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Open Access 2022 | OriginalPaper | Chapter

6. Zusammenarbeit 2.0

Authors : Jörn von Lucke, Katja Gollasch

Published in: Open Government

Publisher: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Für ein offenes Regierungs- und Verwaltungshandeln ist eine transparente sowie agile Zusammenarbeit von großer Relevanz. Das gilt für die Zusammenarbeit innerhalb der Verwaltung sowie mit externen Akteuren. Im sechsten Kapitel werden nach der theoretischen Annäherung an die Thematik die Konzepte der „offenen Innovation“ und der „offenen gesellschaftliche Innovation“ näher beleuchtet. Es werden Werkzeuge in diesem Bereich vorgestellt und Möglichkeiten der IT-unterstützten Zusammenarbeit bis hin zur Zusammenarbeit mit künstlicher Intelligenz aufgezeigt.

6.1 Verwaltungsinterne Zusammenarbeit

Im folgenden Abschnitt wird definiert, was Zusammenarbeit ausmacht und welche Möglichkeiten sich nach einer politischen Entscheidung für die Akteure ergeben.

6.1.1 Zusammenarbeit nach der politischen Entscheidung

Im vorherigen Kapitel wurde deutlich, dass zivilgesellschaftliche Akteure bis zum Treffen der politischen Entscheidung im Rahmen des Politikzyklus Einfluss auf deren Gestaltung nehmen können. Die Umsetzung der getroffenen politischen Entscheidung obliegt der öffentlichen Verwaltung. Ab diesem Zeitpunkt wird auf Zusammenarbeit gesetzt, wenn es Dritte in die Umsetzung einzubinden gilt Abb. 6.1. Damit eröffnen sich Potenziale zum gemeinsamen Handeln und Programmieren. Des Weiteren ergeben sich Möglichkeiten zur gemeinsamen Beobachtung der zu implementierenden Maßnahmen sowie zu deren Kommentierung und Bewertung. Die anschließende Evaluation erfolgt anschließend auf Grundlage aller eingegangener Bewertungen. Hieraus können sich auch neue Gemeinschaften um neu erkannte Probleme bilden.

6.1.2 Verwaltungshandeln und Formen der internen Zusammenarbeit

Bei der Zusammenarbeit geht es um das koordinierte Zusammenwirken von Personen oder Organisationseinheiten zur Erreichung von gemeinsam vereinbarten Zielen. Die involvierten Partner bringen dazu eigene Ressourcen (Input: Daten, Informationen, Wissen, Arbeitskraft, Kapital) ein. Gemeinsam wirken sie ganz im Sinne echter Koproduktion derart zusammen, dass aus diesem Zusammenspiel der Kräfte vorhersehbare Ergebnisse (Output), beabsichtigte gesellschaftliche Auswirkungen (Outcome) und konkrete Veränderungen (Impact) resultieren. Die Zielerreichung wird an diesen Resultaten gemessen (von Lucke, 2012, S. 2).
Interne Zusammenarbeit bezeichnet die Öffnung von Organisationseinheiten innerhalb der öffentlichen Verwaltung. In einer Behörde, beispielsweise in einem Amt, einem Ministerium, einer Anstalt oder einer Stiftung, betrifft dies die Zusammenarbeit von Referaten oder Abteilungen. Ebenso wird die Zusammenarbeit zwischen Behörden einer Gebietskörperschaft oder über verschiedene Gebietskörperschaften hinweg zur internen Zusammenarbeit gezählt. Ressortprinzipien, Aspekte der kommunalen Selbstverwaltung als auch föderalistische Strukturen können mögliche Hindernisse darstellen. Für die interne Zusammenarbeit ist der Begriff des Verwaltungshandelns wesentlich.
§ 9 VwVfG Begriff des Verwaltungsverfahrens
Das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes ist die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein.
Verwaltungshandeln kann in formales und informales Verwaltungshandeln unterschieden werden. Formales Verwaltungshandeln meint ein auf Gesetzen basierendes Verwaltungshandeln, während informales Verwaltungshandeln unterhalb des formellen Rechtsweges ausgeübt wird. Dieses basiert etwa auf Verhandlungen, Vermittlungen und Verträgen und kann daher auch als kooperatives Verwaltungshandeln bezeichnet werden. Ziel des Verwaltungshandelns ist die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Als Orientierung gelten dabei die Prinzipien des Rechtsstaates und das Ressortprinzip. Des Weiteren müssen in Deutschland der Verwaltungsföderalismus, die kommunale Selbstverwaltung sowie das Subsidiaritätsprinzip beachtet werden. Dies bedeutet eine hochgradige Regelbindung an Gesetze auf Basis einer Organisationsstruktur, die von hierarchischer Über- und Unterordnung sowie klaren Zuständigkeiten und Kompetenzzuweisungen geprägt ist. Bürokratie als „Herrschaft der Verwaltung“ ist hier das treffende Stichwort. Doch wie lassen sich Bürokratie und deren Abläufe organisieren und koordinieren? Und wie koordiniert sich Verwaltung intern?

