“ Schwellen. Beträchtliche langjährige Forschungsaktivitäten müssten auf den Weg gebracht werden, um folgende Aspekte zu bearbeiten:
  • Erarbeitung eines Konzeptes zur Bewertung der ökologischen Wechselbeziehungen,
  • Sichten und Auswerten von vorhandenen Daten, auch mit neuen Verfahren und über die Grenzen der Disziplinen hinaus,
  • Schaffen eines monetären Bewertungsrahmens,
  • Quantifizierung der Wirkungen des Anbausystems.
Neu angelegte Versuche sollten diese ökosystemaren Beziehungen und mögliche Externalitäten stärker in den Blick nehmen. Es müssen aber nicht alle Versuche wieder aufgerollt werden. Bereits bestehende Daten können und sollen genutzt werden.
Diese zeitaufwändige Neuausrichtung von Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten darf jedoch nicht dazu führen, das Bewusstsein für die Externalitäten auf spätere Zeiten zu verschieben. Die Vermutung, dass bisher verwendete Schadensschwellen nicht stimmen, würde sich verfestigen. Das Thema wäre für Jahrzehnte auf die lange Bank geschoben, bis endlich genug neue Versuche ausgewertet sind. Das wäre aber das falsche Signal. Schon jetzt erforderliche Handlungen zur Reduktion des Pflanzenschutzaufwandes, zu denen auch die Berücksichtigung der bisherigen Schwellen gehört, müssen konsequent eingefordert werden. Es ist kein positives Signal, dass die vor 40 bzw. 50 Jahren von Steiner (1968) und Franz (1978) geäußerten Mahnungen nach einer „ökologisch mitbegründeten Schadensschwelle“ nach wie vor so wenig im Agrarsektor berücksichtigt werden.

Danksagung

Dieser Text wurde ermöglicht durch ein Vorhaben des Bundesamtes für Naturschutz aus Mitteln des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, FKZ 351984070A.

Interessenkonflikt

H.-H. Steinmann, F. de Mol, J. Kakau und B. Gerowitt geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Metadata
Title
Was ist eine ökologische Schadensschwelle?
Authors
Horst-Henning Steinmann
Friederike de Mol
Joachim Kakau
Bärbel Gerowitt
Publication date
03-03-2021
Publisher
Springer Berlin Heidelberg
Published in
Journal of Crop Health / Issue 2/2021
Print ISSN: 2948-264X
Electronic ISSN: 2948-2658
DOI
https://doi.org/10.1007/s10343-021-00551-9

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