Mithilfe des Tests von Abwässern ließe sich ein Frühwarnsystem für einen Anstieg der Corona-Infektionen aufbauen. Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung erproben dies derzeit.
Klärwerke haben mehrere wichtige Funktionen. "Ziel ist die sichere und vollständige Rückhaltung von jeglichen Schmutzpartikeln, der vollständige Bakterienrückhalt und eine hohe Rückhalterate von Viren", beschreibt diese Springer-Vieweg-Autor Dirk Bohne in seinem Buchkapitel Abwasser- und Wassertechnik auf Seite 114.
Dabei kann schon im Vorfeld des Klärprozesses das Abwasser genutzt werden, um bestimmte Viren und deren Vermehrung zu entdecken.
Probe in 20 Kläranlagen
Ein Team von mehr als 20 Abwasserfachleuten, Mikrobiologen, Virologen und Modellierern des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ), der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) und der TU Dresden arbeiten bereits seit mehreren Wochen gemeinsam mit den Städten Köln, Leipzig, Dresden, dem Wasserverband Eifel-Rur und weiteren 20 Kommunen daran, repräsentative Abwasserproben zu testen. Damit wollen sie den Anteil der an SARS-CoV-2-Infizierten erkennen.
In der zweiten Maihälfte wurde mit zirka 20 Kläranlagen ein Probebetrieb mit täglicher Probenahme begonnen. "Wir werden Analysen und Modellhochrechnungen durchführen. Letztere müssen mit kleinen Fallzahlen und einer großen Dynamik des Gesamtsystems zurechtkommen und auch Aussagen zur Unsicherheit der Prognosen erlauben", sagt Georg Teutsch, der Wissenschaftliche Geschäftsführer des UFZ und Initiator des Projektes.
Ähnliche Untersuchungen wurden bereits zum Aufspüren von Drogenmissbrauch oder bei Kinderlähmungs-Impfmaßnahmen durchgeführt. Den Ausschlag für die Erforschung hierzulande gab ein Bericht niederländischer Wissenschaftler, die wenige Infizierte pro 100 000 Personen anhand des Erbguts in Abwässern aus sechs Kläranlagen zeigen konnten.
Das Potenzial der Methode ist groß: Mit Probenahmen an etwa 900 Kläranlagen könnten etwa 80 Prozent des gesamten Abwasserstroms und damit ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland täglich erfasst werden. Unmöglich ist das kaum, wenn auch aufwendig. Deswegen wird derzeit auch eine Kooperation mit anderen Forschungseinrichtungen und Kläranlagenbetreibern geprüft.
Aufwand sehr hoch
Der hohe Aufwand resultiert aus mehreren Faktoren. Es müssen selbst geringste Konzentrationen von Viren und deren Erbgut zuverlässig aufgespürt werden. Herkömmliche Nachweisverfahren sind zudem zu empfindlich, reichen andererseits für die im Abwasser stark verdünnten und nicht mehr infektiösen SARS-CoV-2-Viren nicht aus.
Um das zu bewältigen, werden drei Aufbereitungsmethoden parallel auf ihre Leistungsfähigkeit getestet: die Gefriertrocknung, die Säulenfiltration und die Polyethylenglycolfällung. Jede der Methoden hat Vor- und Nachteile. Der Vorteil der Gefriertrocknung ist, dass die aufbereitete Probe wasserfrei ist. Der Nachteil: Die Aufbereitung dauert lange. Bei den anderen Methoden sind der hohe Personal- und Materialaufwand von Nachteil. Drittens wird zur Verfeinerung der Polyethylenglycolfällung noch nach dem Erbgut-Signal eines immer in Abwasser vorhandenen, harmlosen Virus‘ gesucht, das als Referenz für die Verlässlichkeit der Methode dient.
Und: Die geringen Fallzahlen und die Dynamik des Gesamtsystems können zu starken Schwankungen der "Virenlast" im Tagesgang führen, was im Probenahmekonzept, im Modellinstrumentarium und bei Aussagen zur Unsicherheit berücksichtigt werden muss.
"Entscheidend wird die Fähigkeit sein, eine Detektionsempfindlichkeit für SARS-CoV-2 zu erreichen, die nicht erst bei hohen Zahlen von Infizierten verwertbare Ergebnisse liefert. Erste Ergebnisse stimmen uns vorsichtig optimistisch, unter den Grenzwert von 50 Infizierten je 100 000 Einwohner für das Interventionsmanagement zu kommen", sagt UFZ-Virologe René Kallies.
Bis zur Operationalisierung eines integralen Abwassermonitorings sei aber noch ein ganzes Stück Weg zu gehen, auf dem man auch so schnell wie möglich die Ergebnisse der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorstellen und diskutieren wolle.
Doch die Klärwerke sind auch ein Mittel um die Viren einzudämmen. "Die vorgenommene Einschränkung auf Teildesinfektion bezieht sich darauf, dass Bakterien durch die Ultrafiltration zuverlässig zurückgehalten werden können, jedoch für die deutlich kleineren Viren ein vollständiger Rückhalt nicht garantiert werden kann. Eine vollständige Abwasserdesinfektion könnte jedoch durch Hochdruckmembranen wie beispielsweise die Nanofiltration erreicht werden", beschreiben dies die Springer-Vieweg-Autoren Ulrich Förstner und Stephan Köster in ihrem Buchkapitel Abwasser auf Seite 333.