6.1.3 Formen bürokratischer Koordination

Die bürokratische Koordination erfolgt in unterschiedlichen Formen. In der Regel gibt es eine zuständige Stelle, die die Federführung in einem Verfahren übernimmt und die anderen Akteure bittet, Vorschläge und Entscheidungen mit zu zeichnen und somit zu akzeptieren. Sollte es Gesprächsbedarf über die vorgeschlagene Lösung geben, so lädt man zu Besprechungen ein, die der Informationsbeschaffung und -verarbeitung sowie der Konfliktlösung und Konsensbildung dienen. Dort wo es sinnvoll ist, werden auch weitere Akteure zu einer Anhörung eingeladen. Aufgrund der Strukturen von unterschiedlichen Bereichen, Abteilungen, Ämtern und Aufgaben sowie divergierenden Vorstellungen kann es zu Koordinationsproblemen kommen (Bogumil & Jann, 2020, S. 182). Bei der Lösung dieser Koordinationsprobleme kann zwischen negativer und positiver Koordination unterschieden werden. Der Ansatz der negativen Koordination bezeichnet die normale Verwaltungspraxis. Die Lösung eines Problems übernimmt die zugeordnete Einheit. Andere Bereiche und Interessen werden erst später (beispielsweise durch Mitzeichnung) einbezogen, um den eigenen Lösungsweg nicht zu beinträchtigen. Der Fokus liegt eher darauf, eine mögliche Ablehnung des Vorgehens zu erfragen als neue Lösungsvorschläge einzuholen. Die positive Koordination zielt hingegen genau darauf ab. Hier werden sich gegenseitig unterstützende Maßnahmen aus verschiedenen Bereichen gewählt, die zur Problemlösung beitragen können. Allerdings müssen so auch alle Optionen durchgesehen und zur Disposition gestellt werden (Bogumil & Jann, 2020, S. 184). Eine spezifische Form der innerbürokratischen Koordination stellen die Fachbruderschaften dar. Dies bezeichnet die vertikale, organisations- und ebenenübergreifende Zusammenarbeit von Fachverwaltungen. Die über Jahre entwickelten Kontakte auf lokaler, regionaler, landesweiter, bundesweiter und sogar EU-Ebene können dazu führen, dass langfristig Standards gesetzt und etabliert werden, die von der jeweils politisch zuständigen Ebene nur schwer veränderbar sind (Bogumil & Jann, 2020, S. 186). Grundsätzlich jedoch sind nach Art. 35 GG (Amtshilfe) alle Behörden des Bundes und der Länder verpflichtet, sich gegenseitig Rechts- und Amtshilfe zu leisten. Dies zielt darauf ab, in der Zusammenarbeit die beste Lösung im Sinne des Gemeinwohls zu finden.

6.1.4 Agilität

Das Zusammenleben und Arbeiten unterliegt nicht nur durch die digitale Transformation einem ständigen Wandel. Die vermeintlichen Merkmale dieser „modernen Welt“ werden gerne unter dem Akronym „VUCA“ zusammengefasst. Dies meint, dass Volatility (Volatilität), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit) immer weiter zunehmen (Bendel, 2021). Entscheidungs- und Arbeitsprozesse erfordern mehr Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit und stellen auch die öffentliche Verwaltung vor große Herausforderungen. Gleichzeitig wird unter VUCA auch ein möglicher Lösungsansatz gesehen. In diesem steht VUCA für Vision (Leitbilder), Understanding (Verständnis), Clarity (Klarheit) und Agility (Agilität) (ebd.). Insbesondere Agilität wird von führenden Experten als eine mögliche Antwort auf die steigenden Herausforderungen der öffentlichen Verwaltung gesehen. Agilität zielt darauf ab, durch Vernetzung, Offenheit und Einbeziehung der Beteiligten in der Lage zu sein, schnell die Richtung des Organisationshandelns zu ändern (Richenhagen, 2017 nach Petry, 2016, S. 70). Ausgangspunkt hierfür sind die Bedürfnisse der Kunden und Bürger. Weitere Kernelemente sind Teamarbeit auf Augenhöhe, Experimentierfreude und Bereitschaft zu Fehlern, Prototyping, hierarchiefreie Sprints, ein frühzeitiges und regelmäßiges Feedback sowie das Idealbild der lernenden Organisation (ebd.). Die Vorgehenslogik von Agilität basiert auf dem Trial-and-Error-Prinzip. Dabei werden konkrete Lösungsmöglichkeiten frühzeitig ausprobiert und ein mögliches Scheitern in Kauf genommen. Daraus können wiederum neue Methoden entwickelt und durch mehrere Anläufe bessere Lösungen gefunden werden. Für öffentliche Verwaltungen bedeutet dies aber auch, eine Akzeptanz der neuen Methoden und agilen Arbeitsweisen aufzubauen, innovative Technologien und digitale Methoden sinnvoll einzusetzen und eine neue, konstruktive Fehlerkultur zu entwickeln (ebd.).

6.2 Zusammenarbeit mit Dritten

Bisher wurde die Zusammenarbeit innerhalb der öffentlichen Verwaltung betrachtet. Nun sollte ein Blick auf die Interaktion mit weiteren Akteuren wie externen Behörden, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft geworfen werden. Dabei sind offene Formen der Zusammenarbeit sowie eine passende Kommunikationsstrategie wesentlich.

