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Erschienen in:

Open Access 2025 | OriginalPaper | Buchkapitel

6. Ergebnisse der empirischen Datenerhebung

verfasst von : Kim Dede

Erschienen in: Aufstiegschancen von Frauen

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Das Kapitel untersucht die Erfahrungen von Frauen in höheren Führungspositionen in der Beratungsbranche durch qualitative Interviews. Es zeigt auf, wie Geschlechterstereotype und die Herausforderungen der Vereinbarkeit von Beruf und Familie die Karrierewege von Frauen beeinflussen. Die Analyse basiert auf einer qualitativen Inhaltsanalyse, die sich an der Makro-, Meso- und Mikroebene orientiert. Dabei werden 27 Codes in sechs Code-Gruppen verwendet, um eine umfassende Übersicht zu bieten. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen in der Beratungsbranche trotz ihrer Führungspositionen oft mit zusätzlichen Belastungen konfrontiert sind, die von gesellschaftlichen Erwartungen und strukturellen Ungleichheiten herrühren. Die Interviews offenbaren, wie Frauen in der Beratungsbranche mit Geschlechterstereotypen und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie umgehen. Es wird deutlich, dass Frauen in Führungspositionen oft zusätzliche mentale und zeitliche Belastungen tragen, die sich aus der Erwartung ergeben, den Großteil der Care-Arbeit zu übernehmen. Die Analyse zeigt, dass Frauen in der Beratungsbranche trotz ihrer Führungspositionen oft mit zusätzlichen Belastungen konfrontiert sind, die von gesellschaftlichen Erwartungen und strukturellen Ungleichheiten herrühren. Die Interviews offenbaren, wie Frauen in der Beratungsbranche mit Geschlechterstereotypen und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie umgehen. Es wird deutlich, dass Frauen in Führungspositionen oft zusätzliche mentale und zeitliche Belastungen tragen, die sich aus der Erwartung ergeben, den Großteil der Care-Arbeit zu übernehmen. Die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse zeigen, dass Frauen in der Beratungsbranche trotz ihrer Führungspositionen oft mit zusätzlichen Belastungen konfrontiert sind, die von gesellschaftlichen Erwartungen und strukturellen Ungleichheiten herrühren. Die Interviews offenbaren, wie Frauen in der Beratungsbranche mit Geschlechterstereotypen und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie umgehen. Es wird deutlich, dass Frauen in Führungspositionen oft zusätzliche mentale und zeitliche Belastungen tragen, die sich aus der Erwartung ergeben, den Großteil der Care-Arbeit zu übernehmen. Die Analyse zeigt, dass Frauen in der Beratungsbranche trotz ihrer Führungspositionen oft mit zusätzlichen Belastungen konfrontiert sind, die von gesellschaftlichen Erwartungen und strukturellen Ungleichheiten herrühren. Die Interviews offenbaren, wie Frauen in der Beratungsbranche mit Geschlechterstereotypen und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie umgehen. Es wird deutlich, dass Frauen in Führungspositionen oft zusätzliche mentale und zeitliche Belastungen tragen, die sich aus der Erwartung ergeben, den Großteil der Care-Arbeit zu übernehmen.
Das folgende Kapitel fokussiert sich auf die Expertinneninterviews und vermittelt durch die analysierten Textfragmente Einblicke in die Erfahrungswelt der Beraterinnen in höheren Führungspositionen. Die Auswertung erfolgt als qualitative Inhaltsanalyse und orientiert sich an der Makro-, Meso- und Mikroebene. Es wird angestrebt, eine möglichst umfassende Übersicht zu bieten, da mit insgesamt 27 Codes in sechs Code-Gruppen eine Vielzahl an Auswertungsdimensionen eröffnet wurde. Die Codes werden für die Auswertung entsprechend des theoretischen Bezugsrahmens gruppiert; dies soll das Herstellen von Bezügen zwischen den theoretischen Perspektiven und den empirisch erhobenen Daten erleichtern. Die Einordnung der Erkenntnisse in die Codes ist jedoch weder trennscharf noch exklusiv, sondern erfolgte nach bestem Wissen und Gewissen und gemeinsamer Erarbeitung innerhalb einer Codiergruppe. Hier sei erwähnt, dass auch andere Zuordnungen möglich wären und die jeweiligen Entscheidungen möglichst nachvollziehbar begründet wurden.

6.1 Vorstellung der Interviewpartnerinnen und Überblick über die Ergebnisse

Insgesamt wurden 12 Expertinneninterviews geführt, von denen final zehn verwendet werden konnten. Ein Interview konnte nicht zu Ende geführt werden, ein anderes wurde anschließend aus Sorge vor Wiedererkennung seitens der Interviewpartnerin zurückgezogen. Alle verwendeten Interviews wurden anonymisiert hinsichtlich Namen, Unternehmen, Branchen oder fachlichen Schwerpunkten sowie Merkmalen, die Rückschlüsse auf die Identität zulassen. Neun der zehn Gesprächspartnerinnen identifizieren sich selbst als Cis-Frauen, eine als „eher nicht-binär“, die jedoch weiblich gelesen wird.
Alle zehn Beraterinnen arbeiten derzeit in der Beratungsbranche und hatten zum Zeitpunkt des Gesprächs eine Führungsposition mit Umsatz- und Personalverantwortung inne. Die höchste Umsatzverantwortung umfasst einen dreistelligen Millionenbetrag, die geringste einen Betrag im unteren sechsstelligen Bereich pro Jahr. Die Interviewpartnerinnen führen zwischen knapp zehn und 600 Mitarbeiter:innen und verteilen sich auf alle Karrierestufen von der (Senior) Managerin bis zur Geschäftsführerin, wobei sich die Begriffe je nach Organisation unterscheiden. Eine Einordnung in die in Abschnitt 2.1.4 Organisationsstruktur und Karrierepfade in der Beratung gezeichnete pyramidale Struktur der Beratung ergibt die in Abbildung 6.1 dargestellte Verteilung.
Abbildung 6.1
Einordnung der Interviewpartnerinnen in die Karrierestufen der Beratungsbranche.
(Quelle: Eigene Darstellung)
Das Ziel der Feldphase, Frauen in höheren Führungspositionen (ab [Senior] Manager:in, vgl. Abschnitt 4.3 Forschungsfrage und Zusammenfassung der theoretischen Implikationen) zu untersuchen, wurde damit erreicht.
Die Interviewpartnerinnen arbeiten in unterschiedlichen Bereichen der Beratungsbranche. In Absprache mit ihnen wurde auf die Angabe von Firmennamen verzichtet und stattdessen die Art der Beratung angegeben:
  • Big Four
  • IT-Beratungsfirma
  • Strategieberatung
  • Deutsche Beratungsfirma
  • Internationale Beratungsfirma
Die meisten der befragten Beraterinnen arbeiten in Firmen aus der Liste der führenden internationalen Management-Beratungen in Deutschland (vgl. Abbildung 2.​1 in Abschnitt 2.1.2 Unternehmensberatung heute: Daten und Arbeitsweise), wodurch sich ein ebenso tiefer wie breiter Einblick in den deutschen Markt ergibt.
Die Interviewpartnerinnen haben zwischen sieben und 25 Jahren Berufserfahrung, der Großteil davon in der Beratungsbranche. Nur zwei Frauen haben einen erheblichen Teil ihrer
Karriere außerhalb der Branche verbracht und sind von der Wissenschaft und aus dem Management in die Beratung gewechselt. Der klassische Karrierepfad entspricht also dem Durchlaufen der pyramidalen, hierarchischen Struktur der Beratungsfirmen. Entsprechend sind die Beraterinnen zwischen 32 und 58 Jahre alt, was ein typisches Alter für eine höhere Führungsposition in dieser Branche darstellt (vgl. Abschnitt 2.2.3 Frauen in der Beratungsbranche: Ein Überblick).
Hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung geben acht Interviewpartnerinnen an, heterosexuell zu sein, zwei identifizieren sich als bisexuell beziehungsweise leben in nicht-heterosexuellen Beziehungen. Sieben der zehn Frauen sind verheiratet, ihre Partner:innen sind voll berufstätig. Da die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Frauen eine große Rolle spielt, wurde auch nach Care-Arbeit gefragt: Sechs Frauen haben keine Kinder, drei haben jeweils ein Kind und nur eine der zehn Beraterinnen hat zwei. Alle Mütter geben an, mehr als die Hälfte der Care-Arbeit zu leisten, nur in einer Partnerschaft – der nicht-heterosexuellen – ist diese ungefähr gleich verteilt. Die zusätzliche Arbeit dadurch neben dem Beruf wird als große zeitliche und auch mentale Belastung beschrieben. Zusätzlich zu den Kindern übernehmen zwei weitere Frauen Care-Arbeit für zu pflegende Angehörige oder haben diese im Laufe der Karriere übernommen. Neun der zehn Beraterinnen arbeiten Vollzeit, lediglich eine übt eine Teilzeitbeschäftigung von 80 % aus.
Trotz großer Bemühungen um Diversität hat nur eine befragte Beraterin einen nicht-deutschen Hintergrund. Neun der zehn Frauen und ihre Eltern besitzen qua Geburt die deutsche Staatsbürgerschaft, alle zehn sind weiß. Der Versuch, eine BiPoC in das Sample aufzunehmen, könnte angesichts der verschwindend geringen Anzahl unter Führungskräften in der Beratung als Tokenism verstanden werden. Bei der Recherche konnte deutschlandweit keine einzige BiPoC ausfindig gemacht werden, die die Kriterien für das Interview erfüllt. Daher wurde nach der Diskussion im Rahmen einer Diversity-Arbeitsgruppe davon Abstand genommen, explizite Quoten erfüllen zu wollen.
Wie es in einem akademischen Beruf in Deutschland zu erwarten ist, stammen zudem sieben der zehn weiblichen Führungskräfte aus Haushalten, in denen mindestens eine Person studiert hat. Drei Frauen geben an, dass sie die ersten in ihrer Familie sind, die eine Universität besucht haben. Die mit dem Fragebogen (vgl. Abschnitt 5.1.3 Operationalisierung) erfassten Angaben zur Branchenzugehörigkeit werden aufgrund der Anonymisierung nicht einzeln dargestellt oder ausgewertet. Die befragten Beraterinnen decken jedoch alle in Abschnitt 2.1.2 Unternehmensberatung heute: Daten und Arbeitsweise beschriebenen Arten von Beratungssparten ab, darunter die Organisations- und Prozessberatung, die Strategieberatung und die IT-Beratung sowie zwei spezialisierte Beratungshäuser.
Überblick über die Ergebnisse
Die Interviews wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse (vgl. Gläser, Laudel 2009) ausgewertet und in 27 Codes eingeordnet, wie in Abschnitt 5.2 Analyse und Vorgehen bei der Auswertung der Interviews dargestellt (vgl. Tabelle 5.2. Darstellung von Kategoriensystem und Codes geordnet nach Anzahl an Textstellen (Quelle: eigene Darstellung)). Die Codes werden nun gruppiert nach Kapiteln ausgewertet. Einige Codes haben ähnliche Namen wie die Unterkapitel („Schönheitshandeln“, „Doing Gender“), einige wurden übergeordneten Begriffen zugeordnet („Care-Arbeit“ in Abschnitt 6.2.2. Vereinbarkeit). Tabelle 6.1 zeigt diese Zuordnung.
Tabelle 6.1
Einordnung der Codes in den theoretischen Bezugsrahmen zum Zwecke der Auswertung. (Quelle: Eigene Darstellung)
Kapitel 6. Ergebnisse
Unterkapitel
Zugeordnete Codes
6.1 Vorstellung & Überblick
 
Rahmendaten des Samples
Soziodemographische Daten
6.2 Makro-Ebene
  
 
6.2.1 Geschlechterstereotype
Ungleichbehandlung
Weibliche Stereotype
 
6.2.2 Vereinbarkeit
Vereinbarkeit
Care-Arbeit
6.3 Meso-Ebene
  
 
6.3.1 Tokenism
Tokenism
 
6.3.1 Gendered Organization
Boys Club
Male Gendered Organization
Mangelnde Diversität
Geschlechterverhältnis
 
6.3.2 Role-Congruity-Theory
Mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten von Frauen
 
6.3.3 Lack-of-Fit-Model
Mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten von Frauen
6.4 Mikro-Ebene
  
 
6.4.1 Doing Gender als Berater:in
Doing Gender
 
6.4.2 Schönheitshandeln
Schönheitshandeln
6.5 Erfolgsfaktoren
  
 
6.5.1 Allgemein & geschlechtsunspezifisch
Erfolgsfaktoren
 
6.5.2 Netzwerke, Mentoring und Sponsoring
Erfolgsfaktoren
Weibliche Role Models
 
6.5.3 Selbstbewusstes Auftreten und starker Charakter
Erfolgsfaktoren
 
6.5.4 Mädchenschule
Mädchenschule
Der Aufbau der folgenden Kapitel entspricht also dem des Theoriekapitels 3.2 Geschlecht im beruflichen Kontext. Dort wurden die ausgewählten, etablierten theoretischen Konzepte beschrieben und in die Makro-, Meso- und Mikro-Ebene eingeordnet. Sie beruhen auf der wissenschaftlichen Betrachtung von Gender als sozialem Konstrukt aus einer intersektionalen Perspektive. Die folgenden Kapitel gliedern die Ergebnisse in Unterkapitel auf, die ebenfalls auf dem jeweiligen Theoriekapitel basieren. Diesen Unterkapiteln wurden die Codes zugeordnet, wie Tabelle 5.4 zeigt. Abschließend kommen die aus den Interviews abgeleiteten Erfolgsfaktoren hinzu.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse zu Gender werden hier anschlussfähig an Alltagswissen beschrieben. Konzepte wie Geschlechterstereotype, die in den theoretischen Modellen auf der Makro-, Meso- und Mikro-Ebene verwendet werden, sind nicht abstrakt, sondern spiegeln sich in sozialen Interaktionen und individuellen Wahrnehmungen wider. Ein wesentlicher Aspekt der Anschlussfähigkeit liegt in der performativen Natur von Gender, wie sie von Butler beschrieben wird (vgl. 1990, 2011). Die intersektionale Perspektive zeigt außerdem, dass Alltagswissen stets durch die individuellen Erfahrungen mehrerer sozialer Kategorien beeinflusst wird, sodass die Erkenntnisse in den folgenden Unterkapiteln auch dahingehend beleuchtet werden.

6.2 Ergebnisse aus den Interviews auf der Makro-Ebene

Das folgende Unterkapitel stellt die gewonnenen Erkenntnisse auf Makro-Ebene vor, also hinsichtlich der gesellschaftlichen Strukturen, sozialen Phänomene und gesamtwirtschaftlichen Prozesse. Es präsentiert Erkenntnisse über den Einfluss von Geschlechterstereotypen und mangelnder Vereinbarkeit auf die berufliche Realität von Frauen in der Beratungsbranche. Diese Themen betreffen jedoch nicht nur die Makro-Ebene; Geschlechterstereotype und die daraus resultierende Ungleichheit in der Verteilung der Care-Arbeit wirken auch auf organisationaler und individueller Ebene. Aus diesem Grund werden die Codes Weibliche Stereotype, Vereinbarkeit, Care-Arbeit und Ungleichbehandlung im folgenden Unterkapitel zwar als Phänomene auf der Makro-Ebene ausgewertet; wo relevant, werden sie jedoch später in Bezug auf andere Ebenen wieder aufgegriffen.

