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17-03-2021 | Wirtschaftsprüfung | Schwerpunkt | Article

Das Finanzmarktintegritätsgesetz ist erst der Anfang

Author: Angelika Breinich-Schilly

5:30 min reading time

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Der Finanzmarkt muss sich auf die Testate der Wirtschaftsprüfer verlassen können. Die Wirecard-Affäre offenbarte jedoch massive Schwächen im System. Das Finanzmarktintegritätsgesetz bringt wichtige Änderungen, doch Experten sehen auch viele Lücken.

"Einen interessanten Bereich des Dienstleistungssektors stellt die Abschlussprüfung im Rahmen der Unternehmensberichterstattung dar. Als Element der Corporate Governance ist die Abschlussprüfung von zentraler Bedeutung für einen funktionierenden Kapitalmarkt. […] Vor dem Hintergrund der Ausweitung der Unternehmensberichtspflichten versucht der Gesetzgeber ein Mindestmaß an Qualität der Abschlussprüfung sicherzustellen, das aufgrund der Immaterialität der Dienstleistung und der damit verbundenen geringeren Wahrnehmbarkeit den kontinuierlich verändernden Gegebenheiten des Kapitalmarkts und der Gesellschaft gerecht werden soll", schreibt Hans-Joachim Böcking. Im Buch "Perspektiven des Dienstleistungsmanagements" geht der Springer-Autor das Verhältnis von Aufsichtsrat und Abschlussprüfer mit Blick auf die Corporate Governance und gesetzliche Neuregelungen der vergangenen Jahre ein. 

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2020 | OriginalPaper | Chapter

GuV und Bilanz

Bei der von mir gewählten Gesellschaft (GmbH) handelt es sich um eine Baufirma (Fokus Gebäude und Hallenbau), übrigens aus dem südlichen Baden-Württemberg. Die Abschlüsse sind schon einige Jahre alt und von mir ein wenig abgeändert.

Gesetzentwurf als Konsequenz des Wirecard-Skandals

Mit der Vorlage des Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Finanzmarktintegritätsgesetz, FISG) zieht die Bundesregierung Konsequenzen aus dem Bilanzskandal um den mittlerweile insolventen Zahlungsdienstanbieter Wirecard: 

Die Funktionsfähigkeit des deutschen Finanzmarktes ist für die deutsche Wirtschaft und für den Wohlstand der Bundesrepublik Deutschland von zentraler Bedeutung. Manipulationen der Bilanzen von Kapitalmarktunternehmen erschüttern das Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt und fügen ihm schweren Schaden zu. Jüngste Vorkommnisse haben gezeigt, dass insbesondere die Bilanzkontrolle gestärkt und die Abschlussprüfung weiter reguliert werden müssen, um die Richtigkeit der Rechnungslegungsunterlagen von Unternehmen sicherzustellen", heißt es im Gesetzentwurf von Dezember 2020. 

Die Änderungen betreffen die Abschlussprüfer selbst, deren Unabhängigkeit zum einen gestärkt werden soll, die aber zugleich mit einer schärferen zivilrechtlichen Haftung gegenüber dem geprüften Unternehmen rechnen müssen. Zudem stehen die grundlegenden Aufsichtsstrukturen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) im Fokus. Diese soll die Befugnis erhalten, künftig bei Verdacht von Bilanzverstößen direkt und unmittelbar gegenüber Kapitalmarktunternehmen zu agieren. Hierzu gehören auch umfassende Prüfungs- und Auskunftsrechte sowie die Möglichkeit, die Öffentlichkeit früher als bisher über ihr Vorgehen zu informieren. 

Gesetz belastet kleinere Wirtschaftsprüfungsunternehmen

Dass Regelungen nötig sind, um künftig Bilanzskandale wie den von Wirecard zu verhindern, darüber herrscht bei Wirtschaftswissenschaftlern, Praktikern und Politik zwar grundlegend Konsens. Ob mit dem aktuellen Gesetz das Ziel einer transparenteren und agileren Bilanzkontrolle in der Praxis erreicht wird, darüber sind sich die Experten allerdings nicht einig. Das zeigte die Digital-Konferenz "Reformbedarf nach Wirecard: Ist das FISG die richtige Antwort?" Anfang März. So steht Patrick Velte, Professor an der Leuphana Universität Lüneburg, der Reform der Finanzmarktaufsicht grundsätzlich positiv gegenüber. Doch sieht der Ökonom in den verschärften Haftungsregelungen vor allem eine überproportionale Härte für kleinere Wirtschaftsprüfungsgesellschaften.  

Auch Christoph Regierer vom Wirtschaftsprüfungsunternehmen Mazars stellte klar, dass das Gesetz bei unveränderter Verabschiedung unerwünschte Nebenwirkungen auf die Marktvielfalt habe. "Insbesondere die unbeschränkte Haftung schon bei grober Fahrlässigkeit würde einen Marktaustrittsimpuls setzen, da dies mittelständische Prüfungsgesellschaften besonders hart träfe. Auch der Wegfall der Anreize für optionale Joint Audits ist vor diesem Hintergrund problematisch", erläuterte der Experte.