6.2.1 Offene Formen der Zusammenarbeit und Verwaltungskommunikation

Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien erlauben es Verantwortlichen und Organisationseinheiten sich zu öffnen. So lassen sich offene Formen der Zusammenarbeit (Open Collaboration) realisieren, indem die gruppeninternen Dienste zur Information, Kommunikation und Zusammenarbeit für Dritte geöffnet werden: Behördenintern, verwaltungsintern, mit Partnern oder komplett öffentlich zugänglich. Eine solche Öffnung ist sinnvoll, wenn sie wertvolle Impulse von außen einfängt, sich anregende Diskurse eröffnen oder die Arbeitsverteilung weiter optimiert wird. Über das Internet können Interessierte zeitnah und transparent über den Stand der laufenden Aktivitäten unterrichtet werden. Hochwertige Beiträge Externer werden geschätzt, falls sie zur Meinungsbildung beitragen. Neue Unterstützer lassen sich in Kooperation und Koproduktion einbinden. Dies stärkt das gesamte Netzwerk und seine Wertschöpfungskraft, ohne die Koordinationskraft der Organisatoren zu überbeanspruchen, da deren Arbeit signifikant erleichtert wird (von Lucke, 2012, S. 2).
Gleichzeitig muss die Verwaltung in der Lage sein, auf offene Formen der Zusammenarbeit effektiv hinzuweisen und dazu einzuladen. Die Verwaltungskommunikation unterliegt hier besonderen Ansprüchen, da die verwendete Sprache zur Entfremdung der Adressaten von der Institution der Verwaltung beitragen kann, eigentlich aber „auf Augenhöhe“ formuliert werden sollte. In der Regel tritt die öffentliche Verwaltung Bürgern in einer Beziehung der Über-/Unterordnung gegenüber (Franz, 2013, S. 491).
Bei der Verwaltungskommunikation zur Zusammenarbeit nach politischen Entscheidungen geht es nicht mehr um ein mögliches Gestaltungspotenzial, sondern darum, wie Beschlossenes umgesetzt und dies nach außen kommuniziert werden kann. Daher steht die Präsentation von Ergebnissen und Dokumenten im Vordergrund, die beispielsweise den Vollzug von Gesetzen und Verordnungen oder die Nutzung von Fördermitteln thematisieren. Externe Akteure werden dort, wo es sinnvoll erscheint und Mehrwerte erzielt werden können, in die Kommunikation eingebunden und zur Zusammenarbeit bei der Umsetzung aufgerufen. Ziele und Zwecke der Kommunikation sind daher andere als bei der Bürgerbeteiligung.
Überzeugende Öffentlichkeitsarbeit wird daher zu einem zentralen Ausgangspunkt für eine offene Zusammenarbeit. Dazu zählen die Pressearbeit in Form von Anzeigen, Berichten und Pressekonferenzen, die klar aufzeigen, wo und wann Bürger und Partner zu einer Zusammenarbeit eingeladen werden. Der Aufbau und die Pflege einer dazugehörigen Internet-Präsentation (Online-PR) kann hier ebenso sinnvoll sein, genauso wie die Mediengestaltung in Form von Broschüren oder Newslettern. Auch auf Konferenzen, Tagungen oder Tagen der offenen Tür kann auf Formen der Zusammenarbeit öffentlichkeitswirksam aufmerksam gemacht werden (Franz, 2013, S. 496).

6.2.2 Zusammenarbeit mit externen Akteuren

Zusammenarbeit mit externen Behörden
Mit externen Behörden kann sowohl im nationalen als auch im internationalen Kontext zusammengearbeitet werden. Beispielsweise werden die grenzüberschreitenden Kooperationen zwischen Regionen und Städten seit über 30 Jahren durch das Interreg-Programm (2021) unterstützt. Dabei werden die drei Schwerpunkte der grenzübergreifenden Zusammenarbeit (Ausrichtung A), der transnationalen Zusammenarbeit (Ausrichtung B) sowie der interregionalen Zusammenarbeit (Ausrichtung C) unterschieden. Die Verwaltung liegt dabei bei den Vertretern der nationalen und regionalen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten. Gemeinsam mit den beteiligten Kommunen, Wirtschafts- und Sozialpartnern und Nichtregierungsorganisationen werden die Entwicklungsprioritäten definiert, die Projekte umgesetzt und anschließend evaluiert. Das Programm Interreg V Oberrhein (2021) ist ein Beispiel für ein grenzüberschreitendes Kooperationsprogramm (Ausrichtung A) in der französisch-deutsch-schweizerischen Grenzregion. Ebenso trägt das Interreg Alpenrhein, Bodensee und Hochrhein (2021) zur weiteren Vernetzung in der deutsch-schweizerischen Grenzregion bei. Ein in diesem Rahmen gefördertes Projekt ist die Smart Government Akademie Bodensee (2021), die zum Ziel hat, Chancen für die Verwaltung von morgen zu nutzen als auch die damit zusammenhängenden Herausforderungen anzugehen. Neun Städte und Gemeinden aus Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie vier Hochschulen rund um den Bodensee beteiligen sich an einem Austausch zur smarten Verwaltung, um voneinander zu lernen.
Zusammenarbeit mit Wirtschaft
Staat und Verwaltung können ebenso von einer Zusammenarbeit mit Akteuren aus der Wirtschaft profitieren, etwa auf inhaltlicher Ebene durch den Austausch zu aktuellen Themen. Einige Startups zählen zu den Vorreitern der Digitalisierung. Sie zeichnen sich durch innovatives und agiles Arbeiten aus. Auch öffentliche Verwaltungen können im Rahmen der Kooperation mit Startups neue Methoden des Zusammenarbeitens erlernen und übernehmen. Zur Zusammenarbeit bieten sich insbesondere GovTech-Startups oder RegTech-Startups an, die sich mit digitalen Lösungen im Kontext von öffentlichen Verwaltungen, Einrichtungen oder Dienstleistungen beschäftigen. Beispielsweise unterstützt das Startup HawaDawa (2021) Städte in ihrem Luftqualitätsmanagement. Das Startup Polyteia (2021) erstellt intelligente Steuerungsplattformen durch offene Verwaltungsdaten.
Zusammenarbeit mit Wissenschaft
Für eine funktionierende Verwaltung ist der Wissenstransfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus den wissenschaftlichen Institutionen von großer Bedeutung. In Deutschland werden nicht nur Universitäten und Hochschulen als Partner geschätzt, sondern auch die Alexander von Humboldt-Stiftung, der Deutsche Akademische Austauschdienst, die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft, die Nationale Akademie der Naturforscher Leopoldina und der Wissenschaftsrat. Vor allem über Beiräte, wissenschaftliche Begleitforschungen und gutachterliche Stellungnahmen kann die vorhandene Expertise an verschiedenen Stellen wertvoll eingebunden werden und Mehrwerte für die Verwaltungspraxis generieren.
Zusammenarbeit mit Bürgern und Zivilgesellschaft
Die staatsbürgerlichen Pflichten wie die Steuerpflicht, die Meldepflicht und die Schulpflicht sind wesentliche Grundlagen staatlichen Handelns, denn sie verpflichten die Bürger zur aktiven Mitwirkung bei öffentlichen Aufgaben. Durch die ehrenamtliche Mitwirkung der Bürger bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben können Staat und Verwaltung zusätzlich entlastet und das Gemeinwesen gestärkt werden. Unter das ehrenamtliche Engagement der Bürger fallen auch der freiwillige Dienst in der Bundeswehr, der freiwillige Polizeidienst/Sicherheitswacht (in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Sachsen) und die freiwillige Feuerwehr. Ebenso wird auf ehrenamtliche Richter und Honorarkonsule gesetzt. Bürgerschaftliche Organisationen wie das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (2021) bilden eine Plattform zur Stärkung von bürgerschaftlichem Engagement
Auch das digitale Ehrenamt bietet Bürgern eine Möglichkeit zusammen mit der Verwaltung an Lösungsansätzen zu arbeiten. Das digitale Ehrenamt umfasst freiwillige Entwicklungsleistungen und Unterstützung von Digitalisierungsprojekten, die das Ziel verfolgen, der Öffentlichkeit Informationen und Daten zur Verfügung zu stellen und anschließend zu nutzen (Beck & Stember, 2019). Eine Art des digitalen Ehrenamts ist die „Bürgertechnologie“, im umgangssprachlichen Anglizismus auch als Civic Technology (Civic Tech) bezeichnet. Es beinhaltet die Entwicklung digitaler Anwendungen von Bürgern für Bürger, die meist sozialinnovativer Natur sind. Ziel ist es, die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft zu erhöhen, sich an der öffentlichen Politik zu beteiligen und durch soziale Innovation einen gesamtgesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen (OKF, 2016). Beispiele für deutsche Civic Tech Projekte sind der BONN-O-MAT (2021) oder die DemocracyApp (2021). Hinter diesen Anwendungen können einzelne, engagierte Zivilpersonen oder Vereine stehen. Kampagnen wie Code for Germany streben danach Engagement in den digitalen Raum zu bringen und vor Ort Programmierer zu mobilisieren, die in ihrer Freizeit IT-Lösungen für die jeweilige Stadt entwickeln (OKF, 2021a).

