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27.12.2018 | Erdgas | Interview | Online-Artikel

"Emissionsintensive Kraftwerke müssen vom Netz gehen"

verfasst von: Nico Andritschke

4 Min. Lesedauer

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Die Umorientierung vorrangig auf Erdgas bei der Stromerzeugung, kann die CO2-Emissionen deutlich reduzieren. Für Dr. Timm Kehler ist ein Ausstieg aus der Braunkohleverstromung bis 2023 unausweichlich.


Springer Professional: Die Bundesregierung hat sich 2007 mit dem "Integrierten Energie- und Klimaprogramm" zu einer vierzigprozentigen Minderung der deutschen Treibhausgasemissionen bis 2020 im Vergleich zu 1990 verpflichtet. Dieses Ziel ist nicht mehr zu erreichen, jedoch bis 2023, so prognostiziert eine von Zukunft Erdgas in Auftrag gegebene Studie. Welche Rolle kann Erdgas im Strom-Mix der Zukunft spielen?

Timm Kehler: Im Rahmen der Studie wurden die Auswirkungen eines teilweisen Ausstiegs aus der Braunkohleverstromung bis zum Jahr 2023 analysiert. Einerseits wurde betrachtet, wie sich die Stromerzeugung unter Berücksichtigung absehbarer Marktbedingungen entwickelt. In den beiden anderen Modellrechnungen wurde die Abschaltung von fünf beziehungsweise neun Gigawatt Braunkohlekraftwerksleistung angenommen. Das Ergebnis: Durch eine Stilllegung von fünf bis neun Gigawatt Braunkohle ließe sich für den Strommarkt eine CO2-Minderung von 40 Prozent im Vergleich zu 1990 verwirklichen. Die bestehenden Gas- und Steinkohlekraftwerke würden die freiwerdende Kapazität aufgefangen. Wir sollten den Einstieg in den Ausstieg also nicht scheuen, die Versorgung bleibt gesichert.

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2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

Klimaschutzziele

Das Klimaschutzziel Deutschlands für das Jahr 2020 (40 % weniger CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990) wird verfehlt; aber die Ziele für 2030 (−55 %) und 2050 (−80 %) sind gut erreichbar – ohne Strukturbrüche, ohne Verbote von Benzinmotor oder Ölheizung, ohne Komfortverlust.

In der Stromerzeugung sind die CO2-Emissionen in den letzten Jahren laut Umweltbundesamt gesunken, allerdings durch Emissionen aus Verkehr und Industrie kompensiert worden bzw. gestiegen. Diese Tatsache lässt Zweifel aufkommen, dass die von Ihnen avisierten Ziele erreichbar sind. Was meinen Sie?

Eine CO2-Einsparung von 40 Prozent kann im Stromsektor durchaus bis 2023 erreicht werden. Das erfordert jedoch Mut und den politischen Willen, unpopuläre Entscheidungen zugunsten des Klimaschutzes zu treffen. Unserer Studie liegen Modellrechnungen zugrunde, die aufzeigen, unter welchen Bedingungen dieses Klimaziel in wenigen Jahren realisiert werden kann. Viele in Berlin haben sich bereits damit abgefunden, dass wir das 2020-Ziel verfehlen, und richten den Blick nun starr auf das Ziel für 2030. Genau diesen Fehler dürfen wir aber nicht begehen, denn so verlieren wir wertvolle Zeit beim Klimaschutz. Entscheidend ist, dass wir das für das Jahr 2020 anvisierte Klimaziel so schnell wie möglich erreichen. Jedes heute eingesparte Gramm CO2 zählt.

Gaskraftwerke sollen derzeit nur zu 35 Prozent ausgelastet sein, im Gegensatz dazu Braunkohlekraftwerke zu 78 Prozent. Wie kann es passieren, dass Gaskraftwerke mit einem sehr hohen Wirkungsgrad aus dem Markt verdrängt werden?

Grund für die geringe Auslastung der Gaskraftwerke sind vor allem die Brennstoffkosten: Braunkohle ist deutlich günstiger als Gas. Zudem werden die CO2-Emissionen bei der Preisbildung nach wie vor unzureichend berücksichtigt. Ein CO2-Preis von 20 Euro pro Tonne reicht eben nicht aus, um die emissionsintensive Braunkohle aus dem Markt zu drängen. Das ist bedauerlich, denn Gaskraftwerke erzeugen dreimal mehr Energie pro Tonne CO2 als Braunkohlekraftwerke. Keine andere Maßnahme senkt kurzfristig mehr Kohlendioxid pro eingesetztem Euro als der Wechsel von Braunkohle zu Gas. Im Stromsektor liegt ein großer Hebel für mehr Klimaschutz. Wir sollten unsere Gaskraftwerke also nicht nur besser auslasten, sondern auch weitere zubauen. Denn ihre Bedeutung für die Energieversorgung wird in den nächsten Jahrzehnten deutlich zunehmen, wie zahlreiche Studien zeigen. 

Die Deutsche Energie-Agentur (dena) prognostiziert bis 2030 eine zusätzliche Gaskraftwerksleistung von 54 Gigawatt. Wie passt das mit den aktuellen Entwicklungen zusammen und wie können die emissionsstärksten Kraftwerke aus dem Markt gedrängt werden?

Je mehr Strom aus Wind- und Sonnenergie wir nutzen, desto größer wird unser Bedarf nach einem verlässlichen Backup-System. In Zeiten von "kalter Dunkelflaute" muss die Energieversorgung schließlich gewährleistet werden. Gaskraftwerke sind dafür optimal geeignet, denn sie können binnen weniger Minuten hoch- und heruntergefahren werden. Außerdem ist Gas schon heute emissionsarm und wird durch die Umwandlung von überschüssigem Ökostrom in synthetisches Gas zudem selbst immer grüner. Deshalb geht die dena davon aus, dass Gaskraftwerke im Jahr 2050 das einzige Backup der erneuerbaren Energien sein werden. Um die emissionsintensivsten Kraftwerke bis dahin schrittweise zu verdrängen, müssen die zur Verfügung stehenden Klimaschutzmaßnahmen miteinander konkurrieren. Die CO2-Einsparung muss zur Leitgröße werden. Wer CO2 am günstigsten vermeidet, besteht am Markt. Nur so sinken die Emissionen schnell und kosteneffizient.

Die derzeitigen Rahmenbedingungen schaffen keinen Anreiz für dringend erforderliche Investitionen in Gaskraftwerke sagen Sie. Welche Rahmenbedingungen wären dafür erforderlich? 

Aus unserer Sicht sind dazu drei Schritte notwendig. Erstens muss der bestehende Gaskraftwerkspark durch einen Kapazitätsmarkt abgesichert werden. Gleichzeitig müssen emissionsintensive Kraftwerke vom Netz gehen. Das kann durch einen höheren CO2-Preis oder eine CO2-Stilllegungsprämie gelingen. Und dann müssen insbesondere dezentrale Gas-KWK-Kraftwerken zugebaut werden – denn sie sind die Zukunft der Energieversorgung. Sie können regionale Schwankungen im Stromangebot ausgleichen und so einen wesentlichen Beitrag zur Netzentlastung und zur Stabilisierung des Stromsystems leisten. Zudem erreichen sie Wirkungsgrade von über 60 Prozent, was sie zu einem hocheffizienten und flexiblen Rückgrat der Energiewende macht. 

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