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Open Access 08.05.2025 | Originalarbeit

Erfolgreiche Implementierung der automatisierten Qualitätssteuerung im Zementwerk Wietersdorf zur gesicherten Erzeugung qualitätsvoller Rohmehle

verfasst von: Dr.mont. Christine Gröll, M.Sc., Florian Salzer, Florian Pöllabauer, Helmut Flachberger

Erschienen in: BHM Berg- und Hüttenmännische Monatshefte

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Zusammenfassung

Die Zementindustrie in Österreich trägt mit etwa 3,5 % der nationalen CO2-Emissionen eine besondere Verantwortung für klimafreundliche Lösungen. Die Alpacem Gruppe, ein führender Zement- und Betonproduzent im Alpe-Adria-Raum, hat sich das Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutralen Zement und Beton herzustellen. Die CO2-Strategie „Compass to Zero CO2“ basiert auf vier Säulen: Reduktion der prozess- und brennstoffbedingten CO2-Emissionen, Produktoptimierung und Implementierung von CCS- und CCU-Technologien. Im Fokus steht die Optimierung der Klinkerproduktion, insbesondere die Substitution von primären karbonatischen Rohstoffen durch CO2-arme Ersatzrohstoffe. Das Zementwerk Wietersdorf, bekannt für seine emissionsarme Produktion, nutzt innovative Technologien und eine flexible Prozessauslegung, um den Einsatz von Ersatzrohstoffen zu maximieren. Die Implementierung einer automatisierten Qualitätssteuerung ermöglicht eine präzise Prozesskontrolle und eine konstante Rohmehlqualität, selbst bei hohen Ersatzrohstoffraten. Die experimentelle Validierung unter verschiedenen Betriebsbedingungen zeigt die Effektivität und Robustheit der entwickelten Steuerung. Herausforderungen und weiterer Forschungsbedarf betreffen die Erschließung geeigneter Ersatzrohstoffquellen, die Entwicklung effizienter Logistikkonzepte und die Anpassung rechtlicher Rahmenbedingungen. Die enge Zusammenarbeit von Industrie, Forschung und Politik ist entscheidend, um die komplexen Herausforderungen zu bewältigen und den Weg zu einer nachhaltigen Zementproduktion zu ebnen.
Hinweise

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.

1 Einleitung

Mit einem Anteil von etwa 3,5 % an den nationalen CO2-Emissionen trägt die Zementindustrie in Österreich eine besondere Verantwortung, klimafreundliche Lösungen voranzutreiben [1, 2]. Als essenzieller Bestandteil der Bauwirtschaft setzt sie auf Innovationen, um ressourcenschonendere und emissionsärmere Produktionsprozesse zu etablieren. Die Alpacem Gruppe, führender Zement- und Betonproduzent im Alpe-Adria-Raum, hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutralen Zement und Beton herzustellen. Dafür wurde die CO2-Strategie „Compass to Zero CO2“ entwickelt, die auf vier Säulen basiert:
  • Reduktion der prozessbedingten CO2-Emissionen
  • Reduktion der brennstoffbedingten CO2-Emissionen
  • Produktoptimierung der Zemente
  • Implementierung von CCS- und CCU-Technologien
Bei der Reduktion der Prozess- und Brennstoffemissionen steht der Klinkerherstellungsprozess im Fokus der Forschungsanstrengungen. Die schrittweise Umsetzung in Richtung CO2-Neutralität erfolgt in drei Phasen (siehe Abb. 1), wobei sich die Alpacem Gruppe derzeit im Übergang von Phase 1 zu Phase 2 befindet. Der Schwerpunkt liegt auf der Optimierung und Weiterentwicklung bestehender Technologien, insbesondere in der Prozesskontrolle und im Stoffstrommanagement.