6.2.1 Geschlechterstereotype als hinderliche Rahmenbedingung

Geschlechterstereotype manifestieren und verankern sich auf verschiedene Art und Weise in der Gesellschaft. Wie in Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene beschrieben, entsteht gesamtgesellschaftlich ein konsensuelles, kulturelles Gedächtnis (vgl. Schneider 2004), das Annahmen über die Geschlechter enthält. Diese Stereotype prägen nicht nur das individuelle Verhalten, sondern haben auch tiefgreifende Auswirkungen auf organisatorische und institutionelle Strukturen. Im praxisorientierten Kontext wird Gender als dynamisches Konzept betrachtet, das seine Wurzeln in gesellschaftlichen Geschlechterstereotypen hat und in sozialen, beruflichen und organisatorischen Interaktionen kontinuierlich verhandelt wird.
Die Erkenntnisse zu Geschlechterstereotypen werden daher auf der Makro-Ebene eingeordnet, erstrecken sich in ihrer Wirkung wie bereits angedeutet jedoch darüber hinaus: Sie haben Einfluss auf Organisationen wie Beratungsfirmen und auf die Individuen, die sich dort bewegen. Geschlechterstereotype sind die Basis für andere Theorien und Konzepte, wie beispielsweise die Role-Congruity-Theory und das Schönheitshandeln, die auf der Meso- beziehungsweise Mikro-Ebene analysiert werden.
Ähnlich wie auf der gesellschaftlichen Ebene generell beeinflussen Geschlechterstereotype auch in der Beratungsbranche die zwischenmenschliche Kommunikation und gegenseitige Wahrnehmung. Dementsprechend können Eigenschaften und Aktivitäten als typisch männlich oder weiblich eingeordnet und offen als solche kommuniziert werden, wie eine Partnerin aus eigener Erfahrung schildert:
Gerade in meinen ersten Jahren hatte ich immer das Gefühl, dass ich eher Nachteile habe. Weil gerade die Kunden oder auch die Kollegen haben sich abends auf ein Bier getroffen und haben Frauen, also uns Frauen, eher weniger angefragt. Weil sie wahrscheinlich die Erfahrung gemacht haben, dass Frauen kein Bock haben auf ein Bier trinken. (4:74 ¶ 60 in Interview 4.docx)
Der Ausschluss aus einer sozialen Aktivität („etwas trinken gehen“) bedeutet in diesem Fall auch den Ausschluss von den Möglichkeiten der Vernetzung und dem damit verbundenen Zugang zu Macht („Manager gehen Bier trinken, Frauen sind nicht dabei“).
Im Umkehrschluss können Frauen Attribute zugeschrieben werden, die ihrer Rolle als Führungskraft nicht entsprechen:
Das ist genau so ein Bullshit, wie die Leute kommen und sagen „Ja, du hast bist doch die Frau. Schreib doch mal mit, weil du eine schöne Handschrift hast.“ […] Aber das sind ja Dinge, mit denen man spielen kann, muss, aber niemals sollte. Niemals. Gezwungenermaßen. (9:57 ¶ 55 in Interview 9.docx)
Wie bereits in Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene mithilfe des Stereotype Content Model erklärt wurde, kann Frauen unter anderem aufgrund sozialer Kategorisierung ein gesellschaftlich niedrigerer Status und damit einhergehend weniger Kompetenz attestiert werden (vgl. Fiske et al. 2002, S. 877). So ist die Tätigkeit des Protokollierens mit einer geringeren hierarchischen Stellung – nämlich der der Assistentin – assoziiert, was die Kompetenzwahrnehmung durch die Kolleg:innen negativ beeinflussen kann.
Als weiterer Geschlechterstereotyp wird Frauen bisweilen ein höherer Grad an Emotionalität zugeschrieben. Dieser begegnet Frauen im beruflichen Kontext besonders häufig, wie im Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene theoretisch belegt wurde und in diesem Interview aus der Praxis widergespiegelt wird:
Aber Beispiel, das illustriert es am besten: Ich habe alles getan, dass man mir keine Emotionalität vorwerfen kann, weil ich die Beobachtung gemacht habe, dass Emotionalität negativ konnotiert ist. In dieser sehr maskulin geprägten Branche und dem Umfeld, in dem ich da bin. Also tue ich alles dafür, […] nicht als emotional wahrgenommen zu werden, weil ich die Sorge hatte, dass das die Validität meiner Sachargumente unterminieren würde. Also, na, ich bring was ein. Und jemand sagt: Also warum regst du dich denn so auf? Und prompt geht es nicht mehr darum, dass mein Punkt sicherlich valide ist, sondern die Diskussion ist auf der Ebene „Warum regt die sich denn so auf“. (1:29 ¶ 47 in Interview 1.docx)
Mit dem Vorwurf der Emotionalität geht hier eine Unterstellung von Unsachlichkeit einher („Aufregung“). Dadurch tritt der eigentliche Inhalt des Anliegens in den Hintergrund (Diskussion auf anderer Ebene), was wieder zu einer geringeren Wahrnehmung der Kompetenz führen kann. Außerdem wiegt die Unterstellung so schwer, dass sie die Machtposition der betroffenen Frau in einem Gespräch beeinträchtigen kann („Warum regt die sich denn so auf“).
Zu beobachten ist, dass sich der Umgang mit dem Vorwurf der Emotionalität im Karriereverlauf verändern kann: Wird er zu Beginn noch als „selbst empfundener Makel“ (Interview 1, 1:35, ¶ 45) beschrieben, ergeben sich im Laufe der Zeit neue Herangehensweisen, wie es dieselbe Interviewpartnerin beschreibt:
Mein Ziel ist, dass ich, dass ich das, so was vielleicht stereotypisch weiblich ist, wieder stärker owne. Beispiel Emotionalität. Ich habe auch mehrere Coachings besucht und gerade solche Fragen auch bearbeitet. Also so wie gehe ich damit um, wenn, wenn ich mit einem validen Sachargument komme und jemand mir vorwirft, ich würde mich aufregen. Und da auch mit einer ganz tollen Coach gearbeitet, die – das werde ich nie vergessen – mir dann so als Gedankenstütze beigebracht hat. Ja, aber wenn jetzt jemand fragt, warum regst du dich so auf, dann sagt man „Ja, weil ich kann“. Also weil ich es einen unglaublich ärgerlichen Sachverhalt finde. Also ich wundere mich, dass du dich nicht aufregst, weil also wie kannst du so… […]. (1:37 ¶ 47 in Interview 1.docx)
Der Umgang mit Geschlechterstereotypen kann sich also im Laufe der Karriere verändern. Diese Beraterin hat für sich persönlich einen selbstbewussten und reflektierten Umgang damit gefunden. Dennoch können die Kosten der mentalen Belastung – Situation erfahren, Umgang damit, Reflexion, alternative Handlungsstrategie, Umsetzung, Reaktion auf diese – in jedem Fall einen zusätzlichen Aufwand für die weiblichen Führungskräfte darstellen.
Auch das eigene Verhalten kann von Geschlechterstereotypen geprägt sein. Das Bewusstsein darum scheint sich im Laufe der Karriere zu entwickeln:
Dieses „wollte ich gefallen“ ist etwas, was ich sehr stereotypisch weiblich empfinde und habe mich dann ein bisschen damit beschäftigt und dann wirklich gelernt, also das sich so das in der Sprache wiederfinden kann. Also im Sinne von permanent den Leuten zustimmen und irgendwie nochmal aufgreifen, was sie gesagt haben, habe ich mir angelesen, habe es beobachtet an mir selbst und an den männlichen Kollegen und festgestellt, das stimmt. Also Kollegen von mir stimmen signifikant seltener irgendwie erst mal dem zu, was jemand anderes gesagt hat, egal ob männlich oder weiblich, und greifen das nochmal auf und möchten das nochmal verstärken. All diese Vokabeln, die ich schon so internalisiert hatte, so sowas. Also halt so, ich weiß nicht wie… Man müsste es jetzt einmal umdrehen, um das Erfolgsrezept zu beschreiben: Also weniger gefallen wollen und mehr absolute Aussagen einfach treffen hier. (1:78 ¶ 82 in Interview 1.docx)
Die Beraterin empfindet also ihr eigenes Verhalten als negativ und empfiehlt anderen Frauen, weniger gefallen zu wollen. Diese Reaktion auf stereotypisch weibliches Verhalten kann bei allen Geschlechtern beobachtet werden: Männer kritisieren es ebenso wie Frauen. Grundlage dafür sind die neutral oder sogar positiv konnotierten männlichen Verhaltensweisen, die als Maßstab herangezogen werden, wie in Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene erläutert wurde. Entsprechend empfehlen die Interviewpartnerinnen hinsichtlich der typischen Geschlechterstereotype im beruflichen Kontext, sich nicht weiblich zu verhalten:
Also immer diejenige sein, die protokolliert wird und nicht die, die Protokoll führt. Ähm, […] mehr darauf scheißen, ob man gefällt oder nicht. Und das auch wirklich in so einer Sprache. Also in einem Bewusstsein der Sprache. Also ich habe das an mir beobachtet, dass das eine Tendenz von mir ist, gefallen zu wollen. (1:77 ¶ 82 in Interview 1.docx)
Das Image des netten Mädels, wie es immer so gerne formuliert wird, loszuwerden und als kompetente Beraterin irgendwann gesehen zu werden. (5:15 ¶ 28 in Interview 5.docx)
Interessant ist, dass die Senior Managerin selbst das „nette Mädel“ als das Gegenteil von kompetenter Beraterin definiert. Hier zeigt sich erneut die duale Natur von Geschlechterstereotypen („männlich/weiblich“), die aus dem konsensuellen Gedächtnis der Gesellschaft heraus zu individuellem Wissensbesitz des Individuums werden (vgl. Schneider 2004).
Da stereotypisch weibliche Eigenschaften und Verhalten im Beratungskontext mit mangelnder Kompetenz assoziiert werden können, testen einige der befragten Beraterinnen typisch männliches Verhalten:
Nicht aufhören zu reden, wenn andere reden, also andere, normalerweise Männer, reden. Und meine ersten Male, als ich das ausprobiert habe, war „Oh mein Gott, ich bin so ein schlechtes Mädchen“. (3:60 ¶ 100 in Interview 3.docx)
Das neue, ungewohnte Verhalten wird zunächst negativ bewertet („schlechtes Mädchen“). Die Tatsache, dass die Beraterin es jedoch als Tipp formuliert (Antwort auf die Frage nach Ratschlägen oder einem Code in der Beratung, vgl. Leitfaden Frage 9a), illustriert, dass ein solches Verhalten erfolgsversprechend sein kann. Eine andere Führungskraft berichtet sogar von speziellen Trainings, in denen Frauen typisch männliches Verhalten lernen sollen:
[…] war so ein bisschen angedockt an die männlichen Auftritte, auch vom Habitus. Das gab es ja diese ganzen Trainings von der Marion Knarz. Also dieses Ganze, was ich heute überhaupt nicht mehr promote, aber dieses „ähnliche Verhaltensmuster, ähnliche Stimmmuster entwickeln“. (2:23 ¶ 42 in Interview 2.docx)
Diese Strategie im Umgang mit den Geschlechterstereotypen ist Teil von Doing Masculinity, also der Imitation typisch männlichen Verhaltens (vgl. Dornheim 2015). Während jedoch Berater in der Regel positive Resonanz auf dieses Verhalten erleben, kann die Erfahrung von Beraterinnen diesbezüglich divergieren. Da Geschlechterstereotype auf der gesellschaftlichen Ebene wirken, kann die individuelle Wahrnehmung durch verschiedene Faktoren verzerrt werden. Das gleiche Verhalten bei einer Frau wird somit unter Umständen anders bewertet als bei einem Mann. Eine Senior Managerin bestätigt dies aus ihrer eigenen Erfahrung:
Das sehe ich so als die stereotypisch männlichen Charakteristika, die da erwartet werden. Mit denen dann auch frau erfolgreicher wird. Aber natürlich: Männer sind dann immer noch sympathisch, Frauen leider nicht mehr, aber, …sie können dann auch erfolgreich werden. (5:57 ¶ 50 in Interview 5.docx)
Wenden Beraterinnen Doing Masculinity als Strategie an, riskieren sie also vor allem Einbußen hinsichtlich der attestierten Sympathie. Erfolg ist somit im sozialen Gefüge einer Organisation auch mit Risiken verbunden. Die Wahrnehmung einer Frau, die Doing Masculinity anwendet, beschreibt diese Interviewpartnerin sogar als beängstigend:
Damals in der Firma, wo ich angefangen haben, da waren auch irgendwie acht Partner und eine Frau Partnerin. […] Eine fantastische, tolle Frau. […] Sie sieht so aus wie, also richtig so hart. Aber total schön. Super schlank, Kurzhaarschnitt, so voll mit Designerklamotten zu und ziemlich unfreundlicher Gesichtsausdruck. […] Und ich habe immer das Prinzip: Du gehst zu Frauen, vor denen alle Angst haben, weil du musst die beste Freundin von denen sein. (3:48 ¶ 70 in Interview 3.docx)
Die Frau wird als eher angsteinflößend und streng beschrieben. Hier kommt der oben beschriebene Effekt auch innerhalb des eigenen Geschlechts zum Tragen: Weibliche Führungskräfte können die Strategie des Doing Masculinity zwar Erfolg bringend anwenden, dabei jedoch auch bei ihren Geschlechtergenossinnen tendenziell an Sympathie verlieren. Dass Frauen im Allgemeinen nicht gut miteinander auskommen würden, ist gemäß der Aussage dieser Direktorin ein weiterer verbreiteter Geschlechterstereotyp:
Und ich habe auch das Gefühl, ich komme mit anderen Frauen gut auf einen Nenner. Und dieses man hat ja öfter mal diese Vorstellung von Zickenkrieg und so. Und das ist bei mir gar nicht so. Ich empfinde das als sehr angenehm, mit Frauen zu arbeiten. (7:54 ¶ 122 in Interview 7.docx)
Indem sie postuliert, dass „man ja öfter mal diese Vorstellung von Zickenkrieg“ habe, bestätigt sie die Internalisierung dieses Stereotyps. Gleichzeitig distanziert sie sich davon, was auf die negative Konnotation von Vorurteilen gegenüber Frauen hindeutet. Ob die oben zitierte Interviewpartnerin selbst sowohl mit gleichrangigen als auch junioreren Kolleginnen gut zurechtkommt, lässt sie offen. Diese Einordnung wäre für das im Folgenden beschriebene Phänomen der Queen Bee relevant.
Insgesamt wird hier deutlich, wie sehr die befragten Interviewpartnerinnen von einem heteronormativen, binären Geschlechterverständnis ausgehen. Während sie den Umgang mit Frauen in der Branche kritisieren, werden Geschlechterstereotype und Zuschreibungen zu ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ nicht hinterfragt. Dies zeugt von einem hohen Internalisierungsgrad dieses binären Systems.
Queen Bee
Für einen problematischen Umgang ranghoher Frauen mit Nachfolgerinnen und jüngeren Mitarbeiterinnen wurde der Begriff der ‚Queen Bee‘ geprägt (vgl. u. a. Kanter 1977). Wie bereits in Abschnitt 4.2.3 Beratungsfirmen als Gendered Organizations beschrieben, bezeichnet dieser abfällig konnotierte Ausdruck Frauen, die sich in Male Gendered Organizations durchgesetzt haben, um ihre Führungsposition zu erreichen. Dieses Phänomen kann auch in der Beratungsbranche beobachtet werden:
Ich weiß nicht, wie oft ich diese Situation hatte, wie Frauen, ältere Frauen, in bestimmten Positionen waren, die dann gesagt haben: Ich hab‘s doch auch geschafft, ich bin doch auch da. Ich bin doch auch die eine, die jetzt hier für XY zuständig ist. Ich bin doch auch die Frau, die sitzt doch hier an dem Tisch. Ich hab‘s doch auch geschafft. So. Ja, du hast es geschafft. Aber die ganzen, die ganzen Guys, die da mit an einem Tisch sitzen, haben ihre Best Buddies auch an den Tisch geholt. Wen hast du noch mit dazu geholt? Keine. Keine andere Frau. (9:40 ¶ 35 in Interview 9.docx)
Dieser Annahme folgend ist eine Queen Bee also nicht an der Unterstützung anderer Frauen interessiert. Derks et al. (2016) konnten zeigen, dass dieses Verhalten keineswegs eine Ursache für die Ungleichheit der Geschlechter innerhalb einer Organisation darstellt, sondern vielmehr eine Folge davon ist: Die Frauen verhalten sich als Queen Bee, da in einer männlich geprägten Organisation nur Platz für eine einzige weibliche Person im Führungskreis ist (vgl. ebd., S. 456 ff.). Die AllBright-Stiftung belegt dieses Phänomen auch 2023 mit ihrem jährlichen Bericht:
Langsam, aber sicher geht es voran mit dem Frauenanteil in den Vorständen: um mehr als 3 Prozentpunkte ist der Anteil seit September 2022 gewachsen, der zweitgrößte Zuwachs im Verlauf eines Jahres überhaupt. Und endlich – wenn auch wirklich spät – ist der Punkt erreicht, an dem es weniger rein männliche Vorstände gibt als gemischte. Von der alten Norm (im Vorstand gibt es nur Männer) bewegen sich die Unternehmen hin zu einer neuen Norm: in jeden Vorstand gehört eine Frau. Und zwar genau eine. (AllBright 2023, S. 4)
Es ist wahrscheinlich, dass eine Frau sich in einem männlich dominierten Vorstand den geschlechtsspezifischen Normen und Doing Gender ihrer Kollegen anpassen muss, um erfolgreich zu sein, solange sie allein in dieser Position ist. Angesichts vorherrschender Stereotypen können abweichende Verhaltensweisen von Frauen, die nicht mit den erwarteten Merkmalen von Empathie und Wärme übereinstimmen, tendenziell negativ bewertet werden. Insbesondere kann die Ausprägung von Durchsetzungsfähigkeit bei weiblichen Führungspersonen in bestimmten Kontexten als konkurrierendes Verhalten interpretiert werden (vgl. Cuddy et al. 2015, S. 635).
Das Verhalten einer Queen Bee muss den betroffenen Frauen nicht zwangsläufig bewusst sein:
So und ich muss auch offen gestehen, ich habe auch früher dann auch gerne mal so Konkurrenzsituationen auch mit Frauen gesehen und da war für mich diese Schulung, die ich da gemacht habe, wirklich ganz toll, wo man mir das auch mal wirklich nähergebracht hat, das Thema. (7:24 ¶ 68 in Interview 7.docx)
Selbstreflektion ist also bedeutsam, um aus dieser Rolle auszubrechen. Ebenso kann das Wissen darüber, dass das Verhalten einer Queen Bee eine Folge von Male Gendered Organizations ist, helfen, Ursache und Wirkung zu trennen. Solange weibliche Führungskräfte für die Ursache gehalten werden, kann der Stereotyp zu Ungunsten der Frauen weiterwirken.
Die Folgen von Geschlechterstereotypen
Ein offensichtlicher Nachteil von Geschlechterstereotypen besteht in der offenen und verdeckten Diskriminierung im Berufskontext. Diese kann durch präskriptive Zuschreibungen entstehen, also durch Vorurteile gegenüber einem bestimmten Geschlecht, die unter Umständen zu einer verzerrten Erwartung oder Bewertung führen können. Eine Senior Managerin schildert ihre Erfahrung als Frau zu Beginn ihrer Karriere:
Und ein Beispiel also eins der ersten Beispiele, an denen ich ganz klar für mich dann festgemacht habe „Moment mal, irgendwie, da ist was, das mich irritiert“ ist, dass ich als mein erstes Projekt oder auf einem meiner ersten Projekteinsätze war, das war die Tätigkeit als Projektmanagement Office. Also meine Aufgaben waren Protokollführen in Sitzungen, Aufgaben nachhalten, To do-Listen und Co, was ja per se jetzt auch was ist, wo man viel lernt. […] Also zum Beispiel ich erinnere mich an eine Situation, wo ich dann eben ganz aufgeregt war, weil ich eine Sitzung leiten durfte und wir saßen dann beide [Anm.: Interviewpartnerin und ihr damaliger Projektleiter] vorne an so einem Kopf des Tisches, dann die Kunden, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von einzelnen Teilbereichen um den Tisch drum rum. Und ich habe dann ja mit dem, was ich mir vorgenommen hatte, die Sitzungen eingeleitet und moderiert. Und dann hat einer der Projektleiter sich zu Wort gemeldet und das ist jetzt per Video… Also wenn du dir jetzt vorstellst, mein, mein Kollege sitzt neben mir oder er ist, ich bin jetzt der Senior Manager, und ich habe dann moderiert und ja und dann hat er mir die, also die Hand [Geste: Hält Hand direkt vors Gesicht] und hat gesagt „Lass, lass mal den Dr. Schnuckeliburg ausreden“ Und diese Geste, dieses. Also mir die, die also die Hand so stoppend ins Gesicht zu halten, also mir mit der Hand den Mund zu verbieten. Also, also das hat mich geprägt, weil also da, ja und dann ging das eben so weiter, dass ich dann auch irgendwann gesagt habe, ich möchte nicht mehr nur Projektmanagement Office sein. Also das ist mir nicht so, ich, ich kann mehr und ich möchte mehr und ich möchte mal was anderes sehen. Und halt auch schon beobachtet habe, dass mein Kollege aus dem damals noch kleineren Team, der ein halbes Jahr vor mir angefangen hatte, schon viel verantwortlichere Aufgaben in einem anderen Projekt wahrgenommen hat. (1:13 ¶ 45 in Interview 1.docx)
Die Interviewpartnerin erlebt hier unter anderem die Folgen der ihr zugeschriebenen Eigenschaften als Frau. Die Handgeste, ähnlich dem Kommando an ein Tier, suggeriert, dass der Kollege ihr eine gesellschaftlich niedrigere Stellung als Frau beimisst (vgl. Fiske et al. 2002, S. 877). Die deutlich schnellere Karriereentwicklung eines Kollegen kann zudem auf die im Vergleich niedrigere Wahrnehmung ihrer Kompetenz hindeuten. Dornheim bezeichnet das Phänomen in Bezug auf Frauen in der Beratung als das „systematische Unterschätzt-werden“ (2015, S. 142). Dieses kann sich ihr zufolge bei strategischen, entscheidenden Karriereschritten ebenso wie in Alltagssituationen zeigen. In Anlehnung an eine Teilnehmerin wirkt sich das Phänomen beispielsweise potenziell negativ auf Beförderungen aus:
Es wird halt eher nach männlich definierten Kriterien promotet. Ich habe mich gefragt, ob da nicht vielleicht auch was dran war. Vielleicht hat beides in der Bewertung dazu beigetragen, dass es [die Beförderung) ein Jahr später war. (7:61 ¶ 27 in Interview 7.docx)
Mit „beides“ bezieht sie sich darauf, dass sie sowohl noch relativ neu in der Firma war als auch als Frau das Gefühl hatte, sich im Vergleich zu Kollegen doppelt beweisen zu müssen (vgl. 7:49 ¶ 25 in Interview 7.docx). Ähnliche Erfahrungen in einer Alltagssituation hat auch diese Senior Managerin gemacht:
Und das passiert natürlich auch, dass das du auf einmal in ein Meeting reingehst. Und dann heißt es – und das ist mir auch passiert – mit irgendwelchen männlichen Kollegen: „So, ja, da ist da so-und-so noch ein Kunde mit dabei. Zieh doch mal ein Kleid an.“ Ja, und zeig doch mal die jetzt und so… Ja, es ist halt Bullshit. (9:56 ¶ 55 in Interview 9.docx)
Der Umgang mit diesen Situationen bedeutet einen geschlechtsspezifischen Sonderaufwand für die Betroffenen, es ist „wenn ich das auf eine Waage legen sollte, […] nachteiliger, eine Frau zu sein […]“ (4:79 ¶ 60 in Interview 4.docx). Die Beraterinnen müssen sich dafür wappnen, ihre Reaktion abwägen und strategisch reagieren. Mehrere Interviewpartnerinnen berichten davon, dass sie es gewohnt sind, diese Situationen „wegzuatmen“ (6:50 ¶ 64 in Interview 6.docx) oder darüber hinweg zu sehen:
In einem sehr männlich geprägten Umfeld, also die ganzen Witzchen, die irgendwie im Vereinzelten ja wegzulächeln sind, aber im Großen und Ganzen ja dazu doch führen, dass man sich diskriminiert und unwohl fühlt am Arbeitsplatz und sehr auf sein Geschlecht reduziert. (5:36 ¶ 34 in Interview 5.docx)
Unabhängig vom Umgang und dem damit verbundenen Sonderaufwand wird hier sichtbar, dass auch der emotionale Aspekt eine Rolle spielen kann und die Folgen von Geschlechterstereotypen so zu einem möglichen Hindernis auf dem Weg in höhere Führungspositionen werden können.
Interessant ist folgender Ratschlag einer Senior Managerin für den Umgang mit diskriminierenden Situationen:
Jedwede […] Wie nenne ich? […] Unterstützung, also so jedwede Assistenzleistungen, die häufiger Frauen machen: Kaffee einschenken, Türen aufhalten, Protokolle führen etc. aktiv vermeiden! (1:76 ¶ 82 in Interview 1.docx)
Der Ratschlag verdeutlicht, dass weniger auf der Makro- und mehr auf der Mikro-Ebene, also beim individuellen Verhalten, nach Ursachen und Lösungen gesucht wird. Dies mag im Einzelfall hilfreich sein, zeigt aber auch, dass ein Ansprechen der Problematik auf Meta-Ebene – beispielsweise in der Situation selbst – tendenziell nicht zur Debatte steht. Die Geschlechterstereotype und negativen Folgen für die Karrierewege der Beraterinnen bleiben unsichtbar.

