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2022 | OriginalPaper | Chapter

Watching for the Plot? Rezeptionspraktiken und Narrative um soziale Klasse und Gerechtigkeit in Making a Murderer und The Staircase

Author : Stefan Schubert

Published in: Realität in Serie

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Dieser Beitrag untersucht die beiden true-crime-Serien Making a Murderer (2015) und The Staircase (2018) hinsichtlich ihrer narrativen Beschaffenheit und ihrer daraus folgenden Rezeption. Er argumentiert, dass sich die Serien in zwei verschiedenen Rezeptionsstrategien verlieren: Zum einen wollen sie ihre Zuschauenden zu Praktiken des forensic fandom ermutigen, zum anderen aber der Frage, wer den jeweiligen Mord begangen hat, eher ausweichen und stattdessen dahinter stehende Themen um soziale Gerechtigkeit hervorheben und als Rezeptionspraxis anregen, auch wenn sich die tatsächliche Rezeption beider Serien auf genau einen solchen Fokus auf den ‚Plot‘ konzentriert, in dem Fall also auf die Frage nach Täterschaft. Für diese Argumentation stellt der Beitrag true crime als ein auf Realitätseffekte setzendes Genre kurz vor, um danach Narrative um Gerechtigkeit in beiden Serien genauer zu untersuchen. Anschließend werden einige Rezeptionspraktiken beider Serien exemplarisch betrachtet, wobei vor allem auf Interpretationsstrategien und den Einfluss sozialer Klasse eingegangen wird.

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Footnotes
1
Beispielsweise findet sich auf Netflix als Genre-Angabe von Making a Murderer, Evil Genius und The Keepers das Label „Docuseries“.
 
2
Der Begriff ‚Qualitätsfernsehen‘ hat in diesem Kontext nicht direkt etwas mit ‚Qualität‘ zu tun, sondern ist als eine Art Meta-Genre zu verstehen, das Dan Hassler-Forest entsprechend beschreibt als: „a form of adaptation, successfully ‚remediating‘ […] the aesthetics of cinema on the one hand, and the narrative structure of the 19th-century realist novel on the other“ (2014, Par. 9).
 
3
The Staircase hat eine etwas kompliziertere Produktionsgeschichte: Von den letztlich 13 auf Netflix veröffentlichten Episoden wurden acht 2004 gefilmt, zwei 2013 und drei 2018 – die letzten drei explizit für Netflix, wo darauffolgend alle Episoden erschienen sind und der Fall von Michael Peterson somit insgesamt erneute Aufmerksamkeit erhielt.
 
4
In der Rezeption wurden beide Serien später beschuldigt, wichtige Details auszulassen (vgl. z. B. Arnold 2018; McBride 2015), um genau diesen Effekt zu generieren. Aber an sich ist das natürlich genau die Art und Weise, wie Narrative funktionieren: Es kann nicht alles nacherzählt werden, man muss also Details auslassen und selektieren. Zusätzlich existieren aufgrund der Identifikationsmöglichkeiten aber eben gute Gründe, warum die Serien ihre Protagonisten als eigentlich unschuldig und fälschlicherweise verfolgt darstellen wollen.
 
5
Hinzu kommt, dass in beiden Serien auch die Familien der Protagonisten vielfach gezeigt werden, um so die Sympathie der Zuschauenden zu beeinflussen. So wird viel Zeit darin investiert, darzustellen, wie einschneidend die Prozesse für die Averys und die Petersons sind. Bei Making a Murderer funktioniert das insbesondere über die Eltern von Avery, bei The Staircase über Petersons Kinder, vor allem seine beiden adoptierten Töchter.
 
6
Während die eben besprochenen Strategien vornehmlich darauf zielen, die Unschuld der beiden Protagonisten in den Vordergrund zu stellen, gibt es andere Erzählmuster, welche stattdessen versuchen, die Zuschauenden auf größere Fragen um soziale Gerechtigkeit zu richten. Das findet zum Teil ganz explizit statt, indem die Angeklagten und deren Familien immer wieder darauf hinweisen, dass bestimmte Vertreter des Systems korrupt sind – v. a. in Steven Averys Fall hat die Avery-Familie offenkundig besonders viel Antipathie in Manitowoc County generiert. Hinzu kommt aber auch die häufig geäußerte Meinung von in der Dokumentation zu Wort kommenden Personen, dass nicht der konkrete Fall das Problem sei, sondern das Justizsystem an sich, z. B. hinsichtlich der Übermacht der Polizei in der Durchführung der Untersuchungen, der zu engen Zusammenarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft und des Konzepts des reasonable doubt (berechtigten Zweifels), das Angeklagten eigentlich helfen soll, aber in der Praxis nur schwer an die Geschworenen zu vermitteln ist.
 
7
Zugleich hat dieser erzählerische Zuschnitt auch zur Folge, dass die Serien sich durch ihren Fokus auf größere Fragen nach Gerechtigkeit entsprechend systemkritisch inszenieren können, was wiederum ihren Distinktionsanspruch als ‚Qualitätsfernsehen‘ untermauert.
 
8
Bei Making a Murderer ergibt sich mittlerweile teilweise ein nuancierteres Bild, auch, weil die ursprüngliche erste Staffel vier Jahre alt ist und in der zweiten Staffel die Fragen nach Gerechtigkeit noch prononcierter waren bzw. an sich die Haupthandlung einnahmen. Zugleich existieren auch bereits deutlich mehr wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Making a Murderer als mit The Staircase; u. a. werden ähnliche Fragen für erstere Serie von Hook, Barrios-O’Neill und Mairs Dyer (2016) und Kennedy (2018) besprochen.
 
9
Hook, Barrios-O’Neill und Mairs Dyer sprechen für Making a Murderer davon, dass die Serie „enabled by participatory culture“ sei und es zu einer „transmedial textuality created by its audience as active participants in the construction of the text“ komme (2016, S. 3).
 
10
Eine der populärsten und an sich tatsächlich glaubwürdigsten Theorien dafür, was mit Kathleen Peterson passiert sein könnte, wenn nicht Michael Peterson ihr Mörder war, beinhaltet z. B. eine Eule als letztlichen ‚Täter‘ – die so genannte owl theory (vgl. Modell 2018). In der Serie selbst findet das allerdings nie Erwähnung. In Steven Averys Fall ist die Zahl alternativer Möglichkeiten dafür, wer Teresa Halbach wie umgebracht haben könnte, noch deutlich größer.
 
Literature
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Metadata
Title
Watching for the Plot? Rezeptionspraktiken und Narrative um soziale Klasse und Gerechtigkeit in Making a Murderer und The Staircase
Author
Stefan Schubert
Copyright Year
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-35864-8_3