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01-11-2012 | Wertpapiergeschäft | Interview | Article

"Anleger sollten cool bleiben"

Author: Stefanie Hüthig

11 min reading time

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Angesichts der Finanz- und Staatsschuldenkrise ist es für Anleger nicht leicht, einen kühlen Kopf zu bewahren. Genau das ist aber das Geheimnis einer guten Geldanlage, erklärt Professor Martin Weber, Lehrstuhlinhaber und Bankenexperte an der Universität Mannheim. Er plädiert für ein neues Verständnis der Anlageberatung in Banken.

Springer für Professionals: Herr Professor Weber, die Analysten einer süddeutschen Privatbank schreiben, dass auch sicherheitsorientierte Anleger zunehmend „gewisse Risiken“ eingehen müssen, um den Werterhalt ihres Vermögens angesichts der Inflation sicherzustellen. Als rettender Anker werden Sachwerte und Fremdwährungen bezeichnet. Können Sie den genannten Aspekten zustimmen?

Professor Dr. Martin Weber: Vermögensanlage ist ein Prozess über 30 oder 40 Jahre, daher sollten sich Anleger von der jetzigen Situation nicht verrückt machen lassen. Natürlich liegt die Inflationsrate zur Zeit bei 2 bis 3 %, die Kapitalverzinsung ist gering. Aber in der Vergangenheit lag die Verzinsung auch schon einmal bei 5 %, die Inflation bei 3 %, in diesem Fall war die Nachsteuerrendite ebenfalls negativ. Es galt schon immer die Formel „Mehr Risiko, mehr Ertrag“ ebenso wie die Regel, in Krisenzeiten möglichst auf Sachwerte, also Aktien, zu setzen. Aber was Fremdwährungen damit zu tun haben sollen, verstehe ich nicht.

Spielen bei der Fremdwährungsempfehlung Ihrer Meinung nach möglicherweise Eigeninteressen der Bank eine Rolle?

Die Forschung hat nachgewiesen, dass Analysten von Banken natürlich ihren Arbeitgeber nicht völlig vernachlässigen. Der Metzger sagt ja auch: „Meine Wurst ist besser.“

Angesichts hoch verschuldeter Staaten und Bankenpleiten: Gibt es überhaupt noch risikofreie Geldanlagen?

Die oberste Regel bei der Geldanlage lautet Diversifikation, denn ein Restrisiko gibt es immer. Ich plädiere aber dafür, eine gewisse historische Perspektive einzunehmen. Es existieren Daten aus dem amerikanischen Aktienmarkt, die bis zum Jahr 1805 zurückreichen,  anhand derer wir verfolgen können, welche Krisen es gab – und jetzt haben wir eben eine weitere Krise. Nichts Besonderes, über das Anleger sich aufregen müssten, nur sind wir in Deutschland dieses Mal etwas stärker betroffen. Dass allerdings die Bundesrepublik Deutschland pleite geht, ist für mich in näherer und fernerer Zukunft nicht absehbar. Wir haben ein fantastisches Rating, wir haben eine funktionierende Wirtschaft – wo ist da das Problem?
Die Bankenpleiten sind zwar für sich betrachtet eine Herausforderung, aber im Ernstfall ist der Anleger üblicherweise abgesichert, da ja der Einlagensicherungsfonds einspringt. Wenn Kunden ihr Geld aber bei obskuren Banken anlegen, gehen sie natürlich ein Risiko ein, ich denke dabei an das Beispiel der isländischen Kaupthing-Bank. Island hat rund 300.000 Einwohner und die Kaupthing-Bank Verbindlichkeiten in Höhe der Staatsschulden Italiens – da kann eine Einlagensicherung gar nicht funktionieren.

Was würden Sie als sichere Geldanlage bezeichnen?

Die Papiere der Bundesrepublik Deutschland sind eine sichere Sache, ebenso Anleihen eines soliden Unternehmens, zum Beispiel der BASF. Auch auf dem Sparbuch ist das Geld meines Erachtens sicher, allerdings erhalten Anleger hier nur geringe Zinsen. Aber das kann sich in einigen Jahren wieder ändern.
Eine Analyse der bereits erwähnten Daten aus dem amerikanischen Aktienmarkt ergab über die vergangenen 200 Jahre eine Durchschnittsrendite in Höhe von 7 %. Mit allen Kriegen, Krisen und Inflation. Anleger sollten also cool bleiben.

