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21.02.2025 | Energiewende | Interview | Online-Artikel

"Kunden fragen schon jetzt nach unserer CO₂-Bilanz"

verfasst von: Frank Urbansky

7:30 Min. Lesedauer

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Die chemische Industrie – vor allem in Ostdeutschland – leidet unter den hohen Energiepreisen. Im Interview erklärt Dr. Ronald Bernstein, Geschäftsführer der Bergi-Plast GmbH im sächsischen Bad Gottleuba-Berggießhübel, wie die Politik, aber auch der Umstieg auf regenerative Energien Abhilfe schaffen könnten.

springerprofessional.de: Wie schätzen Sie die derzeitige Stellung der chemischen Industrie in Ostdeutschland ein, insbesondere im Hinblick auf ihre Energieabhängigkeit?

Ronald Bernstein: Aufgrund der hohen Energiekosten und anderer Standortnachteile stehen viele Unternehmen, besonders in der Chemieindustrie, vor der Entscheidung, ihre Werke in Europa entweder zu schließen oder ins Ausland zu verlagern. Das ist für uns als Verarbeiter kritisch: Viele unserer Lieferanten sind in dieser Branche tätig und wir versuchen, möglichst regional zu beziehen. Im schlimmsten Fall müssen wir auf asiatische oder südamerikanische Märkte ausweichen. Das bedeutet dann auch potenzielle Lieferkettenprobleme und geringere Verfügbarkeiten.

Welche Rolle spielen wettbewerbsfähige Energiepreise für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit Ihres Unternehmens in Sachsen und allgemein für die chemische Industrie in Ostdeutschland?

Die sind definitiv ein großer Faktor. Seit der Zeit vor der Pandemie haben wir etwa den dreifachen Strompreis. Ein Teil davon lässt sich kompensieren, und wir können auch Kosten weitergeben – aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Irgendwann erreichen wir da Grenzen. Zum Thema Wachstum denke ich aber durchaus darüber nach, auch Standorte im osteuropäischen Ausland ins Auge zu fassen. Ein weiteres Werk im Ausland wäre eine Überlegung, einfach aufgrund der Kostenvorteile. Aber das bedeutet nicht, dass wir unsere Standorte in Deutschland infrage stellen – das steht nicht zur Debatte.

Inwiefern beeinflussen steigende Energiepreise die Produktionskosten und Rentabilität Ihres Unternehmens, und wie wichtig ist für Sie die staatliche Unterstützung oder Regulierung in diesem Bereich?

Man muss bedenken, dass es sich bei vielen Regelungen um EU-Gesetze handelt, die in nationales Recht umgesetzt werden. Es ist daher nicht allein die deutsche Bundesregierung, die hier Druck ausübt, sondern vieles kommt direkt von der EU-Ebene. Das betrifft inzwischen fast alle Bereiche – Energie, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, die Nachhaltigkeitsberichterstattung und neuerdings auch die Informationssicherheitsverordnung (NIS-2). Besonders die kritische Infrastruktur ist hier stark betroffen, und der Kreis der betroffenen Unternehmen hat sich erheblich erweitert.

Kleinere und mittelständische Unternehmen müssen oft Personal für diese regulatorischen Anforderungen bereitstellen. Wir haben mittlerweile mehrere Managementsysteme zertifiziert, und für jedes dieser Systeme brauche ich mindestens eine Person, die sich um dessen Betreuung kümmert. Das muss man sich erstmal leisten können. Die Anzahl der Gesetze und Regularien ist derart angewachsen, dass wir immer mehr Verwaltungspersonal brauchen.

Gleichzeitig sind wir im Wettbewerb mit Osteuropa und Asien, wo die Arbeits- und Energiekosten wesentlich niedriger sind – ein klarer Standortvorteil. Ich denke, es wird immer wichtiger, dass wir uns als Technologie- und Ingenieurspartner für Unternehmen positionieren, um langfristig zu bestehen. Denn beim reinen Preiskampf, gerade aufgrund unserer Personalkosten, sehe ich für uns auf Dauer kaum Chancen.

