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01.10.2018 | Energie + Nachhaltigkeit | Interview | Online-Artikel

"Integrierter systemischer Ansatz bei Verkehrswende gefragt"

verfasst von: Nico Andritschke

4 Min. Lesedauer

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Ein ganzheitliches Systemverständnis plus gestalterisches Denken und Handeln sind von Kommunen und politischen Entscheidern bei der Gestaltung der Verkehrswende gefragt, sagt Dr. Florian Herrmann.


Springer Professional: "Gemeinschaftlich-e-Mobilität" war das Thema eines 2014 abgeschlossenen sogenannten Übermorgen-Projekts von Instituten der Fraunhofer Gesellschaft. Wie beurteilen Sie die Diskussionen zur Verkehrswende und den dabei erreichten Stand in der Praxis in 2018?

Florian Herrmann: Seit damals hat sich vieles getan – einerseits ging es mit der Elektromobilität und dem Aufbau entsprechender Ladeinfrastrukturen zunächst schleppender voran als damals gedacht und Carsharing hat sich nicht als die optimale Lösung urbaner Verkehrsproblem entpuppt. Anderseits haben gerade in den vergangenen Jahren die beiden Themen der Vernetzung und der Automatisierung von Fahrzeugen ungeahnte Potenziale mit sich gebracht. Die dringend nötige Verkehrswende kann unserer Meinung nach aber nur mit einem integrierten systemischen Ansatz gelingen, der zum einen verschiedene technologische Innovationen an der Schnittstelle von Mobilitäts- und Energiesystem zusammenführt und zum anderen gemeinsam von Industrie, Kommunen, Wissenschaft und Politik gestaltet und verwirklicht wird.

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Mit der erheblichen weltweiten Steigerung der Lebensqualität in den letzten Jahren ist auch die Abhängigkeit des Menschen von technischen Infrastrukturen und deren Teilsystemen gestiegen. Neben den Sektoren Energie und Transport/Verkehr zählen auch Informationstechnik und Telekommunikation sowie die Wasserversorgung zu den überlebensnotwendigen technischen Basisinfrastrukturen.

Gemeinschaftliche Mobilität in Ballungszentren muss umweltfreundlicher, energie- und ressourceneffizienter organisiert werden. Welche innovativen Konzepte werden dazu bei der Fraunhofer Gesellschaft entwickelt?

Innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft erforschen und entwickeln wir Technologien und Systemkonzepte in den verschiedensten Bereichen. Alleine am Beispiel von "Gemeinschaftlich-e-Mobilität" kann ich Ihnen bidirektionales induktives Laden, Effiziente Ladestrategien für Fahrzeugflotten, stadtintegrierte Ladeinfrastrukturen, hochpräzise Ortungssysteme für urbane Anwendungen, Informationsoffene Cloud- und Smartphone-Anwendungen für intermodale Mobilitätslösungen oder gar ganze Fahrzeugkonzepte für Mikromobile nennen. Dabei bilden wir bei Fraunhofer die Schnittstelle zur industriellen Anwendung. In vielen Fällen zeigen wir die Machbarkeit unserer Entwicklungen insbesondere bei umfangreichen, systemischen Innovationen anhand von Demonstratoren oder Pilotanwendungen, so wie wir sie in der urbanen Mobilität benötigen. Inwiefern sich entsprechende Innovationen, die das Potenzial haben die Verkehrswende zu beeinflussen und sich als marktfähige und von Nutzern und Gesellschaft akzeptierte Lösungen entwickeln, muss in großflächigen Anwendungsprojekten erprobt werden. Deren Durchführung hängt insbesondere in Deutschland oftmals noch von sehr vielen gesetzlichen Hürden ab.

Inwieweit sind die von der Fraunhofer-Forschung entwickelten Konzepte und Technologien bereits partiell zur Realität geworden? Welche Rolle spielt die Industrie dabei?

Mit ein paar Jahren Abstand ist es interessant zu sehen, wie sich die eben aufgeführten Technologien im Sinne ihrer Marktfähigkeit entwickelt haben. So sind gerade die erforschten Systeme der lasergestützten Positionierung oder der hochpräzisen, auch indoorfähigen Ortung sehr relevant für die Automatisierung von Fahrzeugen. Gerade industrieseitig ist in den vergangenen Jahren dort vieles weiterentwickelt und bereits im Markt etabliert worden. Die induktive Energieübertragung mit hoher Leistung und damit verbundene Geschäftsmodelle werden aktuell noch beforscht. In Bezug auf die untersuchten Cloud-Lösungen für intermodale geteilte Mobilitätslösungen gibt es noch wenige etablierte Anwendungen. Allerdings sind in diesem Bereich, getrieben durch die zunehmende Digitalisierung der Mobilitätsbranchen, derzeit starke Aktivitäten sowohl bei Großkonzernen als auch bei Start-Ups zu beobachten. Auch die Mikromobilität erlebt derzeit wieder eine Renaissance in der Diskussion urbaner Verkehrslösungen, marktfähige Produkte sind aktuell jedoch nur wenige vorhanden. 

Mobilitätsforscher fordern seit Jahren die Verkehrswende, in den Kommunen geht es dennoch zögerlich voran. Was sind aus Ihrer Sicht Hemmnisse und andererseits erforderliche Schritte die jetzt von der Politik und Industrie gegangen werden müssen?

Kommunen und ihre Verwaltungsapparate sind im Grund so ausgelegt, dass sie Rahmenbedingungen für das Zusammenleben in Städten schaffen und dabei auf aufkommende Ineffizienzen oder Veränderungen reagieren. Die Vision einer urbanen Verkehrswende benötigt Kommunen aber vielmehr in einer aktiven gestalterischen Rolle, die auch eigene Konzepte und Lösungen vordenken, entwickeln und umsetzen. In dieses neue Rollenverständnis müssen sie erst hineinwachsen. Ein Beispiel ist die derzeit viel diskutierte Frage der Roboter-Taxi-Flotten. Während Städte heute nur Taxilizenzen vergeben, mit dem Betrieb der Flotten aber weitgehend nichts zu tun haben, wird offensichtlich, dass die Auslegung und der Betrieb von Roboter-Taxi-Flotten auf verschiedenen Ebenen sinnvoll in urbane Mobilitätssysteme und deren Planung integriert werden müssen, um die gewünschten Verkehrseffekte zu erzielen.

Aktuelle Studien des Freiburger Öko-Instituts und des Instituts für sozial-ökologische Forschung aus Frankfurt/Main oder auch die Schaller-Studie aus den USA zeigen, dass neue Mobilitätsdienste zu keiner Verkehrs- und Umweltentlastung beitragen. Wie beurteilen Sie die Ergebnisse?

Die zitierten Studien spielen eben genau auf die resultierenden Effekte an, wenn Verkehrssysteme und Mobilitätslösungen nicht ganzheitlich gedacht und verknüpft werden, sondern sich nach den Prinzipien der freien Marktwirtschaft verbreiten können. Die Problemstellung liegt also weniger an den neu aufkommenden Mobilitätslösungen, die für sich genommen durchaus Potenziale zur Optimierung unsere Verkehrssysteme haben, sondern vielmehr in der nahtlosen Verzahnung der neuen Angebote mit den bestehenden Strukturen. Es wird offensichtlich, dass die Leistung nicht von den Betreibern erbracht werden kann. Es bedarf vielmehr eines ganzheitlichen Systemverständnisses sowie eines aktiven gestalterischen Denkens und Handelns bei den Kommunen und politischen Entscheidern.

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