6.2.2 Herausforderung der Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Karriere

Die Soziale Rollentheorie (vgl. u. a. Koenig, Eagly 2014) bietet eine Erklärung für die Herkunft von Geschlechterstereotypen und Rollenerwartungen und wurde in Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene beschrieben. Sie umfasst auch die gesellschaftlichen Erwartungen hinsichtlich der Aufteilung von Care-Arbeit, die definiert werden kann als die „Fürsorgearbeit, das Erziehen, Fördern und Versorgen von Kindern, [sic] oder das Kümmern um pflegebedürftige Angehörige, die Verrichtung der Hausarbeit und die Organisation des Familienalltags“ (Schrammel 2022, S. 370). Charakteristisch ist, dass Care-Arbeit im privaten Kontext unbezahlt ist. Die Erwartung an Frauen in Deutschland, den Großteil davon zu übernehmen, wurde bereits mehrfach erwähnt. Wie verankert ein solches stereotypes Rollenbild auch in der Beratung noch ist, zeigt sich am Zitat einer Partnerin, die ihren Kolleg:innen von ihrer kürzlichen Hochzeit erzählte: „Hochzeit? Warum ich eigentlich noch arbeite, jetzt wo ich einen Mann ‚gesichert hätte‘“ (10:15 ¶ 44 in Interview 10.docx).
Unabhängig von eventueller Care-Arbeit für Kinder oder Angehörige wird also der Platz der Frau, insbesondere in der Rolle als Ehefrau, hauptsächlich außerhalb des Erwerbslebens verortet. Dieses Bild ist eine Folge der in den vorherigen Kapiteln beschriebenen Geschlechterstereotype und der Sozialisierung hinsichtlich der Verteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit (vgl. u. a. Koenig, Eagly 2014, S. 371). Sieben der zehn Interviewpartnerinnen sind verheiratet, vier haben Kinder. Davon geben drei an, dass sie den Großteil der Sorgearbeit erledigen, eine Befragte trägt 50 %. Zwei der kinderlosen Führungskräfte kümmern sich zumindest zeitweise um pflegebedürftige Angehörige. Diese mentale und zeitliche Belastung tragen alle Befragten neben der Vollzeit-Stelle in der Beratung.
Care-Arbeit lässt sich in zwei Herausforderungen unterteilen: den sichtbaren Anteil der eigentlichen Versorgung und den unsichtbaren Anteil im Sinne des Mental Load. Der sichtbare Anteil kann bei Müttern oder mit Care-Arbeit betrauten Beraterinnen spürbar sein, wie diese Geschäftsführerin und Mutter zweier Kinder schildert:
Also das Thema Vereinbarkeit kann ich nicht verleugnen. Definitiv. Ich habe zwei Kinder. […] Ähm. Naja, du hast einfach mehr Verpflichtungen, mehr Zeiten, mehr Elternabende, mehr Sport, mehr Fußball, mehr Aufführungen von Ballettgruppen. Was weiß ich. Du hast das alles ja doppelt. (2:15 ¶ 30 – 31 in Interview 2.docx)
Sie ist die einzige Befragte, die mehr als ein Kind hat. Das zweite Elternteil arbeitet Vollzeit, genau wie bei allen anderen drei Müttern. Die Vereinbarkeit bleibt gesellschaftlich bedingt auch hier vor allem Herausforderung der Frau, ebenso wie der Mental Load (2:71 ¶ 142 in Interview 2.docx). Dieser bezeichnet die mentale Zusatzleistung, die mit Care-Arbeit einhergeht, also „das daran Denken, das Planen, Organisieren und Umsetzen“ (Schrammel 2022, S. 371). Unsichtbar ist der Mental Load vor allem für diejenigen, die ihn nicht tragen:
Mental Load ist der Teil der Care-Arbeit, welcher verborgen hinter der Durchführung der Tätigkeiten liegt. Es ist die Denk- und Planungsarbeit, welche belastet und häufig zu viel ist.
Mit dem Kind zum*r Kinderärzt*in zu gehen ist die Durchführung der Aufgabe. Den Termin zu vereinbaren, die E-card und den Gesundheitspass herzurichten, sich zu überlegen, ob und wann das Kind geimpft wird, im Kindergarten sagen, dass das Kind später kommen wird – das ist der Mental Load. (ebd.)
Mental Load wird in der Regel von Frauen übernommen, wie die Rollentheorie nahelegt: Kollektive Handlungsmuster bestimmen die Erwartung, dass diese sich mehrheitlich um Kinder, Haushalt oder zu pflegende Angehörige kümmern und die damit zusammenhängende sichtbare und unsichtbare Care-Arbeit leisten sollten (vgl. Ameln et al. 2004, S. 219). Die befragten Beraterinnen berichten übereinstimmend von ihrem hohen Mental Load. Ein einprägsames Beispiel gibt diese Interviewpartnerin und Mutter zweier Kinder:
Ich habe das natürlich versucht, das nicht zu machen, selber nicht zu machen. Dann machst, aber du kannst ja nicht den Adventskalender leer lassen. Du kannst das Kind ja nicht unterm Tannenbaum ohne Geschenke lassen. Oder Kindergeburtstage, die sind ja alle immer auf Kindergeburtstagen einladen. Ich war, ich habe es einmal gemacht, da habe ich es wirklich drauf ankommen lassen, weil ich in Singapur bei einem Kunden war. Da ist meine Tochter ohne Geburtstagsgeschenk zum Geburtstag gebracht worden. Das ist so. Männer kaufen keine Geburtstagsgeschenke für 4-jährige Mädchen, die sie nicht mal kennen. Das machen Männer nicht. Punkt. Wenn es drauf ankommen lässt, scheiterst du. Was war los? Meine Tochter hat riesen Ärger gekriegt, das einzige Kind ohne Geschenk usw. Und du hast trotzdem den Mental Load in Singapur. Und dein Mann fährt sie völlig ahnungslos zur Feier. (2:72 ¶ 146–149 in Interview 2.docx)
Unabhängig von ihrer beruflichen Auslastung kann sich für Frauen eine zusätzliche Belastung zuhause ergeben, die sie gedanklich im Alltag begleitet. Dies drückt sich auch in der Wahrnehmung von erfolgreichen Kolleg:innen aus: „Eine Frau, die ohne Kinder ist, die Karriere gemacht hat und eine Frau mit Kindern, die Karriere gemacht hatte, sind ganz andere Rahmenbedingungen“ (3:35 ¶ 62 in Interview 3.docx). Der Unterschied liegt neben der sichtbaren Care-Arbeit vor allem im Mental Load, den Frauen in heterosexuellen Beziehungen in der Regel ebenso häufig übernehmen wie die unbezahlte Sorgearbeit (43,8 % mehr als Männer, vgl. BMFSFJ):
Ja, das ist alles gut und schön mit Fahrdiensten und Taxiservice. Aber das ist ja gar nicht alles. Damit kriegst du ja kein Kind groß. Der, der weiß, was für eine Dynamik grade in der Ballettgruppe ist und warum X aufhört und warum deine Tochter das doof findet. Der weiß, dass der Klassenlehrer gerade Krebs hat und was weiß ich. Kein Mann auf dem Planeten, den ich kennengelernt habe, weiß irgendwas davon. Noch hat er jemals ein Weihnachtsgeschenk gekauft oder einen Adventskalender gefüllt. Nie. (2:71 ¶ 142 in Interview 2.docx)
Der hier beschriebene, für den Mental Load charakteristische, Aufwand ist vor allem emotionaler und mentaler Natur. Die zitierte Interviewpartnerin lebt in einer heterosexuellen Beziehung und trägt ihn überwiegend allein. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Einblick in die einzige gleichgeschlechtliche Beziehung einer der befragten Interviewpartnerinnen, die sich die Care-Arbeit für ein kleineres Kind mit ihrer Partnerin gleichberechtigt aufteilt:
Wir sind zusammengezogen, da war es dann [2–5]1 Jahre. Da habe ich dann 50 % der Care-Arbeit für das Kind mitübernommen. Also wir haben beide voll gearbeitet und den Rest der Zeit das zu 50 % geteilt. Die Care-Arbeit hatte ganz klar Priorität. Wenn es auf der Arbeit etwas Wichtiges zu tun gab, dann war die Care-Arbeit halt trotzdem einfach wichtiger. Das heißt, die Bereitschaft Überstunden zu machen, die Bereitschaft, erreichbar zu sein außerhalb meiner Arbeitszeit, ist enorm gesunken. (anonymisiert)
Diese Aufteilung ist unter den Interviewteilnehmerinnen einmalig. Von den Partnern der anderen Mütter tritt kein Mann beruflich kürzer oder übernimmt die Hälfte der Care-Arbeit. Die Frauen leisten diesen Mehraufwand neben ihrer Tätigkeit als Führungskraft in der Beratung. Die Vermutung, dass eine solche Karriere tendenziell nur bei Vollzeitarbeit möglich ist, legt dieses Zitat nahe:
Nach zwei Jahren [Elternzeit] mindestens fangen [Beraterinnen] wieder an zu arbeiten und dann fast alle nur so mit 20, 25 Stunden. Und da kriegen die natürlich ihre Position nicht mehr, die sie vorher gehabt haben, weil sie das gar nicht, weil sie das gar nicht können in der Zeit. Das ist immer ganz schwierig, denen zu verklickern, dass halt die nicht mehr wirklich in eine leitende Funktion kommen können, weil sie mit 20, 25 Stunden kein Team führen können. Weil sie da gar nicht da sind, die gar nicht in der Lage sind sowohl ihren Job zu machen als auch ein Team zu führen. Das ist viel zu viel Zeit dafür. (6:123 ¶ 117 in Interview 6.docx)
Teilzeitarbeit steht derzeit also einer Führungsposition aufgrund der geringeren Wochenstunden eher im Wege. Die Mütter werden daher nach der Elternzeit zumeist nicht mehr mit einer solchen Aufgabe betraut, riskieren mit einer Pause also den Verlust etwaiger erreichter Positionen. Eben solche Nachteile für ihre anstehende Beförderung erwartet diese zum Zeitpunkt des Gesprächs schwangere Interviewpartnerin:
Also ich erwarte da schon Einfluss und so. Auch bei mir geht es ja auch noch mal um Aufstieg innerhalb der Firma und ich hab da so meine Fragezeichen, inwieweit sich ein Teilzeitmodell mit meinen Karriereambitionen verträgt. (anonymisiert)
Aus diesem Grund plant sie trotz Herausforderungen in der Care-Arbeit einen Wiedereinstieg in Teilzeit nur für wenige Wochen oder Monate, um danach wieder in Vollzeit zu arbeiten. Kinder und die damit einhergehende Vereinbarkeitsproblematik können also nach wie vor eine große Hürde für Beraterinnen auf dem Weg in höhere Führungspositionen darstellen.
Ein Erfolgsfaktor in diesem Zusammenhang kann die Flexibilität und Unterstützung durch die Arbeitsumgebung sein, wie es diese Senior Managerin aus der Praxis schildert:
Da war ich mir schon nicht sicher, dass das klappen wird. Also dass man dieses Zusätzliche, also die zusätzliche Belastung im Privaten und auf der Arbeit parallel meistern kann. Und das habe ich auch nur gemeistert, weil die Firma und die Führungskraft und das Team mich da unterstützt haben. (5:71 ¶ 61 in Interview 5.docx)
Die Organisation und die direkten Kolleg:innen sowie Vorgesetzten können also eine entscheidende Rolle bei der Vereinbarkeit spielen.
Ein besonderer Teil der Elternzeit ist der Mutterschutz. Diese Geschäftsführerin erläutert ihre eigene problematische Situation diesbezüglich wie folgt:
Das [Gesetz] sah damals für Geschäftsführerin, die schwanger werden, keine Elternzeit, kein Mutterschutz vor. Du warst quasi am Tag, am Tag der Geburt warst du arbeitslos und das… Ja, das musste ich dann quasi erst mal. Sind so ein paar rechtliche Geschichten gewesen. Die haben wir dann über Anwälte geklärt. Aber nicht im Sinne von „ich gegen die Firma“, sondern im Gegenteil: Mein Inhaber gemeinsam mit mir, der auch sehr erstaunt war, dass das das überhaupt, dass das überhaupt gar keine Regelung gibt, weil von diesem Phänomen war er bisher auch noch nicht betroffen. Da gab es wenig weibliche Geschäftsführung bei uns und die war ich. Die erste Schwangere. (6:17 ¶ 42 in Interview 6.docx)
Der Mutterschutz von Geschäftsführerinnen war in diesem Fall gesetzlich also nicht zugunsten von Frauen in Führungspositionen geregelt. Alle Interviewpartnerinnen mit Kindern versuchten daher, Mutterschutz und Elternzeit so kurz wie möglich zu halten und blieben unter dem gesetzlichen Angebot von 12 beziehungsweise 14 Monaten Elternzeit. Bei keiner von ihnen hat der Partner Elternzeit genommen. Diese Direktorin beschreibt aus ihrer Erfahrung, dass dies der Praxis entspricht – männliche Führungskräfte in der Beratung würden maximal die gesetzlich attraktiven zwei Monate Elternzeit nehmen und ansonsten im Beruf präsent sein:
Und in der Beratung – ich kenne da auch keine Statistiken – also die Männer sind vielleicht mal drei Monate weg. So, und wenn du die ganze Zeit halt am Ball bleibst, dann ist das finde ich einfacher als für die Frauen, die dann mal ein halbes Jahr weg waren. Das ist das eine und das andere ist halt: Ich glaube, man muss dann auch schauen, dass man die ganze Zeit, dass einen die anderen Kollegen auch so auf dem Schirm haben, dass man halt da ist. (7:32 ¶ 80 in Interview 7.docx)
Dies deckt sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zeigen, dass unabhängig von den jeweiligen Qualifikationen in heterosexuellen Beziehungen vornehmlich die Partnerin die Care-Arbeit für Neugeborene und kleine Kinder übernimmt (vgl. Schrammer 2022) und zu großen Teilen auch dauerhaft trägt (vgl. BMFSFJ). Die befragten Beraterinnen in Führungspositionen stellen dabei keine Ausnahme dar. Bei ihren männlichen Kolleg:innen hingegen sorgen Kinder oder Care-Arbeit nicht für sichtbare Veränderungen:
Also gerade bei mir in der Branche, die in einer Führungsposition, in Führungspositionen sehr männlich dominiert war. Die [Männer mit Kindern] hatten es total einfach. Die sind abends dann noch um die Häuser gezogen, die konnten sich mit Bekannten connecten, die konnten netzwerken, die konnten das Leben voll auskosten. Sie konnten… sie hatten Freiheiten, weil es war so, sie hatten ihre persönlichen Freiheiten, die hatte ich nicht, weil ich diesen Rahmenbedingungen quasi unterworfen war, dass ich eben nach Hause gefahren bin, damit ich das (Kind) mal wieder sehe. (6:39 ¶ 54 in Interview 6.docx)
Die männlichen Führungskräfte mit Kindern können ihre Karriere und die dafür notwendigen Rahmenaktivitäten offenbar leichter weiterführen als die Beraterinnen. Anzunehmen ist, dass in ihren Fällen die Frau beruflich kürzer tritt und die Versorgung zuhause übernimmt (vgl. 6:41 ¶ 57 in Interview 6.docx). Diese Tatsache sehen einige der Interviewpartnerinnen als zentralen Faktor für den Karriereweg in der Beratung:
Ich glaube du hast das, ich glaube dieses ganze Thema Mental Load und vor allem also Verteilung von Aufgaben zu Hause, Vereinbarkeit. Ja, das ist schon eins, was wir uns alle noch mal gemeinsam über die nächsten zehn Jahre anschauen müssen. (2:70 ¶ 142 in Interview 2.docx)
Wie schnell eine gesellschaftliche Diskussion über die Verteilung von Sorgearbeit echte Folgen für Frauen im Beruf hat, ist fraglich. Daher ist davon auszugehen, dass Kinder und Care-Arbeit auch „die nächsten zehn Jahre“ ein Hindernis für Frauen auf dem Weg in höhere Führungspositionen darstellen werden.
Care-Arbeit während der Covid-Pandemie
Eine besondere Chance ergibt sich durch die zeitliche Überlappung dieser Arbeit mit der Covid-Pandemie, die es ermöglicht, die Auswirkungen dieser Krise auf die Beratungsbranche zu untersuchen. Die Pandemie hat insbesondere in den Phasen des Lockdowns dazu geführt, dass sich Arbeit, Freizeit und Care-Arbeit zeitlich und örtlich verdichteten. Die Beratungsbranche hat die Reisetätigkeit weitestgehend eingestellt. Viele Eltern waren mit den Kindern zuhause, da Betreuungseinrichtungen geschlossen waren. Arbeiteten die Beraterinnen zuvor im Büro und vor Ort auf den Projekten (vgl. 6:32 ¶ 46 in Interview 6.docx), so waren sie nun auf Homeoffice beschränkt. Diese Veränderung lässt sich aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beleuchten, wie eine Interviewpartnerin erklärt. Zum einen kamen viele Sorgeberechtigte an ihre Grenzen: „Ich kann natürlich nur sagen, dass ein Lockdown mit einem Kind zuhause [Pause] nicht vereinbar ist mit Arbeit“ (5:73 ¶ 61 in Interview 5.docx), gleichzeitig eröffneten sich durch die Arbeit von zuhause aus auch neue Möglichkeiten:
Da hat sich natürlich einfach die Bereitschaft aller Seiten zu Remote-Arbeit absolut positiv auf die Vereinbarkeit ausgewirkt. […] Also, das Weniger-Reisen als Beraterin. Absolut. Macht es sehr viel vereinbarer. (5:74 ¶ 61 in Interview 5.docx)
Die Vereinbarkeit von Kind und Beruf stieg also gleichzeitig mit den kurzfristigen Herausforderungen der Betreuung während der Lockdowns. Die Beratungsbranche konnte sich folglich neu formieren und erstmalig in ihrer Geschichte die Reisetätigkeit der Berater:innen zu den Projekten vor Ort in Frage stellen:
Durch Corona haben wir den meisten Kunden gezeigt, sie kriegen trotzdem die Leistung. Sie können uns trotzdem kontrollieren – als Dienstleister. Und es ist für sie günstiger, weil sie weder für uns die Sitzplätze brauchen, also den Officespace, noch müssen sie unsere Reisekosten zahlen, das heißt unsere Tagessätze sind günstiger. Das heißt, dadurch hat sich grundsätzlich die Anforderung an uns Beratungen verändert. Was dann bedeutet, dass du als Beraterin oder Berater, der oder die plant, Familie zu haben, auch mehr Zeit hast, ähm, oder mehr Gelegenheit hast, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, weil du halt vor Ort bist. Einfach da bist. Da würde ich sagen, war Corona sehr, sehr, sehr wertvoll. (4:93 ¶ 68 in Interview 4.docx)
Das Wegfallen der Reisetätigkeit geht somit mit mehr Zeit und Flexibilität einher. Gleichzeitig hat die Lockdown- und Pandemiesituation verdeutlicht, was in der vorliegenden Studie bereits belegt wurde: Frauen sind in der Regel durch Care-Arbeit neben ihren herausfordernden Berufen stärker belastet als Männer.
Was wir aber währen der Pandemie gesehen haben, also in Zeiten, wo irgendwie beides sich, äh, in einer Wohnung abspielt oder in einem Haus abspielt, wo, ähm, wo eine gewisse Betreuung der Kinder in Kindergärten, in Kitas, in Schulen nicht mehr wie früher gewährleistet ist, dass dann wieder die Frauen den größten Teil dieser Care-Arbeit geleistet haben, fand ich erschreckend. So, das heißt während der Pandemie, ähm, würde ich eher sagen, hast du mal diese ganzen offenen Wunden, die wir als Gesellschafft haben, wirklich gesehen. Und wie wenig das wirklich… Beraterin und Mutter unter einen Hut zu bringen wirklich möglich ist, wenn diese Infrastruktur nicht gegeben ist. (4:94 ¶ 68 in Interview 4.docx)
Die Schließung der Betreuungseinrichtungen brachte neue, zuvor unbekannte Herausforderungen mit sich. Die Berater:innen und insbesondere die Frauen mussten parallel zum Arbeiten im Homeoffice ihre Kinder versorgen. Diese temporäre Lage hat auch gezeigt, wie abhängig die Eltern von der ausbaufähigen Situation öffentlicher Angebote wie Kindergärten oder Kitas sind. In Deutschland kann trotz gesetzlicher Garantie nicht jedem Kind Betreuung in vollem Umfang zukommen.
Die befragten Beraterinnen mit Kindern greifen daher auf das eigene Netzwerk zurück:
Und ich hatte halt die Großeltern, also sowohl meine Eltern als auch die Großeltern, auch mit (Name) und die Mutter von (Name), die sie sich ab und zu noch mal gekümmert haben, wenn es drauf ankommt. (6:23 ¶ 46 in Interview 6.docx)
Insbesondere nahe Verwandte übernehmen Betreuungsaufgaben, um arbeitende Eltern zu entlasten. Außerdem benennen die Interviewpartnerinnen Betreuungsangebote des Arbeitgebers als mögliche Lösung der Situation, die einige größere Beratungsunternehmen bereits anbieten (vgl. Sopra Steria 2023). Eine Kritik an mangelnden staatlichen Lösungen wird deutlich:
Wenn wir das als deutscher Staat halt nicht auf die Reihe kriegen, würde ich mir das Äquivalent wünschen, dass wir das als Beratung händeln. Also als Unternehmen sicherstellen, weil sonst werden wir immer nur die nicht mit der Carearbeit-betrauten Menschen weiter bei uns, ähm, in den Karrierewegen sehen. (4:112 ¶ 92 in Interview 4.docx)
Die Interviewpartnerin erwähnt explizit die Schwierigkeit, ohne gesellschaftliche und betriebliche Angebote den „Karriereweg [als Führungskraft in der Beratung] zu sehen“. Gleichzeitig würden Frauen ihre Karriere besser weiterverfolgen können, wenn sich Väter aktiver in der Care-Arbeit einbringen. Erste Schritte in diese Richtung sind zu beobachten:
Was sich auch noch verändert hat, ähm, ist dass ich heute meiner Meinung nach… länger in der Beratung zu bleiben trotz Familie. Also Beraterin und Mutter, also zwei Rollen parallel, weil sich auch da die Gesellschaft ja auch ein Stück weit verbessert, was dieses ganze Thema „Väter gehen in Elternzeit“, „Väter übernehmen“, also die Diskussion um die Care-Arbeit, die da entsteht. Die hilft da schon auch. (4:90 ¶ 68 in Interview 4.docx)
Hilfreich für die Frauen in der Doppelrolle als Beraterin und Mutter sind außerdem Vorbilder, die eine Orientierungs- und Beweisfunktion haben. Sie veranschaulichen, wie diese Vereinbarkeit erreicht werden kann. Der positive Effekt dieser Vorbildfunktion liegt auf der Hand; diese Geschäftsführerin hat ihn bei ihrer Mutter erlebt und daraufhin die Doppelrolle auch in ihrer eigenen Karriere umgesetzt:
Meine Mutter hat übrigens auch gearbeitet. Sehr wichtig. Die hat, ja, es ist wichtig! Das hatte und das hat mich auch geprägt. Also das ist für mich auch selbstverständlich, wie nachher bei [Kind], dass es sich dann auch alleine das Essen machen musste oder so. Das musste ich ja auch. (6:10 ¶ 114 in Interview 6.docx)
Haben sie diese Situation selbst erlebt, empfinden sie die Frauen also eher als Selbstverständlichkeit. Innerhalb ihres beruflichen Kontexts in der Beratungsbranche konnte jedoch keine einzige Interviewpartnerin über ein solches Vorbild berichten:
Vorbilder? Tatsächlich nein, hatte ich überhaupt gar nicht. Niemanden bei uns in der Branche. Das gab es nicht. […] Denn die damals Kinder bekommen haben, die waren dann auch weg. Ja, die sind dann auch… Ist übrigens immer noch so. (6:63 ¶ 77 in Interview 6.docx)
Die Sozialisierung in der Beratung ist seit Jahrzehnten unverändert, die Geschlechterstereotype spielen nach wie vor eine große Rolle:
„Warum ruinierst du dir durch die Kinder eigentlich deine Karriere?“ Das ist überhaupt der geilste Spruch? Ja. […] Und da musst du natürlich dagegen arbeiten. Das musst du dann. Du musst dann beweisen, dass das so geht. Und das ist dann eben eine permanente Herausforderung gewesen ist, du wieder immer wieder unter Beweis zu stellen. Ja, das, ähm, das ist, dass ich seine Argumente gern widerlegen wollte. (6:31 ¶ 46 in Interview 6.docx)
Die zusätzliche Belastung für Beraterinnen, die unbezahlte Care-Arbeit leisten und den Großteil des Mental Loads tragen, kann also einen signifikanten Einfluss auf ihren Karriereweg in höhere Führungspositionen haben.
Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die gewonnenen Erkenntnisse auf der Makro-Ebene vor allem Hindernisse für diejenigen Frauen darstellen, die in der Beratungsbranche höhere Führungspositionen erreichen wollen. Sie entstehen auf gesellschaftlicher Ebene und manifestieren sich in Organisationen und im Umgang zwischen Individuen. Die Karrierewege von Frauen in höhere Positionen werden vor allem durch zwei strukturelle Herausforderungen beeinflusst:
  • Geschlechterstereotype und ihre negativen Folgen für weibliche Führungskräfte;
  • die Herausforderungen hinsichtlich der Vereinbarkeit von Care- und Erwerbsarbeit, die insbesondere von Frauen erwartet wird.

6.3 Ergebnisse aus den Interviews auf der Meso-Ebene

Nachdem zunächst die Ergebnisse auf der Makro-Ebene dargestellt wurden, folgt in diesem Kapitel die Perspektive auf die Meso-Ebene. Dabei werden vier einflussreiche Theorien berücksichtigt, die gleichzeitig als Struktur dienen: Tokenism (Kanter 1977), die Gendered Organization (vgl. West, Zimmerman 1987), die Role-Congruity-Theory (vgl. Eagly, Karau 2002) und das Lack-of-Fit-Model (vgl. Heilman 1983). Sie wurden bereits in Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene ausführlich behandelt.
Alle vier Theorien beziehen sich im Kontext der Forschungsfrage auf die organisationale Ebene und die Rollen innerhalb eines Unternehmens und werden aus diesem Grund auf der Meso-Ebene eingeordnet. Es wurden fünf Codes berücksichtigt, deren Zitate im Folgenden ausgewertet werden: Boys Club, Male Gendered Organization, Mangelnde Diversität im Unternehmen, das Geschlechterverhältnis und Mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten von Frauen (vgl. Tabelle 6.1. Einordnung der Codes in den theoretischen Bezugsrahmen zum Zwecke der Auswertung (Quelle: eigene Darstellung).

6.3.1 Vermeintlicher Vorteil Tokenism

Tokenism wurde bereits in Abschnitt 3.2.3 Einflüsse auf organisationaler Ebene beschrieben. Dieser Mechanismus kann entstehen, wenn eine bestimmte Personengruppe innerhalb einer Organisation in nur sehr geringer Zahl vertreten ist (vgl. King et al. 2010), wie es bei weiblichen Führungskräften in der Beratungsbranche der Fall ist. In dem zugehörigen Kapitel wurde unter anderem erwähnt, dass „die einzige Frau“ zu sein unter Umständen für einen Vorteil gehalten wird, insbesondere durch männliche Führungskräfte oder im Recruiting (vgl. 10:27 ¶ 56 in Interview 10.docx). Die negativen Folgen für die Token, in diesem Fall weibliche Führungskräfte, sind hingegen weniger offensichtlich. Sie manifestieren sich auf unterschiedliche Weise, teilweise werden sie für die betroffenen Beraterinnen erst im Laufe der Karriere sichtbar, wie diese Interviewpartnerin berichtet:
Also ich bin auch mit einer relativ naiven Brille glaub ich gestartet, dass ich dachte, „heute ist das kein Problem mehr“ und musste dann aber über die Zeit feststellen, dass es doch noch sehr unterschiedliche Behandlungen von Männern und Frauen im Beruf gibt und gerade wenn man dann noch sehr jung ist und (Pause) … umso weiblicher man sich präsentiert – stereotyp weiblich – umso mehr treffen einen diese Hindernisse. (5:17 ¶ 28 in Interview 5.docx)
Sie hat also erst im Laufe ihrer Berufserfahrung realisiert, dass sie als Frau auf bestimmte Hindernisse im Zusammenhang mit Tokenism stoßen kann.
Dies wurde insbesondere in Situationen offensichtlich, in denen eine geringe Anzahl an weiblichen Berater:innen die Regel statt die Ausnahme darstellte:
Und bei uns im Team eindeutig sehr männlich geprägt, weil ich in der Software-Entwicklung, in Software-Projekten gearbeitet habe. Ähm… allerdings gab es von Anfang an zwei Entwicklerinnen als ich angefangen habe und auch noch eine andere Kollegin in meinem Team. Allerdings nach einer Weile sind dann alle Frauen gegangen und ich war die einzige Frau, die übrig war im Team, und das habe ich eher unangenehm empfunden dann die einzige, also wirklich Token-Frau zu sein. (5:42 ¶ 40 in Interview 5.docx)
Dieses unangenehme Gefühl, die einzige Frau (Token-Frau) unter Männern zu sein, kann konkrete Nachteile verursachen:
Und alles in einem kleinen Team aus ausschließlich Männern, die alle miteinander befreundet waren. […] An ganz vielen Stellen der drei Phasen ging es immer darum, dass du anderen vorsichtig versuchst beizubringen, dass da irgendwas ist, was die nicht sehen wollen oder gar nicht sehen konnten. (1:39 ¶ 48 in Interview 1.docx)
Die Beraterin hat den Eindruck, als einzige etwas zu sehen, was die anderen nicht wahrnehmen. Mit Tokenism kann demnach ein Gefühl der Isolation einhergehen, begleitet von einer möglichen Ausgrenzung aus informellen beruflichen Aktivitäten:
Gerade in meinen ersten Jahren hatte ich immer das Gefühl, dass ich eher Nachteile habe. Weil gerade die Kunden oder auch die Kollegen haben sich abends auf ein Bier getroffen und haben Frauen, also uns Frauen, eher weniger angefragt. Weil sie wahrscheinlich die Erfahrung gemacht haben, dass Frauen kein Bock haben auf ein Bier trinken. (4:68 ¶ 58 in Interview 4.docx)
Hier werden Geschlechterstereotype (vgl. Abschnitt 6.2.1 Geschlechterstereotype als hinderliche Rahmenbedingung) sichtbar: Bier trinken wird als typisch männliche Aktivität konnotiert; daraus folgt die Ausgrenzung der wenigen (oder einzigen) Frauen im Team. Durch männlich geprägte Kommunikation kann sich das Gefühl verstärken, nicht dazu zu gehören:
Das sind Kleinigkeiten wie Emails, die immer adressiert waren an: Liebe [Name], liebe Kollegen. So what the fuck bin ich kein Kollege, keine Kollegin? Das ist Sprache, die natürlich extrem prägt. (9:34 ¶ 35 in Interview 9.docx)
Gleichzeitig geht mit dem Tokenism die soziale Verantwortung einher, für eine ganze Gruppe sprechen zu müssen (vgl. King et al. 2010). Dies kann die Gruppe der Frauen umfassen oder sich auf Mütter beziehen, unabhängig davon, ob die betroffene Token-Frau selbst Mutter ist.
Diese Senior Managerin hat trotz ihrer Kinderlosigkeit Tokenism erlebt:
Du bist trotzdem, bist du an vielen Stellen immer für, stehst du auf einmal für ein Thema und du bist die einzige Frau. Und du hast auf einmal die Belange aller Frauen auf deinen Schultern. Ich… Keine Ahnung. Wir hatten Beförderungsrunden, wo ich natürlich als einzige Frau wieder mit drin war. Wo Personen, die beispielsweise gerade schwanger geworden sind, dann auf einmal nicht mehr befördert wurden, weil sie sind ja schwanger und sie gehen jetzt gerade in Elternzeit und ich diese Diskussionen geführt habe. Ich habe selbst keine Kinder, ich hab keine Ahnung. Nehme ich dann in dem Moment nicht auch fälschlicherweise eine Rolle ein oder eine Meinung für eine Gruppe von Personen ein, die ich selbst nicht vertrete? Warum vertreten die männlichen Kollegen, die Kinder haben, nicht diese Rolle? (9:37 ¶ 35 in Interview 9.docx)
Die Beraterin trägt also eine zusätzliche Last („eine Meinung für eine Gruppe vertreten“), die für die meisten der in der Mehrheit vertretenen Berater unsichtbar ist, unabhängig davon, ob sie diese Gruppe vielleicht besser vertreten könnten („Kollegen, die Kinder haben“).
Da Tokenism Minderheiten betrifft, entsteht häufig auch eine Stellvertreterrolle für Diversitätsthemen. Den Frauen kann die Verantwortung dafür übertragen werden, sich für die wenigen anderen Frauen oder Minoritäten einzusetzen:
Ähm, und da darfst du auch nicht vergessen, dass wir Frauen ja neben unserem, neben unserer klassischen Karriereentwicklung – KPIs2 ansammeln, Kunden managen – uns ja immer noch für die Themen Diversity, Frauen [einsetzen], das ist ja auch ein Zusatzhobby, das auch Zeit kostet und auch Energie. Das haben die Männer ja nicht. Die können die Zeit, die ich in Gespräche wie das heutige investiere, investieren die im Zweifel da rein, ihre KPIs noch besser zu machen oder führen ein weiteres Kundengespräch. (4:99 ¶ 73 in Interview 4.docx)
Der Nachteil konstituiert sich sowohl als zeitlicher als auch mentaler Aufwand, den die Beraterinnen neben ihrer Karriere bewältigen müssen. Eine Interviewpartnerin identifiziert jedoch auch einen Vorteil in der Sichtbarkeit als einzige Geschäftsführerin in einer Strategieberatung:
Ich bin im letzten halben Jahr bestimmt sechs Mal, dass ich irgendwo, weil ich weiblich und sehr hochrangig bin, gestafft werde oder mit pitchen muss, in Anführungszeichen. So, aber solange ich mir für meine Sales-Pipeline guttut, wunderbar. Alles klar, her damit. Wunder, da bin ich super pragmatisch. (2:43 ¶ 70 in Interview 2.docx)
Strategisch genutzt kann Tokenism unter Umständen also auch von Vorteil sein. Insgesamt ergibt sich jedoch ein eher negatives Fazit: Tokenism ist in der Beratung verbreitet und erschwert Frauen das Erreichen von Führungspositionen aufgrund ihrer exponierten Rolle als Stellvertreterinnen einer ganzen Gruppe, der damit einhergehenden Isolation und dem erschwerten Zugang zu Netzwerken.
Problematisch ist, dass solche Nachteile für die Mehrheit der männlichen Berater:innen nicht sichtbar sind. Es reicht außerdem nicht aus, lediglich eine geringe Anzahl von Frauen in Führungspositionen zu etablieren, um die Effekte des Tokenism aufzuheben. Nur eine annähernd äquivalente Verteilung aller Geschlechter in den Führungsebenen könnte Tokenism verhindern (vgl. King et al. 2010). Wie weit die Branche davon entfernt ist, diesen Zustand zu erreichen, verdeutlicht die Partnerin einer IT-Beratungsfirma in Bezug auf ihre Position:
Ich bin die erste Partnerin. Man könnte ja denken, es ist schon jemand in den Ruhestand gegangen oder so, aber ne. Ich bin die erste und einzige Partnerin in dem Bereich. (4:66 ¶ 50 in Interview 4.docx)
Solange diese gegenwärtige Situation anhält, zählt Tokenism weiterhin zu den zusätzlichen Herausforderungen von Beraterinnen auf dem Weg in höhere Führungspositionen. Eine Senior Managerin einer internationalen Beratungsfirma fasst das damit einhergehende Gefühl ernüchternd zusammen: „Wie viel Sonderaufwand du immer neben deinem Job damit hattest, dich zu erklären“ (1:38 ¶ 48 in Interview 1.docx).

