Skip to main content

06.03.2014 | Energie | Interview | Online-Artikel

"Ein Stadtwerk stemmt die Energiewende"

verfasst von: Sabine Voith

6 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Wie ein kommunaler Energieversorger mit den Herausforderungen der Energiewende umgeht, zeigt das Buch "Ein Stadtwerk stemmt die Energiewende". Die Autoren Ina Weller und Matthias Funk im Interview.

Die politischen Ziele für die Energiewende sind gesetzt. Vor der Umsetzung dieser ehrgeizigen Ziele stehen die Energieversorger, nicht nur die großen "Big4", sondern auch viele kommunale Energieversorger. Einen Fahrplan zur Umsetzung gibt es seitens der Politik für sie nicht, gesetzte Rahmenbedingungen schwanken. Die Stadtwerke Gießen haben daher eine eigene Strategie entwickelt.

Springer für Professionals: Frau Weller, die SWG stehen vor der Herausforderung, die Energiewende zu bestreiten. Wie haben Sie diese Herausforderung anpackt?

Ina Weller: Anpacken ist hier das richtige Wort: Wir haben uns bereits Anfang der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts diesem Thema genähert, haben ein Energiekonzept für unsere Heimatstadt Gießen erarbeitet und dieses fortan weiterentwickelt – in die Region hinein und auch mit neuen Techniken. Begonnen hat alles mit einem BHKW, das wir zu Stromerzeugung und für die Wärmeversorgung unseres Bades einsetzten. Dabei war uns klar: Die gleichzeitige Nutzung von Strom und Wärme – das muss der richtige und sinnvollste Weg zum effektiven Energieeinsatz sein. Es ist wichtig für unsere Umwelt und unsere Zukunft, das Thema Energie und damit die Energiewende nicht nur auf die Stromerzeugung, sondern eben auch auf den Wärmemarkt zu beziehen.
In dieser ganzheitlichen Betrachtungsweise liegt der Schlüssel zum erfolgreichen Umsetzen der Energiewende. Wir in Gießen machen es schließlich vor.

Im Buch werden zwei Strategien beschrieben. Was haben diese
zum Inhalt, Frau Weller?

Weitere Artikel zum Thema

Wir haben in 2007 erstmalig begonnen eine Strategie, die wir "SWG 2015" nennen, für das Gesamtunternehmen zu erarbeiten. Diese wurde dann in den Jahren 2012 und 2013 weiterentwickelt in die derzeit gültige "SWG 2020". Ganz wesentlicher Inhalt dieser Strategie-Arbeit ist es, gleich zu Beginn Ziele zu finden, die für das gesamte Unternehmen gelten sollten. Für "SWG 2015" haben wir fünf Unternehmensziele identifiziert und vereinbart. "SWG 2020" ist die Weiterentwicklung von "SWG 2015" und deshalb sind die Ziele geblieben und gelten auch aktuell bis mindestens zum Jahr 2020. Jeder weiß, wenn man sich Ziele setzt, fängt die eigentliche Arbeit erst an: die Umsetzung der Maßnahmen und Projekte zur Zielerreichung. Bei der Strategie "SWG 2015" waren das anfangs sieben Projekte, die es galt umzusetzen wie die Marktvorbereitung Energiedienstleistung, die Ermittlung von Kundenbedürfnissen oder das Suchen sinnvoller Kooperationen.
In der neuen Strategie finden sich insgesamt zehn strategische Stoßrichtungen mit Projekten, die auf dem Weg sind und die wir bis 2020 erledigt haben wollen. Dazu zählen: Netzerweiterung in der Heimat und im Westerwald, Nahverkehr, Vertrieb Energie und Energiedienstleistung "En5", eigene Eigenerzeugung, Fernwärme, Personal und Organisation.

Herr Funk, wie mussten sich die SWG im Hinblick auf die technischen Einrichtungen auf die Energiewende einstellen?

Matthias Funk: Die Eigenerzeugung von Strom und Wärme hat bei den Stadtwerken Gießen eine lange Tradition. Innerhalb dieses Zeitraums wurden die erforderlichen Wandlungstechniken immer wieder modifiziert und den aktuell geänderten Rahmenbedingungen angepasst. Das Wärmenetz als Bestandteil der Infrastruktur, der am wichtigsten ist, wird seit 30 Jahren kontinuierlich ausgebaut. Damit sind wir in der Lage, unterschiedlichste Brennstoffe wie Biomasse, Abfall, Biogas oder Biomethan extrem flexibel einzusetzen. Auch Abwärme aus industriellen Produktionsprozessen wird effizient in diesem System genutzt.
Wir profitieren bei all diesen Themen sehr stark von der Kooperation mit der THM, der Technischen Hochschule Mittelhessen. Mit den Dozenten und den Studierenden führen wir erfolgreich eine Vielzahl von sinnvollen Innovationsprojekten im Energiebereich durch.

