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07.06.2023 | Energienutzung | Interview | Online-Artikel

"Wir steuern Prozesse je nach Verfügbarkeit von Energie an"

verfasst von: Thomas Siebel

5 Min. Lesedauer

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Der Grünstromanteil in der Industrie ließe sich deutlich erhöhen, wenn Prozesse auf die Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien abgestimmt würden. Thomas Kuhn vom Fraunhofer IESE erläutert im Interview, wie das gelingt.

In Zukunft werden sich unsere Waschmaschinen einschalten, sobald genügend erneuerbarer Strom verfügbar ist. Weniger flexibel ist hingegen die Industrie: Hier lassen sich viele Anlagen nicht nach Belieben an- und abschalten. Lässt sich über ein Industrial Smart Grid überhaupt nennenswert Energie einsparen?

Es kommt darauf an. Beim Hochofen, da haben sie recht, den kann man nicht runterfahren. Aber es gibt Produktionsprozesse, da funktioniert das. Zum Beispiel in der Papierindustrie: Hier haben Unternehmen Interesse daran, energieintensive Prozesse dann zu betreiben, wenn genügend – und günstige – erneuerbare Energie im Netz zur Verfügung steht.

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Die Steigerung der Energieeffizienz ist gerade in der elektrischen Antriebstechnik seit Langem großes Thema. Neben Klimaschutz oder der Vorgabe aus einem Energiemanagementsystem nach DIN 50001 bringen die derzeit extrem stark steigenden Energiekosten auch hier neue Brisanz. Der Einsatz aktiver Energiemanagementgeräte kann dabei einfach Einsparpotenziale erschließen.

Dafür bräuchte es allerdings noch flexible Strompreise.

Ja, im Moment ist der Strompreis für die Industrie noch relativ konstant. Man geht aber davon aus, dass man mit weiteren Einsparbemühungen und der CO2-Bepreisung zu flexiblen Strompreisen kommt. In anderen Bereichen der Welt gibt es das schon, zum Beispiel in den USA. Sobald auch in Europa und Deutschland flexible Strompreise angeboten werden, wird es für Unternehmen günstiger sein, energieintensive Güter dann zu produzieren, wenn genügend grüner Strom zur Verfügung steht. 

Welche anderen Industriebereiche könnten Teile ihrer Produktion flexibel am Strompreis ausrichten?

Da gibt es etliche Bereiche. Die Glasindustrie zum Beispiel beheizt ihre Schmelzwannen mit Strom. Die Heizungen werden allerdings nicht permanent gebraucht. Mit Vorhersagemodellen für das Stromangebot in den kommenden ein bis zwei Tagen ließen sich solche Heizprozesse gut planen. Ähnlich verhält es sich im Recycling von Aluminium, wo die Schmelzen auch nicht dauerhaft betrieben werden müssen.

Ein anderes Beispiel ist das Elektroschweißen. Hier wird sehr viel Strom in sehr kurzer Zeit verbraucht. Wenn jetzt in einem Werk sehr viele Elektroschweißgeräte nicht simultan, sondern zeitlich leicht versetzt zueinander arbeiten – zum Beispiel um eine Millisekunde –, dann hat man nicht mehr so hohe Lastspitzen. Der Maximalverbrauch wird geringer, und damit ist auch weniger Kraftwerksleistung erforderlich.

Das wäre sicherlich für die Automobilindustrie interessant …

Ja, und es ist nur ein Beispiel von vielen, in denen man mit Energie-Scheduling arbeiten kann. Die Potenziale für das Lastmanagement werden noch weiter steigen.

Wieviel Energie ließe sich durch ein optimales Lastmanagement denn einsparen?

Eine Studie der Forschungsgesellschaft für Energiewirtschaft und des Unternehmens Guidehouse Germany aus dem Jahr 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Potenzial für das Lastmanagement bis 2045 zum Beispiel in den Querschnittsbereichen von heute circa 0,2 auf bis zu 3,2 GW erhöhen wird. Dies wird hauptsächlich durch Raum- und Wasserwärme getrieben sein. Aber auch Rechenzentren, die Fertigung von Aluminium, Papier und Holzstoffe haben große Potenziale.