6.3.2 Nachweis einer Male Gendered Organization in der Beratungsbranche

Die Theorie der Gendered Organization wurde wiederholt angewendet und adaptiert, ist jedoch auch Kritik ausgesetzt (vgl. Acker 1990). Dabei besteht einer der häufigsten Kritikpunkte darin, dass die Theorie angewandt wird, um zu belegen, dass Organisationen gendered sind, statt zu prüfen, ob sie es wirklich sind (vgl. Bates 2021, S. 1047). Im Folgenden wird, basierend auf den gewonnenen Zitaten und in Zusammenhang mit den theoretischen Grundlagen (unter anderem aus Abschnitt 4.2 Studienlage zu Frauen in der Beratungsbranche), evaluiert, ob es sich bei der Organisationskultur der Beratungsbranche um eine (Male) Gendered Organization handelt.
Diese Evaluation stützt sich auf die fünf von Acker identifizierten Dimensionen einer Gendered Organization: Organisationsstrukturen (1), institutioneller Kontext (2), geschlechtsbezogene Interaktionen (3), Konstruktion geschlechtsbezogener Identitäten (4) und Symbolische Strukturen (5) (vgl. 1990, S. 146 ff.). Die verwendeten Codes wurden hinsichtlich aller fünf Dimensionen analysiert.
Die Organisationsstrukturen (1) bezeichnen die geschlechterspezifischen Dimensionen innerhalb der Hierarchie, der Arbeitsteilung und der Machtverhältnisse einer Organisation. Angewandt auf die Forschungsfrage bezieht sich das auf die Beratungsfirmen, deren Strukturen nahelegen, dass es sich um Gendered Organizations handelt. Die Anzahl an entsprechenden, diese Vermutung belegenden Zitaten würde über den Umfang des Kapitels hinausgehen (vgl. u. a. 4:55 ¶ 46 in Interview 4.docx, 5:49 ¶ 46 in Interview 5.docx und hier folgende). Sie bestätigen anschaulich die Erkenntnis, dass hierarchisch hoch angesiedelte Positionen und die damit einhergehenden Machtverhältnisse zu Gunsten von Männern gelagert sind (vgl. Abschnitt 2.2.3 Frauen in der Beratungsbranche: Ein Überblick):
Wenn ich die Zahlen noch richtig im Kopf habe für Deutschland bei meinem Ex-Arbeitgeber, waren das im Schnitt 40, 45 % auf Einstiegslevel, ging dann bei Senior Consultant auf knapp unter 30 runter. Auf Manager schon um die 20, auf Senior Manager 10 und dann wurde es verschwindend gering, lass es mich so formulieren. Das heißt pro Level haben wir 10 % damals verloren. (4:61 ¶ 50 in Interview 4.docx)
Die obere Führungsetage (Senior Manager:in bis Geschäftsführung) kann also unter Umständen bis zu 90 % männlich besetzt sein. Dieser Zustand ist nicht neu, wie diese Geschäftsführerin einer Strategieberatung auf die Frage nach der Verteilung zu Beginn ihrer Karriere antwortet:
Du meinst vor 25 Jahren? Oh. Ja, das war eine sehr gute Frage. Wie sich das dargestellt hat? Ich war zu 99 % die einzige Frau im Raum. Als ich 1998 kam, also das Arbeitsumfeld war zu 90 %, 95 % männlich geprägt. Verhalten, Mindset Strukturen, ähm, auch die HR-Instrumente. Alles auf männlich ausgelegt. (2:36 ¶ 62 in Interview 2.docx)
Die hier genannten Zahlen aus der Vergangenheit belegen also ebenfalls eine stark männlich geprägte Dominanz. Diese lässt sich auch auf andere Beratungssparten übertragen, wie diese Interviewpartnerin aus einer IT-Beratung bestätigt: „Wie war das Verhältnis der Geschlechterdiversität in der Führungsetage? […] Hat sich nichts verändert“ (3:40 ¶ 69 in Interview 3.docx).
Dass mit Dominanz auch Macht einhergehen kann, zeigt die Bewertung von Eigenschaften, die mit Führungsqualitäten assoziiert werden. So beschreibt die Direktorin einer internationalen Beratungsfirma ihre Beobachtungen aus Beförderungsprozessen wie folgt:
Na, es ist ja schon so, dass hier in der Tendenz Menschen befördert werden, die hier eher in diesem… „Ich habe die Strategie“, „ich habe die Vision“ gut sind und da sind tendenziell Männer darin sehr gut und Frauen sind in der Tendenz eher risikobewusst abwägend. (7:11 ¶ 31 in Interview 7.docx)
Stereotypisch männliche Eigenschaften werden hier zum vermeintlich neutralen Bewertungsstandard der Organisation.
Strategie, Vision und Umsatzorientierung können einige der männlich konnotierten Erfolgsattribute sein (vgl. Geschlechterstereotype in Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene), die Nachteile für die Karriere von Beraterinnen mit sich bringen:
Und dann kam es irgendwann zu dem Punkt, wo die Beförderung wieder anstand und auf einmal meine männlichen Kollegen befördert wurden. Weil die nämlich genau den Umsatz gemacht haben mit den Projekten, die wir als Team initiiert haben und die wir vorangetrieben haben. Und ich wurde nicht befördert. Und dann hieß es in der Begründung: Ja, wir wissen, was du für, für die Firma bringst. Wir wissen, wie viele Personen durch dich in diese Firma gekommen sind. Diese Personen sind auch alle wichtig und alle gut. Und die arbeiten alle total toll und an Projekten mit. Aber gleichzeitig hast du den Umsatz nicht erreicht, der an deine Rolle im Endeffekt oder die neue Rolle gebunden gewesen wäre. So ist halt ein mega krasses Dilemma. […] Es ist aus meiner Sicht wahnsinnig ungerecht. (9:27 ¶ 27 in Interview 9.docx)
Die Beraterin empfindet die Anwendung männlicher Maßstäbe als ungerecht, da ihre eigenen Bemühungen zum Wohle der Organisation dabei nicht angemessen berücksichtigt werden. Auf ihre Karriereentwicklung hatte dies, ihrer eigenen Aussage zufolge, negative Auswirkungen.
Die ungleiche Verteilung der Geschlechter innerhalb der Organisationshierarchie und die damit einhergehende Allokation von Macht bei Männern kann als Beleg für eine Gendered Organization, spezifisch eine Male Gendered Organization in Bezug auf die Dimension „Organisationsstrukturen“ (5) in der Beratungsbranche gewertet werden. Positiv zu erwähnen sind hierbei punktuelle Verbesserungen, wie diese zwei Zitate belegen:
Also ich meine, dass jetzt zum Beispiel mehr Frauen in der Partnerschaft sind und diese Karriere anstreben. Das hast du, das hast du auch in Bereichen außerhalb meines Teams. Also ich würde schon sagen, dass wir insgesamt ein bisschen durchlässiger werden. (8:56 ¶ 97 in Interview 8.docx)
Es gibt einfach mehr von uns auf den Führungsebenen als noch vor zehn Jahren. Es gibt mehr Partnerinnen, es gibt mehr Senior Managerinnen, es gibt mehr Managerinnen. […] Und die sind auch sichtbar, sichtbarer […] als vorher, die vernetzen sich auch stärker heute als früher, auch über Firmengrenzen hinweg. (4:81 ¶ 64 in Interview 4.docx)
Eine weitere Dimension zur Prüfung einer Gendered Organization ist der Institutionelle Kontext (2). Dieser evaluiert gesellschaftliche Normen, Werte und Ideologien innerhalb der Organisation.
Ein Beispiel, das ausführlich im Abschnitt 6.2.2 Herausforderung der Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Karriere beschrieben wurde, ist die gesellschaftliche Norm der Verteilung von Care-Arbeit zu Ungunsten der Frauen. Diese spiegelt sich auch in Beratungsfirmen wider, wie eine Geschäftsführerin schildert:
Ja, damit wird ja schon mal ein ganz großer Aufgabenbereich weg, (lacht) bei der Erziehung, die hat, die hat die Frau übernommen. Die sind übrigens alle, sie [männliche Führungskräfte] waren alle verheiratet mit Frauen. Da hab ich mich aber auch immer gefragt, wie sie das finden, wie die das wohl so finden. Die Frauen, die waren alle zu Hause, also gut ausgebildet, aber dann auch noch, nachdem die Kinder kamen, blieben die halt alle zu Hause. (6:41 ¶ 57 in Interview 6.docx)
Diese Beobachtung zeigt auf, dass männliche Führungskräfte ihre Karriere weiterhin vorantreiben können, während ihre Ehefrauen die Care-Arbeit übernehmen. Jedoch gewinnt im Gegenzug dazu die Zeit mit den eigenen Kindern für einige Väter an Wert, wie eine Interviewpartnerin basierend auf ihren Erfahrungen berichtet:
Wir haben viel, viel mehr Teilzeitkräfte. Egal ob Männer, Frauen, junge Eltern mit Kindern, ohne Kinder. Ähm. Alle, alle Spielarten. Ich glaube, wir sind auch diverser geworden. (8:41 ¶ 65 in Interview 8.docx)
Eine graduelle Veränderung der bisherigen Norm eines ‚Mannes in Führungsposition ohne familiäre Verpflichtungen‘ scheint also möglich. Ebenso verändert sich schrittweise der Anforderungskatalog an Führungskräfte; typisch männliche Verhaltensweisen, wie in Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene beschrieben, sind unter Umständen weniger gefragt, wie eine Senior Managerin bestätigt. Sie legt vor allem Wert darauf, dass eine Führungskraft sich für andere einsetzt, Integrität demonstriert und sich auch für die Förderung von Diversität engagiert (vgl. 9:23 ¶ 23 in Interview 9.docx). Werte wie Gleichberechtigung erreichen also, wenn auch in ähnlich langsamer Geschwindigkeit wie auf gesellschaftlicher Ebene, die Beratungsbranche und prägen ihre Kultur:
Als ich angefangen habe, wurden kurz danach die Beförderungszyklen ausgerufen und der Partner, also nicht mein direkter Chef, sondern ein anderer Partner rief mich direkt nach diesen Beförderungen, also als sie rauskamen, an und meinte so „Das tut mir so leid. Wir haben da leider wirklich keine Frau gehabt.“ Und ich so: „Ja, es ist halt wirklich einfach in deiner Verantwortung. Also […] ja, da brauchst du dich bei mir nicht dafür zu entschuldigen. It’s your job, it’s your fucking Job, dafür zu sorgen, dass, dass da Frauen befördert werden.“ Und im nächsten Beförderungszyklus war in der Tat dann auch eine, eine Beförderung für eine Direktorin mit dabei. (9:30 ¶ 31 in Interview 9.docx)
Das Bewusstsein für die Bedeutsamkeit von Geschlechterdiversität in einem männlich geprägten Umfeld kann somit auch bei dessen männlichen Mitgliedern entstehen.
Hinsichtlich der untersuchten Dimension „Institutioneller Kontext“ (2) entsprach die Beratung über lange Zeit hinweg einer Male Gendered Organization. Der Einfluss der gesellschaftlichen Normen und Werte, die sich in Richtung Gleichberechtigung bewegen, ist jedoch tendenziell auch in dieser Branche zu beobachten.
Die Dimension der Geschlechtsbezogenen Interaktionen (3) bezieht sich auf die Kommunikationsmuster und stereotypen Rollenerwartungen innerhalb einer Organisation. Für den Umgang in der Beratungsbranche finden sich Belege männlich geprägter Interaktionsregeln, wofür diese Senior Managerin einer Big Four gleich mehrere Beispiele benennt:
Ich habe irgendwann das für mich entdeckt und festgestellt, dass es so Spaß macht. Diese ganzen politischen Spielchen. Man nimmt es tatsächlich als Spiel mit dem, Hauptsache das nicht zu nah an sich ran zu lassen. Aber du fängst an zu beobachten, wie die, wie einige ticken und du nutzt das einfach. (3:46 ¶ 76 in Interview 3.docx)
Du darfst nicht Chef von Chef übergehen, aber das ist auch bei Frauen so. Wenn jemand über mich weg kommuniziert, nehme ich das auch nicht so gern an. (3:61 ¶ 100 in Interview 3.docxI
Die Bühne zur Verfügung zu stellen für einige Männer, wenn sie das wollen. Bewusst zur Seite zu treten, bewusst sie ans Messer zu liefern. Klingt gerade ziemlich hart, ja, aber auch ja ziemlich cool. Ja, meine Güte, wenn ich weiß, dass das dieser Partner als absolutes Missmatch ist mit einem Kunden, warum soll ich dann selbst dem Partner erzählen, dass ich ihn nicht mitnehme? Doch, ich nehme ihn mit. Nur im Hintergrund sagt mir der Kunde „mit dem möchte ich nicht mehr arbeiten“. Da sage ich Sorry. [lacht] (3:64 ¶ 102 in Interview 3.docx)
Die genannten Beispiele umfassen mehrheitlich männlich geprägte Verhaltensweisen und Kommunikationsstrukturen, wie etwa Hierarchie und Machtspiele (vgl. Gregory-Mina 2012). Die Spielregeln sind für andere Geschlechter teilweise nicht sichtbar. Rollenerwartungen und die Bewertung von Verhalten können so zu ihren Ungunsten ausfallen. Spezielle Trainings können diese Kommunikationsmuster aufdecken, wie die Direktorin einer internationalen Consultingfirma bestätigt:
Also für mich war es absolut so erweiternd war diese eine Schulung, zur Aufstiegskompetenz weiblicher Führungskräfte. Wo auch die Trainerin auch sehr viel auch erklärt hat und ich also ich muss erstmal… musste mir es erst mal jemand sagen auch, dass wir nach männlich definierten Kriterien befördert werden… dass… dass Frauen in der Tendenz weniger diese Verkäufer-Typen sind und so. Ich hab das so nicht für mich reflektiert und das war für mich ein Schlüsselerlebnis, dieses Mal aufbereitet bekommen. (7:29 ¶ 76 in Interview 7.docx)
Im Falle der Beratungsbranche lässt sich anhand der Geschlechtsbezogenen Interaktionen (3) also der Status einer Male Gendered Organization ableiten.
Eine weitere Dimension zur Prüfung einer Gendered Organization ist die Konstruktion geschlechtsbezogener Identitäten (4). Sie kann Geschlechterstereotypen in Kleidung, Sprache und anderen äußeren Merkmalen identifizieren. Dies geht unter Umständen mit Nachteilen für Frauen einher, deren Äußeres thematisiert wird, indem die Personen potenziell „leider, muss man sagen, sehr oft wirklich auf ihren Körper reduziert wurden“ (4:32 ¶ 38 in Interview 4.docx). Die Thematisierung von Äußerlichkeiten kann dazu führen, dass sich Frauen innerhalb der Organisationskultur ausgeschlossen fühlen, was charakteristisch für eine Male Gendered Organization ist:
In einem sehr männlich geprägten Umfeld, also die ganzen Witzchen, die irgendwie im Vereinzelten ja wegzulächeln sind, aber im Großen und Ganzen ja dazu doch führen, dass man sich diskriminiert und unwohl fühlt am Arbeitsplatz und sehr auf sein Geschlecht reduziert. (5:36 ¶ 34 in Interview 5.docx)
Diese Senior Managerin bestätigt mit ihrer Aussage die Nachteile, die sie als ‚nicht-dominantes Geschlecht‘ in der Organisation erfahren kann. Die Beraterinnen müssen demnach zusätzliche Energie dafür aufwenden, als einzige Frau in der Runde der Führungskräfte sichtbar zu sein („Kanarienvogel-Status“, 4:25 ¶ 35 in Interview 4.docx). Die Geschäftsführerin einer Strategieberatung bestätigt:
Eine, die mich aber am meisten geprägt hat, also im Nerv-Sinne, im Negativen will ich gar nicht sagen, aber mit Nerven ist so dieses „immer die einzige Frau im Raum zu sein“, also fast immer die einzige Frau zu sein und aber nicht allein deswegen. Das wär mir noch egal gewesen. Sondern immer die einzige mit einem anderen Ansatz zu sein, also Dinge mit einem anderen Approach zu Sachen, mit einem anderen Denkansatz. Und das ist ja nicht nur dieses Anderssein, es ist ja auch dieses: Du musst dich ja dann permanent gegen den Rest 90 % der Herren durchsetzen. Und das ist halt eine zusätzliche Kraft und Energie-Arbeit, die ja on top auf einer hohen Auslastung und auf einer hohen Zeit-Invest, was man sowieso schon hat, kommt. (2:10 ¶ 21 in Interview 2.docx)
Das äußerlich sichtbare Anders-Sein wird durch eine innere Irritation verstärkt, als Einzige einen bestimmen Ansatz zu wählen. Interessant ist außerdem, dass weitere Geschlechter über das binäre Prinzip hinaus sprachlich nicht repräsentiert werden („der Rest der Herren“). In keinem der Interviews wurden – abgesehen von der Selbstidentifikation einer Interviewten – nicht-binäre Menschen oder Geschlechtsidentitäten in der Organisation erwähnt. Dies deutet auf eine eminent konservativ geprägte Unternehmenskultur hin, in der Binarität nicht aktiv hinterfragt wird und die sich auch auf die befragten Interviewpartnerinnen erstreckt. Das Bewusstsein über Genderdiversität ist also nicht nur in Bezug auf Frauen in Führungspositionen, sondern auch darüber hinaus weiterhin ein Desiderat in der Beratungsbranche.
Fraglich ist, ob den männlichen Mitgliedern einer Male Gendered Organization bewusst ist, dass die Organisation sehr eindimensional strukturiert und männlich geprägt ist. Eine befragte Direktorin einer internationalen Beratung vermutet, dass die männlichen Führungskräfte dies tendenziell wissen, jedoch keine eigenen Lösungswege zur Hand haben und daher auf die Hilfe von Frauen angewiesen sind (vgl. 7:52 ¶ 116 in Interview 7.docx). Die Partnerin in einer Strategieberatung äußert eine andere Sichtweise:
Viele Dinge haben sich vor allem nach außen verändert. LGBTQ, klar machen wir da mit. Hier wird niemand diskriminiert. Einen geouteten Manager? Ne, hier sind alle hetero. Female Empowerment, klar wir haben da extra ein Programm. Da lernen die, wie ein Mann zu arbeiten, dann können sie aufsteigen. Mich nervt das. Geld um Frauen-Awards zu verleihen und die weiblichen Kolleg:innen auf Messen zu schicken, ist da. Aber wirklich befördern und die Kultur entsprechend anpassen… das wird noch Jahre dauern, zumindest bei uns in der klassischen Strategieberatung. (10:28 ¶ 58 in Interview 10.docx)
Der sarkastische Unterton, der das Zitat prägt, zeugt von der erlebten Anstrengung, sich in dieser Umgebung dauerhaft zu bewegen.
Unabhängig davon, ob eine Veränderung hin zu mehr Geschlechterdiversität von einem Unternehmen unterstützt wird oder nicht: Die Konstruktion geschlechtsbezogener Identitäten (4) orientiert sich in der Beratung in der Regel noch primär am binären Geschlechtermodell. Das männliche Geschlecht nimmt dabei die dominante und teilweise geschlechter-blinde Rolle ein. Bei Beraterinnen kann hierdurch ein subjektives Gefühl von Unwohlsein und mangelnder Zugehörigkeit entstehen (vgl. 1:16 ¶ 45 in Interview 1.docx). Auch innerhalb dieser Dimension ist die Male Gendered Organization also nachweisbar.
Symbolische Strukturen (5) markieren die letzte der Dimensionen und umfassen die Repräsentation von Geschlecht in Diskursen, Symbolen und Kategorisierungen.
Als Folge der bereits erwähnten mangelnden Diversität in deutschen Beratungsunternehmen kann Stereotypisierung entstehen. Dabei werden Handlungen als symbolhaft beziehungsweise typisch für ein bestimmtes Geschlecht bezeichnet. Mit dieser Kategorisierung kann sowohl eine Abwertung als auch eine Verfestigung von symbolischen Strukturen einhergehen, indem typisch weiblich konnotierte Handlungen tendenziell weniger validiert werden als solche, die als typisch männlich gelesen werden. Das bereits erwähnte Beispiel der Emotionalität aus Interview 1 verdeutlicht dies:
Also tue ich alles dafür, […] nicht als emotional wahrgenommen zu werden, weil ich die Sorge hatte, dass das die Validität meiner Sachargumente unterminieren würde. Also, na, ich bring was ein. Und jemand sagt: Also warum regst du dich denn so auf? Und prompt geht es nicht mehr darum, dass mein Punkt sicherlich valide ist, sondern die Diskussion ist auf der Ebene „Warum regt die sich denn so auf“. (1:30 ¶ 47 in Interview 1.docx)
Emotionalität wird also kategorisch als unsachlich abgetan und instrumentalisiert, um Diskurse zu beeinflussen. Dass die Zurschaustellung von Emotionen weiblich konnotiert ist, ist dabei kein Zufall (vgl. Gregory-Mina 2012); die Beraterinnen müssen sich folglich den männlichen Normen anpassen. Das Geschlecht als solches kann sogar genutzt werden, um organisationale Hierarchien zu verfestigen:
[…] Also ich dachte wirklich nach dem MBA und allem, wir Frauen wären gleichberechtigt mit den Männern und alles. Und dann kam ich in die [Beratung]. Die hatten damals 15 % Frauen im Consulting und solide 95 % im Corporate-Bereich. Also wenn du eine Frau gesehen hast, war das eine Assistentin oder Empfangsdame. (10:9 ¶ 44 in Interview 10.docx)
Frauen werden also verstärkt in Positionen eingestellt, die einen tendenziell niedrigeren sozialen Status ausweisen. Diese können gleichzeitig mit einer repräsentierenden Funktion einhergehen („Empfangsdame“), die einen Fokus auf Äußerlichkeiten mit sich bringt. Symbolische Strukturen (5) einer Male Gendered Organization werden außerdem im täglichen Umgang sichtbar, wie sich hier am Beispiel von Wettbewerbsorientierung zeigt:
Das war sehr von Dominanz und Wettbewerb gekennzeichnet. Wirklich alles war ein Wettbewerb: Wer mehr gearbeitet hat, wer härter zum Kunden war, wer die besseren Nachwuchskräfte hatte, die sich aufgeopfert haben, wer abends mehr saufen konnte. (10:24 ¶ 52 in Interview 10.docx)
Auch hier entsteht die Erwartung an die Beraterinnen, sich den männlichen Strukturen und Kategorien anpassen, um erfolgreich zu sein. Das Beispiel zeigt, wie sich symbolische Handlungen auf die Arbeitsleistung, den Umgang mit Mitmenschen und sogar auf das Privatleben erstrecken können.
In Bezug auf die fünf evaluierten Dimensionen lässt sich ein eindeutiges Fazit ziehen: Mit Ausnahme des Institutionellen Kontexts können alle Dimensionen als Beleg der Existenz von Male Gendered Organizations in der deutschen Beratungsbranche herangezogen werden. Auf der Meso-Ebene betrachtet kann also ein signifikanter Einfluss auf die Karriereverläufe von Beraterinnen angenommen werden. Im Folgenden wird nun ausgewertet, wie sich dieser organisationale Einfluss gestaltet.
Einige der Interviewpartnerinnen berichten von zusätzlichen Kosten durch ihren Status als Frau in männerdominierten Branchen und ihr Engagement für (Gender-)Diversität. So konnte die folgende Senior Managerin aus diesem Grund weniger Zeit in aufstiegsrelevante Tätigkeiten investieren, was negative Auswirkungen auf ihre Beförderung hatte:
Dadurch, dass ich für dieses Thema [Geschlechterdiversität] stand, konnte ich sehr viel mit der Geschäftsführung zusammenarbeiten. Das haben meine männlichen Kollegen nicht gemacht. Die haben sich in der Zwischenzeit um den Umsatz gekümmert. Ich musste mich um Diversity kümmern, wurde dafür nicht befördert. So, also ich habe natürlich eine Sichtbarkeit für ein Thema gehabt. Diese Sichtbarkeit hat mir am Ende aber nichts gebracht. (9:36 ¶ 35 in Interview 9.docx)
Die Beraterin hat also vermehrt Zeit für die Förderung anderer Frauen und Geschlechter aufgewendet und somit nicht den männlichen (Umsatz-)Kriterien für die Beförderung entsprochen. Hier kommen auf organisationaler Ebene erneut die Effekte von Tokenism (vgl. Abschnitt 6.3.1 Vermeintlicher Vorteil Tokenism) zum Tragen. So hatte dieselbe Beraterin das Gefühl, „du hast auf einmal die Belange aller Frauen auf deinen Schultern“ (9:34 ¶ 33 in Interview 9.docx). Die Male Gendered Organization erschwert der weiblichen Minderheit in diesem Fall, sich auf die männlich geprägten, karriererelevanten Aktivitäten zu konzentrieren.
Dem Phänomen des Tokenism könnte durch eine dauerhafte, signifikante Erhöhung des Frauenanteils begegnet werden (vgl. King et al. 2010, S. 483). Nach Aussage der Interviewpartnerinnen spielt dabei die Frauenquote, die bereits in Aufsichtsräten und Vorständen deutscher DAX-Unternehmen eingeführt wurde, eine Rolle. Einige der befragten Beraterinnen äußern den Wunsch einer entsprechenden Quote für Führungspositionen in ihrer Branche, so wie diese Direktorin:
Dann kommt natürlich die Frage: Was kann man da tun, um das besser zu machen? Weil wir machen ja da auch schon viel auf dem Thema. Und ich war nie ein Freund von Quoten. Aber ich hab mir das Thema lange genug angeschaut und mittlerweile bin ich der Meinung, ohne Quotierungen kriegen wir das nicht hin. (7:56 ¶ 123 in Interview 7.docx)
Ihrer Meinung nach haben andere Maßnahmen („machen ja da auch schon viel“) bisher keine ausreichende Wirkung. Die Implementierung einer Frauenquote könnte die Chance bieten, adäquat qualifizierte Beraterinnen in Führungspositionen zu bringen (vgl. 9:34 ¶ 44 in Interview 9.docx), was sich gegenwärtig aufgrund des angestrebten Leistungsprinzips3 noch als schwierig darstellt.
Wie in Abschnitt 6.3.4 Männliches Berater-Ideal: Das Lack-of-Fit-Model gezeigt wird, kann das Leistungsprinzip Frauen in Führungspositionen benachteiligen, da Eigenschaften wie Kompetenz und Führungsstärke stereotypisch als eher männlich gelesen werden. Beraterinnen in Führungspositionen erfahren somit ein tendenziell geringeres Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Darüber hinaus wird in Abschnitt 6.3.3 Rolleninkongruenz weiblicher Führungskräfte: Die Role-Congruity-Theory der Rollenkonflikt von Frauen hinsichtlich der konträren Erwartungen an geschlechterkonformes, weibliches Verhalten einerseits und den Erwartungen an eine Führungskraft andererseits beschrieben. Dieser Konflikt kann eine geringere Leistungserwartung und -beurteilung durch die Umwelt hervorrufen. Eine (geschlechtergerechte) Beförderung nach Leistung ist daher objektiv betrachtet kaum möglich.
Das Ausmaß, in dem Unternehmen tatsächlich bereit sind, Geschlechterdiversität zu fördern, ist unter den Interviewpartnerinnen umstritten. Diese Direktorin nimmt ein ehrliches Engagement wahr:
Also ich finde das überhaupt nicht, dass das nur ein Lippenbekenntnis-Thema ist. Generell empfinde ich meinen Arbeitgeber nicht – in keinem Bereich – als einen Arbeitgeber, der große Unterschied macht zwischen was gesagt und getan wird. (7:51 ¶ 114 – 116 in Interview 7.docx)
Ihre Organisation unternimmt ihr zufolge sichtbare Bemühungen hinsichtlich Gleichbehandlung und Diversität. Diese Partnerin hingegen sieht die Branche insgesamt kritischer:
Auch die gesellschaftliche Debatte, […] dass du heute ich nenne es mal mindestens „Diversity-Feigenblätter“ haben musst. Also das war vor zehn Jahren auch nicht so. Also du musst zumindest erzählen und so tun, dass du da was tust für Frauen, für andere Minderheiten, für diverse Mitarbeiterschaft. Ähm… ich sag das bewusst deshalb so, weil ich glaube, gerade die Beratungen schmücken sich noch sehr stark mit Feigenblättern – als andere Branchen. (4:85 ¶ 64 in Interview 4.docx)
Sie betrachtet die Beratung diesbezüglich sogar als Schlusslicht verschiedener Branchen und bezeichnet die Veränderung über zehn Jahre hinweg eher als „Feigenblatt“ denn als echten Fortschritt. Dieser Beobachtung stimmt auch die folgende Senior Managerin zu und formuliert mit sarkastischem Unterton:
Nach außen wird immer sehr viel erzählt, aber wir sind jetzt hier, keine Ahnung, wir treten bei Facebook oder Twitter so auf, wir machen bei Digital Female Leader Award mit, wir machen bei Panda oder Nushu mit. Also such dir eine der Organisationen aus, die sich für Frauen in Führung einsetzt. Wir machen da mit und wir haben da x tausend Euro bezahlt, nicht wenig bezahlt. Also ist doch alles gut so! (9:45 ¶ 43 in Interview 9.docx)
Die Außenwahrnehmung von Gleichstellungsmaßnahmen präsentiert sich in der Beratungsbranche als ein besonders relevanter Aspekt. Die Interviewpartnerinnen sind sich einig, dass der Versuch, sich diesbezüglich nach außen hin erfolgreich darzustellen, schwerer wiegt als die Umsetzung tatsächlicher Verbesserungen. Einen möglichen Grund dafür sehen sie in den Wünschen der Kund:innen, die vermehrt einfordern, dass Projektteams nicht mehr rein männlich besetzt sind:
Was in der Beratung auch wahnsinnig geholfen hat, ist, dass unsere Kunden teilweise wirklich drauf achten, dass sie keine reinen Männer-Teams mehr haben wollen. Weil sie selber intern die Vorgaben haben und dann sagen, ich nehme keine Beratung, die nur mit Männern hier aufläuft. Das hat uns doch eher konservativ geprägter Branche, was das patriarchale System angeht, glaube ich, sehr viel geholfen. (4:84 ¶ 64 in Interview 4.docx)
Diese Forderung der Kund:innen wird als hilfreiches Instrument wahrgenommen, um den Frauenanteil in Unternehmen allgemein zu erhöhen. Ob es auch dafür geeignet ist, den Anteil an weiblichen Führungskräften zu steigern, ist jedoch umstritten, wie diese zwei Zitate zeigen:
Man trifft inzwischen vereinzelt auf sehr fortschrittliche und sehr diverse Teams. Aber das ist für mich keine Änderung der gesamten Branche, sondern das sind … ähm… auch wie Frauen in Führungspositionen leider immer noch Einzelphänomene. Die so langsam dann so häufiger werden, aber trotzdem noch so eine Inselposition haben. (5:49 ¶ 46 in Interview 5.docx)
Wenn ich den Blick nach oben oder in unser Führungsgremium nehme… Die sind nicht gut im Ergebnis. Das sind einfach zu wenig Frauen. Und da hat sich auch viel zu wenig getan. (7:55 ¶ 123 in Interview 7.docx)
Die Geschwindigkeit, mit der mehr Frauen in Entscheidungspositionen kommen, kann also auf Basis der Interviewergebnisse als eher langsam eingeschätzt werden.
Als Folge einer jahrzehntelang andauernden, männlich geprägten Dominanz in der Führung können sich gefestigte Strukturen des Machterhalts manifestieren, von denen die führungsverantwortlichen Personen profitieren:
Und dann nächste, nächste, nächstes prägendes Erlebnis war, dass die, die da ich mit meinem damaligen Entwicklungsverantwortlichen, den ich mir nicht ausgesucht habe, der mir quasi einfach zugeteilt wurde, der einer der besten Kumpels von meinem Projektleiter war. Also da habe ich dann auch erste Bekanntschaft mit dem, was ich jetzt heute als Seilschaften und als irgendwie Männer, Männer-Clubs oder Männernetzwerke bezeichnen würde, gemacht. Also so ich habe das damals, wie gesagt, konnte ich das nicht benennen, aber es hat sich schon unangenehm angefühlt so für mich. Dieses… Jetzt zu meinem Führungsverantwortlichen, der der beste Buddy von meinem Projektleiter ist und sage „Fühle mich nicht in dem Safe Space Ihnen jetzt mitzuteilen. Hey, manchmal finde ich das nicht so cool, was dein Bro da macht“. (1:16 ¶ 45 in Interview 1.docx)
Solche ‚Männer-Clubs‘ mit potenziell langer Tradition entstehen also durch Netzwerke und Seilschaften, die von Beraterinnen zunächst identifiziert werden müssen. Positionen innerhalb der Führungsetage können priorisiert an persönlich bekannte Kontakte vergeben werden; Frauen, die aufsteigen wollen, beobachten dies in verschiedenen Organisationen, so wie diese Geschäftsführerin:
Also […] das sind ja diese Männer-Cliquen, die sich alle seit 25, 30 Jahren kennen, jetzt alle so Mitte, Ende 50, arbeiten seit 25 Jahren zusammen, waren vielleicht sogar auf der gleichen Uni. Die haben ja sich auch – egal welche Beratung – weil ich sehe das bei, habe das bei (Beratung) und bei (Beratung) aber ich sehe das ja auch bei all meinen Freundinnen, wo die alle arbeiten – die haben alle schon alle Rollen gehabt. Die waren schon alle irgendwelche Client Directors und CCOs und MDP und die wechseln ja alle fünf Jahre. Die waren alle ja schon in Europa das und hier in Central Europe dies und dann war der eine dies und der andere das. Und dann gibt es da, da macht der mal SAP, dann macht der mal IBM, weil die wissen… das, das schiebt man sich alles zu. Das ist alles abgekartet da, anders geht das gar nicht. Das kannst du nur loslassen und das hat sich überhaupt nicht verändert. (2:56 ¶ 94 in Interview 2.docx)
Das hier beschriebene Phänomen wird als ‚Thomas-Kreislauf‘ bezeichnet (vgl. AllBright 2017). Dieser Begriff ist an den in deutschen Vorständen und Aufsichtsräten sehr häufigen Vornamen Thomas angelehnt. Einige Jahre lang kamen dort Männer mit diesem Namen häufiger vor als weibliche DAX-Vorständ:innen. 2023 wurde Thomas von Christian abgelöst (vgl. AllBright 2023). Der Kreislauf beschreibt das Ergebnis homosozialer Kooptation (vgl. Abschnitt 4.2.3 Beratungsfirmen als Gendered Organizations), also der Auswahl und Eignungsprüfung anderer Menschen anhand von Ähnlichkeiten zur eigenen Person (vgl. Maurer 2010, S. 83).
Die Auswirkungen auf die Beratungsbranche werden in Abschnitt 6.5.2 Netzwerke, Mentoring und Sponsoring näher erläutert. Diese Interviewpartnerin beschreibt, dass der Thomas-Kreislauf zum Ausschluss von Frauen aus Führungspositionen führen kann:
Ja, na ja, ich habe schon auch dieses Ganze „hinterm Rücken“, die Männerbünde. Die, die Kleine, die Alte, die halten wir mal hier raus, mal da raus, das machen wir wie immer. Und scheiße, ja, also so diese unfairen, unfairen Männerbünde, die sich dann irgendwo, wo du gar nicht merken kannst, weil es einfach alles im Verborgenen passiert. (2:13 ¶ 29 in Interview 2.docx)
Zu den verborgenen Abmachungen und teils unsichtbaren Kooperationen kann zudem eine aktive oder auch unbewusste Ausgrenzung von Frauen hinzukommen. So wurde eine Senior Managerin nach einem Tag voller Meetings mit einem Kreis von Managern beim Abendessen und anschließenden Getränken „kategorisch ausgeschlossen“ (9:34 ¶ 35 in Interview 9.docx). Dieser limitierte Zugang zu Netzwerken oder Entscheidungsrunden kann also die Karrierewege in höhere Führungspositionen negativ beeinflussen. Ob dies durch die dominierende Gruppe bewusst oder unbewusst geschieht, kann im Rahmen dieser Forschung nicht zweifelsfrei festgestellt werden.
Aufgrund der Zitate wird deutlich, dass die männliche Dominanz in Führungspositionen gravierende Auswirkungen auf die zahlenmäßig unterlegenen Frauen haben kann. Die zuvor erwähnten Intrigen („hinterm Rücken“, 2:10 ¶ 28 in Interview 2.docx) stellen regelmäßige, zusätzliche Herausforderungen für Frauen im Berufsalltag dar. Der Umgang mit diesen variiert, lässt sich aber auch durch proaktive Versuche, eigene Regeln aufzustellen, nicht grundsätzlich vermeiden:
Nachdem ich dann aber als Consultant und später Senior Consultant mir ein Standing aufgebaut hatte, habe ich angefangen, auch mal Grenzen zu testen. Das ist tatsächlich einige Male schief gegangen. Das erste Mal im Kleid beim Kunden? Gleich einen Spruch vom Kollegen kassiert, sogar vor dem Kunden. Das erste Mal eine weibliche Handtasche? Direkt gefragt worden, ob ich nicht shoppen gehen möchte, statt zu arbeiten. (10:13 ¶ 44 in Interview 10.docx)
Diese Interviewpartnerin hat erlebt, dass sie selbst die Regeln nicht beeinflussen kann. Dies ändert sich auch in höchsten Führungspositionen (hier als Partnerin) nicht. Auf die Frage, wie oft solch unangenehme, im Zweifel exkludierend wirkende Situationen vorkommen, antwortet diese Geschäftsführerin: „Jeden Tag. Ich habe auch im letzten Jahr wieder zwei Situationen erlebt, wo dann von hinten in den Rücken gestochen wurde“ (2:55 ¶ 93 in Interview 2.docx).
Die Dominanz männlicher Führungskräfte und ihre potenziell weitreichenden Netzwerke können einen direkten Einfluss auf die Karriere der Befragten haben, auch in senioren Positionen. Eine Interviewpartnerin, die aus diesen Gründen das Team wechseln wollte, konnte dies nicht ansprechen, da ihre Führungskräfte „ja alle miteinander befreundet sind“ (1:22 ¶ 45 in Interview 1.docx). Dieser Umstand verdeutlicht die Signifikanz der so genannten ‚Männer-Clubs‘ und ihrer Netzwerke.
Die befragten Interviewpartnerinnen gehen nicht davon aus, dass sich die Situation zeitnah verändern wird. Die schnelle Einführung einer Frauenquote betrachten sie als unwahrscheinlich, die nachrückenden Männer passen sich ihrer Aussage nach der ihnen entsprechenden Organisation an. So beschreibt auch die Partnerin einer Strategieberatung es als gängige Praxis, dass sich Männer vor allem gegenseitig befördern und dabei assimilieren. Sie spricht explizit vom oben beschriebenen Thomas-Kreislauf und von ihrer Erfahrung, sich rechtfertigen zu müssen, wenn sie mehrere Frauen befördern möchte. Wolle sie dagegen drei Männer befördern, frage niemand nach (vgl. 10:33 ¶ 60 in Interview 10.docx).
Eine weitere Folge von Male Gendered Organizations ist die Assimilation der darin arbeitenden Frauen an männliche Maßstäbe und Verhaltensweisen. Diese sind von Doing Masculinity charakterisiert, was ausführlicher in Abschnitt 6.4.1 Doing Gender als unsichtbare, ständige Herausforderung beschrieben wird. Die Grundlagen dafür wurden in Abschnitt 2.2.3 Frauen in der Beratungsbranche: Ein Überblick gelegt. Hier sollen nun schlaglichtartig die Folgen der Male Gendered Organization hinsichtlich Managing Gender4 beleuchtet werden.
Eine Interviewpartnerin benennt ihre anfängliche Erfolgsstrategie als „Ich muss [ein] besserer Mann werden“ (3:14 ¶ 34 in Interview 3.docx) und eine Geschäftsführerin empfiehlt, sich anzupassen, „denn am Ende werden die Geschäfte abends am Tresen gemacht“ (6:77 ¶ 94 in Interview 6.docx). Diese Strategien lassen sich eindeutig als Doing Masculinity einordnen. Weiteren Erfahrungsberichten zufolge wollen Männer im Vergleich zu Frauen mit ihren Kollegen häufiger privat Zeit verbringen (vgl. 7:42 ¶ 102 in Interview 7.docx) und auch die Getränkekultur nach Feierabend ist typisch männlich geprägt:
Und ich muss sagen, ich war gar keine Biertrinkerin, als ich in den Job gestartet bin, aber ich hab angefangen, Bier dann auch zu trinken und auch irgendwann zu mögen, weil ich einfach keinen Bock hatte, da nicht dabei sein zu können. (4:74 ¶ 60 in Interview 4.docx)
Die Beraterin hat zuvor kein Bier getrunken, damit aber für den beruflichen Erfolg begonnen. Auch hier ist Assimilation als Folge der Male Gendered Organization zu erkennen.
In diesem Kapitel wurde durch die persönlichen Erlebnisse der befragten Frauen bestätigt, dass es sich bei den untersuchten Unternehmensberatungen in Deutschland primär um Male Gendered Organizations handelt und dass dies mit zusätzlichen Herausforderungen für die Karrierewege von Frauen in höhere Führungspositionen einhergeht. Einzelne Bestrebungen, dies zu ändern, konnten beobachtet werden. Eine substanzielle Aussicht auf Erfolg und eine zeitnahe, signifikante Änderung attestieren die befragten Beraterinnen diesem Vorhaben jedoch nicht; insbesondere dann, wenn die Anstrengungen nicht proaktiv durch die (männliche) Führungsebene vorangetrieben werden:
Das ist ein mega großer Unterschied zwischen „wir machen Pinkwashing oder keine Ahnung, Gender-Pinkwashing, I don‘t know“ und „Wir leben es nach innen“. Und das ist etwas, was die meisten, die meisten Aktivitäten zu Diversity in großen Beratungsfirmen […] werden aus den HR-Abteilungen gestemmt. Das ist ein klassisches Thema, was sich eine HR-Abteilung anschaut. Und aus meiner Sicht ist es da sehr falsch aufgehängt. Das Thema muss eine Business-Entscheidung sein. Das Business muss hinten dran stehen und da muss das Thema getrieben werden. (9:44 ¶ 43 in Interview 9.docx)

