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08-03-2019 | Wirtschaftsrecht | Schwerpunkt | Article

Brexit-Unsicherheit lässt Unternehmen bangen

Authors: Jochen Kindermann, Alireza Siadat

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Die letzten vier Wochen bis zum Ende der Austrittsfrist sind angebrochen. Noch immer ist völlig unklar, ob und wenn ja, auf welcher Grundlage die Briten aus der EU ausscheiden. Nicht alle Branchen sind gleich gut vorbereitet.

Wer hätte nach dem Brexit-Referendum im Juni 2016 gedacht, dass der Austritt sich derart unsäglich entwickeln wird und die Unsicherheit vermutlich auch nach dem 29. März verbleibt? Nachdem jedenfalls letzte Woche klar wurde, dass der Austrittsvertrag keine Mehrheit erhalten würde, die Gefahr weiterer Parteiaustritte drohte und nach einem geheimen Regierungsbericht lediglich 40.000 von 240.000 Unternehmen sich bislang für die neue Zolldokumentation registriert haben, hat Theresa May die Reißleine halb herausgezogen. Die Parlamentarier dürfen bis zu drei weitere Abstimmungen durchführen.

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Brexit

Warum stimmten 51,9 Prozent der britischen Wähler für den EU-Austritt?

Am 23. Juni 2016 fand das historische Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft statt. Erstmals in der Geschichte des europäischen Einigungsprozesses hat ein langjähriges Mitgliedsland seine Bevölkerung über den Verbleib oder Austritt aus der Gemeinschaft abstimmen lassen. Mit 51,9 zu 48,1 Prozent votierten die britischen Wähler mehrheitlich für den Brexit.

Erste Abstimmung über geänderten Austrittsvertrag

Zunächst steht am 12. März die Abstimmung über einen geänderten Austrittsvertrag mit der EU an. Wobei derzeit unklar ist, ob es überhaupt relevante Änderungen gegeben hat. Sollte die Entscheidung negativ ausfallen, womit nach derzeitigem Stand zu rechnen ist, sollen die Parlamentsvertreter sich erklären, ob UK die EU ohne Deal verlassen soll. Es ist fast zu erwarten, dass auch dieser Vorschlag auf Ablehnung stoßen wird. In diesem Fall dürfen die Parlamentarier wohl am 14. März über eine "kurze, begrenzte Verlängerung des Art. 50 Austrittszeitraumes" abstimmen – so jedenfalls die Entscheidungsvorlage zur Abstimmung. 

Sollte das Parlament tatsächlich für eine Verlängerung des Austrittszeitraumes optieren, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen dies auf den Kapitalmarkt haben könnte. Hierzu ist anzumerken, dass eine Verlängerung der Austrittsfrist nur mit einstimmiger Bestätigung durch die EU erfolgen kann. Damit ist vorprogrammiert, dass die Unsicherheit zumindest bis zum Treffen des EU-Rates am 21. März bleibt. Vollkommen unklar ist weiter, ob die EU tatsächlich einer Verlängerung um wenige Monate zustimmt, wie es Theresa May scheinbar vorschwebt. Hierzu liegen mittlerweile sehr unterschiedliche Aussagen der Mitgliedsländer vor. Auch in diesem Sinne ist es also sehr wahrscheinlich, dass sich die Hängepartie fortsetzt.

Unternehmen unzureichend auf Brexit-Folgen vorbereitet

Doch spielt dies für den Finanzmarkt überhaupt noch eine Rolle? Hier gilt es zu unterscheiden zwischen Auswirkungen des Brexits auf den Kapitalmarkt und der "EU-Readiness" der einzelnen Institute, das heißt, ob diese operativ und strukturell auf einen Hard-Brexit vorbereitet sind. Für Letzteres lässt sich konstatieren, dass kaum eine Branche die strukturellen Folgen des Brexits, im Wesentlichen der Wegfall des Passports, bereits derart weit abgearbeitet hat wie der Finanzsektor. Die Pläne sind bereits soweit realisiert, dass es letztlich nicht mehr darauf ankommt, ob der offizielle Austritt am 29. März oder erst zu einem späteren Zeitpunkt oder gar nicht erfolgt. 

In weiten Teilen des Finanzsektors werden die Systeme spätestens am 29. März auf die neue Situation umgestellt. Das Re-Papering, also die Überleitung der bestehenden Rechtsbeziehung zwischen Kunden mit Sitz in der EU auf die neue, in der EU-befindliche Bank, ist derzeit bereits in vollem Gange. Hier zeigt sich vor allem, ob EU-Kunden auch zukünftig eine englisch-rechtliche Vertragsdokumentation akzeptieren oder ob zukünftig beispielsweise deutsches Recht gewählt wird. Es ist damit auch ein Lakmustest für die Frage, ob der Finanzstandort London an Wichtigkeit einbüßt oder ob wirklich nur die relevante Konzerngesellschaft gewechselt wird.

Im Interesse eines halbwegs geordneten Übergangs haben diverse EU-Länder mittlerweile nationale Übergangsregelungen geschaffen. Diese lassen sich grob in drei Arten unterteilen: 

  1. Gewährleistung eines vollständigen Marktzugangs als würde der derzeitige Passport auch nach dem Brexit weiter gelten (z. B. Dänemark), 
  2. reduzierter Marktzugang, der zur Fortführung des Bestandsgeschäfts jedoch ohne weitere Ausweitung berechtigt (z. B. Frankreich) und 
  3. keine beziehungsweise sehr strenge Reglementierung, die lediglich zur Abwicklung des Bestandsgeschäfts berechtigt (z. B. Niederlande).

Bafin kann umfassend reagieren

Deutschland würde vor diesem Hintergrund wohl in die zweite Kategorie fallen. Die Bafin erhält dazu unter dem Brexit-Steuerbegleitgesetz umfassende Befugnisse, auf Stresssituationen der Märkte zu reagieren. Sie kann per Allgemeinverfügung Institute mit Sitz in UK, die derzeit über eine Zweigniederlassung in Deutschland verfügen oder im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs Bank- oder Finanzdienstleistungen erbringen, das bisherige Passportingregime bis zu 21 Monate nach einem Hard-Brexit entsprechend anwenden. Allerdings gilt dies unmittelbar nur für Bestandsgeschäfte, also jene Geschäfte, die vor einem Hard-Brexit abgeschlossen wurden und solche, die nach einem Hard-Brexit in engem Zusammenhang mit den Altgeschäften stehen. 

Unklar blieb dabei, was genau hierunter zu verstehen ist. Auch eine Erstreckung auf Neugeschäft zur Beruhigung der Märkte, die in vielen Stellungnahmen gefordert wurde, ist unterblieben. Dennoch lässt die derzeitige Kommunikation mit allen Beteiligten hoffen, dass es jedenfalls nicht am Instrumentarium mangelt, falls mit einem Hard-Brexit tatsächlich Finanzmarktinstabilität, Liquiditätsengpässe oder sonstige Stressszenarien einhergehen.  

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