Vorteile eines Joint Audits

Ein Joint Audit ist die Bestellung mehrerer Abschlussprüfer zur Durchführung einer gemeinsamen Abschlussprüfung. Das bedeutet, dass bei einem Joint Audit das geprüfte Unternehmen (in der Regel) zwei voneinander unabhängige Prüfungsgesellschaften beauftragt", schreibt Dirk Driesch im gleichnamigen Buchkapitel (Seite 424). 

Joint Audits seien innerhalb der Europäischen Union (EU) seit vielen Jahren ein anerkanntes Instrument im Rahmen der Abschlussprüfung, so der Springer-Autor. "Mit der Umsetzung […] durch die Verabschiedung des Abschlussprüfungsreformgesetzes (AReG) im März 2016 wurde erstmalig die Möglichkeit von Joint Audits in Deutschland gesetzlich kodifiziert."

Annette Messemer, Aufsichtsrätin der französischen Bank Société Générale, sprach sich auf der Konferenz im März klar für die Einführung solcher Joint Audits aus und skizzierte Vorteile wie zum Beispiel die gegenseitige Qualitätskontrolle und das Know-how zweier Prüfungsgesellschaften. Aus ihrer Sicht zeige das Beispiel Frankreich, wo Joint Audits seit 1966 für börsennotierte Unternehmen gesetzlich vorgeschrieben sind, dass diese zu einer größeren Marktvielfalt führen. 

Marktmacht der Big Four ist ein Kernproblem

Die mangelnde Vielfalt hat sich vor allem infolge der Enron-Pleite im Jahr 2001 verschärft, wie Dorothea Schäfer, Forschungsdirektorin Finanzmärkte am DIW Berlin, in ihrem Wirtschaftsdienst-Leitartikel "Wirecard — ein Menetekel für die Wirtschaftsprüfung" (Ausgabe 8 | 2020) ausführt. Der Skandal um Enron hatte den Prüfgiganten Arthur Andersen zu Fall gebracht, der sich im Anschluss in einzelne Landesgesellschaften aufspaltete und in Deutschland größtenteils mit Ernst & Young (EY) fusionierte. "Der lukrative Markt für Prüfmandate liegt seitdem fast vollständig in den Händen der sogenannten Big Four: Deloitte, EY, KPMG und Pricewaterhouse Coopers (Pwc)", so Wirtschaftswissenschaftlerin Schäfer.

"Die Marktmacht der Big Four ist zu einem echten Problem für die unabhängige Abschlussprüfung geworden", kritisierte Lisa Paus, finanzpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, auf der Veranstaltung und forderte: "Wir brauchen eine strikte Trennung von Beratung und Prüfung und eine Reform, die den Markt auch für Mitbewerber öffnet." 

Wie wichtig eine ausreichende Anzahl an Wirtschaftsprüfungsgesellschaften ist, betonte auch Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Daher müsse gewährleistet sein, dass mittelständische Wirtschaftsprüfungsgesellschaften Kapazitäten aufbauen können. "Man muss heute schon dafür sorgen, dass auch die zweite Reihe so stark gemacht wird, dass Unternehmen weiterhin eine Auswahl haben." 

Regulatorien allein schützen nicht 

Dass die Probleme aber nicht allein mit einem neuen gesetzlichen Rahmen gelöst werden können, erklärte Ute Wolf, Finanzvorständin bei Evonik Industries. Wenn man nicht auch bei mangelhaftem Vollzug bestehender Regeln ansetze, könne eine neue Gesetzgebung wenig ausrichten. "Der Fall Wirecard zeigt, wie wichtig es ist, die bestehenden Instrumente zu Governance und Kontrolle umfänglich zu nutzen. Ein neues Gesetz kann keinen hundertprozentigen Schutz schaffen und erhöht den Bürokratie-Aufwand für alle." 

Ökonom Velte kritisierte hingegen, dass das FISG im Hinblick auf die Vorschriften für Vorstand und Aufsichtsrat nicht ausreichend sei, um Fälle krimineller Täuschungsversuche auszuschließen. "Viele der durch das künftige FISG geplanten Corporate-Governance-Regulierungen tragen nur eingeschränkt zur Prävention von Top Management Fraud bei." 

Nach dem FISG ist vor dem FISG II

Matthias Hauer, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Wirecard Untersuchungsausschuss, betonte schließlich dringenden Änderungsbedarf am FISG-Entwurf: "Starke Bilanzkontrolle aus einer Hand, klare Kompetenzen bei der Geldwäscheaufsicht, weniger Konzentration auf dem Wirtschaftsprüfermarkt, Stärkung der Rechte von Aufsichtsräten und mehr Transparenz bei Verstößen – das muss im FISG dringend ergänzt werden." 

Angesichts der vielen grundlegenden und komplizierten Themen sei die schnelle politische Reaktion durch das FISG zwar ein wichtiger erster Schritt, aber weitere Schritte müssten folgen, resümierte DSW-Experte Tüngler. "Wir sind noch nicht am Ende und die Diskussionen werden weitergehen. Nach dem FISG ist vor dem FISG II."

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