2 Problemstellung: Optimierung der CO2-Reduktionsstrategie in der Klinkerproduktion

Die Zementproduktion umfasst drei Hauptschritte: Rohmehlerzeugung, Klinkerbrennprozess und Zementmahlung. In der Rohmehlerzeugung werden Kalkstein, Ton und Korrekturstoffe zu Rohmehl vermahlen, wobei Primärrohstoffe teilweise durch Ersatzrohstoffe substituiert werden können. Im Klinkerbrennprozess wird das Rohmehl bei hohen Temperaturen zu Klinker gesintert. Die prozessbedingten CO2-Emissionen entstehen hier durch die Entsäuerung karbonatischer Primärrohstoffe, die Brennstoffemissionen durch die Verbrennung kohlenstoffhaltiger Ersatzbrennstoffe und fossiler Brennstoffe. In der Zementmahlung wird der Klinker im letzten Prozessschritt mit Zumahlstoffen und Gips als Erstarrungsregler zu Zement vermahlen [3].
Eine wesentliche Maßnahme zur Reduktion des Klinker-Emissionsfaktors ist die Substitution primärer karbonatischer Rohstoffe durch CO2-arme Ersatzrohstoffe in der Rohmehlproduktion [4, 5]. In Österreich lag die durchschnittliche Substitutionsrate in der Rohmehlerzeugung 2019 bereits bei 14,9 % [6]. Um das Reduktionspotenzial weiter auszuschöpfen, plant die Alpacem Zement Austria GmbH in ihrer CO2-Reduktionsstrategie diesen Anteil auf über 25 % zu steigern [7].
Diese Strategie stellt jedoch hohe Anforderungen an die Prozesssteuerung, da Ersatzrohstoffe erhebliche herkunftsbedingte Schwankungen in ihrer chemischen Zusammensetzung aufweisen. Ohne großtechnische Homogenisierungsmöglichkeiten können Qualitätsabweichungen sowohl den Brennprozess durch prozessstörende Einflüsse (wie Ring- und Kugelbildungen) beeinträchtigen und damit zu Produktionsausfällen führen als auch die Klinker- und Zementqualität negativ beeinflussen.
Ziel war es daher, eine präzise Prozesssteuerung zu entwickeln, die eine konstante Rohmehlqualität auch bei erhöhten Ersatzrohstoffraten gewährleistet. Dies erfordert eine enge Verzahnung von Stoffstrommanagement, Analytik und automatisierter Prozessregelung, um die schwankenden Eigenschaften der Ersatzrohstoffe in Echtzeit auszugleichen.

3 Standortspezifische Rahmenbedingungen des Zementwerks Wietersdorf

Das Zementwerk Wietersdorf zählt zu den emissionsärmsten Werken weltweit und nimmt eine Vorreiterrolle in der nachhaltigen Zementproduktion ein. Durch sein innovatives Anlagenkonzept und seine optimierten Produktionsprozesse bietet der Standort optimale Voraussetzungen für eine signifikante Erhöhung des Ersatzrohstoffeinsatzes.
Schlüsseltechnologien des Werks umfassen:
  • Regenerative thermische Nachverbrennungsanlage (RTO) [8]
  • Hochmoderne Quecksilber-Reduktionsanlage [9]
  • Kalkhydrat-Anlage zur Neutralisation von sauren Abgasbestandteilen
  • Nicht-katalytische Entstickungsanlage und moderne Entstaubungssysteme
Das Werk profitiert von langjährigen Lieferantenbeziehungen und einer koordinierten Rohstoffversorgung über die Joint Venture Einkaufsorganisation Baufeld. Die Kombination aus Umwelttechnik und gesichertem Rohstoffzugang ermöglicht eine langfristige Steigerung der Ersatzrohstoffrate bei der Klinkerproduktion auf > 25 %, was einen wesentlichen Beitrag zur CO2-Reduktion in der Zementindustrie leistet.