Allerdings muss ja auch noch einiges an Arbeit und Ressourcen in die Entwicklung solcher Systeme gesteckt werden. Wäre es aus Sich der Industrie nicht erstrebenswerter, das fluktuierende Stromangebot über Stromspeicher abzupuffern?

Die große Frage ist ja, wie leistungsfähig die Stromspeicher sein können. In der Batterietechnik wird sich sicherlich viel tun. Man sieht das etwa im Bereich der Feststoffakkus für Elektrofahrzeuge. Einige Prozesse in der Industrie verbrauchen allerdings Energie im Megawattmaßstab. Solche Energiemengen wird ein Akku nicht abpuffern können.

Um das energieoptimierte Management von Produktionsprozessen geht es auch in ihrem kürzlich gestarteten Projekt GreenProd.

Richtig, unter anderem. Wir hatten ja schon vor einiger Zeit im Rahmen der BaSys-Projekte eine Middleware für die Verwaltungsschale entwickelt. Die Verwaltungsschale ist ein toller Kandidat für den digitalen Produktpass: Mit ihr kann man den CO2-Fußabdruck für jeden Produktionsschritt erfassen, und zwar die eigenen als auch die der Zulieferer. Der zweite wichtige Aspekt des Projekts ist dann die energieoptimierte Produktion.

Wo setzen Sie dafür an: an den Maschinen selbst oder am Zusammenwirken im System?

Wir arbeiten an einer übergeordnete Prozesssteuerung, die die einzelnen Maschinen anhand der Verfügbarkeit von Energie steuert. Im Bestand haben wir ja ein sehr breites Spektrum an älteren und neueren Maschinen. Der Großteil der Maschinen, circa 80 %, lässt sich zumindest grundlegend steuern. Die von uns entwickelte BaSys-Technologie kann Prozesse schon produktspezifisch steuern. Bislang stand hier aber die Produktion kleiner Losgrößen im Vordergrund. Jetzt erweitern wir BaSys, indem wir die Nutzbarkeit von grüner Energie als weitere Kostenfunktion dazunehmen. Damit wird dann festgelegt, welcher Produktionsprozess wann und wo durchgeführt wird. Das ist die eine Sache.

Und die andere?

Das Zweite sind die Datenmodelle. Wir sprechen im Moment alle von Digitalen Zwillingen oder Digitalem Produktpass und von CO2-Bepreisung. Es ist aber noch gar nicht klar, welche Daten in den Digitalen Produktpass eigentlich rein sollen – und wer auf die Daten zugreifen darf. Legt man beispielsweise fest, dass alle Recycler auf bestimmte Daten zugreifen dürfen, dann kommt man schnell auf unglaublich viele zugriffsberechtigte Firmen, Menschen und Niederlassungen. Vor diesem Hintergrund kann in dem Pass eigentlich nichts Geheimes mehr drin stehen. Und es gibt noch einen dritten Entwicklungsschwerpunkt im Projekt.

Welchen?

Dass man das entwickelte System auch konfigurieren kann; dass man es also in einen bestehenden Prozess integrieren kann. Da spielen dann Fragen eine Rolle wie: Habe ich eine eigene PV-Anlage? Welche Maschinen habe ich? Welche Energie brauchen die pro Minute? Welche Energie brauchen sie für das Anfahren? Kommen die Produktdaten aus dem PLM-System oder von woanders?

Lässt sich abschätzen, welche Mengen an fossilem Brennstoff sich über ein solches System potenziell einsparen ließe?

Das ist leider sehr schwer zu beantworten. Die Menge des eingesparten CO2 hängt von sehr vielen Variablen ab. Zum Beispiel vom zukünftigen Strommix, unserer Fähigkeit, die Verfügbarkeit der grünen Energie vorherzusagen, und auch davon, wie gut wir Strom in Zukunft speichern können werden. In meinen Augen wird die energieflexible Fertigung ein wichtiger Baustein in zukünftigen Wertschöpfungsketten spielen.

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