Die Europäische Zentralbank EZB wird unter bestimmten Bedingungen Anleihen hoch verschuldeter Staaten aufkaufen. Was müssen Anleger davon halten?

Das hat die EZB angekündigt. Sie will keine Anleihen aufkaufen, aber wenn sie muss, tut sie es. Die Ankündigung sollte die Märkte beruhigen, so die Idee.

In Ihrem Paper „Who takes risks when and why: Determinants of changes in investor risk taking“ kritisieren Sie, dass das Finanzverhalten von Konsumenten, gemessen an seiner Bedeutung für die nationale und internationale Wirtschaft, bislang in zu geringem Umfang untersucht wurde. Warum diese Vernachlässigung?

Früher gab es zwei Hauptforschungsgebiete: Asset Pricing und Corporate Finance. Jetzt hat man als zusätzliches Gebiet die so genannte Household Finance, das heißt den Konsumenten, entdeckt. Das wurde als Forschungsgebiet interessant, weil sich die Menschen nun verstärkt selbst um ihre Altersvorsorge kümmern müssen. Der Bürger ist in der Pflicht und muss entscheiden: Wie viel soll ich sparen, wie soll ich sparen, wie viel Risiko soll ich eingehen? Die Forschung dazu hat aber in Deutschland erst begonnen, es gibt wenige Forschungsinstitutionen, und auch der Staat ist in dem Bereich noch sehr zurückhaltend.

Wo genau könnte der Staat ansetzen?

Zum einen gibt es in Deutschland keine Aufsichtsbehörde, keine Agentur für Konsumentenforschung. Zum anderen müsste der Staat die Offenlegung, die Transparenz in der Anlagenberatung fördern. Wir müssten zum Beispiel hinterfragen, wie der so genannte Beipackzettel aussehen müsste und welche Auswirkungen er hat.

Das Ministerium, das den Beipackzettel „erfunden“ hat und in dem der Verbraucherschutz für verschiedenste Themen angesiedelt ist, kümmert sich auch um die Bereiche Ernährung und Landwirtschaft. Oft wird unterstellt, dass diese Art von Ministerium keine Expertise im Finanzbereich haben könne, und dass damit der Schutz von Bankkunden nicht den Stellenwert hat, den er eigentlich haben sollte. Wie sehen Sie das?

Ein „Zwischending“ zwischen Verbraucherschutz und dem Finanzministerium, das Expertise in Geldfragen besitzt, wäre sinnvoll. Die USA haben eine Forschungsabteilung innerhalb der SEC, die Briten analog innerhalb der FSA. In der BaFin gibt es keine entsprechende Abteilung.

Sehen Sie auch Banken und Sparkassen in der Pflicht?

Ja, aber die Banken haben natürlich eigene Interessen. Das ist völlig legitim, denn die Banken sind schließlich ihren Anteilseignern und ihren Stakeholdern verpflichtet. Konsumenten sind ein Teil, aber eben nicht der einzige. Dennoch wird man eine nicht-interessengeleitete Institution zur Regulierung brauchen, die versucht, auf die genannten Fragen Antworten zu finden.

Sind Anleger aufgrund der Krise risikoscheuer geworden?

Wir haben für unsere Forschungen zum Anlegerverhalten in der Krise zwei Datensätze mit Tradinginformationen analysiert – einer davon kommt aus dem Hause Barclays. Daraus ist ersichtlich, dass die Kunden in der Krise Fonds verkauft und Aktien gekauft haben. Das ist kein risikoscheues Verhalten, sondern das genaue Gegenteil. Ehrlich gesagt verstehe ich manchmal nicht, wie die Anleger ticken. Denn in der Krise einen wohldiversifiziertenFonds zu verkaufen und dann Aktien, hierzulande in der Regel deutsche DAX-Werte, zu kaufen, ist der falsche Ansatz. Das lässt sich psychologisch erklären, die Anleger sagen sich: „Jetzt haben wir eine Krise, jetzt ist es an mir“. Das ist Unsinn, genauso, wie sich Anleger in Krisenzeiten gerne in Immobilien flüchten. Die Erwerbsnebenkosten betragen rund 10 %, wenn also ein Anleger ein Haus kauft und bald darauf wieder verkauft, ist er 10 % los, selbst wenn der Preis der Immobilie gleich geblieben ist.