4 Prozessauslegung und Prozesskontrolle

Das Zementwerk Wietersdorf zeichnet sich durch eine flexible Prozessauslegung und eine moderne Prozesskontrolle aus. Diese bieten ideale Voraussetzungen für die geplante Intensivierung des Ersatzrohstoffeinsatzes. Der Rohmehlherstellungsprozess weist dabei einige besondere Merkmale auf, die ihn von konventionellen Anlagen unterscheiden. In Abb. 2 ist der Rohmehlherstellungsprozess im Zementwerk Wietersdorf schematisch dargestellt.

4.1 Prozessauslegung

Im Gegensatz zum Stand der Technik verzichtet das Werk Wietersdorf auf ein klassisches Mischbett zur Homogenisierung der Rohstoffe. Stattdessen setzt es auf ein komplexes System aus 25 separaten Dosiereinrichtungen, die eine direkte Förderung der Rohstoffe in die Rohmehlmühle ermöglichen. Dadurch kann eine flexible und bedarfsgerechte Rezeptursteuerung erfolgen.
Die Rohstoffversorgung der Schüttgüter erfolgt über 13 Rohsteinsilos, die sowohl mit primären Rohstoffen aus den werkseigenen Steinbrüchen als auch mit extern angelieferten Rohstoffen beschickt werden. Die Beschickung der Rohsteinsilos erfolgt über das „Aufgabeband Rohstoffsilos“. Zusätzlich können Schüttgüter mit ungünstigen Fließeigenschaften über die „Aufgabebox Ersatzrohstoffe“ in die Rohmehlmühle dosiert werden. Die Dosierung der Rohstoffe aus den Rohsteinsilos sowie der Aufgabebox Ersatzrohstoffe erfolgt über das „Sammelband Mühleneintrag“. Zusätzlich stehen 10 Feinstoffsilos für trockene Feinstoffe sowie ein Schlammsilo für pumpfähige Rohstoffe zur Verfügung. Diese Dosieraggregate überführen die feinen und pumpfähige Rohstoffe direkt in die Rohmehlmühle.
Diese Anlagenkonfiguration ermöglicht den gleichzeitigen Einsatz von bis zu 25 verschiedenen Komponenten, wobei die Rezeptursteuerung über das Prozessleitsystem erfolgt.

4.2 Prozesskontrolle

In Wietersdorf erfolgt die Prozesskontrolle in mehreren Stufen. Seit 2019 werden sowohl die automatisierte Probenahme am Austrag der Rohmehlmühle als auch die anschließende Röntgenfluoreszenzanalyse zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung der Proben mittels POLAB®-Laborautomation durchgeführt. 2022 wurde die Prozesskontrolle durch zwei Inline-Analysatoren von Thermo Fisher Scientific erweitert. Diese liefern im Minutentakt eine Durchschnittsanalyse der chemischen Zusammensetzung des Schüttgutstroms mittels Pulsed Fast Thermal Neutron Activation (PFTNA)-Messtechnik, einer Unterkategorie der Neutronenaktivierungsanalyse [10].
Die Inline-Analysatoren sind, wie in Abb. 2 dargestellt, so positioniert, dass ein möglichst hoher Anteil der für die Rohmehlproduktion verwendeten Komponenten analysiert wird:
  • Inline-Analysator 1 ist am „Aufgabeband Rohsteinsilos“ installiert. Er überwacht die chemische Zusammensetzung der eingehenden Rohstoffe in die 13 Rohsteinsilos und ermöglicht eine präzise Modellierung der Siloinhalte.
  • Inline-Analysator 2 befindet sich am „Sammelband Mühleneintrag“ zur Rohmehlmühle. Er analysiert die Mischung der dosierten Rohstoffe aus den Rohsteinsilos und der „Aufgabebox Ersatzrohstoffe“ unmittelbar vor der Mühleneintragung.
Die Feinstoffe aus den 10 Feinstoffsilos sowie die Schlämme aus dem Schlammsilo, die zusammen etwa 5 % der Gesamtaufgabe ausmachen, werden über die Inline-Analytik nicht erfasst.
Die Kombination von Inline-Analysetechniken und Atline-Laboranalysen ermöglicht eine präzise Überwachung des Rohmehlherstellungsprozesses in Wietersdorf. Die flexible Prozesskontrolle und engmaschige Qualitätsanalyse erlauben gezielte Anpassungen bei Rohstoffschwankungen, was eine Grundlage für automatisierte Qualitätssteuerung und erhöhten Ersatzrohstoffanteil bildet. Die Herausforderung liegt in der optimalen Nutzung der analytischen Datendichte und Prozessflexibilität für eine effektive Qualitätssteuerung.