6.3 Offene Innovation und offene gesellschaftliche Innovation

Das Konzept der offenen Innovation hat sich in der Wirtschaft bereits etabliert. Doch wie sieht es im öffentlichen Sektor aus? In diesem Abschnitt wird offene Innovation vorgestellt und die mögliche Anwendung in Staat und Verwaltung thematisiert.

6.3.1 Offene Innovation (Open Innovation)

Das Konzept „Open Innovation“ wurde vom US-amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler Henry W. Chesbrough, 2003 entwickelt. Er formulierte damit eine Antwort auf die möglichen Nachteile eines geschlossenen Systems der Innovationsentwicklung. In geschlossenen Systemen werde, so die Annahme, nur auf das geistige Eigentum des jeweiligen Unternehmens zurückgegriffen und nur Ideen selektiert und weiterverfolgt, die aus Unternehmenssicht Erfolgspotenziale aufweisen Abb. 6.2. Auch bei der weiteren Entwicklungsphase würde nur das interne Wissen der Mitarbeitenden einbezogen werden (Chesbrough, 2003, S. 21 ff.). Dies führe dazu, dass in geschlossenen Systemen Potenziale nicht vollständig genutzt, Innovationsprojekte nicht immer bis zum Ende durchgeführt werden können und nur wenige Innovationen letztendlich den Markt erreichen. Ideen der verworfenen Projekte werden nicht nach außen kommuniziert und oft nicht weiterverwendet.
Das Prinzip der Offenen Innovation beziehungsweise Open Innovation bezeichnet in der Betriebswirtschaft die Öffnung von Innovationsprozessen einer Organisation Abb. 6.3. Zur Stärkung der eigenen Innovationskraft wird auf eine Erweiterung des Kreises potenzieller Ideengeber und Ideennutzer gesetzt. Dadurch können auch externe Akteure ihr Wissen, ihre Ideen oder Produkte in den Innovationsprozess der jeweiligen Organisation einbringen (externe Innovationsressourcen). Gleichzeitig lassen sich intern generierte Ideen von weiteren Akteuren nutzen. Gemeinsam werden bestehende Ansätze weiterentwickelt und veredelt. Dabei können auch Entwicklungspartnerschaften für bestimmte Produkte entstehen und neue Märkte erschlossen werden. Unternehmen, die dies aufgegriffen haben und Produkte durch potenzielle Konsumenten mitentwickeln lassen, sind beispielsweise Tchibo, Lego oder das Schweizer Unternehmen Migros.