Die DekaBank will zentraler Wertpapierdienstleister der Sparkassen werden und hat vor Kurzem in diesem Zusammenhang angekündigt, nicht mehr nur Investmentfonds, sondern auch Zertifikate anbieten zu wollen. Was halten Sie davon?

Von Zertifikaten halte ich überhaupt nichts. Ich weiß nicht, wozu sie dienen, außer dass sie für die Bank dank ihrer Gebühren eine zusätzliche Ertragsquelle darstellen. Wenn sich Kunden an einem Unternehmen oder den Märkten beteiligen wollen, kaufen sie besser Aktien oder einen börsengehandelten Fonds, am besten einen Indexfonds.

Sind Sie derivativen Produkten gegenüber generell kritisch eingestellt?

Bei manchen Produkten, wie z.B. bei einem ETF, halte ich es für sinnvoll die Produkte auch mittels Derivaten kostengünstiger „herzustellen“. Es erschließt sich meinen Kollegen und mir in der Regel nicht, warum Kunden mit langfristigem Anlagehorizont Wetten in Form von komplexen Zertifikaten  eingehen sollen, wenn sie nicht mehr Informationen haben als ihr Gegenüber, d.h. die das Zertifikat auflegende Institution.

Sie schreiben in Ihrem Paper, dass zum Beispiel Änderungen in der Höhe des Vermögens in der Regel kaum oder keinen Effekt auf die Asset Allocation von Anlegern haben …

Das ist in der Tat erstaunlich, denn eigentlich müsste sich etwas an der Asset Allocation ändern, wenn der Kunde reicher oder ärmer wird, heiratet oder sich scheiden lässt. Studien zeigen, dass sich überhaupt nichts ändert. Der Status quo wird einfach beibehalten, selbst wenn der Anleger einen Fonds im Depot hat, der nachweislich schlecht ist. Diese Tendenz wird möglicherweise noch dadurch verstärkt, dass Finanzen ein Thema sind, mit dem sich der Kunde nicht gerne beschäftigt. Eine Aufgabe in der Beratung ist es, gemeinsam mit dem Kunden zu schauen, was sie verändert hat, und die Asset Allocation entsprechend anzupassen. Hier kann ein Berater wirklich helfen.
Was in der Bankpraxis manchmal noch in einen Topf geworfen wird, sind die Risikoneigung und die Erwartungen an die Märkte. Diese beiden Dinge muss man aber auseinanderhalten – das ist eines der Ergebnisse unserer Studien, aber auch anderer Untersuchungen.

Wie oft sollten Banken Risikoneigung und Markterwartung bei ihrem Kunden abfragen?

Die Risikoneigung ist wie gesagt ein Merkmal, das relativ stabil ist und sich so schnell nicht ändert. Wenn Banken sie alle zwei oder drei Jahre abfragen, ist das in Ordnung. Die Anlageumstände, also Heirat, Scheidung, Kinder, Erbschaften, sind wichtiger. Es ist ohnehin sehr schwierig, die Risikoneigung zu bestimmen. Dabei kann der Ansatz „People like me“ hilfreich sein, teilweise hilfreicher, als die Kunden selbst zu fragen. Bei diesem Ansatz wird untersucht, wie ein anderer Kunde handelt, der in einem vergleichbaren Alter in einer vergleichbaren Situation ist.
Bei der Frage nach den Markterwartungen bin ich radikaler, danach sollten Anleger überhaupt nicht gefragt werden. Wir haben die Markterwartung im Rahmen einer Studie abgefragt, und 40 % der Befragten war der Meinung, dass der britische Aktienmarkt im darauffolgenden Vierteljahr nach unten zeigt. Eine solche Erwartung macht keine Sinn, denn wenn die Akteure im Markt wissen, dass die Kurse fallen, antizipiert der Markt diese Erwartung direkt. Das zeigt: Wenn man Kunden, die von Geldanlage keine Ahnung haben, etwas fragt, bekommt man unlogische Antworten. Das Wort „Markterwartung“ ist für mich ein Marketing-Begriff der Banken.