Wie bewerten Sie den aktuellen Fortschritt beim Ausbau erneuerbarer Energien in Ihrer Region, und welche Schritte sind notwendig, um die Umstellung zu beschleunigen?

Die Bevölkerung sollte verstehen, dass dieser Weg nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus ökonomischen Gründen notwendig ist. Das würde viel zur Akzeptanz beitragen und würde es uns als Unternehmen erleichtern, gewisse Bauprojekte tatsächlich umzusetzen. Es ist schön, wenn Anträge schneller genehmigt werden. Doch es bringt nichts, wenn andere involvierte Behörden, wie die Bauämter, dann doch sehr langsam arbeiten und die Kommunikation untereinander stockt.

Ein Beispiel aus unserem Netzwerk: Ein Unternehmen wollte eine Anlage bauen, musste aber am Ende selbst als Vermittler zwischen den Behörden fungieren, weil die sich nicht effizient austauschen konnten. Wäre das Ausmaß vorher klar gewesen, hätte das Unternehmen das Projekt voraussichtlich nicht gestartet.

Es fehlt auch an Förderung für Dinge wie Stromspeicher, die gerade in der Wirtschaft sinnvoll wären, um Lastspitzen abzufedern. Doch das ist aktuell nicht lukrativ für Unternehmen, es bräuchte mehr politische Anreize. Das führt dazu, dass Unternehmen solche Maßnahmen aus wirtschaftlichen Gründen mehrfach überdenken müssen.

Und jetzt, mit der politischen Unsicherheit, die wir gerade erleben, fragen wir uns als Unternehmen natürlich, in welche Richtung es eigentlich geht. Wir bräuchten Planungssicherheit für die nächsten zehn Jahre, nicht nur für eine Legislaturperiode. Das macht es uns gerade wirklich schwer, langfristige Entscheidungen zu treffen.

Welche konkreten Herausforderungen sehen Sie bei der Umstellung auf CO₂-Neutralität?

Ich gehe davon aus, dass das grundsätzlich machbar ist. Wir selbst nutzen zu 97 Prozent Strom als Energieträger. Einen Großteil der Wärmeenergie decken wir durch Abwärme aus unserem Maschinenkreislauf. Ab nächstem Jahr stellen wir auf 100 Prozent Ökostrom um. Die restlichen 3 Prozent Gas wollen wir reduzieren, beispielsweise durch eine Kombination aus Solaranlage und Wärmepumpe, die wir aktuell prüfen. Ziel ist es, den Gasverbrauch auf null oder zumindest ein Minimum zu senken und den Rest durch Zertifikate zu kompensieren.

In anderen Industrien wie Chemie, Papier, Glas oder Metall ist die Abhängigkeit von Gas natürlich noch deutlich größer, und da muss man schauen, wie sich das langfristig kompensieren lässt. Wasserstoff wäre eine Option, aber wir hätten vor Jahren Pilotprojekte starten müssen, um heute weiter zu sein. Jetzt müssen wir das schneller umsetzen als in der Vergangenheit.

Was wir ebenfalls brauchen, sind mehr Projekte zur Netzstabilität und Versorgungssicherheit, die durch Speichertechnologien unterstützt werden könnten. Hier müssen jetzt auf Unternehmens- und auch auf öffentlicher Seite deutlich mehr Initiativen starten, um diese Umstellung zu ermöglichen.

Welche Wettbewerbsvorteile erwarten Sie durch eine frühzeitige Transformation?

Unsere Kunden fragen schon jetzt nach unserer CO₂-Bilanz. Besonders im Automotive-Bereich gibt es konkrete Forderungen, bis spätestens 2040 CO₂-neutral zu sein. Wir sind dabei, einen klaren Plan aufzustellen, wie wir das erreichen können. Auch bei Verpackungen wird zunehmend nach dem CO₂-Fußabdruck gefragt. Für bestimmte Teile können wir diese Werte schon recht schnell bereitstellen, aber für komplexere Komponenten ist das momentan noch schwierig, weil uns nicht immer alle Daten vorliegen.