Wie gehen Sie mit dem schnellen technischen Fortschritt der Energieerzeugungs-Anlagen und mit den wechselnden politischen Bedingungen um, Herr Funk?

Den Fokus haben wir auf effiziente Energiewandlung gelegt. Dies bedeutet, dass wir nicht zwingend mit möglichen Zuschüssen kalkulieren, sondern vorab die Rahmenbedingungen für den wirtschaftlichen und nachhaltigen Betrieb sicherstellen.

Die volatilen politischen Rahmenbedingungen sind natürlich ein Problem. Investitionen in langfristige Wirtschaftsgüter bedürfen stabiler Rahmenbedingungen. Dies können wir unternehmerisch abschätzen, um dann entsprechend zu investieren. Glücklicherweise haben wir Neuland immer mit überschaubarem Risiko betreten. Somit haben wir die Möglichkeit, auch auf diesem Gebiet schnell reagieren zu können.

Wir haben beispielsweise erst 2011 mit dem Bau von Biogasanlagen begonnen. Zwei Dinge haben wir jedoch von Beginn an beachtet: Kein Anlagenstandort ohne ganzjährige Wärmenutzung und wenn möglich, Abfallprodukte wie Gülle, Futterreste oder Mist als Substratstoffe verwenden sowie den Fermentierungsprozess kontinuierlich biologisch betreuen.
Somit optimieren wir die Substratmenge, erhöhen die Effizienz und haben zum Stromerlös immer auch die Wärmenutzung. Solche Konzepte sind bei Änderung von Förderrahmenbedingungen deutlich weniger anfällig.

Es ist uns sehr wohl bewusst, dass eine Förderung als Anschubfinanzierung dient. Die Anlagen müssen jedoch auch ohne auskommen und wirtschaftlich betrieben werden können. Da ist es hilfreich, wenn man als Anspruch hat, mindestens 90 Prozent der Energie, sei sie fossil oder erneuerbar, zu nutzen.

Wie reagieren die Kunden und Mitarbeiter auf die neue Strategie der SWG?

Wir freuen uns sehr, dass wir bislang viel Lob und Anerkennung erhalten haben, insbesondere die Art, wie wir hierzu in die Kommunikation gegangen sind, wird sehr gelobt. "Ein Bild sagt mehr als tausend Worte" – wir meinen da ist was dran und haben unsere beiden Strategien deshalb auch in Bildern dargestellt. Auf diese Weise kann man das Thema viel besser an die Menschen bringen und erntet viel besseres Verständnis und damit natürlich ist die Motivation unserer Kundinnen und Kunden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wesentlich höher, sich hier selbst einzubringen und mitzumachen.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Buch über dieses Thema zu schreiben?

Wir haben 2013 das 75-jährige Bestehen der Stadtwerke Gießen feiern dürfen. Viele Unternehmen geben aus diesem Anlass einen historischen Überblick heraus. Das war uns als Energieversorger, also als Teil einer Branche, die gerade wegen der Energiewende vor enormen Veränderungen steht, nicht ausreichend genug. Wir wollten vielmehr auf Gegenwart und Zukunft abstellen und zeigen, wie ein ganz normales Stadtwerk zu diesem großen umwälzenden Thema einen wichtigen Beitrag leisten kann und seit Jahren bereits leistet. So ist unsere Art der Jubiläumskommunikation entstanden – ein Buch mit dem Titel "Ein Stadtwerk stemmt die Energiewende".

Die Interviewpartner
Ina Weller leitet das Marketing der Stadtwerke Gießen und baute im Zuge der Liberalisierung der Energiemärkte den SWG-Vertrieb auf. Sie ist Prokuristin, Unternehmenssprecherin und Geschäftsführerin des SWG-Tochterunternehmens Elektrizitätswerk Hammermühle Versorgungs GmbH.
Matthias Funk leitet die Abteilung Wärmeversorgung und ist Geschäftsführer der Heizkraftwerk Gießen. Er ist Prokurist und beschäftigt sich intensiv mit der effizienten Energiewandlung, Verteilung sowie dem Bau und Betrieb von KWK-Anlagen.

Das Interview führte Sabine Voith, freie Autorin.

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt