Projekte können ähnlich wie Spielverläufe als eine fortlaufende Kette von aufeinander bezogenen Entscheidungen verstanden werden: Ein Projektschritt nach dem anderen wird in Abhängigkeit von zuvor gemachten Entscheidungen getan. Manche Entscheidungen können auf der Grundlage von Fakten getroffen und unmittelbar als richtig oder falsch beurteilt werden. Die allermeisten Entscheidungen in Projekten sind jedoch situativen Faktoren, subjektiven Einschätzungen, psychosozialen
Einflüssen und sozialem Erwartungsdruck unterworfen. Aktuelle neurobiologische Erkenntnisse weisen außerdem darauf hin, dass Menschen sowohl individuell wie kollektiv viel weniger rational und objektiv entscheiden als die meisten Projektmanagement- und andere -methoden glauben machen.
Dieses Kapitel befasst sich mit der scheinbaren Irrationalität von vielen Entscheidungen im Projektalltag und lädt zu einem differenzierteren Verständnis von Entscheidungsprozessen ein. Dazu beschreiben wir zunächst, wie sich faktenbasierte Elemente und der soziale Kontext bei Entscheidungen gegenseitig beeinflussen. Danach werden Wechselwirkungen zwischen bewussten und unbewussten Anteilen bei individuellen Entscheidungen beschrieben. Das Kapitel schließt mit der Darstellung des Mülleimer-Modells für kollektive Entscheidungen und mit Praxistipps. Am Ende des Kapitels finden Sie weiterführende Literaturhinweise, mit denen Sie die angesprochenen Themen selbstständig vertiefen können.
Nach Durcharbeiten des Kapitels verfügen Sie über ein breiteres Verständnis, warum Entscheidungen in Projekten nur teilweise faktenbasiert sind bzw. warum objektive Entscheidungsmethoden generell oft zu kurz greifen. Sie kennen im Weiteren Faktoren, welche sowohl individuelle wie kollektive Entscheidungen beeinflussen, und Sie erwerben Kompetenzen, Entscheidungen zu hinterfragen und auch entscheidungsrelevante Aspekte wie z. B. Stimmung mit einzubeziehen. Sie haben auch ein erstes Gespür, die richtige Gelegenheit abzupassen, um eine für Ihr Projekt wichtige Entscheidung einzufädeln. In diesem Sinne ist ein kompetenter Umgang mit dem Thema Entscheidungen eine zentrale Ressource für alle Projektbeteiligten, die gestaltend mitwirken möchten.
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Es sei hier nochmals betont, dass wir hier sehr selektiv einige uns wichtige Aspekte des Entscheidens herausgreifen und erläutern. Der Teil ist nicht gedacht als umfassende Einführung in alle Facetten individuellen oder kollektiven Entscheidens. Wer sich dafür interessiert, findet im Abschnitt Weiterführende Literatur umfangreiche Hinweise zur selbstständigen Vertiefung.
Im Kontext des kollektiven Entscheidens wären auch Phänomene und weitere Theorien wie Groupthink und Escalating commitments zu nennen und darzustellen. Wir beschränken uns bei unserer Darstellung auf den Ansatz des garbage can models (Cohen et al. 1972), weil er aus unserer Sicht besonders gut auf die Situation von Digitalisierungsprojekten passt und exemplarisch die Kontingenz von kollektiven Entscheidungsprozessen aufgreift. Für einen umfassenderen Überblick über den ganzen Themenbereich verweisen wir auf die angegebene weiterführende Literatur am Ende des Kapitels.
Der Anspruch einer optimalen Lösung ist in der Praxis für viele Fragestellungen unrealistisch, wir folgen damit also dem von Herbert Simon sogenannten Anspruch einer satisficing Lösung (Simon 1956, S. 9).