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07.07.2020 | Energie + Nachhaltigkeit | Im Fokus | Online-Artikel

Kohleausstieg: Ein Kompromiss, der wenige glücklich macht

verfasst von: Frank Urbansky

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Der Ausstieg Deutschlands aus der Kohleverstromung 2038 ist beschlossene Sache. Doch von dem grundlegenden Gesetz profitieren nur wenige. Die Schäden für Volkswirtschaft und Umwelt könnten immens sein.

Seit 3. Juli 2020 steht es auch rechtlich fest: Deutschland steigt 2038 aus der Kohleverstromung aus. Kritiker bemängeln vor allem die lange Frist. "Insbesondere strukturelle Änderungen werden mit zu langen Übergangsfristen versehen oder es werden zu wenige fiskalische Impulse gesetzt und oft einer Regelung durch den Markt vertraut. Ein Beispiel für Ersteres ist der Kohleausstieg", beschreiben dies die Springer-Autoren Thomas Schabbach und Viktor Wesselak in ihrem Buchkapitel Forderungen an die künftige Energiepolitik auf Seite 236. Dabei ist die Marktentwicklung schon teils weiter als die Politik.

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Denn durch die CO2-Bepreisung werden Kohlekraftwerke immer unrentabler. In Zeiten von Corona wurden sie zudem defizitär und massenhaft durch erneuerbare Energie aus dem Markt gedrängt.

In anderen europäischen Ländern ist man schon deutlich weiter. Schweden, Österreich und Belgien haben bereits die Kohleverstromung beendet. Betrachtet man jedoch den historischen Strommix, ist von diesen Ländern nur Belgien in etwa mit Deutschland vergleichbar. Noch ähnlicher – auch hinsichtlich der volkswirtschaftlichen Größe – ist Großbritannien. Hier lag der Anteil der Kohle an der Verstromung noch vor zehn Jahren bei knapp 30 Prozent. Das Vereinigte Königreich wird jedoch schon 2025 aus der Kohlenutzung zur Energieproduktion aussteigen.

Riss durch die Koalition

In Deutschland scheint ein früherer Ausstieg aus vielerlei Gründen nicht möglich. Auf der einen Seite bildete sich eine Allianz von Kraftwerksbetreibern, großen Stromkunden und Gewerkschaften, die für eine weitere Kohlenutzung bis 2038 eintraten. Auf der anderen Seite gab es die Verfechter eines schnellen Kohleausstiegs, die eher dem Beispiel Großbritanniens folgen wollten. Sie fanden eine breite Unterstützung in der Bevölkerung, etwa durch Fridays for Future oder direkt gegen die Kohlenutzung gerichtete Protestbewegungen wie "Ende Gelände". Erschwerend kam hinzu, dass sich Vertreter beider Lager in den Regierungsparteien auf Bundesebene
und in vielen Länderkoalitionen fanden. Schon allein diese Tatsache ließ aus politischer Sicht nichts anderes als einen Kompromiss zu, der nur wenige zufriedenstellt.

1,25 Millionen Euro für jeden Beschäftigten

Insgesamt werden rund 40 Milliarden Euro in die beiden betroffenen Regionen Lausitz und Rheinland gepumpt. Derzeit sind rund 32.000 Menschen in der Kohleverstromung (Tagebaue und Kraftwerke) direkt beschäftigt. Die Summe entspricht also einer Förderung von 1,25 Millionen Euro für jeden direkt Beschäftigten. Mit dem Geld sollen nicht nur neue Energiestrukturen in den Regionen aufgebaut werden, sondern auch der Wandel der Regionen an sich unterstützt werden. Die Betreiber der Kraftwerke, LEAG und RWE, werden mit insgesamt 4,35 Milliarden Euro für den vorzeitigen Ausstieg der jüngeren Kraftwerke entschädigt. Nach den Berechnungen des Öko-Instituts ist das jedoch fast eine Milliarde Euro zu viel.