6.3.2 Offene gesellschaftliche Innovation (Open Societal Innovation)

Im Rahmen des IBH-Projektes eSociety Bodensee 2020 der Universität Liechtenstein, der Hochschule St. Gallen sowie der Zeppelin Universität wurde thematisiert, wie diese Ansätze auf Staat und Verwaltung übertragen werden können. Diese Gedanken wurden in die Seealemannische Definition von offener gesellschaftliche Innovation überführt (von Lucke et al., 2012).
Definition: Offene gesellschaftliche Innovation
Adaption und anschließende nachhaltige Nutzung geeigneter betriebswirtschaftlicher Open-Innovation-Ansätze zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen durch Staat und Gesellschaft (von Lucke et al., 2012).
Bei der offenen gesellschaftlichen Innovation sind die öffentliche Verwaltung, zivilgesellschaftliche Gruppen oder Einzelpersonen mögliche Akteure, die gemeinsam Ideen entwickeln, um Lösungen für akute gesellschaftliche Herausforderungen und VUCA-Probleme zu finden. Zur Visualisierung des Ablaufs einer koordinierten Zusammenarbeit im Rahmen von offener gesellschaftlicher Innovation bietet sich das Rollenmodell aus dem eSociety Bodensee 2020 Forschungsprojekt Abb. 6.4. (Raffl et al., 2014b) an. Der jeweilige Ideen- oder Auftraggeber stellt ein Problem in den Raum. Die Koordination des Ideenwettbewerbs übernimmt der sogenannte „Betreiber“. Dieser ist auch dafür zuständig, ob ein Moderator durch den Prozess führt und dass Beitragende Lösungen einbringen. Die erarbeiteten Vorschläge werden an einen Entscheider oder eine Gruppe von Entscheidern übergeben. Diese stellen sich der Frage, ob das Problem mit einer der vorgeschlagenen Lösung zufriedenstellend gelöst werden kann. Wird eine passende Problemlösung gefunden und ausgewählt, wird die Umsetzung einem Ausführenden übertragen. Dies kommt den Begünstigten zugute. Ein Gutachter bewertet den Prozess und seine Umsetzung von außen. Ein Berichterstatter informiert die Öffentlichkeit über den Stand des Verfahrens.
In der Praxis gibt es zahlreiche Beispiele für Ansätze von offenen gesellschaftlichen Innovationen. Ein bekanntes Beispiel lieferte Peter Dienel‘s Planungszelle bereits im Jahre 1979. Das Beratungs- und Partizipationsverfahren ermöglicht die Teilhabe von Bürgern an Planungs- und Entscheidungsprozessen, indem sie mit einer konkreten Aufgabe beauftragt werden und gemeinsam innovative Lösungen entwickeln (Dienel, 2002). Parallelen bestehen hier zum Konzept des Design Thinking, welches in den 1990er-Jahren an der Stanford University in Kalifornien entwickelt wurde. Auch hier werden interdisziplinäre Personengruppen mit dem Erarbeiten von Lösungen beauftragt, indem die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe in den Vordergrund gestellt werden.
Die öffentliche Verwaltung greift in Digitalisierungslaboren zum Onlinezugangsgesetz (OZG) auf innovative Ansätze wie Ko-Kreation zurück, in denen durch Schöpfungsprozesse gemeinsam mit den potenziellen Nutzern Produkte, Dienstleistungen oder Prozesse designt werden. Die Arbeitsergebnisse werden offen und transparent kommuniziert (OZG, 2021). Ebenso setzt die Bundeswehr im Rahmen des Cyber Innovation Hub auf die Einbindung von Soldaten, Reservedienstleistenden, zivilen Angestellten und externen Start-ups, um digitale Innovationen voranzutreiben und auf ihre Eignung zu prüfen (Bundeswehr, 2021). Im kommunalen Bereich finden sich weitere Ansätze, um Impulse von Bürgern in die öffentliche Verwaltung einzubringen. Das Verschwörhaus in Ulm (2021) ist ein Innovationslabor für die Zivilgesellschaft, um dort eigene Themen zu setzen und den Austausch mit der Stadtverwaltung zu pflegen. Die Räumlichkeiten werden dafür von der Stadt zur Verfügung gestellt. Der Kreativraum der Stadt Ulm hingegen fördert die interdisziplinäre und innovative Zusammenarbeit innerhalb der Stadtverwaltung.
Ein ähnlicher Ansatz wird mit der britischen Geovation Challenge verfolgt (Geovation, 2021). Die britische Vermessungsverwaltung stellt gezielt offene Geodaten bereit und fordert dazu auf, Lösungsvorschläge zu gesellschaftlich relevanten Fragestellungen zu entwickeln: Wie kann sich Großbritannien selbst ernähren? Wie können wir das Transportwesen in Großbritannien verbessern? Bei diesen Innovationswettbewerben wird zunächst auf einem Workshop das Potenzial gemeinsam erarbeitet. Die Teams mit den vielversprechendsten Vorschlägen werden dann zu einem Barcamp eingeladen, um ihre Ideen einer Expertenjury vorzustellen. Die Gewinner erhalten eine Startkapitalförderung und Betreuung durch die Wirtschaftsförderung (von Lucke, 2019, S. 352).
Zu den offenen Innovationsformaten kann der Prototype-Fund gezählt werden (OKF, 2021b). Dieser fördert Programmierer über sechs Monate für die Entwicklung einer Open Source Software. Von 2016 bis 2024 werden in 16 Förderrunden jeweils bis zu 25 Projekte unterstützt und die entwickelten Lösungen frei zugänglich zur Verfügung gestellt. Ein weiterer Ansatz von offenen Innovationsformaten zeigten die Hackathons „WirvsVirus“ (Bundesregierung, 2020) und „Update Deutschland“ (Bundesregierung, 2021). Während ersterer vor allem darauf abzielte, die Zivilgesellschaft bei dem Finden von Lösungen im Umgang mit der Corona-Pandemie mit einzubinden, zielte „Update Deutschland“ mit seinem Umsetzungsprogramm darauf ab, nachhaltige Lösungen zu schaffen und zu etablieren.

6.4 IT-unterstützte Zusammenarbeit 1.0–5.0 & offene Formen

Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien eröffnen vollkommen neuartige Möglichkeiten für die koordinierte Zusammenarbeit von Personen oder Organisationseinheiten. Der folgende Abschnitt beleuchtet offene Formen der IT-unterstützten Zusammenarbeit wie gemeinsame Daten, gemeinsame Informationen, gemeinsames Wissen, gemeinsame Arbeitskraft und gemeinsame Finanzierung.

6.4.1 IT-unterstützte Zusammenarbeit

In Anlehnung an das Häfler-Stufenmodell Abschn. 1.​2 lässt sich auch die IT-unterstützte Zusammenarbeit in fünf Stufen unterteilen. Zusammenarbeit 1.0 meint die elektronische Zusammenarbeit, also klassische Wege der webbasierten Kommunikation wie E-Mail oder einfache Formulare. Zusammenarbeit 2.0 umschreibt eine offene Zusammenarbeit, bei der digitale Werkzeuge relativ einfach in der Nutzung und Handhabung sind. Unter Zusammenarbeit 3.0 wird eine datenbasierte Zusammenarbeit verstanden. Zusammenarbeit 4.0 beschreibt eine smarte Zusammenarbeit auf Basis von smarten Objekten und cyberphysischen Systemen, die die Abläufe erheblich vereinfachen. Zusammenarbeit 5.0 skizziert eine Zusammenarbeit in Echtzeit, indem die Möglichkeiten des taktilen Internets intensiv genutzt werden.

