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13-04-2015 | Wasserwirtschaft | Interview | Article

Lebendige Auen – Gewinn für die Gesellschaft

Author: Günter Knackfuß

4:30 min reading time

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Intakte Gewässer und Auen sind nicht nur von ökologischem, sondern auch von bedeutendem gesellschaftlichem Nutzen. Wie dieser an der Unteren Mittelelbe gestaltet wird, darüber sprachen wir mit der Biologin Christine Kehl.

Springer für Professionals: Die Auenrenaturierung und Deichrückverlegung in Lenzen hat Maßstäbe gesetzt. Welchem Ziel dient ihr neues Projekt "Lebendige Auen für die Elbe"?

Christine Kehl: Auch an der unteren Mittelelbe zwischen Wittenberge und Dömitz sind nur noch Fragmente der einst vorhandenen aktiven Aue vorhanden. Hier ist zum Beispiel die biologische Vielfalt in Hartholzauwäldern und anderen naturnahen Biotopen "vor dem Deich" am höchsten.

Und gerade diese intakten Auen übernehmen zahlreiche Funktionen für Mensch und Natur. Neben den vielfältigen Lebensräumen bieten sie auch einen effektiven Hochwasserschutz. Sind sie vorhanden, können Flüsse sich ausbreiten, Hochwasserspitzen werden abgebremst. Außerdem sind Auen eine gigantische Kläranlage: Ihre Pflanzen und Böden filtern viele Schad- und überschüssige Nährstoffe aus dem Wasser. Regelmäßig überflutete Auen binden auch sehr viel Kohlendioxid und sind damit ein effektiver Klimaschutz. Und nicht zuletzt sind sie ein wunderbarer Ort, Natur zu erleben und sich zu erholen.

All dies sind "Ökosystemleistungen", die lebendige Auen ganz umsonst für uns erbringen.

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Wo sie noch vorhanden sind, sollten sie konsequent bewahrt werden. Aber können diese zum Teil isoliert voneinander liegenden Flächen ihre Funktion noch erfüllen? Kann die überaus vielfältige Tier- und Pflanzenwelt überleben, wenn der genetische Austausch nicht mehr garantiert ist? Das sind Fragen, die unsere Partner aus der Wissenschaft und wir uns stellen.

Wer sind ihre kompetenten Projektpartner?

Dem wichtigen Thema der Ökosystemleistungen hat sich die Arbeitsgruppe um Prof. Volkmar Hardje vom Institut für Landschaftsökonomie der Technischen Universität in Berlin angenommen. Hier liegen bereits Erfahrungen zur Ermittlung von Ökosystemleistungen der Elbe vor. Außerdem war die Arbeitsgruppe am wichtigen Forschungsvorhaben "Naturkapital Deutschland TEEB DE" maßgeblich beteiligt. Die brennende Frage, wie wir isoliert liegende intakte Auenlebensräume wieder miteinander verbinden können, bearbeitet das WWF-Aueninstitut im Karlsruher Institut für Technologie.

Alles fokussiert sich heute auf einen möglichst komplexen Nutzen. Welche Vorteile sind für sie am Wichtigsten?

Ja, so ist das heute. Selbstverständlich stellt die Natur als solche einen hohen Wert für den Menschen dar. Und dieser ist am besten durch die "Erholungsleistung" zu bemessen. Wieviel ist der Einzelne/die Einzelne bereit auszugeben, damit naturnahe Auen erhalten bleiben? Wir sind gespannt, was die TU Berlin auf streng wissenschaftlicher Grundlage hier ermitteln wird.

Für mich ist der Hochwasserschutz in Zeiten des Klimawandels von besonderer Bedeutung. Hier wird jedem klar, dass die Zerstörung von intakten Auen einen direkten Einfluss auf die Menschen hat. Die positiven Wirkungen der Deichrückverlegung von Lenzen wurden eingangs erwähnt. Der Hochwasserscheitel konnte lokal fast 50 cm abgesenkt werden und es ist eine entlastende Wirkung flussaufwärts auf einer Länge von über 30 km oberhalb der Deichrückverlegung zu verzeichnen.

 

Sie betrachten in dem Projekt nicht nur einzelne "Aueninseln" sondern auch ihren Verbund. Gibt es dabei schon neue Erkenntnisse?

Wir gehen hier mit dem WWF-Aueninstitut zusammen neue Wege. Auf der Grundlage von Daten z. B. zu Biotoptypen, Artenvorkommen und im Gebiet vorhandenen Nutzungsformen soll für einen 50 km langen Elbeabschnitt ermittelt werden, wie noch vorhandene intakte Auenflächen - z.B. die Lenzener Elbtalaue in Brandenburg oder der alte Hartholzauwald in der Hohen Garbe in Sachsen-Anhalt - besser miteinander vernetzt werden könnten. Leider hat uns das Hochwasser 2013 in unserem Zeitplan etwas zurückgeworfen und die Auswertungen laufen noch.

Das Vorhaben will auch die Auen für die Menschen erlebbar machen. Welchen Ansatz verfolgen Sie damit?

"Wir schützen nur, was wir kennen" – eine alte und wahre Weisheit! Wir wollen den Menschen in der Region und den vielen Besuchern, die an der Elbe entlangradeln, den Wert intakter Auen und der biologischen Vielfalt anschaulich machen. Z. B. entsteht ein "Auenreich" im Park der Burg Lenzen. Dieses ebenso besucherattraktive wie umweltpädagogisch beispielgebende Auenerlebnisgelände wird mit Baumklettersteig, Forscherfloß und nicht zuletzt einer Auenerlebnis-App Besucher*innen fast jeden Alters anlocken und spielerisch Ökosystemleistungen der Aue erlebbar machen. 

Das Bundesamt für Naturschutz hat jetzt eine neue Studie der Universität Greifswald zum Gewässer und Auenschutz vorgestellt. Wie bewerten sie die aktuellen Ergebnisse?

Die Studie ist hervorragend geeignet, anhand von gut aufbereiteten "Best Practice" Beispielen überzeugende Sachargumente für ein Mehr an Gewässer- und Auenschutz zu liefern. Das ist derzeit auch im Zusammenhang mit den aktuellen Planungen zum Nationalen Hochwasserschutzprogramm relevant. Besonders hervorheben möchte ich die Forderung, die Ökosystemleistungen in Wirtschaftlichkeitsberechnungen mit einzubeziehen, die der Entscheidung für einen bestimmten Maßnahmentyp, wie z. B. "Deichrückverlegung" oder "gesteuerter Polder" voran gehen. Würde das geschehen, würde die Entscheidung oft zu Gunsten von kombinierten Hochwasser- und Renaturierungsmaßnahmen fallen. Mensch und Natur würden beide profitieren.

Das Interview führte Günter Knackfuß, frier Autor, für Springer für Professionals.

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