6.3.3 Rolleninkongruenz weiblicher Führungskräfte: Die Role-Congruity-Theory

Wie in Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene dargelegt, behandelt die Role-Congruity-Theory (vgl. Eagly, Karau 2002) die Auswirkungen von Geschlechterstereotypen auf die Bewertung von Frauen in nicht-stereotypischen Rollen, wie beispielsweise in Führungspositionen mit Personal- und Umsatzverantwortung. Das Lack-of-Fit-Model betont die Bedeutung der wahrgenommenen Passung mit der Rolle sowohl in Bezug auf den Job (Person-Job-Fit) als auch zur Unternehmenskultur (Person-Organisation-Fit) und zum Team (Person-Gruppe-Fit) (vgl. Schein 1973). Beide Theorien sind also ähnlich, beruhen aber auf unterschiedlichen Perspektiven (vgl. Abschnitt 3.2.3 Einflüsse auf organisationaler Ebene). Die folgende Einordnung von Interviewzitaten bezieht sich auf diese.
Die Role-Congruity-Theory basiert auf einer potenziellen Statusdifferenzierung zwischen Männern und Frauen. Dieser folgend kann davon ausgegangen werden, dass Männer eine gesellschaftlich als höherwertig betrachtete Rolle einnehmen (vgl. u. a. Bates 2021). Mit dieser Differenzierung können wiederum Kompetenz und Autorität einhergehen, die Männern zugesprochen werden und als relevante Kriterien für Führung gelten. In Bezug auf die Beratungsbranche lässt sich eine Stereotypinkongruenz für Frauen in Führungspositionen ableiten. Dieser können die Interviewpartnerinnen schon beim Berufseinstieg begegnen, wie diese Senior Managerin erlebt hat:
Eines meiner größten Themen beim Einstieg in die Beratung war das Thema „ernst genommen zu werden“. Also wirklich als kompetent wahrgenommen zu werden und ich hab das so erlebt, dass ich bei gleicher Leistung weniger kompetent gesehen wurde in Vergleich zu männlichen Kollegen. (5:13 ¶ 28 in Interview 5.docx)
Die Beraterin hatte nicht das Gefühl, ernst und damit als kompetent wahrgenommen zu werden. Diese Stereotypinkongruenz nehmen sowohl die Frauen selbst wahr („ich hab das so erlebt“) als auch ihr Umfeld („bei gleicher Leistung weniger kompetent gesehen“). Unklar ist, wie bewusst diese Wahrnehmungsverzerrung, der Unconscious Bias (vgl. Abschnitt 2.2.2 Frauen in Führungspositionen und ihre Karrierewege), ist. Die Senior Managerin schildert ein weiteres Beispiel, das die unterschiedlich ausgeprägte Wahrnehmung von Kompetenz sichtbar macht:
Eine Erfahrung, die ich gemacht habe. Messebesuch: Mein Kollege und ich haben gemeinsam unser Demo-System aufgebaut, also beide einen – ich sag mal – technischen Task durchgeführt. […] Und dann gab es einen dritten Kollegen, der uns beide nicht kannte, der uns beide fragte, was wir denn im Alltagsberuf so machen, und der fragte mich, ob ich denn Messehostess wäre und meinen Kollegen aus meinem Team, ob er Software-Entwickler ist. (5:34 ¶ 34 in Interview 5.docx)
Die Frau wird also für eine Assistenz gehalten, der Mann hingegen als fachlich kompetent eingeschätzt, obwohl beide eine gemeinsame Aufgabe („technischer Task“) ausführen. Die Kongruenz von Rolle und Geschlecht ist bei der Beraterin demnach deutlich schwächer als bei ihrem Kollegen. Dies kann eine etwaige schlechtere Leistungserwartung und -bewertung zur Folge haben (ein Beobachter hält die Frau für die „Messehostess“). Auch im Kontext von Führung sind solche Mechanismen zu beobachten:
Nach der Senior Manager-Promotion, wo ich ein sehr starkes Panel gemacht habe. Ich war die Beste in der Kohorte, in diesem Panel und man hat mir dann aber hinterher gesagt, ich sei sehr pushy rübergekommen. Also so der totale Klassiker. Und das hat mich unfassbar geärgert. (8:13 ¶ 33 in Interview 8.docx)
Hier wird das mit der Rolleninkongruenz einhergehende Dilemma sichtbar: Die Kandidatin kann den männlich geprägten Anforderungen an die Rolle als Senior Manager:in nicht gerecht werden. Die geschlechterstereotypischen Erwartungen an das Verhalten der Frau („nicht so pushy“) kollidieren mit den Erwartungen an das Verhalten als Führungskraft (durchsetzungsstark), was zu einer negativen Bewertung durch die Umwelt führt (Kritik am Auftreten im Panel).
Insbesondere bei Führung in der Beratung werden also männlich geprägte Kriterien angesetzt und belohnt (vgl. Abschnitt 3.2.3 Einflüsse auf organisationaler Ebene). Rollenkongruenz kann für Beraterinnen daher qua Geschlecht herausfordernd sein. Eine Interviewpartnerin hat einen direkten Einfluss dieser Herausforderung auf Beförderungen erlebt:
Es wird halt eher nach männlich definierten Kriterien promotet. Ich habe mich gefragt, ob da nicht vielleicht auch was dran war. Vielleicht hat beides in der Bewertung dazu beigetragen hat, dass es [die eigene Beförderung] ein Jahr später war. Aber es ist nun mal sehr spannend. (7:10 ¶ 27 in Interview 7.docx)
Sie vermutet, dass sie aufgrund männlich definierter Kriterien ein Jahr später befördert worden ist. Dass sie in diesem Jahr die männlich geprägten Kriterien analysiert und danach gehandelt hat, ist wahrscheinlich. Eine Senior Managerin bestätigt genau diese Strategie:
Aggressives Auftreten, unfreundlicher sein, ähm. Macht-Verhalten auch, also Macht ausspielen, ähm. Das sehe ich so als die stereotypisch männlichen Charakteristika, die da erwartet werden. (5:55 ¶ 49 in Interview 5.docx)
Passen die Beraterinnen sich nicht an die erwarteten, stereotypisch männlichen Charakteristika an, kann dies einen negativen Einfluss auf ihren beruflichen Aufstieg haben. Nehmen sie eine Anpassung vor, begegnen sie in Führungspositionen trotzdem einer potenziell geringeren Leistungserwartung und -beurteilung.
Dies ergibt sich wie oben beschrieben aus der Inkongruenz von Geschlecht und Rollenerwartungen. Für die Frauen selbst ist dies jedoch unter Umständen nicht ersichtlich. Warum eine Beförderung stattfindet oder nicht, können sie sich daher teilweise nicht erklären:
Ich habe dann wie gesagt, die Themen auch weiter betreuen können, habe mich weiterentwickeln können und war dann irgendwann an dem Punkt, wo ich für mich auch festgestellt habe, so, hey, da sind viele Kollegen [betont männlich] um mich herum, die befördert werden. Und ich habe dann auch wirklich aktiv angefangen, dieses Thema anzusprechen mit meinem Chef. Das ist eine männliche Führungskraft. Und habe immer wieder gesagt „Hey, ich will gerne Managerin werden. Was, was muss ich machen, was, was sind die Punkte?“ Also ich guck mir das Career Framework an, was da ist und all das, was bei dem Level Managerin steht, mache ich aktuell gerade. Warum werde ich nicht befördert? […] Ich mache alles, was, was gefordert ist und trotzdem werde ich nicht befördert. Warum? Und mir konnte es in der Tat keiner wirklich richtig erklären. (9:15 ¶ 19 in Interview 9.docx)
Trotz scheinbar objektiver Kriterien („Career Framework“) ist das Ausbleiben der Beförderung für die Beraterin unerklärlich. Die von der der Role-Congruity-Theory beschriebenen komplexen Zusammenhänge in Bezug auf die Erwartung und Bewertung einer Leistung können hier zu ihren Ungunsten wirken.
Dem Geschlechterstereotyp entsprechende Männer können derweil von Karrierevorteilen profitieren, wie eine Senior Managerin mit Blick auf einen Kollegen erläutert:
Also, und das ist etwas, was ich nicht nur an seiner Biografie und an seinem Wirken beobachte, dass er mit diesen stereotypisch männlichen Erfolgsmustern oder, oder -eigenschaften, Verhaltensweisen, die Männer bei uns schnell durch die Karrierestufen haben durchlaufen lassen, sehr schnell sehr hoch auf der Karriereleiter geklettert ist. (1:35 ¶ 47 in Interview 1.docx)
Somit können bei männlichen Führungskräften Rollenerwartung und stereotypisch zugeschriebene Geschlechtereigenschaften eine höhere Kongruenz aufweisen. Der Karriereweg als Führungskraft in der Beratung fällt dann im Vergleich zu Frauen tendenziell leichter.
Angewandt auf die Interviewergebnisse lässt die Role-Congruity-Theory Erfolgsfaktoren für die Karriere von stereotypisch männlichen Berater:innen und Führungskräften sichtbar werden und enttarnt damit ein Hindernis für Frauen auf dem Weg in höhere Führungspositionen. Diese begegnen unsichtbaren gesellschaftlichen Bewertungsmaßstäben, die sowohl die vermutete Leistung als auch die Bewertung dieser Leistung negativ beeinflussen. Die Beraterinnen sehen sich mit einer Rolleninkongruenz konfrontiert, die sie spüren, aber ursächlich nicht nachweisen können. Diese Herausforderung bleibt für männlich gelesene Führungskräfte in der Beratung unsichtbar.

6.3.4 Männliches Berater-Ideal: Das Lack-of-Fit-Model

Auch beim Lack-of-Fit-Model spielen Geschlechterstereotype eine Rolle, hier jedoch hauptsächlich im Kontext der spezifischen Anforderungen an Beratungspersonen und weniger aufgrund gesellschaftlicher Zuschreibungen an Führungskräfte.
Das Modell beschreibt die Passung einer Person an die Anforderungen einer Rolle, in diesem Fall die Rolle von Berater:innen in höheren Positionen. Relevant ist, dass im Gegensatz zur Role-Congruity-Theory in diesem Modell ein geringerer Person-Rollen-Fit nicht nur von außen attestiert, sondern auch von der jeweiligen Person selbst wahrgenommen wird. Dies kann mit weniger Engagement und Leistung einhergehen, wie die folgenden Ergebnisse belegen.
Person-Job-Fit
Die Anforderungen an Berater:innen, insbesondere in Führungspositionen, orientieren sich an der Kultur der Male Gendered Organization (vgl. Abschnitt 6.3.2 Nachweis einer Male Gendered Organization in der Beratungsbranche). Damit gehen stereotypisch männlich geprägte Erfolgsfaktoren einher. Von Beraterinnen wird erwartet, dass sie ebenso wie ihre Kollegen im Beratungsgeschäft überzeugen und Projekte an Kund:innen verkaufen. Der Person-Job-Fit erfordert also eine selbstsichere Ausstrahlung und zuweilen auch eine dominante Haltung, wie diese Geschäftsführerin darlegt:
Ich hatte – so hat man mir auch öfter mal bestätigt – ich habe halt eine Ausstrahlung, die so eine Art natürliche Dominanz rüberbringt. Und das, ähm, das wusste ich und das habe ich, damit habe ich nicht gespielt. Aber das war so. Das war so ein bisschen meine Sicherheit. Ich hatte, dass ich, wenn ich in einen Raum kam, dass das schon immer so ein bisschen Eindruck macht, nicht durch das Äußere. (6:49 ¶ 64 in Interview 6.docx)
Erfolg in der Rolle als Führungskraft in einer hohen Position kann also durch gewisse Charaktereigenschaften begünstigt werden. Neben der oben genannten Durchsetzungskraft („Dominanz“) nennen die Interviewpartnerinnen Eigenschaften wie eine klare, laute Stimme, die Fähigkeit, einen Raum einzunehmen und Konfliktbereitschaft, „also auch noch mal insistieren, das eigene Argument vertreten. […], all das, was, was mit, was mit per se so mit Selbstbewusstsein konnotiert ist“ (1:67 ¶ 74 in Interview 1.docx). Die weiblichen Führungskräfte umschreiben diese Fähigkeit teilweise auch als ‚starken Charakter‘ oder ‚Selbstbewusstsein,‘ das für die Rolle nötig sei:
Ich glaube vielleicht auch, dass ich teilweise eine sehr, sehr direkte Art habe und auch immer gerne mal das, was ich sagen möchte, dann auch sage. Aber […], das hat mir extrem… und ich bin, ich bin selbstbewusst und […] also so wurde mir zumindest auch immer bestätigt und dadurch habe ich auch immer relativ viel Kraft gehabt, ähm, in solchen Meetings zu sitzen. (6:50 ¶ 64 in Interview 6.docx)
Es werden also hinsichtlich Person-Job-Fit gesellschaftlich eher männliche Eigenschaften erwartet (vgl. Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene). Die interviewten Frauen können laut ihrer Selbsteinschätzung diesen Anforderungen an ihre Rolle offenbar entsprechen. Sie demonstrieren also einen hohen Person-Job-Fit, der mit Erfolg, besserer Leistung und guter Bewertung einhergehen kann. Dies kann als Grund für ihr Erreichen von höheren Führungspositionen betrachtet werden.
Durch einen geringen Person-Job-Fit ergibt sich hingegen das Risiko einer schlechteren Leistungsbewertung unabhängig von der tatsächlichen Performance, was sich auf Beförderungen und Erfolg auswirken kann (vgl. 7:10 ¶ 27 in Interview 7.docx, 3:53 ¶ 83 in Interview 3.docx).
Person-Organisation-Fit
Der Person-Organisation-Fit hängt stark von der jeweiligen Firmenkultur ab. Aufgrund der maskulinen Prägung der Beratungsbranche ist eine männlich geprägte Firmenkultur wahrscheinlich. Diese beeinflusst, wie hoch der Fit für Frauen sein kann. Ein niedriger Person-Organisation-Fit wirkt sich sowohl negativ auf die persönliche Leistung als auch deren Bewertung aus. Diese Senior Managerin hat einen geringen Fit erlebt:
Und dann natürlich Mikroaggressionen einfach im Alltag. Ähm. In einem sehr männlich geprägten Umfeld, also die ganzen Witzchen, die irgendwie im Vereinzelten ja wegzulächeln sind, aber im Großen und Ganzen ja dazu doch führen, dass man sich diskriminiert und unwohl fühlt am Arbeitsplatz und sehr auf sein Geschlecht reduziert. (5:33 ¶ 34 in Interview 5.docx)
Diese Art von Witzen und Mikroaggressionen können ein Gefühl von Ausgrenzung auslösen. Sie zeugen von einer tendenziell inadäquaten Organisationskultur für weibliche Berater:innen, also einem Lack-of-Fit. Ein weiteres Indiz hierfür stellt die Einstellung der (binären) Geschlechter nach getrennten Rollen dar, wie diese Interviewpartnerin bezeugt:
Also wenn du eine Frau gesehen hast, war das eine Assistentin oder Empfangsdame. Völlig ausgeschlossen, dass man mich in so einem Umfeld mit Anfang 20 für voll nimmt. Aber nach dieser Erwachung habe ich gelernt, wie ich damit umgehen soll. Wie ich meine Autorität demonstriere und wie ich… ernst genommen werde. (10:10 ¶ 44 in Interview 10.docx)
Die Rolle von Frauen in einer Organisation wie dieser wird außerhalb der Beratungstätigkeit verortet („Assistentin“, „Empfangsdame“). Für Beraterinnen liegt also unter Umständen ein geringer Person-Organisation-Fit vor. Dieser geht wiederum mit einem Gefühl der Ausgrenzung einher, was die eigene Leistung negativ beeinflussen kann (vgl. Schein 1972).
Dies scheint jedoch nicht zwangsläufig der Fall zu sein. Eine Partnerin, die ihre Organisation als typisch männlich geprägt beschreibt, nennt sich selbst eine „Leistungsträgerin“ und erklärt, dass sie „mehr und besser perform[t] als so mancher Mann“ (8:62 ¶ 105 in Interview 8.docx). Ob sich diese Selbsteinschätzung bei einem geringen Person-Organisation-Fit auch in der Bewertung von außen widerspiegelt, kann jedoch auf Grundlage der oben beschriebenen Effekte eines niedrigen Fits angezweifelt werden.
Person-Gruppe-Fit
Neben der Branche und der Organisation spielt auch das individuelle Team eine substanzielle Rolle beim Lack-of-Fit-Model. Der Person-Gruppe-Fit kann sowohl die Leistung als auch die erwartete und tatsächliche Bewertung dieser beeinflussen. Einen hohen Person-Gruppe-Fit nimmt diese Geschäftsführerin einer deutschen Beratungsfirma wahr:
Das war bei mir alles nicht. Ich hatte da relativ viel Glück. Vielleicht auch mit den männlichen Kollegen. Ich habe nie das Gefühl gehabt, dass ich in meinem Job mehr liefern musste als Männer oder dass ich mich anders verhalten musste. (6:43 ¶ 59 in Interview 6.docx)
Sie hatte in ihrem derzeitigen Team also nie den Eindruck, dass ihre eigene Leistung oder deren Bewertung durch ihr Geschlecht beeinträchtigt wurde. Die Partnerin einer Big Four bestätigt dies; sie sei „mit den Jungs immer gut zurechtgekommen“ (vgl. 8:18 ¶ 37 in Interview 8.docx). Auffällig ist hier, dass die untersuchte Gruppe (Person-Gruppe-Fit) überwiegend aus Männern („Jungs“) besteht. Die Vermutung, dass neben dem Person-Organisation-Fit auch der Person-Gruppe-Fit stark durch die männliche Mehrheit geprägt ist, liegt nahe. In diesen Fällen würde erneut stereotyp männliches Verhalten belohnt werden. So beschreibt eine Partnerin die vorherrschende kompetitive Teamkultur als „alles war ein Wettbewerb“ (10:31 ¶ 52 in Interview 10.docx). Die Tatsache, dass sie mittlerweile das Unternehmen verlassen hat, zeigt, wie stark die Auswirkungen eines Lack-of-Fits sein können. Die eigene Leistungsbereitschaft für die Gruppe sinkt potenziell, sobald Personen das Gefühl haben, nicht gerecht behandelt zu werden. Diese Senior Managerin erzählt von genau so einer Situation in ihrem Team, als sie ihren Chef anspricht:
„Hey, ich möchte das Projekt wechseln und ich möchte mal wieder was anderes sehen“. Und er ist mir dann mit so einer, also mit so einer Rhetorik gekommen, dass er gesagt hat: „Ja, [Name], was machen wir denn mit dir? Du bist so unzufrieden.“ Und ich war halt damals auch schon anderthalb Jahre Into the Game, also irgendwie als Associate oder Consultant. Damals dachte ich, also dieses Label ‚unzufrieden‘, das hat so eine krasse Konnotation. Ich bin nicht unzufrieden, also ich bin motiviert, ich kann mehr, ich will mehr und also gebt mir den Raum, mich zu entfalten. (1:18 ¶ 45 in Interview 1.docx)
Auch sie hat das Team gewechselt und nach einem höheren Fit gesucht.
Die hier aufgeführten Zitate belegen, dass ein Lack-of-Fit ebenso wie eine niedrige Rollenkongruenz eher ein Hindernis als einen Erfolgsfaktor für die Karriere von Beraterinnen darstellt. Der negative Einfluss eines Lack-of-Fit könnte jedoch schwächer ausgeprägt sein, da er vermutlich von der jeweiligen Unternehmenskultur abhängt und weniger von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt ist.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass auf der Meso-Ebene in Bezug auf die Forschungsfrage Einflüsse vorliegen, die vorwiegend negativ auf die Karrierewege von weiblich gelesenen Führungskräften einwirken. Sie sind nicht zwangsläufig sichtbar, stellen jedoch Herausforderungen dar, die für die Beraterinnen einen Sonderaufwand im Vergleich zu ihren männlichen Kolleg:innen bedeuten können:
  • der Sonderstatus als Token und die damit verbundenen Nachteile;
  • die Folgen einer Male Gendered Organization für weiblich gelesene Personen;
  • die Rolleninkongruenz zwischen dem weiblichen Geschlecht und einer Führungsposition in der Beratung sowie die daraus entstehenden, teilweise unsichtbaren Bewertungsmaßstäbe;
  • ein entsprechend niedrigerer Fit von Beraterin zu Organisation, Gruppe und Team in Verbindung mit einem männlichen Beraterideal.

6.4 Ergebnisse aus den Interviews auf Mikro-Ebene

In diesem Kapitel werden die Ergebnisse in Bezug auf Schönheitshandeln und das Doing Gender als Berater:in analysiert, die sich auf die gleich lautenden Codes beziehen. Ein Teil der Erkenntnisse basiert auf den im Abschnitt 6.2.1 Geschlechterstereotype als hinderliche beschriebenen Erkenntnissen zu Geschlechterstereotypen. Diese entstehen zwar auf Makro-Ebene, manifestieren sich als Schönheitshandeln und Doing Gender aber vor allem auf individueller und zwischenmenschlicher Ebene und werden daher in dieser Arbeit auf der Mikro-Ebene eingeordnet.

