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2022 | Book

Wirtschaft und Gerechtigkeit

Was ist gerecht und wie beeinflussen Wirtschaftstheorien die Verteilung von Gütern?

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About this book

Es gibt unglaublich viele und unglaublich schwerwiegende Ungerechtigkeiten. Acht Millionen Menschen verhungern jedes Jahr. Milliarden Menschen können ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht ausleben. Gleichzeitig werden Einzelne mit zum Teil unsozialem Verhalten märchenhaft reich. Viele Menschen spüren, dass etwas in der globalen Wirtschaft und ihren Gesellschaften schief läuft, aber es fällt ihnen schwer, ihr Unbehagen zu artikulieren. Kann man überhaupt sagen und entscheiden, was „gerecht“ ist?

In diesem Buch geht Christian Thielscher dieser Frage nach und entwickelt ein Verständnis von „Gerechtigkeit“, das mehr ist als eine bloße Annahme, sondern das sich auf neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse stützt. Dadurch gelingt der Nachweis, dass „Gerechtigkeit“ nicht nur evolutionsbiologisch sehr alt ist und in unserem Gehirn „fest verdrahtet“ ist, sondern, dass man auch inhaltliche Kategorien bestimmen kann, die bei der Beurteilung darüber helfen, was „gerecht“ ist.

Zunächst wird der Frage nachgegangen, was unter „Wirtschaft“ zu verstehen ist, welche Rolle Wirtschaftswissenschaften dabei spielen und welchen Einfluss dies auf das Gerechtigkeitsverständnis hat. Dabei wird sich zeigen, dass Teile der herrschenden Wirtschaftstheorie unvollständig sind, und dass sie möglicherweise dazu beitragen, ungerechte Verteilungen zuzulassen. Schließlich wird untersucht, was was unter „Gerechtigkeit“ zu verstehen ist. Der Autor entwirft ein Modell, das die Kernelemente der Gerechtigkeit präzise beschreibt und zeigt, dass es in früheren Theorien bereits angelegt war und dass es sich auch mit naturwissenschaftlichen Befunden untermauern lässt. Abschließend werden mithilfe des vorgestellten Gerechtigkeitsmodells typische (und bisher ungelöste) Gerechtigkeitsfragen exemplarisch analysiert und erklärt. Auf Fragen zur politischen Umsetzung von Gerechtigkeit und zur Effizienz von Umsetzungsprozessen wird punktuell eingegangen.

Table of Contents

Frontmatter
1. Einleitung
Zusammenfassung
Es gibt unglaublich viele und unglaublich schwerwiegende Ungerechtigkeiten. Acht Millionen Menschen verhungern jedes Jahr. Milliarden Menschen können ihre Möglichkeiten und Fähigkeiten nicht ausleben. Gleichzeitig werden Einzelne mit unsozialem Verhalten märchenhaft reich.
Viele Menschen spüren, dass etwas in der globalen Wirtschaft und ihren Gesellschaften schiefläuft, aber es fällt ihnen schwer, ihr Unbehagen zu artikulieren. Und, vor allem, kann man überhaupt sagen, was „gerecht“ ist? Gibt es nicht viel zu viele verschiedene Vorstellungen von „Gerechtigkeit“? Ist Gerechtigkeit letztlich eine beliebige Meinung?
Die Einleitung skizziert den Weg, den das Buch beschreitet, um ein Verständnis von „Gerechtigkeit“ zu entwickeln, das mehr ist als bloße Annahme, sondern das sich auf neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse stützt. Dadurch gelingt der Nachweis, dass „Gerechtigkeit“ nicht nur evolutionsbiologisch sehr alt ist und in unserem Gehirn „fest verdrahtet“ ist, sondern, dass man auch inhaltlich bestimmen kann, was „gerecht“ ist.
Christian Thielscher