6.4.2 Offene Formen der IT-gestützten Zusammenarbeit

IT-gestützte Zusammenarbeit erlaubt es Organisationseinheiten sich für weitere Akteure zu öffnen. So können offene Formen der Zusammenarbeit (Open Collaboration) realisiert werden, indem die gruppeninternen Dienste zur Information, Kommunikation und Zusammenarbeit für Dritte geöffnet werden. Auch dies kann behördenintern, verwaltungsintern, mit Partnern oder komplett öffentlich angelegt werden.
Gemeinsame Daten
Offene Daten können für viele Formen der Zusammenarbeit eine Grundlage legen. Im betriebswirtschaftlichen Bereich wird die gesetzliche Pflicht für Unternehmen, nicht-personenbezogene oder anonymisierte Daten zur Nutzung durch Dritte offen zu legen, als geeignetes Instrument gegen Monopolisierungstendenzen und zur Steigerung der Wohlfahrts- und Innovationseffekte seit langem diskutiert (vgl. BMAS, 2021). Auch im öffentlichen Bereich stellt sich die Frage, wie Datenbestände aus dem öffentlichen Sektor weiter geöffnet und vernetzt werden können, um die Zusammenarbeit intern, aber auch mit externen Akteuren zu erleichtern Kap. 3. Die Open Street Map (2021) setzt auf gemeinsame offene Geodaten und ermöglicht allen Nutzern, Daten hinzufügen, zu ergänzen oder zu aktualisieren. Offene Nutzungs- und Einsatzrechte ermöglichen die Verwendung der OSM-Kartendarstellung auch in anderen Bereichen, wie etwa Bürger- oder Regio-Wikis. Gemeinsame und offene Forschungsdaten werden durch Ansätze im Open-Access-Bereich nutzbar gemacht und eröffnen große Potenziale für die Zusammenarbeit in Wirtschaft, Verwaltung, Gesellschaft, aber auch in Kunst und Kultur. Smarte IoT-Datenplattformen, Big Data und (urbane) Datenräume sowie digitale Zwillinge bieten weitere Perspektiven zur gemeinsamen Datennutzung.
Gemeinsame Informationen
Die Bereitstellung von Informationen und deren gemeinsame Verwendung, Weiterverarbeitung, Verwertung und Verteilung kann durch geeignete Werkzeuge erheblich vereinfacht werden. Ein Beispiel, wie durch kollaborative Ansätze aus Daten Informationen für die Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden können, bietet die Wheel Map (2021). Das Projekt der Sozialhelden e.V. (2021) basiert auf der Open Street Map und gibt Nutzern in verschiedenen Sprachen die Möglichkeit zu hinterlegen, welche Orte für Menschen mit Rollstuhl zugänglich sind. Mit diesen gemeinsamen Informationen lässt sich das Leben für Menschen mit Rollstuhl sehr viel besser organisieren.
Gemeinsames Wissen
Das Wissen von Personen und Organisationen basiert auf Daten und einer zweckorientierten Vernetzung von Informationen. Zugleich ist es die Grundlage für das Können, das Handeln und die Kompetenzen einer Organisationseinheit Zunächst geht es um das Zurverfügungstellen von Wissen. Anschließend erfolgt der Zugriff auf das kollektive Wissen, die Erfassung und Speicherung (Wissensbilanz), die Entwicklung und Veredlung (Wissensschätze) sowie die Nutzung und Weitergabe (Wissenstransfer). Staat und Verwaltung müssen damit rechnen, dass Bürger von sich aus auf Basis vorhandener, zugänglicher Daten und Dokumente eigene offene Wissensmanagementsysteme aufbauen. Beispielsweise ist an die gemeinsame Programmierung von Open Source Software zur Lösung bestimmter Aufgabenstellungen auf Basis offener Daten und öffentlich publizierten Informationen zu denken. Die Herausforderung bleibt, wer und wie solche unentgeltlich tätigen Freizeitaktivisten im Internet überhaupt motiviert und wie sie vor Ort koordiniert werden können (von Lucke, 2012, S. 23).
Gemeinsame Arbeitskraft
Ein Ansatz zur digitalen Nutzung von gemeinsamer Arbeitskraft ist Crowd Sourcing (Schwarmauslagerung). Hier wird das Potenzial einer unbekannten, heterogenen Masse an Akteuren über das Internet genutzt, um Lösungen für komplexe Aufgaben und Probleme zu generieren, an denen eine kleinere Gruppe scheitern würde. Zu denken wäre etwa an die Erstellung von Inhalten, die Programmierung, die Bewertung oder die Generierung von Innovationsimpulsen. Beispielsweise kann über den Tasking Manager (2021) die Kartierung von Flächen, in denen es noch keine Geodaten und Karten gibt, vorgenommen werden. Dazu nutzen Freiwillige Satellitenbilder, um Gebäude, Fahrbahnen und andere Objekte in der OpenStreetMap zu kartieren. Die Daten werden validiert und zur Nutzung, etwa durch humanitäre Organisationen, zur Verfügung gestellt. Ein weiteres Beispiel bieten die Webseiten zur Plagiatsdokumentationen wie GuttenPlag (2021) oder VroniPlag (2021), die die kritische, kollaborative Auseinandersetzung von Hochschulschriften ermöglichen. Bürgerwissenschaft (Citizen Science) ist ein Beispiel für die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft und der öffentlichen Verwaltung. Dabei werden Bürger in verschiedenen Phasen eines Forschungsprozesses an der Bearbeitung gesellschaftlich relevanter Forschungsfragen aktiv beteiligt. Die Zusammenarbeit kann innerhalb von frei initiierten Projekten oder unter Anleitung durch wissenschaftliche Einrichtungen erfolgen und hat die Schaffung neuer Erkenntnisse und neuen Wissens zum Ziel. Die zentrale Plattform für Citizen-Science-Projekte in Deutschland Bürger schaffen Wissen (2021) präsentiert, vernetzt und unterstützt Projekte in diesem Bereich.
Gemeinsame Finanzierung
Viele öffentliche Haushalte auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene verfügen über geringe finanzielle Spielräume. Jenseits der klassischen Haushaltsfinanzierung erscheinen neue Formen einer offenen gemeinsamen Finanzierung aus der Bevölkerung, im Sinne eines Crowd Funding, attraktiv. Dabei wird durch eine anonyme Masse privater Geldgeber eine Anschubfinanzierung von Vorhaben übernommen. Über Crowd-Funding-Plattformen wie Go fund me (2021) wird auf diese förderwürdigen Projekte aufmerksam gemacht und durch Privatleute werden beliebige Beiträge zur weiteren Finanzierung bereitgestellt. Gelingt es, die Zielsumme über die Plattform zu erreichen, wird das Geld überwiesen und das Projekt umgesetzt. Scheitert die Sammelaktion an der Höhe der Einnahmen, fließen die Beträge an die potenziellen Geldgeber zurück (Pütz, 2012, S. 67 ff. in von Lucke, 2012, S. 7). Eine weitere Möglichkeit, insbesondere zur Finanzierung von Projekten im kulturellen Bereich, besteht in Geldspenden. Bürger spenden beliebige Geldbeträge aus ihrem Vermögen, ohne finanzielle Rückflüsse zu erwarten. Idealtypisch können sie die Spenden steuerlich absetzen. Der Spender selbst nimmt auf die Verwendung der Mittel keinen weiteren Einfluss. Crowd Funding Plattformen wie Startnext (2021) und Pling (2021) fördern Künstler und deren Projekte. Eine bedeutende Spendenplattform ist Betterplace.org (2021), die Spender an Hilfsprojekte und Spendenaktionen vermittelt (von Lucke, 2012, S. 7). Bei der Bürgerkreditfinanzierung stellen Bürger Geldbeträge aus ihrem Vermögen für die Umsetzung eines Vorhabens befristet als Kredit bereit. Sie erwarten eine Rückzahlung einschließlich einer attraktiven Verzinsung. Eine Spende der Zinsen wäre prinzipiell möglich. Bürgerkredite zur Realisierung lokaler Vorhaben bieten Renditevorteile für Zinsgeber, Zinsvorteile für Zinsnehmer und eine Gewinnmarge für den Kreditvermittler, der mit einer Bank zusammenarbeitet. (von Lucke, 2012, S. 7). Stiften Bürger Teile ihres Vermögens zum Aufbau einer unabhängigen gemeinnützigen Bürgerstiftung, können deren künftige Aktivitäten die kommunalen Haushalte entlasten. So soll die Wahrnehmung freiwilliger kommunaler Aufgaben im sozialen und kulturellen Bereich nachhaltig und dauerhaft sichergestellt werden. Beispielsweise profitiert die Stadt Friedrichshafen schon seit über 100 Jahren von der Zeppelin-Stiftung, auch wenn sie ursprünglich einen anderen Hintergrund besaß. Die Initiative Bürgerstiftungen (2021) informiert und berät Bürgerstiftungen, Gründungsinitiativen und Einzelpersonen (von Lucke, 2012, S. 7).