5 Entwicklung einer proaktiven Qualitätssteuerung

Die neue Qualitätssteuerung in Wietersdorf nutzt Inline- und Atline-Analysedaten zur proaktiven Optimierung der Rohmehlproduktion. Ziel ist es, Qualitätsabweichungen automatisiert präventiv zu verhindern, statt wie bisher manuell reaktiv zu korrigieren.
Die Entwicklung erfolgte zweistufig [11]:
1.
Konzeption einer Excel-Simulation zur Regelungssystematik
 
2.
Umsetzung in eine webbasierte Software in Zusammenarbeit mit der VTU Engineering GmbH
 
Die Rezeptoptimierung basiert auf einer Zielkostenfunktion, welche die Rohstoffkosten und prozessbedingte Emissionen berücksichtigt. Unter Einhaltung von Qualitäts- und Anlagenparametern wird diese Funktion minimiert, um ein kosten- und CO2-optimiertes Rohmehlrezept zu erhalten. Die gleichzeitige Optimierung von Kosten und Emissionen ist möglich, da CO2-Zertifikatskosten den Hauptkostentreiber der Klinkerproduktion darstellen.
Die entwickelte Steuerungssystematik basiert auf einem fünfstufigen Prozess:
1.
Startrezeptur-Kalkulation: In diesem optionalen Schritt wird aus den vorliegenden Qualitätsdaten der verfügbaren Komponenten eine Startrezeptur kalkuliert, wobei die Zielparameter denen der Produktspezifikation entsprechen. Die Berechnung einer Startrezeptur kommt bei einem Sortenwechsel zum Einsatz. Die Kalkulation basiert auf den Qualitätsdaten der Rohmehlkomponenten, die entweder aus den über Inline-Analysator 1 generierten Silomodellen stammen oder bei Komponenten, die nicht über Inline-Analysator 1 erfasst wurden, aus statisch hinterlegten Stammdaten aus dem Laborinformationssystem. Die berechnete Rezeptur wird für ein frei konfigurierbares Regelungsintervall (typischerweise 8–12 min.) angewendet.
 
2.
Prognose der Soll-Zusammensetzung: Nach Abschluss eines Regelungsintervalls erfolgt eine Berechnung der tatsächlich realisierten Rezeptur über die Prozessdaten sowie eine Prognose der für das realisierte Rezept zu erwartenden Rohmehlzusammensetzung unter Anwendung der Rohstoffzusammensetzungen aus den Silomodellen und den Stammdaten.
 
3.
Bestimmung der Ist-Zusammensetzung: Die tatsächliche chemische Zusammensetzung der Rohstoffaufgabe wird durch den Inline-Analysator 2 am Sammelband des Mühleneintrags ermittelt. Da über diesen Inline-Analysator die Feinstoffe und Schlämme nicht erfasst werden können, müssen die Inline-Messwerte noch um die entsprechenden Rezeptanteile der Feinstoffe und Schlämme korrigiert werden.
 
4.
Vergleich von Soll- und Ist-Zusammensetzung: In diesem Schritt wird die prognostizierte Soll-Zusammensetzung mit der tatsächlich gemessenen Ist-Zusammensetzung verglichen. Abweichungen können verschiedene Ursachen haben, wie z. B. schwankende Rohstoffqualitäten, Analyseungenauigkeiten oder Wägefehler der Dosieraggregate.
 