Wirtschaft und ökonomische Theorien

Frontmatter
2. Der Begriff der „Wirtschaft“
Zusammenfassung
Auf den ersten Blick ist „Wirtschaft“ einfach zu verstehen: Es geht um Waren und ihre Verteilung. Schon bei einfachem Nachfragen zeigen sich allerdings Probleme mit dieser Definition: Wer bestimmt eigentlich darüber, was für wen produziert wird: nur die Kunden und Hersteller oder auch z. B. der Wirtschaftsminister oder Verbraucherschützer? Warenverteilung hat neben anderem mit Steuern und Transferleistungen zu tun – also mit Politik. Aber wie ist der Zusammenhang zwischen Politik und Wirtschaft genau zu beurteilen? Kann man „Wirtschaft“ untersuchen, ohne die Gesellschaft zu betrachten, in der sie stattfindet? Hängen Ökonomie, Recht, Politik, Soziologie und Psychologie vielleicht so eng zusammen, dass man sie gar nicht getrennt voneinander verstehen kann?
Das (sehr kurze) Kapitel erläutert, dass man, um zu einem präzisen Verständnis der „Wirtschaft“ und der „Gerechtigkeit“ in ihr zu kommen, die bestehenden Wirtschaftstheorien untersuchen muss, und leitet damit über zu den folgenden Kapiteln.
Christian Thielscher
3. Die neoklassische Theorie
Zusammenfassung
Der Fokus dieses Kapitels liegt auf dem neoklassischen Verständnis von Wirtschaft, weil die Neoklassik die heutige Volkswirtschaftslehre beinahe vollständig beherrscht. Die Neoklassik regiert nicht nur in den Hörsälen, sondern auch in der realen „Wirtschaft“, weil die ehemaligen Wirtschaftsstudenten ihre neoklassischen Annahmen in ihren Beruf mitnehmen. Die ökonomische Theorie steuert einerseits maßgeblich die Wirtschaftspolitik, und andererseits besetzen neoklassisch geprägte Wirtschaftswissenschaftler etwa die Hälfte aller Führungspositionen in größeren bis großen Unternehmen (die andere Hälfte nehmen Juristen, Ingenieure und Absolventen anderer Fakultäten ein). Insgesamt beeinflusst somit die Neoklassik das Leben der meisten Menschen enorm.
Das Kapitel erläutert, wie Neoklassiker „Gerechtigkeit“ verstehen und wie sich das auf andere Lebensbereiche und Theorien auswirkt.
Christian Thielscher
4. Die marxistische Wirtschaftstheorie
Zusammenfassung
Die marxistische Wirtschaftstheorie entwickelt nicht nur ein grundsätzlich anderes Verständnis der Wirtschaft als die Neoklassik und hilft dadurch, Vor- und Nachteile der herrschenden neoklassischen VWL zu erkennen; ihr Studium erlaubt auch, den Blick zu schärfen für Ideologien und das Ausgreifen nichtwirtschaftlicher Theorien und Praktiken in andere Lebensbereiche.
Christian Thielscher
5. Ein Lösungsvorschlag – wie wir Wirtschaft inhaltsreich beschreiben und „erklären“ können
Zusammenfassung
Was kann man aus den Fehlern der Neoklassik und der (verkürzten) Kapitalismuskritik lernen?
Wie muss ein funktionierendes Verständnis von Wirtschaft aussehen? Wäre es nicht schön, wenn das, was Wirtschaftswissenschaftler über ihren Gegenstand sagen, genau so präzise wäre wie das, was ein Arzt über „Diabetes mellitus“ berichten kann? Der gewöhnliche Reflex ist: Das geht nicht, weil die beiden Wissenschaften nicht vergleichbar sind. Das Kapitel schlägt dennoch einen Lösungsweg vor.
Christian Thielscher

Gerechtigkeit

Frontmatter
6. Die bisherige Unbestimmtheit des Gerechtigkeitsbegriffs
Zusammenfassung
In diesem Teil des Buches geht es um die Frage, ob und, wenn ja, wie man „Gerechtigkeit“ so präzise beschreiben kann, dass sich damit wichtige wirtschaftliche (und andere) Fragen klären lassen, z. B. der Art: Kann man aus einem allgemeinen Gerechtigkeitsprinzip erkennen, inwiefern die gegenwärtige Güterverteilung geändert werden muss?
Dazu wird zunächst die eigentliche Herausforderung skizziert: Weil der Gerechtigkeitsbegriff bisher unterschiedlich verstanden wird, schließt die Mehrzahl der Autoren, dass man aus diesem Durcheinander keine praktischen Konsequenzen gewinnen könne.
Christian Thielscher
7. Ein Modell der Gerechtigkeit
Zusammenfassung
Das hier im Folgenden vorgestellte Modell beschreibt Gerechtigkeit in drei Schritten:
1.
Zunächst wird das Verhältnis von „Moral“ und „Gerechtigkeit“ bestimmt.
 