6.5 Werkzeuge für offene gesellschaftliche Innovation

Um offene gesellschaftliche Innovation in Staat und Verwaltung umzusetzen, können unterschiedliche Werkzeuge verwendet werden. Oftmals haben die jeweiligen Akteure jedoch keinen Überblick, welche Anwendungen für welche Zwecke genutzt werden können. Für mehr Transparenz wurde im Rahmen der Forschungstätigkeit im Projekt „eSociety Bodensee 2020 – Offene gesellschaftliche Innovation in der Bodensee-Region“ die Datenbank TosiT – Toolbox for Open Societal Innovation (2021) aufgesetzt. Die TosiT sammelt und bewertet (Veranstaltungs-)Formate, Methoden, Dienste, Werkzeuge und konkrete Anwendungsbeispiele, die offene gesellschaftliche Innovation ermöglichen, befördern und beschleunigen. Gesammelt werden vorbildhafte Umsetzungen in den Kategorien Werkzeuge, Projekte und Innovationslabore.
Mit Blick auf Werkzeuge lässt sich die TosiT-Datenbank nach Interaktionsgrad, Innovationsphasen und der Raum-Zeit-Matrix auswerten. Durch die Filterfunktion können Nutzer ihre Suche begrenzen. Hinterlegt sind Werkzeuge, die Ideen sammeln, Probleme sammeln, Probleme lösen, Design gestalten, Innovationsmanagement unterstützen, offene Daten aufbereiten, Zukunftsfragen angehen sowie gängige Web 2.0- und Social Media-Anwendungen integrieren. Die Zuordnung in Werkzeugklassen erfolgt praxisbasiert nach dem jeweiligen Verwendungszweck. Weitere Ausführungen und Erklärungen zur TosiT finden sich im Handbuch der TosiT (Raffl et al., 2014a).
Darüber hinaus liefert die TosiT einen Überblick über vorbildhafte Projekte im Bereich offener gesellschaftlicher Innovation. Diese Sammlung soll Denkanstöße für geplante Vorhaben bieten. Mittlerweile wird auch eine Liste mit Innovationslaboren im öffentlichen Sektor gepflegt. Innovationslabore sind reale oder virtuelle Räume, die als Ideenschmiede für Lösungsansätze in der öffentlichen Verwaltung fungieren und so Raum für offene Innovationen eröffnen.