5.
Rezepturoptimierung: Für die Berechnung der Rohmehlrezeptur des kommenden Regelungsintervalls werden die qualitativen Spezifikationsvorgaben genau um die identifizierten Abweichungen zwischen Soll- und Ist-Zusammensetzung angepasst, um diese Abweichungen zu kompensieren. Dabei wird von einer konstanten Fehlerstruktur zweier aufeinanderfolgender Regelungsintervalle ausgegangen. Die optimierte Rezeptur wird im nächsten Intervall angewendet, wodurch ein kontinuierlicher Anpassungsprozess entsteht.
 
Ein wichtiger Zusatzaspekt der Prozesssteuerung ist die integrierte Prognose der Spurenelemente. Diese wurde implementiert, um sicherzustellen, dass die produzierten Zemente den normativen Vorgaben entsprechen, insbesondere bei hohen Ersatzrohstoffraten. Die Prognose berücksichtigt den gesamten Produktionsprozess bis zum finalen Zement und ermöglicht es, frühzeitig Gegenmaßnahmen zu ergreifen, falls Überschreitungen der Grenzwerte prognostiziert werden.

6 Experimentelle Validierung

Die neu entwickelte Qualitätssteuerung wurde einer umfassenden experimentellen Validierung unterzogen, um ihre Leistungsfähigkeit und Robustheit unter verschiedenen Betriebsbedingungen nachzuweisen. Die Validierung erfolgte in zwei Betriebszuständen: Einerseits unter Standardproduktionsbedingungen mit einer branchenüblichen Ersatzrohstoffrate von 10–15 % nach Abschluss der Softwareinbetriebnahme, andererseits parallel zu den Entwicklungsarbeiten sowie als Abschluss der Inbetriebnahme in den ersatzrohstoffreichen Klinkerbrennversuchen im Rahmen der „On TrACK-Versuchsserie“, um die Funktionalität der Steuerung auch bei extremen Einsatzbedingungen zu testen. In den On TrACK-Klinkerbrennversuchen wird durch Maximierung des Ersatzrohstoffeinsatzes die Produktion eines CO2-optimierten Klinkers angestrebt.
Die Berechnung der Ersatzrohstoffrate [%] im Rohmehl wird mit folgender Formel ermittelt:
$$ERS-Rate=\frac{m_{ER{S_{\textit{\text{Aufgabe}}}}}\cdot (100-\omega _{ERS}(\textit{\text{Feuchte}}))}{P_{RM}\left(\textit{\text{trocken}}\right)}$$
(1)
Hierbei sind die Variablen definiert als:
  • \(m_{ER{S_{\textit{Aufgabe}}}}\): Masse der in die Rohmehlmühle aufgegebenen Ersatzrohstoffe [t]
  • ωERS(Feuchte): Durchschnittliche Feuchtigkeit der im Einsatz befindlichen Ersatzrohstoffe [%]
  • PRM(trocken): Produktionsmenge des trockenen Rohmehls [t]
Die Hauptzielsetzung der Validierung war es, die Gleichmäßigkeit der Rohmehlqualität zu beurteilen, da diese für einen stabilen Produktionsprozess und konstante Klinkereigenschaften entscheidend ist. Eine konstante Rohmehlqualität bildet die Grundlage für einen stabilen Brennprozess, wobei der Kalkstandard als maßgeblicher Qualitätsparameter herangezogen wird, dessen Schwankungen durch die Standardabweichung bewertet werden [3].
$$KST=\frac{100\cdot \omega \left(CaO\right)}{2{,}8\cdot \omega \left(SiO_{2}\right)+1{,}18\cdot \omega \left(Al_{2}O_{3}\right)+0{,}65\cdot \omega \left(Fe_{2}O_{3}\right)}$$
(2)
wobei:
  • ω(CaO): Massenanteil Calciumoxid [%]
  • ω(SiO2): Massenanteil Siliziumoxid [%]
  • ω(Al2O3): Massenanteil Aluminiumoxid [%]
  • ω(Fe2O3): Massenanteil Eisenoxid [%]

