Der digitale Schub infolge der Corona-Pandemie hat auch das Wealth Management voll erfasst. Durch Erbschaften kommen künftig zusätzliche Herausforderungen auf die Branche zu. Denn Millennials und die Generation Z erwarten dynamische Services à la Amazon, Netflix und Co - auch bei der Vermögensberatung.
Für lange Zeit haben Vermögensberatungen in einem vergleichsweise stabilen und vorhersagbaren Umfeld agiert. Doch der Ausbruch der Corona-Pandemie hat - wie auch in anderen Sektoren - zu einem Umbruch im Wealth Management geführt. Neue Geschäftsmodelle und Technologien sowie der Kampf um geeignete Fachkräfte gehören zu den zentralen Aufgaben, die die Unternehmen bewältigen müssen.
Das ermittelte eine aktuelle Studie des Beratungshauses Accenture mit dem Titel
"Wealth investments and advice in Europe: Capturing the next wave of growth". Für die Untersuchung, die sich unter anderem auf ausführliche Experteninterviews aus dem Januar und Februar 2022 in acht europäischen Ländern stützt, arbeitete das Unternehmen mit dem britischen Finanzberatungsverband PIMFA zusammen.
Konsolidierungstrend ist zentrales Thema
Gefragt nach den wichtigsten strategischen Themen, erzielte der Konsolidierungstrend in der Branche einen Wert von 3,21. Dabei kennzeichnet der Wert eins keinen, vier hingegen einen sehr großen Einfluss. Auf Rang zwei folgt der Einsatz neuer Technologien (3,17) und Platz drei belegt der Wunsch nach mehr organisationaler Agilität (3,13). Ein steigender Preisdruck (2,88), demographische Veränderungen (2,96) oder eine stärkere Kundenpersonalisierung (3,00) beeinflussen die Strategien der Vermögensberatungen dagegen derzeit weniger.
Insgesamt reiche der Umfang an Angeboten in diesem Segment mittlerweile von etablierten Wealth Managern (44 Prozent), über Privatbanken (17 Prozent) und unabhängige Berater (15 Prozent) bis hin zu Investmentplattformen (sechs Prozent), Robo Advisor, Fintechs oder Retail Banken (jeweils drei Prozent).
Erbengeneration mit neuen Ansprüchen
Künftig werden Veränderungen in den Zielgruppen im Laufe der kommenden Jahre zusätzlich Druck auf die Vermögensverwalter und -berater ausüben, wie Stefan Janssen in der Zeitschrift "Bankmagazin" (Ausgabe 9 | 2022) berichtet:
Durch die zunehmende Alterung der Gesellschaft und den steigenden Wohlstand sind Zahl und Umfang von Erbschaften erheblich gestiegen. Allein in Deutschland werden nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in den kommenden Jahren jährlich bis zu 400 Milliarden Euro vererbt oder verschenkt. Diese weltweit auch als 'The Great Wealth Transfer' bezeichnete Ressourcenverschiebung vollzieht sich vor allem von den Babyboomern auf die Millennials und die Generation Z."
Und diese haben besondere Ansprüche an eine Vermögensverwaltung. "Sie erwarten dynamischere Interaktionen, persönliche Beziehungen und Online-Kommunikation. Den personalisierten Dienstleistungen entsprechend, die sie von Amazon, Netflix und Spotify gewöhnt sind, wünschen sie einen maßgeschneiderten Service", erläutert der Customer-Experience-Experte des Lösungsanbieters Seismic.
"Wenn es den Finanzdienstleistern nicht gelingt, dieses Kundenerlebnis zu reproduzieren, werden sie gegenüber den größeren Technologieunternehmen, denen es durch die nötige Infrastruktur gelingt, hervorragende digitale Erlebnisse zu bieten, den Kürzeren ziehen. Daher ist es für Vermögensverwalter wichtig, den Einsatz von Technologie und datengesteuerten Lösungen neu zu überdenken", so Janssen.
Junge Kunden bevorzugen digitale Interaktion
Diesen Schluss zieht auch Yvonne Quint, Managing Director und Leiterin des Bereichs Capital Markets bei Accenture in der DACH-Region, gegenüber Springer Professional: "Junge Anleger sind es gewohnt, die meisten Dinge über ihr Mobiltelefon zu erledigen: Sei es Essen, ein Taxi oder Kleider bestellen, alles kann bequem über das Handy abgewickelt werden. Demnach erwarten sie ein solches Servicelevel auch von ihrem Finanzdienstleister." In den höheren Kundensegmenten würden vermehrt auch hybride Modelle nachgefragt. "Bei diesen findet die Interaktion zwischen Kunden und Vermögensverwalter mehrheitlich digital statt", so Quint. Doch könnten diese aber immer noch eine Ansprechperson analog erreichen.
"Berater bewahren ihren Ruf als Experten nur dann, wenn sie ihre Kunden in den richtigen Online-Kanälen mit den richtigen Materialien zur richtigen Zeit erreichen", stellt Janssen in seinem Beitrag "Das Rennen um junge Vermögende ist eröffnet" fest. "Diese Inhalte müssen zudem auf die spezifischen Bedürfnisse und die Situation jedes einzelnen Kunden zugeschnitten sein. Und das nicht nur auf dem Deckblatt."
ESG-Fokus wird zum zentralen Thema
Im Hinblick auf die inhaltliche Ausrichtung konzentrieren sich viele Vermögensberatungen deshalb noch stärker auf das Thema Nachhaltigkeit, wie Accenture-Expertin Quint gegenüber Springer Professional erläutert:
93 Prozent der befragten Entscheidungsträger bei Vermögensverwaltern wollen zukünftig einen klaren Fokus auf ihr Angebot an ESG-Finanzprodukten legen. Dies resultiert aus den Kundenpräferenzen, die sich insbesondere nach der Pandemie verändert haben."
80 Prozent der Befragten Manager erwarteten, dass es für Kunden im Jahr 2025 eine der höchsten Prioritäten hat, dass das verwaltete Vermögen nach ESG-Kriterien investiert wird. "Auch andere Analysen, zum Beispiel von Bloomberg oder GSI Alliance, machen deutlich, wie wichtig privaten Investoren - und mit zunehmendem Maße der Gruppe der Millenials - die Berücksichtigung von ESG-Faktoren in ihren Investments ist", so Quint.
Vermögensberatung braucht agilere Strukturen
Allerdings verlangt die Umstellung des Serviceangebots, sei es durch das Angebot an ESG-Investments oder digitale Dienstleistungen, auch ein Umdenken bei den Betriebs- und Geschäftsmodellen der Vermögenverwalter. "Eine solche Veränderung erfordert eine sorgfältig formulierte Modernisierungsstrategie und sollte von Anfang an holistisch betrachtet werden. Besonders wichtig ist auch, dass das Unternehmen möglichst agil aufgestellt ist, um schnell auf die sich verändernden Gegebenheiten reagieren zu können."