6.4.1 Doing Gender als unsichtbare, ständige Herausforderung

Doing Gender wurde bereits in Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene ausführlich beschrieben. In den geführten Interviews wird deutlich, dass die Beraterinnen das Geschlecht als Einflussfaktor auf die Karriere betrachten, obgleich sie diese Beobachtung nicht unter dem Begriff Doing Gender einordnen. Bis auf wenige Ausnahmen gehen sie in diesem Zusammenhang von einem binären Geschlechterverständnis aus und bedienen Stereotype über Männer und Frauen.
Zunächst werden hier die Auswirkungen von Doing Gender im Beratungsberuf beschrieben, bevor anhand der Aussagen der Interviewpartnerinnen ermittelt wird, mit welchen Strategien sie den jeweiligen Herausforderungen begegnen.
Der Einfluss von Geschlecht im beruflichen Kontext scheint nicht von Anfang der Karriere an relevant zu sein. So erklärt eine Interviewpartnerin, sie habe lange Probleme gehabt, Gender überhaupt als ein berufliches Thema anzuerkennen und sich zu Beginn ihrer Karriere noch gefragt, warum überhaupt Maßnahmen diesbezüglich ergriffen werden sollten (vgl. 7:18 ¶ 67 in Interview 7.docx). Eine Senior Managerin schildert eine ähnliche Einstellung und nennt diese sogar rückblickend „naiv“:
Also ich bin auch mit einer relativ naiven Brille glaub ich gestartet, dass ich dachte, „heute ist das kein Problem mehr“ und musste dann aber über die Zeit feststellen, dass es doch noch sehr unterschiedliche Behandlungen von Männern und Frauen im Beruf gibt und gerade, wenn man dann noch sehr jung ist und (Pause) … umso weiblicher man sich präsentiert – stereotyp weiblich – umso mehr treffen einen diese Hindernisse. (5:17 ¶ 28 in Interview 5.docx)
Diese weiblichen Führungskräfte wurden also von der in Abschnitt 2.2.2 Frauen in Führungspositionen und ihre Karrierewege beschriebenen fälschlichen Vorstellung einer geschlechtsneutralen Organisation oder geschlechtslosen Wirtschaft (vgl. Rodriguez, Guenther 2022) beeinflusst. Erste Erfahrungen in der Beratungsbranche haben im weiteren Verlauf der Karriere dann dazu geführt, den Einflussfaktor Geschlecht als solchen zu erkennen (vgl. 7:18 ¶ 67 in Interview 7.docx).
In der Retrospektive berichten erfahrene weibliche Führungskräfte, dass ihr Geschlecht unter Kollegen sie „natürlich Kraft und Energie gekostet“ hat (4:27 ¶ 35 in Interview 4.docx) und sie im Laufe der Zeit erkannten, dass sie „anders ticken“ und ihnen „andere Dinge wichtig oder unwichtig“ sind (vgl. 9:32 ¶ 35 in Interview 9.docx). Hier ist bereits zu beobachten, dass die Interviewpartnerinnen eine Zuordnung von individuellem Verhalten in die binären Kategorien ‚männlich‘ und ‚weiblich‘ vornehmen und ihre Erfahrungen entsprechend einsortieren. Die Sozialisierung durch Vorurteile und Geschlechterstereotypen hat auch die Interviewpartnerinnen geprägt. Noch deutlicher tritt diese Sozialisierung bei der Aussage einer Senior Managerin zu „typisch weiblichem Verhalten“ hervor:
Dieses „wollte ich gefallen“ als etwas, was ich sehr stereotypisch weiblich empfinde und habe mich dann ein bisschen damit beschäftigt und dann wirklich gelernt, also das sich so das in der Sprache wiederfinden kann. Also im Sinne von permanent den Leuten zustimmen und irgendwie nochmal aufgreifen, was sie gesagt haben, habe ich mir angelesen, habe es beobachtet an mir selbst und an den männlichen Kollegen und festgestellt, das stimmt. Also Kollegen von mir stimmen signifikant seltener irgendwie erst mal dem zu, was jemand anderes gesagt hat, egal ob männlich oder weiblich, und greifen das nochmal auf und möchten das nochmal verstärken. (1:78 ¶ 82 in Interview 1.docx)
Ihre Aussage zeigt, dass kollaborative Kommunikation stereotypisch als weiblich gelesen wird, männliches Verhalten hingegen eher als fordernde Kommunikation:
Ich sehe da sowohl sehr talentierte Männer als auch sehr talentierte Frauen. […] Ich muss sagen, dass ich schon beim Gehalt, bei der Gehaltsdiskussion das Gefühl habe, dass die Männer da ein bisschen forscher sind als die Frauen, wenn es um die Einstellungsgespräche geht, ja. (8:67 ¶ 109 in Interview 8.docx)
Die Unterschiede innerhalb des binären Geschlechterverständnisses sind also gegensätzlicher Natur („kollaborative“ vs. „forsche Kommunikation“): Frauen beziehen sich demnach kommunikativ aufeinander und bauen auf den Inhalten anderer auf, während Männer seltener anderen Standpunkten zustimmen und aggressiver (für sich) argumentieren. Hier ist auf kommunikativer Ebene also bereits das Phänomen des Doing Gender zu beobachten: Das Verhalten von Individuen wird bewertet und pauschal als „typisch“ für das Geschlecht (genderkonform) eingeordnet.
Diese Pauschalisierungen lassen sich auch nicht dadurch aufheben, dass einige Interviewpartnerinnen sich bemühen, die Stereotype als solche zu benennen. Vielmehr zeigt der Versuch einer Einordnung und Erklärung wie der folgende deutlich, dass sie auch unter den Interviewpartnerinnen existieren:
Ich überleg gerade sonst, also ich will da nicht auf irgendwelche Empathie-Themen oder so was eingehen, weil ich glaube, dass es viele Männer gibt, die sehr empathisch agieren und arbeiten. Es gibt wahnsinnig viele Frauen, die das vielleicht oder tendenziell vielleicht eine größere Gruppe an Frauen, die das macht. Es gibt aber auch viele Männer, die das machen. Und es gibt viele Frauen, die nicht empathisch sind und einfach wie so ein – keine Ahnung – Elefant im Porzellanladen rumlaufen. Gibt es, gibt es bei allen Geschlechtern. Vielleicht ist die prozentuale Verteilung eine andere. (9:60 ¶ 59 in Interview 9.docx)
Doing Gender im Beruf basiert also auf typischen Geschlechterstereotypen. Die Geschlechter können sich genderkonform verhalten – also entsprechend den Stereotypen – oder gendernonkonform – entgegen den Stereotypen (vgl. Abschnitt 3.2.4 Einflüsse auf individueller und zwischenmenschlicher Ebene). Doing Gender kann sich im gesamten Habitus manifestieren, also sowohl in Auftreten und Interaktion als auch in Sprache, Kleidung, Mimik und Gestik. Die Interviewpartnerinnen präsentieren eine Vielzahl an einschlägigen Beispielen. So berichten zwei Senior Managerinnen von ihren Bemühungen, einen eher typisch weiblichen Kommunikationsstil einzuhalten:
Was ich über diesen Konflikt mit meiner Führungskraft auch festgestellt habe, ist, dass ich, […] und inwiefern das damit zu tun hat, dass ich eine Frau bin. Das geht jetzt auch sehr tief in die Sozialisation und so. Aber dass ich mit der, von meinem Elternhaus mit einer Grundüberzeugung bis hin zu wirklich verbal auch noch mal so verstärkt aufgezogen bin mit „man, man kann man kann alles mit Sprache klären“ also, man muss die Menschen nur erreichen. (1:40 ¶ 49 in Interview 1.docx)
Was mir aber wichtig ist, dass die Grundsätze in meiner Kommunikation bestehen bleiben. Das ist Klarheit. Klare Sätze. Auf das Gegenüber zuzugehen. Auch die Meinung, also die Meinung vom Gegenüber nachfragen. Und das mache ich, unabhängig in welcher Kommunikation, in guten Weg und auch in schlechten Zeiten. (3:32 ¶ 58 in Interview 3.docx)
Weiblich konnotiertes und als solches wahrgenommenes Verhalten wird als Doing Femininity bezeichnet und dient der sozialen Einordnung in die Geschlechterkategorien (genderkonform). Die zwei Beraterinnen verhalten sich entsprechend weiblich („Menschen erreichen“, „auf das Gegenüber zugehen“, „die Meinung erfragen“).
Als eine Folge von Doing Femininity kann der Beraterin ein Status der ‚Andersartigkeit‘ im Vergleich zu ihren Kollegen zugeschrieben werden. Die Partnerin in einer IT-Beratung beschreibt diese Non-Konformität als Herausforderung:
Ja und dann irgendwann festzustellen, dass man nur weil man ein anderes Geschlecht hat, quasi ich sag mal den „Kanarienvogel-Status“ hat, über die Jahre immer die einzige Frau zu sein und festzustellen, dass man anders tickt, dass man Dinge anders sieht… für sich auseinander zu dröseln, was daran liegt daran, dass ich eine Frau bin, also auch anders wahrgenommen werde, und was davon liegt einfach auch daran, dass ich ein anderer Typ Mensch bin als die, die da sitzen. Das gibt es ja auch in Männergestalt, sage ich jetzt mal. Das ist für mich nach wie vor auch noch eine Challenge. (4:25 ¶ 35 in Interview 4.docx)
Hier wird erneut deutlich, wie groß die Herausforderung für weibliche Berater:innen sein kann, ihr eigenes Geschlecht im beruflichen Kontext zu managen: „auseinander zu dröseln“, was an der eigenen Person und was am Geschlecht liegt, wird als „Challenge“ bezeichnet.
Neben Unterschieden in der Persönlichkeit und im Kommunikationsstil kann auch die Kleidung eine mögliche Form von Doing Gender darstellen. Diese ist in der formal gekleideten Beratungswelt besonders sichtbar:
Wenn du jetzt Führungskräfte nimmst, wenn du dir Führungsteams anschaust, ist auch ganz lustig. Man kann mal so auf Webseiten gehen und sich mal Bilder von Leitungsebenen anschauen. Ja, und das siehst du schon alleine an den Bildern, dass das alles sehr ähnliche Typen sind. Also alles so die alten weißen Männer mit Doktortitel häufig noch. Und auch das ist unbewusst. Aber da schlägt der leider zu, der Similarity Bias. (7:62 ¶ 134 in Interview 7.docx)
Die hier beschriebene offensichtliche Andersartigkeit wird satirisch kommentiert („auch ganz lustig“). Gleichzeitig illustriert diese Beobachtung das Dilemma von weiblichen Führungskräften, aufgrund ihres Geschlechts bei dieser Form des Doing Gender fast zwangsläufig optisch aufzufallen.
Im Umgang mit Doing Gender als Beraterin existieren mehrere Strategien, unter anderem das zuvor beschriebene Doing Femininity: In eng gesteckten Grenzen leben die Beraterinnen eine genderkonforme, (stereotypisch) weibliche Seite aus. Diese Senior Managerin setzt beispielsweise ihren Kleidungsstil bewusst ein:
Aber das zeigt auch dem Gegenüber, dass ich mich vorbereitet habe, dass ich vielleicht meine besten Klamotten rausgenommen habe. Ich spiele mit meinen weiblichen Reizen. Aber ich kenne meine Grenzen. Ich weiß, was ich nicht überschreiten darf. Es darf nur darauf basieren, also dieses, diese ganze offene Kommunikation würde ich das nennen. Wenn es dahinter also knallhart gute Leistung gibt. (3:29 ¶ 52 in Interview 3.docx)
Das Zitat illustriert, dass Doing Femininity womöglich durch „knallhart gute Leistung“ ausgeglichen werden muss. Das bestätigt auch eine Partnerin, da „Kolleginnen, […] muss man sagen, sehr oft wirklich auf ihren Körper reduziert wurden“ (4:32 ¶ 38 in Interview 4.docx). Doing Femininity geht also mit dem Risiko einher, als Frau wahrgenommen und objektifiziert zu werden. Dabei wird die eigene Leistung unter Umständen in den Hintergrund gerückt und die Karriereentwicklung gefährdet. Aus diesem Grund wählen einige der Interviewpartnerinnen eine andere Strategie im Umgang mit Doing Gender: Undoing Gender.
Dieser Begriff wird im wissenschaftlichen Kontext unterschiedlich ausgelegt. Während West und Zimmermann im ursprünglichen Artikel die Möglichkeit des Undoing Gender negieren (vgl. 1987, S. 137), halten andere Wissenschaftler:innen diese Strategie durchaus für durchführbar. Versucht eine Frau etwa, geschlechtsneutral aufzutreten, kann dies sich Hirschauer zufolge als Undoing Gender konstituieren (vgl. 1994). Hermann geht sogar davon aus, dass auch Doing Masculinity, also ein Habitus, der nicht auf die eigene Geschlechterkategorie hinweist, bei einer Frau eine Form des Undoing Gender darstellen kann (vgl. 2004, S. 180). Um geschlechterstereotypisches Verhalten nicht zu reproduzieren, folgt diese Arbeit der Annahme von Dornheim, die Undoing Gender als „geschlechtsneutrales Verhalten oder Verhalten, dass das Ziel verfolgt, Geschlecht irrelevant zu machen“ definiert (2015, S. 56).
Mittels der Strategie des Undoing Gender können Beraterinnen den Versuch unternehmen, die externe Wahrnehmung des eigenen weiblichen Geschlechts möglichst zu reduzieren und somit das Risiko einer Objektifizierung zu verringern. Diese Strategie entspricht dem Wunsch nach einer geschlechtslosen oder zumindest geschlechtsneutralen Arbeitsumgebung, in der allein die Leistung zählt. Diese Senior Managerin beschreibt entsprechende Bemühungen wie folgt:
Sehr streng, unauffällig, sehr einfach damit keinesfalls sie mich als Frau wahrnehmen, sondern nur als Berater, ein Berater. Ja, also du weißt das, dass es sehr oft so war, dass man nicht mal Beraterin oder Berater gesagt, also alle waren Berater. Ja, genau. Und das, das war mir wichtig, dass… ich bin nur Spezialistin. Ich bin nicht eine Person oder irgendwie mit Gender, sondern ganz strikt. (3:25 ¶ 48 in Interview 3.docx)
Hier wird deutlich, wie diametral die Wahrnehmung des weiblichen Geschlechts den verinnerlichten, gesellschaftlich geprägten Maßstäben von Kompetenz entgegensteht. Das formulierte Ziel ist hier eine geschlechtslose, personifizierte Expertise, die sich ohne die Folgen weiblicher Attribute im beruflichen Rahmen beweisen kann. Diese Person kann sich durchsetzen und etwaige geschlechtsbezogene Herausforderungen „wegatmen“ (6:50 ¶ 64 in Interview 6.docx).
Im Laufe der Karriere und mit nachweisbaren Erfolgen als Führungskraft kann Undoing Gender als Strategie potenziell weniger attraktiv erscheinen:
Also früher war es wirklich sehr strikt, nur Geschäftliches usw. Jetzt weiß ich: Ich kann fröhlich sein, ich kann so bis zu gewissen Grenzen flirten, das wird nicht ich… Ich habe mir das erlaubt und ich weiß, es wird nicht falsch genau wahrgenommen, weil ich wiederum… Dahinter steckt gute Leistung. Meine Kunden schätzen mich deswegen und deswegen kann ich mir erlauben, lockerer zu werden. (3:17 ¶ 35 in Interview 3.docx)
Dies hängt aber mit der Führungsposition und etablierten, auf Leistung beruhenden (Kund:innen-)Beziehungen zusammen. Hiermit zeigt sich erneut die verinnerlichte Annahme der befragten Beraterinnen, dass stereotypisch weibliches Verhalten durch gute Leistung ausgeglichen werden muss.
Eine dritte Strategie, die die Interviewpartnerinnen im Umgang mit Doing Gender anwenden, ist Doing Masculinity. Diese Strategie basiert auf dem Konzept der Male Gendered Organization, die männliches Verhalten als Norm etabliert und insbesondere in Führungspositionen belohnt (vgl. Abschnitt 6.3.1 Vermeintlicher Vorteil Tokenism und 6.3.2 Nachweis einer Male Gendered Organization). So wird dieses explizit als Erfolgsfaktor bezeichnet:
Ja, ich glaube es [gibt] immer noch die Annahme, umso mehr Mann die Frau ist, umso erfolgreicher wird sie. Aggressives Auftreten, unfreundlicher sein, ähm. Macht-Verhalten auch, also Macht ausspielen, ähm. Das sehe ich so als die stereotypisch männlichen Charakteristika, die da erwartet werden. Mit denen dann auch frau erfolgreicher wird. (5:56 ¶ 50 in Interview 5.docx)
Durch die Anwendung von Doing Masculinity („umso mehr Mann die Frau ist“) kann also „auch frau erfolgreicher“ in der Beratungsbranche werden. Eine mögliche Folge ist die Reduzierung von Weiblichkeit zugunsten von maskulinem Auftreten, sowohl in der Kleiderwahl als auch im Habitus:
[…] Sich möglichst so ein bisschen runterzuschrauben im „wie weiblich präsentiere ich mich“. Natürlich irgendwo auch auf Kleidung und Aussehen bezogen, also darauf zu achten, jetzt nicht immer mit den Stöckelschuhen und dem kurzen Kleid zu gehen, sondern sehr seriös aufzutreten. Und sehr viel ernsthafter zu sein. Weniger zu lachen, zu kichern. (5:21 ¶ 29 in Interview 5.docx)
Auffällig ist hier, dass die männliche Norm auch durch die Interviewpartnerin verinnerlicht wurde: Weibliche Attribute werden überzeichnet mit „Stöckelschuhen“, einem „kurzen Kleid“ oder „kichern“ bezeichnet und als das Gegenteil von „sehr seriös“ ausgelegt. Die Einwirkung einer Male Gendered Organization auf die weiblichen Mitglieder und ihre Annahmen und Werte ist hier also signifikant.
Frauen, die Doing Masculinity als Strategie einsetzen, passen sich den männlichen Spielregeln an und versuchen, auf diese Weise „ernst genommen zu werden“:
Nach der Erwachung merkte ich dann, dass es eine Weile so geht, also so zu sein, ein paar Jahre. Aber dass es auch immer mehr Energie kostet. Also mehr Energie, darüber nachzudenken, was als Wettbewerb gesehen wird, in einer Männerdomäne. Welche Uhr kaufe ich mir? Welchen Koffer habe ich? Welche Handtasche? Alles kann ein Wettbewerb sein, den ich als Frau gewinnen muss, um ernst genommen zu werden. (10:12 ¶ 44 in Interview 10.docx)
Was diese Partnerin mit „Erwachung“ bezeichnet, ist die späte Erkenntnis ihrer eigenen Assimilation an die männliche Organisation. Diese Assimilation kostet weibliche Führungskräfte ihr zufolge zusätzliche Energie („Wettbewerb, den frau gewinnen muss“), wird aber offenbar durch die Organisationen selbst gefördert:
Ein Mal war es ein Training, was wir bekommen haben (lacht), das im Rahmen eines Frauenförderprogramms abgehalten wurde, wo uns auch gezeigt wurde, ja… wie wir uns männlicher verhalten, um ernster genommen zu werden. (5:31 ¶ 34 in Interview 5.docx)
Doing Masculinity als Anpassung an die Male Gendered Organization erscheint also auf den ersten Blick als wünschenswerte und erfolgversprechende Strategie. Ob dies tatsächlich so ist, bleibt jedoch fraglich. Die langfristigen Kosten durch die zusätzlich aufgewandte Energie können den möglichen Nutzen überwiegen (vgl. 10:12 ¶ 44 in Interview 10.docx).
Es wird deutlich, dass Doing Gender für Frauen – unabhängig von ihrem Umgang damit – immer einen „Sonderaufwand“ (1:38 ¶ 48 in Interview 1.docx), eine zusätzliche Herausforderung neben der eigentlichen Karriere darstellt:
Du musst dich ja dann permanent gegen den Rest 90 % der Herren durchsetzen. Und das ist halt eine zusätzliche Kraft und Energie-Arbeit, die ja on top auf einer hohen Auslastung und auf einer hohen Zeit-Invest, was man sowieso schon hat, kommt. (2:11 ¶ 21 in Interview 2.docx)
Die zusätzliche „Kraft und Energie-Arbeit“ sowie der „hohe Zeit-Invest“ des Doing Gender und seiner Folgen sind aus Sicht der befragten Partnerin Aufwand, mit dem sich männliche Führungskräfte nicht konfrontiert sehen; sie können folglich ihre Zeit „da rein [investieren], ihre KPIs noch besser zu machen“. Die Voraussetzungen in Bezug auf die Leistungserbringung werden also durch Doing Gender auf ungleiche Weise verändert. Dass diese Ungleichheit allen bewusst ist oder sogar Gegenmaßnahmen ergriffen werden, ist laut der Erfahrungen der befragten Frauen unwahrscheinlich:
An ganz vielen Stellen der drei Phasen ging es immer darum, dass du anderen vorsichtig versuchst beizubringen, dass da irgendwas ist, was die nicht sehen wollen oder gar nicht sehen konnten. (1:39 ¶ 48 in Interview 1.docx)
Das Doing Gender einer Frau in einer Male Gendered Organization ist also für Männer weitestgehend unsichtbar und auch die Interviewpartnerinnen selbst bemerkten den zusätzlichen Aufwand in der Regel erst nach einigen Berufsjahren (5:17 ¶ 28 in Interview 5.docx). Unabhängig von der gewählten Strategie – Doing Femininity, Undoing Gender oder Doing Masculinity – tragen die befragten Beraterinnen die Kosten hinsichtlich Zeit und Energie dafür.
Ergänzend sei hier erwähnt, dass einige der Beraterinnen auch von intersektionaler Diskriminierung betroffen sind. So sagt eine Senior Managerin aus, dass sie ihre Herausforderungen vor allem darauf zurückführt, dass sie „Ausländerin“ sei (3:10 ¶ 31 in Interview 3.docx), und eine andere nennt ihre sexuelle Identität, die ihr zwar nach ihrem Outing „ein unglaubliches Selbstbewusstsein“ gegeben habe, zuvor jedoch „immer eine große Unsicherheit“ darstellte (5:63 ¶ 59 in Interview 5.docx).
Doing Gender ist also bei weitem nicht der einzige Einfluss oder Zusatzaufwand, dem Frauen auf dem Weg in höhere Führungspositionen in der Beratung begegnen. Dennoch ist es ein Einfluss, der in einer Male Gendered Organization wie der Beratungsbranche (vgl. Abschnitt 6.3.2 Nachweis einer Male Gendered Organization in der Beratungsbranche) bislang weitestgehend unsichtbar geblieben ist. Die Beraterinnen selbst können zwar teilweise den dadurch entstehenden Zusatzaufwand, nicht jedoch dessen Ursache wahrnehmen. Hinsichtlich der Kollegen ist anzunehmen, dass ihnen Doing Gender und die damit verbundene „Kraft und Energie-Arbeit“ (2:11 ¶ 21 in Interview 2.docx) von weiblich gelesenen Personen aufgrund mangelnder eigener Erfahrungen verborgen bleibt.