6.1 Validierung unter Standardbedingungen

Die Performance der Qualitätssteuerung unter Standardbedingungen wurde anhand der Rohmehlqualität in den Jahren 2021 bis 2024 beurteilt. Abb. 3 zeigt die Entwicklung des Kalkstandards sowie die als 1‑Sigma-Bereich dargestellten zugehörigen Standardabweichungen auf Basis von Tagesdurchschnittswerten (TD). Die statistischen Kennzahlen sind in Tab. 1 aufgeführt. Die Berechnung der Kennzahlen erfolgte auf Basis der Tagesdurchschnittswerte der POLAB®-Analysen. In Abb. 3 sind die Jahre 2021 bis 2023 als Jahresintervalle dargestellt, während das Jahr 2024 in die Zeiträume vor und nach der Inbetriebnahme der Prozesssteuerung unterteilt wurde (vor der Inbetriebnahme bis Juni 2024 und nach der Inbetriebnahme ab Juli 2024). Die realisierte Ersatzrohstoffrate ist auf der Sekundärachse abgebildet.
TABELLE 1
Statistische Auswertung des Kalkstandards am Rohmehlmühlenaustrag (2021–2024)
Kalkstandard Austrag Rohmehlmühle
2021
2022
2023
2024 vor IBN
2024 nach IBN
Mittelwert
101,3
100,4
101,3
100,2
100,6
Standardabweichung
4,0
4,8
4,0
3,9
3,1
Anzahl TD
290
312
285
117
117
Analysen je TD
39,7
41,2
45,2
41,1
42,6
ERS-Rate
4,6
6,5
13,4
14,5
15,1
Vor der Inbetriebnahme der Prozesssteuerung betrug die Standardabweichung des Kalkstandards am Mühlenaustrag zwischen 2021 und Juni 2024 durchschnittlich 4,2. Nach der Inbetriebnahme sank dieser Wert um ca. 26 % auf 3,1, wobei die Ersatzrohstoffrate seit 2023 auf einem ähnlich hohen Niveau liegt. Diese signifikante Reduktion der Schwankungsbreite belegt die Effektivität der entwickelten Qualitätssteuerung.

6.2 Validierung bei hohen Ersatzrohstoffraten: On TrACK-Versuchsprogramm

Bei Standardproduktionsbedingungen liegt die Ersatzrohstoffrate derzeit bei etwa 15 %. Das Ziel der Steuerung war es jedoch, auch bei Ersatzrohstoffraten über 25 % eine stabile Qualität zu gewährleisten. Um dies zu verifizieren, wurde eine großtechnische Versuchsreihe, die On-TrACK-Versuchsserie, initiiert. Ziel des Versuchsprogramms war es, einen Klinker mit minimalem CO2-Emissionsfaktor zu produzieren, indem die Prozess- und Brennstoffemissionen durch den gezielten Einsatz CO2-armer Ersatzrohstoffe und Brennstoffe optimiert wurden.
Die zweite Validierungsphase konzentrierte sich darauf, die Leistungsfähigkeit der Qualitätssteuerung unter diesen extremen Bedingungen in den bislang durchgeführten beiden On TrACK-Versuchen zu überprüfen.