Ersetzt werden soll die Kohle vor allem durch Erdgas. Im Bereich der Fernwärme, die meist aus den Kohlekraftwerken ausgekoppelt wurde, ist auch an erneuerbare Energien gedacht, jedoch nicht an deren Förderung. "Mit dem Umstieg von fossilen Kohlekraftwerken auf fossile Gaskraftwerke wechselt man von einem Klimasünder zum nächsten und legt die Investitionen auch noch für viele Jahre fest. Vor allem die unzureichende Berücksichtigung von Wärme aus erneuerbaren Energien, allen voran Geothermie, ist zu beklagen", kritisiert dies etwa Erwin Knapek, Präsident des Bundesverbands Geothermie (BVG).

"Nicht nur, dass mit dem Gesetz die Laufzeiten bereits heute unrentabler fossiler Kraftwerke künstlich verlängert und noch dazu unnötig vergoldet wurden, es fehlen auch immer noch Rechtssetzungen für einen mutigen Zubau der erneuerbaren Energien. Damit werden nicht nur die Klimaziele, sondern auch die Ausbauziele für erneuerbare Energien konterkariert", lautet das Fazit von Simone Peter, Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE).

"Leider haben sich die Regierungen in Bund und Ländern entschlossen, jenseits der vielfachen monetären Entschädigungen wesentliche Ergebnisse des Kohlekompromisses, die vor allem der Umwelt- und Klimabewegung wichtig und essentiell für die Zustimmung zum gefundenen Kompromiss waren, nicht umzusetzen. Der zwingend notwendige verstärkte Ausbau der erneuerbaren Energien wird nicht vorangetrieben", kritisiert Reiner Priggen, ehemaliges Mitglied der Kohlekommission und Vorsitzender des Landesverbandes Erneuerbare Energien NRW.

Von der Branche selbst wird das naturgemäß anders gesehen. "Mit Blick auf die Organisation des Kohleausstiegs ist es konsequent und richtig, dass die Politik die Umrüstung und den Neubau von CO2-armen Kraftwerken unterstützt und Entschädigungszahlungen für Kraftwerksstilllegungen vornimmt. Damit erkennt sie die Eigentumsrechte der Betreiber an", erklärt Kerstin Andreae, Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).

Bei der stromverbrauchenden Industrie findet der Kompromiss größtenteils Zustimmung. "Der in der parlamentarischen Debatte geänderte Gesetzentwurf schafft nun für die Stromverbraucher mehr Vertrauen. Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt zu den Netzentgelten sowie das analog dazu zu entwickelnde Entlastungsinstrument für die energieintensive Industrie wurden noch einmal gestärkt und mit einem konkreten Datum, Ende 2020, versehen", so Christian Seyfert, Geschäftsführer des VIK Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft.

Sektorübergreifende CO2-Bepreisung

"Es wäre zielführend, eine sektorübergreifende CO2-Bepreisung einzuführen, eingebettet in eine grundlegende Reform des Abgabe- und Umlagesystems. Diese Neuausrichtung würde eine stärkere Lenkungswirkung in Richtung klimafreundlicher Technologien in allen Sektoren entfalten, für Entlastungen beim Strompreis sorgen sowie Sektorenkopplung und Flexibilitätsoptionen stärker anreizen", blickt mit Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen (VKU), ein Branchenvertreter in die Zukunft und benennt die Chancen, die sich aus dem Kohleausstieg ergeben und genutzt werden müssen.

Denn genau in einem Ausbau der erneuerbaren Energien und einem Stromnetz, dass dies versorgungssicher umsetzen kann, liegt die wesentliche Herausforderung des Kohleausstiegs. "Es muss gelingen, trotz Kernenergie- und Kohleausstieg in Deutschland eine sichere, umweltverträgliche und bezahlbare Energieversorgung zu gewährleisten", erklären die Springer-Autoren Frank-Michael Baumann, Eckehard Büscher, Stefan Rabe und Georg Unger in ihrem Buchkapitel Energiewirtschaft 4.0 auf Seite 905.

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