2.
Dann werden die Elemente besprochen, die „Gerechtigkeit“ ausmachen.
 
3.
Schließlich wird inhaltlich beschrieben, was „gerecht“ ist.
 
Christian Thielscher
8. Medizinische Verfahren zur Untersuchung des Gerechtigkeitsempfindens
Zusammenfassung
Dieses Kapitel beschreibt, was bildgebende Verfahren sowie evolutionsbiologische und entwicklungspsychologische Untersuchungen über das menschliche Gerechtigkeitsempfinden aussagen. Daraus lässt sich ein naturwissenschaftlich fundiertes Gerechtigkeitsmodell entwickeln – das Herzstück des Buches. Es klärt das Verhältnis von Moral und Gerechtigkeit und erläutert die Kernelemente der Gerechtigkeit.
Christian Thielscher
9. Philosophische Untersuchungen zur „Gerechtigkeit“
Zusammenfassung
Eines der Hauptprobleme bei der Untersuchung der Gerechtigkeit bestand bisher darin, dass unterschiedliche Autoren über verschiedene Aspekte von Gerechtigkeit geschrieben haben – einige über den Inhalt von Gerechtigkeitsnormen, andere über ihre politische Durchsetzung usw. Es wirkt dann so, als hätten sie verschiedene Vorstellungen von Gerechtigkeit.
Ein Vorteil des in Kap. 7 beschriebenen Modells von Gerechtigkeit liegt darin, dass es verschiedene Theorien verorten und integrieren kann. So zeigt sich, dass Aristoteles und Rawls zwar über die Gerechtigkeit verschiedene Aussagen machen, die sich aber gar nicht widersprechen, weil sie einfach verschiedene Aspekte derselben Gerechtigkeit behandeln.
In diesem Kapitel werden daher einige wichtige Gerechtigkeitstheorien mithilfe des Modells verglichen.
Christian Thielscher
10. Ein finaler Stresstest für das Modell
Zusammenfassung
Das in Kap. 7 entwickelte Modell wird einem „Stresstest“ unterzogen: Kann das Modell entscheidende Fragen beantworten?
Christian Thielscher

Anwendungen

Frontmatter
11. Die Struktur des Gerechtigkeitsbegriffs
Zusammenfassung
Im letzten Teil des Buches soll an einigen Beispielen gezeigt werden, wie man die bisher erreichten Ergebnisse zum Gerechtigkeitsempfinden fruchtbar macht, d. h. auf praktische Probleme anwendet. Viele solcher Probleme lassen sich mit den Grundprinzipien der Gerechtigkeit erstaunlich einfach lösen. – Kap. 10 geht auf den Begriff der Gerechtigkeit selbst ein; danach folgen einige typische Probleme.
Christian Thielscher
12. Wirtschaftliche Gerechtigkeitsfragen
Zusammenfassung
Das Kapitel löst typische wirtschaftliche Gerechtigkeitsprobleme, und zwar sortiert nach Problemen des Bedarfs, der Leistung und des Vertrags, z. B. Fragen des Hungers, der Vermögensverteilung und Besteuerung.
Christian Thielscher
13. Aporien
Zusammenfassung
Bei allen bisher besprochenen Themen lässt sich zeigen, was „gerecht“ ist, jedenfalls im Prinzip – auch, wenn noch Forschungsbedarf besteht. Es gibt aber auch Themen, bei denen einstweilen noch keine Lösung in Sicht ist – vor allem deshalb, weil sie weniger die Verteilung von Gütern behandeln, die im Prinzip ausreichend vorhanden sind, sondern Triageprobleme, also die Frage, wer überleben darf, und wer sterben muss.
Christian Thielscher
14. Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassung
Gerechtigkeit ist ein zentraler Bestandteil unseres Lebens. Es ist kein inhaltlich beliebiges Konzept, über das man nichts wissen kann, sondern es lässt sich ziemlich präzise beschreiben:
  • Gerechtigkeit ist eine echte Teilmenge der Moral.
  • Sie beschäftigt sich damit, wie ein oder mehrere Machthaber etwas verteilen, nach welchen Regeln und innerhalb welcher Strukturen sie das tun, mit dem Verteilten und mit den Empfängern.
  • Letztlich kann man die Inhalte gerechter Regeln an den Empfängern verdeutlichen: Gleiches gleich behandeln, und zwar gleiche Leistung gleich entlohnen, Notleidenden helfen, Verträge halten.
Die meisten Verteilungen lassen sich so als „gerecht“ oder „ungerecht“ erkennen, insbesondere solche, bei denen es um die Verteilung von Gütern, Dienstleistungen, Ehre, Teilhabe usw. geht und solche, bei denen das Recht auf Leben gegen Eigentum steht (z. B. beim Hunger).
Leider stößt man auf sehr viel Ungerechtigkeit, wenn man unsere Welt durch die Gerechtigkeitsbrille betrachtet. Aber wo Gefahr ist, wächst (hoffentlich) das Rettende auch.
Gerechtigkeit ist wichtig und man kann sie präzise beschreiben. Sie ist in uns hart verdrahtet. Wir sollten daran arbeiten, sie zu verbreiten.
Christian Thielscher
Metadata
Title
Wirtschaft und Gerechtigkeit
Author
Prof. Dr. Dr. Christian Thielscher
Copyright Year
2022
Electronic ISBN
978-3-658-36222-5
Print ISBN
978-3-658-36221-8
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36222-5