6.3 On TrACK I-Klinkerbrennversuch (September 2023)

In diesem dreitägigen Versuch wurde erfolgreich ein aus fünf Komponenten bestehendes Rohmehl mit einem Ersatzrohstoffanteil von 45 % entsprechend der in Abb. 4 dargestellten Rezeptur produziert. Zur Steuerung wurde die Excel-Simulation verwendet, bei der die erforderlichen Prozess- und Qualitätsdaten aus den zugehörigen Datenbanken manuell extrahiert wurden.
Trotz des hohen Ersatzrohstoffanteils gelang es durch die Anwendung der entwickelten Qualitätssteuerung, die qualitativen Spezifikationsvorgaben einzuhalten. Für den Kalkstandard wurde im Versuchszeitraum ein spezifikationskonformer Mittelwert von 102,4 mit einer Standardabweichung von 3,8 erreicht, was die Fähigkeit der Steuerung zur Gewährleistung einer konstanten Rohmehlqualität auch unter extremen Bedingungen belegt. Der CO2-Gehalt des produzierten On TrACK I‑Rohmehls konnte auf 28,6 % gesenkt werden, was einer relativen Reduktion des CO2-Gehalts des Rohmehls um 15,4 % gegenüber dem Branchendurchschnitt von 33,8 % (Referenzjahr 2021) entspricht [1].

6.4 On TrACK II-Klinkerbrennversuch (November 2024)

In diesem zweitägigen Versuch, der zugleich den Abschluss der Inbetriebnahmephase darstellte, wurde die Qualitätssteuerung im vollautomatischen Betrieb mithilfe der implementierten Websoftware getestet. Hierbei wurde ein komplexes Rohmehl aus 15 verschiedenen Komponenten mit einer Ersatzrohstoffrate von 38,9 % und einem CO2-Gehalt von nur 27,5 % produziert, was einer relativen CO2-Reduktion zum Branchendurchschnitt um 18,6 % entspricht. Die durchschnittliche Versuchsrezeptur des On TrACK II-Rohmehls kann Abb. 5 entnommen werden.
Aufgrund des ungewohnt hohen Einsatzes von Feinstoffen und Schlamm kam es zu zahlreichen Anlagenstörungen und Verfügbarkeitsproblemen der über diese Dosieraggregate zugeführten Rohstoffe. Diese unvorhergesehenen Prozessveränderungen führten zu 53 notwendigen Rezepturanpassungen, die eine manuelle Steuerung nicht hätte kompensieren können. Die entwickelte Software hingegen konnte diese Abweichungen ausgleichen, sodass trotz der herausfordernden Bedingungen ein spezifikationskonformer mittlerer Kalkstandard von 100,6 mit einer Standardabweichung von 3,8 am Rohmehlmühlenaustrag erreicht wurde. Damit wurde die Robustheit der Steuerung und ihre Fähigkeit, auch unter schwierigen Bedingungen eine hohe Rohmehlqualität zu gewährleisten, belegt.