Ergibt angesichts Ihrer Forschungsergebnisse die Einteilung der Anleger in Risikoklassen überhaupt noch einen Sinn?

Die Einteilung der Kunden in Risikoklassen hat der Gesetzgeber nicht gut durchdacht. Die Risikocluster führen zur Produkt-Ebene hin, müsste aber zur Portfolio-Ebene führen. Wenn ein Kunde ein Absicherungsgeschäft vornehmen möchte, kann er das teilweise nicht, weil er in der falschen Risikoklasse ist.

Wie könnte also gute Anlageberatung aussehen?

Der Umgang mit der Unsicherheit ist das Kernproblem. Warum lesen wir Horoskope, warum lesen wir Börsenbriefe? Es zeigt letztlich, dass wir nicht willens sind, den Umgang mit der Unsicherheit zu akzeptieren. Für mich ist gute Anlageberatung also, dem Kunden zu helfen, die Unsicherheit zu akzeptieren und damit umzugehen. Entweder mit dem „People like me“-Ansatz oder einer Simulation, in der Kunden sehen können, welche Verlustmöglichkeiten in fünf Jahren wie oft auftauchen, wenn sie zum Beispiel 100.000 Euro in den DAX investieren.
Außerdem stellt sich für mich die Frage, warum im Anlagegeschäft nicht in Markt und Marktfolge getrennt wird – wie im Kreditsegment auch. Dieser Ansatz wurde sogar schon in Banken diskutiert: Die Berater, also der Markt, stellen fest, was der Kunde braucht, in der Marktfolge wird die passende ETF-Lösung dazu entwickelt.

Was machen institutionelle Investoren besser?

Der Vorteil institutioneller Investoren ist: Die Institution gibt Regeln vor. So hat man festgestellt, dass Trader, die am Vormittag Verlust einfahren, am Nachmittag riskanter handeln. Sie erhöhen das Risiko im Laufe des Tages und versuchen so, den Verlust auszugleichen. Die Institution kann dann sein Konto einschränken, eine Bank hat mir erklärt, dass sie ihre Trader in solchen Fällen nachmittags nach Hause schickt, weil sie um das Problem weiß.

Welche Risikoneigung werden wir künftig bei den institutionellen Investoren beobachten?

Beim Eigenhandel sollten wir besser nicht von Risikoneigung sprechen. Derzeit ist zu beobachten, dass Banken für die eingesetzte Einheit Risiko nicht genug verdienen. Und das ist für Anleger die beste Nachricht überhaupt: Wenn Banken, also Institutionen, die über alle Ressourcen verfügen, am Eigenhandel nicht viel verdienen, das heißt, den Markt nicht schlagen können, heißt das, dass Anleger, wenn sie passiv investieren, damit gut fahren. Das heißt, die Märkte werden effizienter.

Was haben institutionelle Investoren Privatanlegern noch voraus?

Ihre Trading-Kosten sind geringer dank der hohen Volumina, sie besitzen nahezu alle Daten und sie können mit den Informationen besser umgehen. Institutionelle Anleger sind in der Regel besser als Privatanleger – wäre schlimm wenn nicht. Aber sie sind nicht merklich besser als der Markt, das ist die gute Nachricht für alle Anleger.

Kann sich ein Privatanleger daraus etwas ableiten?

Ja, er sollte den aktiven Handel größtenteils bleiben lassen. Er sollte einen Indexfonds kaufen, um eine diversifizierte Grundlage zu schaffen, und dann in geringerem Umfang Einzelinvestitionen tätigen. Dieser so genannte Core-Satellite-Ansatz ist sehr empfehlenswert.

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