6.6 Zusammenarbeit mit künstlicher Intelligenz

Aufbauend auf den sich durch Methoden, Werkzeugen und Anwendungen der künstlichen Intelligenz ergebenden Ansätzen stellt sich die Frage, wie auch diese die offene Zusammenarbeit von und zwischen Personen sowie Organisationen substanziell verbessern können. Dazu bietet es sich an, die in Abschn. 5.​5.​1 bereits vorgestellten KI-basierten sieben Basisanwendungen genauer zu betrachten. Sie wirken für jede Form der Zusammenarbeit unterstützend und entlasten die Akteure vor allem von Routinetätigkeiten.
KI-basierte Wahrnehmung
Bei der KI-basierten Wahrnehmung geht es zunächst nur um eine Mustererkennung von Umweltveränderungen, Einstellungen und Emotionen auf Basis von (Sensor-)Daten. Dazu kann man sich etwa digitaler Kameras, Mikrofone oder anderer eingehender Datenströme bedienen. Werden in diesen Datenbeständen relevante Muster erkannt, so lassen sich Dokumente, Bildsequenzen oder Situationen bestimmten Kategorien zuordnen, die wiederum für bestimmte Wahrnehmungsfähigkeiten stehen. Einzelne Daten können so automatisiert Ereignissen, Klassen oder emotionalen Einstellungen zugeordnet werden. Bei gleichzeitiger personeller Entlastung lässt sich so eine Wahrnehmung für verschiedenste Aufgaben und Zwecke realisieren (vgl. Etscheid et al., 2020, S. 11). Beispielsweise kann eine künstliche Intelligenz ein Interesse an Objekten, Themen oder Ereignissen im Internet oder in der Öffentlichkeit wahrnehmen und darüber einer Gruppe an Interessierten berichten.
KI-basierte Benachrichtigung
KI-basierte Benachrichtigungen stehen für ein ganz bestimmte Reaktionen von KI-Systemen auf eine Wahrnehmung. Sobald bestimmte Muster, Ereignisse oder Emotionen erkannt werden, können Anwender gezielt und automatisiert benachrichtigt werden. Entsprechend der hinterlegten Kategorien werden Anwender so auf Ereignisse oder Zustände hingewiesen, damit sie zeitnah angemessen darauf reagieren können (vgl. Etscheid et al., 2020, S. 11). So kann eine Zusammenarbeit initiiert oder fortgesetzt sowie bestimmte Gruppenmitglieder informiert werden.
KI-basierte Empfehlung
KI-basierte Empfehlungen erweitern eine Datenauswertung dahingehend, dass über die Darstellung des aktuellen Standes dem Anwender auch Handlungsempfehlungen gegeben werden. Dazu ist nicht nur eine Kategorisierung der Daten erforderlich. Zudem muss der wahrgenommene Ist-Zustand mit einem Soll-Zustand abgeglichen werden, um anhand der festgestellten Abweichung fundierte Empfehlungen zum Erreichen des Soll-Zustands geben zu können (vgl. Etscheid et al., 2020, S. 11). Solche Empfehlungen können die Zusammenarbeit in Gruppen vereinfachen, etwa, wenn eine KI darüber die Gruppe zu bestimmten Aktivitäten motiviert, wodurch die gemeinsamen Ziele leichter erreicht werden können.
KI-basierte Vorhersagen und Prognosen
Weiterhin lässt sich eine KI auch zur Erstellung von Vorhersagen und Prognosen verwenden. Ausgehend von den in den Daten erkannten Mustern werden Vorhersagen zur künftigen Entwicklung abgeleitet, welche dem Anwender in einem angemessenen Detailgrad ausgegeben werden. Diese basieren vor allem auf Vergangenheitswerten (vgl. Etscheid et al., 2020, S. 11). Vorhersagen und Prognosen können Gruppen helfen, bessere Einschätzungen über die Folgen bestimmter Aktivitäten oder ihrer Zusammenarbeit zu gewinnen.
KI-basierte Vorsorge: Infrastruktur & Medizin
Für eine KI-basierte Vorsorge wird die Prognose mit dem Soll- und dem Ist-Zustand verglichen. Werden dabei prognostizierte Abweichungen erkannt, können frühzeitig Empfehlungen oder Warnhinweise mit der Bitte um Behebung an die Bearbeiter und Betroffenen gegeben werden (vgl. Etscheid et al., 2020, S. 12). Technische Systeme lassen sich so effektiver warten, indem frühzeitig auf Abweichungen oder Schäden reagiert werden kann. Menschen und Patienten kann der Besuch eines Arztes nahegelegt werden, sollten Vitalwerte von Normwerten abweichen. Von solchen Hinweisen könnte auch der Koordinator einer Gruppe profitieren, sollte es spürbare Warnzeichen für Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit oder Zielerreichung geben.
KI-basierte selbstständige Entscheidungsfindung
Neben den entscheidungsunterstützenden Fähigkeiten kann eine KI auch über Fertigkeiten zum Treffen selbstständiger Entscheidungen verfügen. Hierbei wird der Entscheider nicht mehr durch Datenauswertungen oder Prognosen in seinem Entscheidungsprozess unterstützt. Vielmehr reagiert das System auf die Daten mit eigenständig getroffenen bindenden Entscheidungen, sodass der Anwender oder die Gruppe (und damit der Mensch) völlig aus dem Vorgang herausgenommen wird (vgl. Etscheid et al., 2020, S. 12). Gruppen können von einer solchen KI profitieren, wenn diese bestimmte Aufgaben im Rahmen der Zusammenarbeit übernimmt oder Entscheidungen im Sinne der Gruppe transparent herbeiführt, die akzeptiert und dann gemeinsam umgesetzt werden.
KI-basierte Situationswahrnehmung in Echtzeit
Die Datenauswertung kann im Rahmen einer KI-basierten Situationswahrnehmung auch in Echtzeit erfolgen und so zu zeitnah getroffenen Entscheidungen führen. Dazu müssen die oben dargestellten Fähigkeiten innerhalb von Millisekunden ausgeführt werden. Solche KI-basierten Systeme können dann nahezu sofort eine Situation bewerten und rasch mit Hinweisen, Alarmen, Prognosen oder Entscheidungen reagieren (vgl. Etscheid et al., 2020, S. 12). Im Rahmen einer Zusammenarbeit würde dies die Gruppendynamik erheblich intensivieren, da alle Mitglieder jederzeit mit Hinweisen, Alarmen, Prognosen oder getroffenen bindenden Entscheidungen des KI-Systems rechnen müssten.
Systeme mit künstlicher Intelligenz verfügen somit über das Potenzial, bestehende Formen einer Zusammenarbeit von Menschen durch ausgewählte KI-basierte Ansätze substanziell zu verbessern.
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Literature
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Metadata
Title
Zusammenarbeit 2.0
Authors
Jörn von Lucke
Katja Gollasch
Copyright Year
2022
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-36795-4_6