7 Herausforderungen und weiterer Forschungsbedarf

Die innovative Prozesssteuerung im Zementwerk Wietersdorf ist ein Meilenstein für die nachhaltige Rohmehlproduktion. Sie ermöglicht eine höhere Substitution natürlicher Rohstoffe durch Ersatzrohstoffe. Dennoch bestehen Herausforderungen, die weitere Forschung erfordern, um einen hohen Ersatzrohstoffeinsatz branchenweit zu realisieren.
Die Umsetzung der Ersatzrohstoffstrategie hängt von der Erschließung geeigneter Quellen ab. Besonders wichtig ist die Untersuchung der Auswirkungen verschiedener Ersatzrohstoffe auf die Klinker- und Zementqualität sowie den gesamten Prozess. Dies zeigte sich in den On TrACK-Versuchen, bei denen trotz spezifikationskonformer Rohmehlzusammensetzung eine reduzierte Tricalciumaluminatbildung im Klinker zu Veränderungen der Erstarrungszeit und Frühfestigkeit der Versuchszementen führte.
Um die Ersatzrohstoffverfügbarkeit zu gewährleisten, müssen effiziente Logistikkonzepte für Sammlung, Aufbereitung und Verteilung von Ersatzrohstoffen entwickelt werden. Zudem sind Synergien zwischen Industriezweigen zur Nutzung von Nebenproduktströmen zu prüfen. Um die Qualität der aktuell bereits verfügbaren Ersatzrohstoffquellen zu verbessern, sind außerdem Forschungsarbeiten zu Vorbehandlungs- und Aufbereitungsmethoden essenziell.
Rechtliche Rahmenbedingungen beeinflussen den Einsatz erheblich. Bestehende Regularien müssen analysiert, Hindernisse identifiziert und Vorschläge für angepasste Gesetze erarbeitet werden. Eine frühzeitige Festlegung des Abfallendes könnte Hürden abbauen und den Einsatz solcher Stoffe erleichtern, erfordert jedoch politische Maßnahmen.
Diese Themen werden im FFG-Branchenprojekt „Ressourcen- und CO2-optimierte Herstellung innovativer Zementklinker“ untersucht, das von der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie (VÖZ) und dem Lehrstuhl für Aufbereitung und Veredlung der Montanuniversität Leoben durchgeführt wird. Die Ergebnisse dieses Forschungsprojekts sind entscheidend, um die Vorreiterrolle der österreichischen Zementbranche im Bereich Ersatzrohstoffe auf europäischer Ebene weiter auszubauen.
Der branchenübergreifende Forschungsansatz ist substanziell, um langfristig nachhaltige Erfolge zu erzielen. Nur durch die enge Zusammenarbeit von Industrie, Forschung und Politik können diese komplexen Herausforderungen bewältigt und der Weg zu einer wirklich nachhaltigen Zementproduktion geebnet werden.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Hinweis des Verlags

Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Literatur
3.
Zurück zum Zitat Locher, F.W.: Zement. Grundlagen der Herstellung und Verwendung. Bau+Technik, Düsseldorf (2000) Locher, F.W.: Zement. Grundlagen der Herstellung und Verwendung. Bau+Technik, Düsseldorf (2000)
8.
Zurück zum Zitat Auer, A., Gröll, C.: Use of alternative raw materials (ARM) in a cement plant with RTO. Alternative Raw Materials in the European Cement Industry, Düsseldorf (2023) Auer, A., Gröll, C.: Use of alternative raw materials (ARM) in a cement plant with RTO. Alternative Raw Materials in the European Cement Industry, Düsseldorf (2023)
10.
Zurück zum Zitat Kettler, J.P.H.: Prompt-Gamma-Neutronen-Aktivierungs-Analyse zur zerstörungsfreien Charakterisierung radioaktiver Abfälle. Schriften des Forschungszentrums Jülich Reihe Energie & Umwelt / Energy & Environment, Bd. 82. Forschungszentrum Zentralbibliothek, Jülich (2010). Zugl.: Aachen, Techn. Univ., Diss., 2010 Kettler, J.P.H.: Prompt-Gamma-Neutronen-Aktivierungs-Analyse zur zerstörungsfreien Charakterisierung radioaktiver Abfälle. Schriften des Forschungszentrums Jülich Reihe Energie & Umwelt / Energy & Environment, Bd. 82. Forschungszentrum Zentralbibliothek, Jülich (2010). Zugl.: Aachen, Techn. Univ., Diss., 2010
Metadaten
Titel
Erfolgreiche Implementierung der automatisierten Qualitätssteuerung im Zementwerk Wietersdorf zur gesicherten Erzeugung qualitätsvoller Rohmehle
verfasst von
Dr.mont. Christine Gröll, M.Sc.
Florian Salzer
Florian Pöllabauer
Helmut Flachberger
Publikationsdatum
08.05.2025
Verlag
Springer Vienna
Erschienen in
BHM Berg- und Hüttenmännische Monatshefte
Print ISSN: 0005-8912
Elektronische ISSN: 1613-7531
DOI
https://doi.org/10.1007/s00501-025-01605-5

    Marktübersichten

    Die im Laufe eines Jahres in der „adhäsion“ veröffentlichten Marktübersichten helfen Anwendern verschiedenster Branchen, sich einen gezielten Überblick über Lieferantenangebote zu verschaffen.