Unser Ziel ist es, ab dem nächsten Jahr, spätestens in drei bis vier Jahren, so gut wie keine CO₂-Emissionen mehr in der eigenen Fertigung zu haben. Allerdings bleibt der Rohstoff, also das Granulat, eine Herausforderung. Hier sind wir auf die Chemieindustrie angewiesen, die hoffentlich bald CO₂-neutral wird, damit wir den gesamten Produktlebenszyklus so emissionsarm wie möglich gestalten können.

Wenn wir das schaffen, haben wir natürlich einen Wettbewerbsvorteil, vor allem gegenüber asiatischen oder auch osteuropäischen Anbietern, die vielleicht nicht so schnell auf CO₂-freie Produkte umstellen können. Viele Großkonzerne achten mittlerweile verstärkt auf diesen Aspekt, und das eröffnet uns Chancen.

In welchem Maße beeinflusst die Transformation hin zu erneuerbaren Energien und CO₂-Neutralität die Kreditvergabe und Finanzierungsmöglichkeiten für energieintensive Unternehmen?

Noch ist das kein akutes Thema, aber es wird definitiv eines werden. Das ist auch einer der Gründe, warum wir den Weg zur CO₂-Reduzierung konsequent gehen wollen. Banken werden bald verstärkt Auflagen erhalten, bei der Kreditvergabe auf die Nachhaltigkeit zu achten. Unternehmen mit hohen CO₂-Emissionen könnten es dann schwer haben, überhaupt Darlehen oder Kredite zu bekommen. Wir haben das bereits mit unserer Hausbank besprochen. Aktuell ist die Lage noch recht entspannt – vielleicht die nächsten zwei bis drei Jahre.

Aber auf lange Sicht wird das ein Bewertungskriterium sein. Wer dann auf Fremdkapital angewiesen ist, besonders bei Investitionen im Millionenbereich, könnte in Schwierigkeiten geraten, wenn die Banken keine Kredite mehr vergeben dürfen. Es wird auch zunehmend Investoren geben, die dieses Kriterium nutzen und ihr Kapital lieber in Unternehmen stecken, die nachhaltig wirtschaften – sei es in Bezug auf Ressourcen oder CO₂-Emissionen. Für uns als Mittelständler wird das sicher eine Herausforderung, aber wir müssen darauf vorbereitet sein, wenn wir auch in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben wollen.

Welche Synergien oder Kooperationen könnten zwischen der chemischen Industrie und erneuerbaren Energien in der Region Sachsen entstehen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig CO₂-Neutralität zu erreichen?

Wir machen da schon einiges im Rahmen von Energieeffizienz-Netzwerken. In diesen Netzwerken sind verschiedene Akteure vertreten, größtenteils aus der energieintensiven Industrie, aber auch Berater und andere Dienstleister. Dadurch haben wir die Möglichkeit, ständig im Austausch zu bleiben und zu sehen, was bei anderen gerade der Stand ist. Es gibt definitiv Synergieeffekte, gerade im Bereich der Halbleiterindustrie, die aus ökonomischen und ökologischen Gründen einerseits stark auf Akteure aus dem Bereich Solar- und Windenergie angewiesen und andererseits auch selbst Zulieferer für diese Bereiche ist.

Bei uns persönlich geht es oft darum, in Kunden-Lieferanten-Beziehungen Best Practices zu teilen. Der Austausch über Ingenieurdienstleister oder gemeinsame Netzwerke sorgt für eine gute Verknüpfung und Kooperation. Hier in Sachsen, im Raum Chemnitz, Dresden und Leipzig, sind die Energieeffizienz-Netzwerke breit gefächert, und es passiert schon einiges bei den Unternehmen. Wir merken, dass der Wille da ist, aber oft fehlt die politische Unterstützung.

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