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22.04.2022 | Energieverteilung | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wasserstoff im Erdgasnetz für Haushalte nicht ausreichend

verfasst von: Frank Urbansky

4 Min. Lesedauer

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Industrie und Fachverbände forcieren derzeit Tauglichkeitstests für Wasserstoffbeimischungen ins Erdgasnetz. Ein Ziel dabei: die Dekarbonisierung des Wärmemarktes. Doch die Potenziale reichen nicht.

Deutschlands Erdgasnetz ist gut ausgebaut und funktioniert hervorragend bei der Versorgung von Industrie und Wohngebäuden. Sein Erhalt ist auch in einem künftigen klimaneutralen Energiesystem wünschenswert. "Daneben plant das Wirtschaftsministerium eine Förderung und Umstellung des Gasnetzes auf Wasserstoffbasis, mit dem Ziel der Unterstützung der Mobilitätswende", benennt Springer-Vieweg-Autor Marcel Linnemann in seinem Buchkapitel Unterschiedliche Akteure, Marktrollen und ihre Bedeutung auf Seite 23 eine mögliche zukünftige Nutzung.

Empfehlung der Redaktion

2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

Unterschiedliche Akteure, Marktrollen und ihre Bedeutung

Energiepolitik ist Teil jeder Handlungsebene der Politik. Sie kann sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene vorangetrieben werden. Dabei beschränkt sich dieses Buch auf den nationalen und europäischen Gesetzgeber.

Tatsächlich forschen Industrie und Fachverbände derzeit verstärkt, auch befördert durch die Nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung, an möglichen Beimischungen von Wasserstoff zum Erdgas in den Netzen.

Netze für Gas-Dekarbonisierung

Das Konsortium H2vorOrt etwa sieht den Schlüssel in der zügigen Transformation der 550.000 Kilometer Gasverteilnetze mit ihren 1,7 Millionen Kunden aus Industrie und Gewerbe sowie rund 19 Millionen Haushaltskunden. Diese Netze würden damit zu einer Schlüsselinfrastruktur für die Ermöglichung einer zügigen, versorgungssicheren und sozialverträglichen Dekarbonisierung aller Sektoren.

Im Dezember 2021 startet die E.ON-Tochter Avacon mit der Beimischung von Wasserstoff in ein Teilnetz in Sachsen-Anhalt. Stufenweise werden dem Erdgas in der kommenden Heizperiode bis zu 20 Prozent Wasserstoff zugefügt. Das Gemeinschaftsprojekt von Avacon und dem Deutschen Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) soll zeigen, dass es technisch möglich ist, Wasserstoff zu einem deutlich höheren Prozentsatz als bislang in den Technischen Regeln des DVGW vorgesehen (dort sind es derzeit 9,99 Prozent) in ein existierendes Gasnetz einzuspeisen.

Geräte und Anlagen müssten für diesen Prozess nicht verändert werden. Die Ergebnisse des Projektes sollen als Vorbild für den zukünftigen Einsatz von Wasserstoff in Gasverteilnetzen dienen. Laboruntersuchungen zeigen, dass viele Geräte in den Haushalten mit bis zu 30 Prozent Wasserstoffbeimischung betrieben werden können. Für das Projekt wurde ein Netzabschnitt im Gasverteilnetz von Avacon im Jerichower Land in Sachsen-Anhalt ausgewählt. Dabei handelt es sich um ein Mitteldruck-Verteilnetz mit rund 35 Kilometern Leitungslänge, von dem etwa 350 Netzkunden mit Erdgas versorgt werden.

Im ersten Projektabschnitt wurden in Zusammenarbeit mit dem Gas- und Wärme-Institut Essen (GWI) und den Gasgeräteherstellern alle bei den Kunden verbauten Gasgeräte erfasst und sowohl betriebs- und sicherheitstechnisch als auch auf Wasserstoffverträglichkeit überprüft. Die bislang erhobenen Gasinstallationen mit den Gasgeräten wurden fast zu 100 Prozent positiv bewertet.

Beimischungen bis 20 Prozent

Parallel zu den Überprüfungen der verbauten Technik liefen die technischen Planungen und der Aufbau der Wasserstoffbeimischanlage. Diese soll Ende 2021 in Betrieb gehen. Damit beginnt im nächsten Projektabschnitt die Beimischphase. Die Einspeisung von Wasserstoff ist über die zwei Heizperioden 2021/22 und 2022/23 in Stufen von 10, 15 und 20 Prozent Wasserstoffbeimischung geplant.

Dennoch bleibt eine Zielrichtung dieser Tests – die Wärmeversorgung in privaten Haushalten – fragwürdig. Diese verbrauchen derzeit 250 Terawattstunden (TWh) Erdgas jährlich. Soll der beigemischte Wasserstoff grün sein, muss er aus regenerativen Wellen hergestellt werden. Nimmt man alle erneuerbaren Energien für die Stromversorgung in Deutschland derzeit zusammen, könnten damit 230 TWh jährlich erzeugt werden (Angaben: AGEB).

Legt man hier einen 70-prozentigen Wirkungsgrad der Elektrolyse zugrunde, käme man auf 160 TWh, also etwa zwei Drittel des Gesamtbedarfs. Dann bliebe aber keinerlei erneuerbarer Strom mehr für die direkte Nutzung übrig. Auch Importe von grünem Wasserstoff werden an dieser Situation nichts ändern. Denn sie bleiben – bei weiterhin vielen ungeklärten Fragen – auf Dauer kostspielig und würden im sozial wichtigen Wärmemarkt für Verwerfungen sorgen.

Biogas als Wasserstoff-Alternative

Eine Möglichkeit der „Ergrünung“ der Gasnetze läge in Biomethan und Biogas. Mit dem thermischen Potenzial aller Biogasanlagen in Deutschland könnte rund ein Drittel des Gasbedarfs der Haushalte abgedeckt werden. Doch auch diese Berechnung ist eher theoretischer Natur, da viele Anlagen auf die Verstromung des Biogases setzen, weil dies durch das EEG gefördert wird. Zudem liegt an den meisten Biogasanlagen kein Erdgasnetz an, in das das Biomethan, chemisch und physikalisch weitgehend identisch mit fossilem Erdgas, eingespeist werden könnte. Immerhin – große Tests ob der Netztauglichkeit wären hier nicht nötig.

Letztlich wird es also darum gehen, die Netze dort wasserstofftauglich zu machen, wo es keine Alternativen gibt. "Die Diskussion um die Ausgestaltung einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft ist […] geprägt von den technologischen und infrastrukturellen Entwicklungsphasen, also ist eine dezentrale oder zentrale Versorgungsinfrastruktur analog zum Erdgasnetz volkswirtschaftlich effizienter. Ebenso muss ein Markt im Sinne eines Bedarfs entwickelt werden. Die heutigen Bedarfszentren, vorrangig die Chemiestandorte, erscheinen hier als Ausgangspunkt zu dienen", benennen einen möglichen Schwerpunkt die Springer-Autoren Przemyslaw Komarnicki, Michael Kranhold und Zbigniew A. Styczynski in ihrem Buchkapitel Perspektiven des Gesamtenergiesystems (GES) auf Seite 221.

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