6.4.2 Zusatzaufwand durch Schönheitshandeln

Wie bereits in Abschnitt 3.2.4 Einflüsse auf individueller und zwischenmenschlicher Ebene dargelegt, bezieht sich der Begriff des Schönheitshandelns im beruflichen Kontext nicht auf den Versuch, die eigene Schönheit im gesellschaftlich akzeptierten oder gar sexualisierten Sinne aufzubereiten. Vielmehr wird Schönheitshandeln als strategisches Instrument eingesetzt, als „ein Medium der Kommunikation und […] Inszenierung der eigenen Außenwirkung zum Zweck der Erlangung von Aufmerksamkeit und Sicherung der eigenen Identität“ (Degele 2004, S. 10).5 In den Interviews wurde Schönheitshandeln von den Beraterinnen als zusätzlicher Aufwand identifiziert, den sie betreiben, um besagte Anerkennungseffekte (hinsichtlich ihrer Kompetenz) oder eine bestimmte Außenwirkung zu erzielen. Dem zugrunde liegen die sozialen Interaktionen mit den Kolleg:innen, Vorgesetzten und Kund:innen, die stets mit einer Bewertung des Äußeren – Kleidung, Make-Up, Ausstattung – und einer möglichen Stereotypisierung sowie Doing Gender (vgl. Abschnitt 6.4.1 Doing Gender als unsichtbare, ständige Herausforderung) einhergehen. Um diese Bewertung möglichst positiv für die eigene Karriere einzusetzen, werden verschiedene Strategien in Bezug auf Schönheitshandeln gewählt.
Eine Strategie im Umgang mit weiblichem Schönheitshandeln im beruflichen Kontext ist dessen bewusste Negierung. So lehnen beispielsweise Interviewpartnerinnen Make-Up (vgl. 8:24 ¶ 45 in Interview 8.docx) oder Frisieren am Morgen (1:53 ¶ 56 in Interview 1.docx) als Teil von Schönheitshandeln explizit ab. Hierbei sind jedoch Unterschiede zu verzeichnen, zu welchem Zeitpunkt der Karriere diese Strategie eingesetzt wird: Einige Interviewpartnerinnen geben an, sich generell ungern zu schminken und dies im Job beibehalten zu haben (vgl. 1:51 ¶ 56 in Interview 1.docx), andere haben sich diesen Habitus im Laufe der Zeit und mit dem Erreichen einer höheren Karrierestufe angeeignet (vgl. 4:47 ¶ 43 in Interview 4.docx). Eine Senior Managerin begründet ihre Ablehnung von Make-Up sogar auf der Meta-Ebene, da diese Anforderung einzig an Frauen und nicht an Männer gestellt wird:
Und bei mir ist es so, also inzwischen bei mir oder war es schon immer oder so früh eine Mischung aus Unwillen, also dieses, weil ich das für mich als Extraanforderung an Frauen erkannt habe, also Unwille, dieser, dieser Anforderung Folge zu leisten. (1:51 ¶ 56 in Interview 1.docx)
Ein Bewusstsein über die Herausforderung von Schönheitshandeln als Frau in einer Male Gendered Organization ist also vorhanden. Die Reaktion darauf ist hier der „Unwille, dieser Anforderung Folge zu leisten“.
Eine alternative Strategie stellt der bewusste Einsatz von Schönheitshandeln dar. Gleich mehrere weibliche Führungskräfte wählen dieses Vorgehen:
Ja, also klar: Wenn ich was will, dann, dann mache ich mich schon, dann weiß ich schon, wie das geht. Ich mache nichts mit Ausschnitten und so, aber ich mache schon, schminke mich anders. Ich mache dann klar mehr Frisur. Und das ist taktisch, ja taktisch. (2:26 ¶ 45 in Interview 2.docx)
Die Geschäftsführerin reflektiert demnach ihr Aussehen und hat Erfahrung („weiß ich schon, wie das geht“) darin, dieses zu ihrem Vorteil aufzubereiten. Für sie stellt dies ein taktisches Vorgehen dar.
Eine Senior Managerin bezeichnet Schönheitshandeln hingegen eher als Spiel:
Also ich meine, dass man sich anzieht mit High Heels oder roten Lippenstift. Das ist ein Teil des Spiels. Sie spielen es auf eigene Weise. Ich spiele das auf meine Weise. (3:45 ¶ 74 in Interview 3.docx)
Sie folgt dabei eigenen Regeln und lässt weibliche Attribute wie High Heels oder Lippenstift im beruflichen Kontext zu. Ähnliches berichtet eine weitere Senior Managerin:
Und ja, natürlich, damit kann man aber auch spielen und vielleicht muss man das auch nutzen. Ich habe das natürlich, natürlich auch gemacht. Natürlich, wenn du irgendwie in eine Managementveranstaltung reingehst und du weißt, dass du die einzige Frau sein wirst oder eine von zweien, ziehe ich ganz bewusst farbige Kleidung an. (9:52 ¶ 51 in Interview 9.docx)
Der Unterschied zum oberen Zitat ist, dass diese Interviewpartnerin nicht den Eindruck vermittelt, nach ihren eigenen Regeln („auf meine Weise“) spielen zu können. Sie zieht beispielsweise bewusst farbige Kleidung an, wenn sie die einzige Frau im Raum sein wird. Inwiefern das eine freiwillige Entscheidung ist („vielleicht muss man das auch nutzen“), ist zudem nicht festzustellen.
Schönheitshandeln im Beruf hat den Aussagen der Interviewpartnerinnen zufolge keine romantische oder sexualisierende Funktion. Sein bewusster Einsatz findet zuweilen sogar unabhängig vom Geschlecht des Gegenübers statt:
Das heißt, ich, ich ziehe mich schön an, nicht nur, wenn, wenn ich mit einem Partner, mit einem Mann rede, sondern auch mit einer Ansprechpartnerin. Weil das zeigt, also es ist meine Selbstsicherheit. Aber das zeigt auch dem Gegenüber, dass ich mich vorbereitet habe, dass ich vielleicht meine besten Klamotten rausgenommen habe. (3:27 ¶ 50 in Interview 3.docx)
Schönheitshandeln kann also eine verstärkende Funktion für das eigene Selbstbewusstsein haben. Die positive Korrelation mit dem Person-Job-Fit wurde bereits in Abschnitt 6.3.4 Männliches Berater-Ideal: Das Lack-of-Fit-Model als vorteilhaft für die Karriere beschrieben. Die Relevanz eines selbstbewussten Auftretens wird in Abschnitt 6.5.3 Erfolg durch selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten näher erläutert.
Unabhängig davon, ob Beraterinnen Schönheitshandeln als Anstrengung, Spiel oder taktischen Schachzug wahrnehmen, bleibt es stets mit Aufwand verbunden: darüber nachzudenken, die Situationen zu antizipieren und dann Schönheitshandeln strategisch einzusetzen, verbunden mit dem Risiko, dass es falsch aufgefasst oder negativ bewertet wird. Somit lässt sich sowohl die Ablehnung als auch der aktive Einsatz als eine zusätzliche Herausforderung für Frauen im Karrierekontext festhalten.
Der Umgang mit dieser Herausforderung im Laufe der Karriereentwicklung ist individuell, wenngleich sich über alle Gespräche hinweg Tendenzen erkennen lassen. So steht beim Eintritt in die Beratungsbranche häufig der Wunsch im Vordergrund, Weiblichkeit möglichst wenig zu betonen und wahlweise die Strategie Undoing Gender oder Doing Masculinity zu verfolgen. Die Interviewpartnerinnen beschreiben entsprechende Versuche wie folgt:
Schwarz angezogen. Hochgeschlossen. [Ähm] Dumme Witzchen weggelacht. Versucht, dass es nicht auffällt, dass ich eine Frau bin. (10:11 ¶ 44 in Interview 10.docx)
Das Wirken und Aussehen als Frau waren mir viel im Weg und das Vertuschen, kann man es nennen, meines Geschlechts, hat mich viel Zeit gekostet. (10:20 ¶ 46 in Interview 10.docx)
Ähm, ich wäre niemals auf die Idee gekommen, rote […] Lippen oder so, also mich über, also auffallend zu schminken. Ich sag mal: Man hat sich dem Durchschnittsberater, -mann, wie auch immer, angepasst. Also du wolltest als Frau eigentlich nicht wirklich hervorstechen. (4:39 ¶ 43 in Interview 4.docx)
Die Beraterinnen sind also bestrebt zu vermeiden, ihr Geschlecht offensichtlich werden zu lassen, indem sie Kleidung und Make-Up möglichst unauffällig oder stereotypisch männlich gestalten. Sie wollen auf keinen Fall als Frau „hervorstechen“.
Ebenso bleibt der Versuch von Doing Masculinity für Beraterinnen in der Regel mit einem hohen Aufwand und einer starken Einschränkung des Schönheitshandeln auf einen bestimmten Bereich verbunden:
Als ich angefangen habe, dachte ich, ich muss… Ich darf nur irgendwie weiße Hemden tragen und keinesfalls irgendwie sexy und auffällig und so. Ich sollte ein besserer Mann sein. (3:12 ¶ 33 in Interview 3.docx)
Diese Interviewpartnerin bemühte sich also, männliche Ideale möglichst passgenau zu erfüllen. Ziel war es, dass die Kolleg:innen sie nicht „als Frau wahrnehmen, sondern nur als Berater […] nur Spezialistin […] nicht eine Person oder irgendwie mit Gender“ (3:25 ¶ 48 in Interview 3.docx). Das vermeintlich unvorteilhafte Geschlecht soll also zugunsten der wahrgenommenen Kompetenz verschwinden. Ein gefühlter Druck für dieses Verhalten kann unter anderem durch den uniformen Auftritt der mehrheitlich männlichen Kolleg:innen entstehen:
Und war in einer Situation, dass die Kollegen um mich rum halt männlich um die 50 waren. Und ich habe damals das dann damit beantwortet, dass ich auch wertnah an der Unternehmensberatung gekleidet war. Also immer mit Hosenanzug, immer mit einer Bluse und das war dann schon so Uniformstyle. So die Haare auch nie offen und ich hatte so das Gefühl, ich glaube, ich wirke dann auch schon so fast, ich will nicht sagen „männlich“, aber so ein bisschen unnahbar. (7:34 ¶ 88 in Interview 7.docx)
Der Kleidungscodex „wertnah an der Beratung“ wird mit Hosenanzug und Bluse beschrieben. Es wird also eine an männlichen Vorbildern orientierte Kleiderordnung für Beraterinnen wahrgenommen. Sich daran zu halten, hilft sich sicher („unnahbar“) zu fühlen.
Die Korrelation zwischen männlichem Kleidungsstil und den Strategien der Interviewpartnerinnen liegt offenbar nicht darin, dass tendenziell eher ohnehin männlich gekleidete Frauen zu Beraterinnen werden, sondern dass eine Anpassung an die Branche erfolgt:
Ich sag mal in meiner Vorberufszeit war ich eine sehr bunte Person. Ich hab viele bunte Farben getragen, ähm. Es war auch von Taschen über Geldbeutel – da war immer viel Farbe. Und ich hab tatsächlich, als ich dann in den Job eingestiegen bin, […] hab ich mich angepasst. Also dunkelblaue, schwarze Hosenanzüge, weiße, fliederfarbene, whatever, hellblaue Blusen, was man damals noch in der Beratung getragen hat. (4:38 ¶ 43 in Interview 4.docx)
Die eigene Persönlichkeit (vgl. 3:16 ¶ 35 in Interview 3.docx) und deren Ausdruck („bunte Farben“) verschwinden also mit Eintritt in die Beratungsbranche („angepasst“, „dunkelblaue, schwarze Hosenanzüge“). An ihre Stelle treten die Strategien Undoing Gender und Doing Masculinity. Hierfür liegen zwei Gründe vor: einerseits der Wunsch, dem zuvor genannten vermeintlich männlichen Ideal der Branche zu entsprechen, andererseits der Einsatz als Korrektiv aufgrund unangenehmer Erfahrungen:
Es gab einige Erfahrungen, warum ich das gemacht habe. Und gleichzeitig habe ich es ein wenig auch schon vorauseilend getan und wurde dann aber nochmal bestärkt durch Erfahrungen, die ich gemacht habe. (5:30 ¶ 34 in Interview 5.docx)
Unangenehme Erfahrungen können von Kommentaren zu Frisuren oder Nagellack stammen (vgl. 4:43 ¶ 43 in Interview 4.docx), dem Vergleich mit Töchtern oder Ehefrauen durch männliche Kolleg:innen (vgl. 8:27 ¶ 45 in Interview 8.docx) und der Aufforderung, sich für bestimmte Kunden weiblicher zu kleiden (vgl. 9:56 ¶ 55 in Interview 9.docx). All diese Erlebnisse können dazu führen, dass die Frauen ihr (weibliches) Schönheitshandeln anpassen.
Insgesamt birgt jegliche Art von Doing Femininity das Risiko, im beruflichen Kontext sexualisiert zu werden, was die Wahrnehmung der eigenen Kompetenz schmälern kann:
Und dann gab es natürlich auch Kolleginnen, die […] leider, muss man sagen, sehr oft wirklich auf ihren Körper reduziert wurden. Die waren sehr viel schlanker als ich, sehr viel attraktiver nach dem allgemeinen gesellschaftlichen Bild betrachtetet. Und dementsprechend hat man denen, also man hat gerne mit denen gearbeitet, aber man hat denen halt nicht die Chancen angeboten, die ich am Ende vielleicht auch bekommen hab. Und wir wissen alle, es braucht Chancen. Man muss sie am Ende natürlich auch ergreifen, aber das ist halt… also die hatten diese zusätzlichen Herausforderungen. (4:33 ¶ 38 in Interview 4.docx)
Ein attraktives Äußeres im norm-schönen, heteronormativen Sinne kann also nach dieser Aussage dazu führen, weniger berufliche Chancen zu erhalten. Es ist daher anzunehmen, dass die Anpassung von Schönheitshandeln an die Anforderungen der Branche eine potenzielle Prämisse für den beruflichen Erfolg von Beraterinnen darstellen kann.
Aus den zitierten Interviews lässt sich ableiten, dass eine Veränderung des Schönheitshandelns im Laufe der Karriere stattfindet. Während zu Beginn Assimilation eine maßgebliche Rolle spielt, erfolgt später ein eher taktisches Einsetzen oder gar bewusstes Ablehnen klassischer Schönheitsroutinen. Diese Veränderung entsteht durch zunehmende Sicherheit, höhere Positionen und den damit verbundenen geringeren Druck von außen:
Ich habe mich dann… vor mehreren Jahren davon [männlich kleiden] Abstand genommen habe. Vor allem, nachdem ich, nachdem ich Managerin geworden bin. Das war so und mittlerweile so, jetzt ist es für mich ganz in Ordnung, dass ich, wenn ich beim Kunden bin, immer so High Heels und so richtige High Heels mitbringe. (3:13 ¶ 33 in Interview 3.docx)
Die Beraterinnen wagen es also mit fortschreitenden Führungspositionen vermehrt, weibliche Elemente in ihr Schönheitshandeln zu integrieren. Mit wachsender Verantwortung und Macht verändert sich auch ihr Kleidungsstil und Auftreten:
Naja, mit weiteren Beförderungen habe ich die Grenzen dann ausgeweitet. Irgendwann hab ich sogar angefangen, mal bunte Farben zu tragen und mich weiblich zu schminken. Aber hey, das war dann als Senior Managerin oder sogar Direktorin. Da mussten die meisten Kollegen – und ich gendere absichtlich nicht – ja nett zu mir sein, weil ich über ihre Projekte entscheide. (10:14 ¶ 44 in Interview 10.docx)
Die Sicherheit einer hohen Position als Senior Managerin oder Direktorin bietet ihnen Schutz vor den oben genannten Kommentaren von Kolleg:innen. Es ist möglich, dass ihre Kompetenz durch die Rolle ausreichend kommuniziert wird und sie weniger darauf angewiesen sind, diese durch ein betont männliches Auftreten zu unterstreichen (vgl. 3:15 ¶ 35 in Interview 3.docx). Zusätzlich zur Sicherheit durch die Führungsposition spielt auch die potenzielle Vorbildfunktion für jüngere Kolleginnen eine Rolle:
Ich weiß wir sprechen jetzt über Kleidung und Aussehen – gut finde, also was ich so toll finde, weil meine Mitarbeiterinnen, also Frauen, die schauen und sagen „Ach cool, ich kann das auch“. Und ich meine Kleidung, das ist auch ein Teil, wie wir uns ausdrücken können. Und deswegen, und dann ja fühlen Sie sich vielleicht besser, wenn Sie irgendwas anziehen können, was ihnen gefällt. Das heißt auch, ich habe mich befreit von diesem „Ich muss besserer Mann werden“ und auch dadurch helfe ich auch meinen Leuten, das auch freier und besser zu können. (3:16 ¶ 35 in Interview 3.docx)
Die erfolgreiche Beraterin möchte die Anpassung an männliche Branchenstandards infrage stellen. Sie ermutigt demzufolge jüngere Kolleginnen, die Regeln oder den „Code“ zu verstehen und, „dass sie ihn brechen sollen, Grenzen austesten. Wir müssen ja etwas bewegen“ (10:36 ¶ 64 in Interview 10.docx). In diesem Zusammenhang ist auch ein Einfluss der Covid-Pandemie auf die bisherigen Regeln zu verzeichnen. Die Geschwindigkeit, mit der informellere Kleidung normalisiert wurde, beschreibt eine Partnerin als enorm. Auch das habe dazu geführt, die private Kleiderwahl im Beratungsalltag fortzuführen (vgl. 9:55 ¶ 55 in Interview 9.docx).
Als Fazit lässt sich festhalten, dass Schönheitshandeln für Frauen in der Beratung eine permanente Herausforderung darstellt, mit der es umzugehen gilt. Unabhängig von der Strategie, die die Beraterinnen für diesen Umgang wählen, verbleibt ein zusätzlicher Aufwand, der sie im Vergleich zu ihren Kollegen mehr Energie und (mentale) Kapazitäten kostet. Im Laufe der Karriere wird der Spielraum in Bezug auf Schönheitshandeln jedoch flexibler und Frauen können sich authentischer kleiden, schminken oder anderweitig inszenieren, da die eigene Kompetenz durch eine hohe Position untermauert wird.
Diese Senior Managerin beschreibt den Zusammenhang von sichtbarer Leistung auf ihrer Karrierestufe und ihrer äußeren Erscheinung so:
Ich habe absolut kein Problem [mehr] damit, dass die Männer dann denken, ich sei eine hübsche Frau, weil ich diese Selbstsicherheit habe, dass ich nicht nur eine hübsche Frau bin. Wichtig ist mir, dass dahinter auch die Leistung steckt. (3:15 ¶ 35 in Interview 3.docx)
Der letzte Satz fasst die Herausforderung Schönheitshandeln für Beraterinnen zusammen: Ein feminines Äußeres (hübsche Frau) muss in einer Male Gendered Organization immer mit Leistung einhergehen, da es aufgrund des männlichen Ideals Zweifel an der Kompetenz einer Frau mit sich bringt, die ihre Karriere behindern könnten.
Hinsichtlich der Forschungsfrage ergeben die Erkenntnisse auf der Mikro-Ebene weitere Hindernisse für Beraterinnen, die höhere Führungspositionen erreichen möchten oder erreicht haben. Diese umfassen:
  • die Herausforderungen von Doing Gender und die Strategien des Versuchs von Undoing Gender oder Doing Masculinity;
  • den Zusatzaufwand durch die Gedanken, Entscheidungen und den Aufwand rund um die Aufbereitung des eigenen Äußeren als weiblich gelesene Person;
  • das Risiko, als weiblich gelesene Person durch Doing Femininity oder stereotypisch weibliches Aussehen Nachteile hinsichtlich der Potenzial- und Leistungsbewertung zu erfahren.

6.5 Interviewergebnisse: Erfolgsfaktoren auf dem Weg in höhere Führungspositionen

Anhand verschiedener Zitate aus den Interviews lässt sich ableiten, dass in der Beratungsbranche definierte Regeln vorgeben, welche Verhaltensweisen zu Erfolg führen. Dies spiegelt sich auch in anderen Arbeiten wider (vgl. u. a. Dornheim 2015, S. 114 ff.). Die Interviewpartnerinnen haben allesamt objektiv bewertet hohe Führungspositionen inne. Daher lassen sich aus ihren Aussagen Erkenntnisse über unterschiedliche Erfolgsfaktoren für Karriereverläufe in der Beratungsbranche ableiten. Einige dieser Faktoren sind geschlechtsunabhängig, andere speziell auf Beraterinnen ausgerichtet, denen das jeweilige Verhalten unter Umständen nicht so nahe liegt wie ihren männlichen Kolleg:innen.

6.5.1 Allgemeine und geschlechtsunabhängige Erfolgsfaktoren

Wie bereits durch frühere Forschungsarbeiten belegt, erweist sich die Beratungsbranche unabhängig vom Faktor Geschlecht für alle Mitarbeitenden als anspruchsvolle Branche (vgl. Lippold 2022, Dornheim 2015). Allgemeine Erfolgsfaktoren in einer solchen Umgebung, wie harte Arbeit und Einsatz, werden entsprechend auch von den Interviewpartnerinnen aus der Praxisperspektive benannt:
Also ja… immer härter arbeiten. Früher aufstehen, später gehen als die Kolleginnen und Kollegen. Das ist aber wohl überall im Consulting so, dass du hart arbeiten musst, um es zu schaffen. (10:17 ¶ 45 in Interview 10.docx)
Nach wie vor wird die Arbeitszeit mit dem Einsatz als Mitarbeiter:in gleichgesetzt. Überstunden und eine Verfügbarkeit über den vertraglich festgelegten Zeitrahmen hinaus können sich daher als erfolgsentscheidend erweisen:
Das heißt, du musst auch on top liefern, also auch in der Lage sein oder auch bereit sein und on-top zu liefern. Und on-top meine ich jetzt zeitlicher Invest. (6:88 ¶ 98 in Interview 6.docx)
Über das geforderte Maß hinaus zu liefern („on-top“) ist also nicht optional, sondern entscheidend für Beförderungen. Die Work-Life-Balance steht in der Branche nach wie vor wenig im Fokus. Im Gegenteil ist es für einen erfolgreichen Karriereverlauf notwendig, das eigene Privatleben zurückzustellen. Dies bezieht sich sowohl auf Beziehungen als auch auf Care-Arbeit, was von einer Geschäftsführerin rückblickend als „anstrengend und zermürbend“ beschrieben wird (vgl. 6:35 ¶ 46 in Interview 6.docx). Eine andere Interviewpartnerin gibt offen zu, dass ihre Karriere ein Faktor war, der beeinflusst hat, warum sie nicht in einer Partnerschaft ist oder war. Die Zeit, die sie statt in eine Beziehung in ihren Beruf investiert habe, sei der Grund für den Erfolg und ihre heutige Position (4:37 ¶ 39 in Interview 4.docx). Geschlechtsunabhängig ist also der Einsatz für eigenen Job ein Erfolgsfaktor, wobei investierte Zeit mit Ambition und Leistung gleichgesetzt wird.
Auch Charaktereigenschaften stellen Erfolgsfaktoren in der Branche dar. Für die Beratung werden vor allem „Netzwerken, Offenheit, Neugierde, Verbindlichkeit, Schnelligkeit, Responsivität,[…] ein freundliches, professionelles Auftreten [und] sich gut in einem Team auch irgendwie einfinden“ aufgezählt (8:58 ¶ 101 in Interview 8.docx). Diese „Klassiker“ (vgl. Kumra, Vinnicombe 2008, S. 69 ff.) für beruflichen Erfolg waren in den Gesprächen häufig präsent (vgl. u. a. 7:63 ¶ 138 in Interview 7.docx). Ergänzt wurden diese Erfolgsfaktoren durch Selbstsicherheit und selbstbewusstes Auftreten (vgl. 1:17 ¶ 45 in Interview 1.docx); dies wird in einem der folgenden Unterkapitel erneut aufgegriffen.
Als branchenspezifisch kann zudem die Fixierung auf die Beratungsprojekte für Kund:innen und der hierdurch erzielte Umsatz bezeichnet werden. Eine Interviewpartnerin beschreibt die Beratung entsprechend als „sehr umsatzgetrieben“ (vgl. 9:25 ¶ 27 in Interview 9.docx). Der finanzielle Erfolg als Führungskraft ist also potenziell entscheidend für Beförderungen, wie die Antwort dieser Partnerin auf die Frage nach einem „internen Code“ (vgl. Interviewleitfaden Frage 9a) verdeutlicht:
Und ich glaube implizit vielleicht so was wie „externe Projekte sind karriereförderlicher als interne Projekte“. Die Zahlen zu bringen, ist eins der wichtigsten KPIs, je weiter du nach oben kommst. (8:59 ¶ 101 in Interview 8.docx)
Die „Zahlen“ beziehen sich auf den erreichten Umsatz als Berater:in, beziehungsweise auf den des eigenen Teams im Falle einer Führungsposition. Sie sind höher zu gewichten als interne Projekte, die häufig auch den Einsatz für Diversitätsmaßnahmen umfassen. Diese Aussagen spiegeln die Ergebnisse von Abschnitt 6.3.1 Vermeintlicher Vorteil Tokenism wider, in dem von einem „Sonderaufwand“ für Beraterinnen in Bezug auf diese Maßnahmen gesprochen wird, der ihnen weniger Energie und Raum für die oben genannten karriereförderlichen Projekte lässt.
Auch die Frauenquote für Führungspositionen in der Beratung wurde durch die Interviewpartnerinnen als mögliches Hilfsmittel genannt (vgl. 7:56 ¶ 123 in Interview 7.docx). Analog zur Quote für DAX-Vorständ:innen und Aufsichtsratspositionen in Deutschland könnte sie nach Ansicht der Beraterinnen dafür sorgen, dass Unternehmen mehr weibliche Talente fördern und diese bei der Besetzung von Stellen verstärkt aufspüren müssten (vgl. 9:34 ¶ 44 in Interview 9.docx). Gleichzeitig könnten qualifizierte Frauen dadurch die Chance erhalten, ihre Eignung zu beweisen. Dem negativen Effekt der Rolleninkongruenz bei weiblichen Führungskräften (vgl. Abschnitt 6.3.3 Rolleninkongruenz weiblicher Führungskräfte: Die Role-Congruity-Theory) könnte somit entgegengewirkt werden.
Darüber hinaus wurden verschiedene für die Branche geltende Regeln identifiziert, die in den folgenden Kapiteln ausführlicher beschrieben werden:
  • Netzwerke (vgl. 2:54 ¶ 92 in Interview 2.docx) sowie die interne und externe Sichtbarkeit sind unerlässlich (vgl. 1:69 ¶ 74 in Interview 1.docx);
  • Mentoring und Sponsoring helfen beim Aufstieg (vgl. 10:36 ¶ 64 in Interview 10.docx);
  • ein selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten sowie die eigene Leistung zu kommunizieren, ist wichtig (vgl. 8:67 ¶ 109 in Interview 8.docx).

6.5.2 Netzwerke, Mentoring und Sponsoring als positive Einflüsse

Auch wenn die Beratungskultur in einigen Fällen mit „Ellenbogen-Mentalität“ beschrieben wird (8:39 ¶ 65 in Interview 8.docx), so überwiegt der Anteil an Aussagen dazu, dass Kooperation und Netzwerke einen entscheidenden Erfolgsfaktor für die eigene Karriere darstellen. Entsprechend beschreibt eine Geschäftsführerin die Praktik wie folgt:
Also ein Code ist Kooperation. Partnering, Kooperationspartner sehr kooperativ, Augenhöhe, Partnering, Teilen. Sharing is caring. Dieses Ganze: Wenn jemand dich fragt, dann musst du auch mal helfen, immer was rüberschieben. Also dieses Partnering, Kooperation, das ist wirklich ein Code […]. (2:54 ¶ 92 in Interview 2.docx)
Mit Code umschreibt die Interviewpartnerin eine branchenspezifische Erfolgsformel (vgl. Leitfadeninterview Frage 9a). Die häufige Wiederholung verschiedener, ähnlicher Begriffe verdeutlich, wie hoch sie deren Relevanz einschätzt. Sie möchte sicherstellen, dass der Erfolgsfaktor verstanden wurde und betont, dass dieser nicht optional ist („musst du […] immer was rüberschieben“). Es entsteht der Eindruck, dass Kooperation für den beruflichen Aufstieg zwingend notwendig ist. Bestätigt wird dies durch eine weitere Partnerin, die ausführlich erläutert, wie berufliche Netzwerke sowohl innerhalb als auch außerhalb der eigenen Organisation funktionieren:
Wenn du innerhalb deiner Firma oder auch beim Kunden oder auch außerhalb deiner Firma ein großes Netzwerk hast, das auch gut funktioniert, wo auch wieder dieses Geben und Nehmen läuft. Du gibst was rein, du kriegst was zurück. Zu unterschiedlichen Zeiten meistens, aber in Summe, wenn du das pflegst, dann […] – und je größer dein Netzwerk, desto erfolgreicher kannst du natürlich sein, weil du auch die Hilfe von deinem Netzwerk im Zweifel hast, um an Informationen zu kommen, die jemand anderes vielleicht nicht hat, die dir helfen, ein Projekt vielleicht zu verkaufen oder an […] Infos zu kommen, wo, wo ein… keine Ahnung… Projektleiter gesucht wird, wenn du als nächstes Mal Projektleiter sein willst. Oder Informationen, die wieder jemanden aus deiner eigenen Firma halt helfen, was zu gewinnen. Bei dem du dann halt irgendwie ein Stein im Brett hast, ja, weil du hast hier geholfen. Dieses Geben und Nehmen dann wieder. (4:101 ¶ 73 in Interview 4.docx)
Die Größe des eigenen Netzwerks sowohl innerhalb als auch außerhalb der eigenen Organisation und die Bereitschaft, ohne direkte Gegenleistung in eine Beziehung zu investieren, sind dieser Auffassung zufolge erfolgsentscheidend.
Die Tendenz zum beruflichen Netzwerken könnte geschlechtsabhängig unterschiedlich ausgeprägt sein, wie es die Direktorin einer internationalen Beratungsfirma beschreibt:
Ich glaube, es ist so, dass Männer ihr Privatleben auch mit Tendenz sehr viel über Beruf ja definieren. Sich abends mit den Kollegen treffen. Und Frauen treffen sich dann gerne halt wirklich bewusst mit Freundinnen. Also ich war auch mal bei einem unserer Partner auf einem Geburtstag. Da waren halt nur Kollegen. Mein Geburtstag, da sind es, so glaube ich, gar keine Kollegen oder sehr wenig. (7:42 ¶ 102 in Interview 7.docx)
Der Aufbau von informellen Netzwerken durch außerberuflichen Austausch wurde bereits in Abschnitt 6.3.1 Vermeintlicher Vorteil Tokenism als Erfolgsfaktor identifiziert. Es ist möglich, dass sich Beraterinnen dabei mehr zurückhalten als ihre männlichen Pendants. Dadurch könnten sie einem kulturellen Ausschlussmechanismus begegnen (vgl. Hördt 2002, S. 89), der auf zwei Arten wirkt: Erstens werden Beraterinnen aufgrund ihres Geschlechts eventuell gar nicht erst zu außerberuflichen Treffen eingeladen (vgl. Abschnitt 6.3.1 Vermeintlicher Vorteil Tokenism) und zweitens könnten sie die Relevanz dieser Art von informellem Austausch unterschätzen und sich entsprechend weniger darum bemühen, wie im obigen Zitat beschrieben. Dies würde einen klaren Nachteil für den beruflichen Aufstieg darstellen. Frauen, denen Netzwerken schwerer fällt, können sich die Fähigkeit jedoch im Laufe der Karriere aneignen:
Ich weiß nicht, ob es Herausforderung ist, aber dieses Thema Networking innerhalb des Unternehmens und außerhalb des Unternehmens. Das war auch sehr viel. Das war auch herausfordernd. Ich musste das lernen. […] Aber das hat mich sehr stark nach vorne gebracht. (3:23 ¶ 43 in Interview 3.docx)
Eine aktive Auseinandersetzung mit dem Netzwerken und dessen Nutzung kann also beruflich „stark nach vorne“ bringen. Ein wesentlicher Aspekt dabei ist die Berücksichtigung von Hierarchien (vgl. 3:62 ¶ 100 in Interview 3.docx), die auf die männliche Prägung der Beratungsbranche zurückführen sind (vgl. Abschnitt 6.3.2 Nachweis einer Male Gendered Organization in der Beratungsbranche): Die Branche ist hierarchisch strukturiert, beispielsweise sind Anfragen daher in der Regel an die Person auf der nächsthöheren Karrierestufe zu richten. Diese Regel muss von Frauen erst erkannt werden, bevor sie sie zu ihrem Vorteil einsetzen oder mittels tragfähiger interner Netzwerke umgehen können.
Netzwerken konstituiert also einen Erfolgsfaktor für den Karriereweg, wenn er als solcher identifiziert und strategisch eingesetzt wird.
Ein mögliches Ergebnis eines gut gepflegten Netzwerks ist Mentoring, also die gezielte Unterstützung in Karrierefragen durch eine erfahrene Person. Diese kann aus der gleichen Firma oder derselben Branche stammen. Von der Relevanz des Mentoring berichten mehrere der befragten Beraterinnen, sowohl aus der Perspektive der Mentee als auch der Mentorin (vgl. 8:10 ¶ 33 in Interview 8.docx):
Hol dir eine Mentorin, ein Vorbild. Ich spreche viel mit den jüngeren Kolleginnen, die wir haben, um sie zu ermutigen. Ich erkläre ihnen den Code, wenn du so willst, und ich erkläre ihnen, dass sie ihn brechen sollen, Grenzen austesten. Wir müssen ja etwas bewegen. (10:36 ¶ 64 in Interview 10.docx)
Mentoring ist also unter anderem relevant, um die Regeln und Codes der Beratungsbranche schneller zu identifizieren. Obgleich sich dieser Aspekt als generell hilfreich für die Karriereentwicklung erweist, ist er nach Aussage einer anderen Interviewpartnerin nicht zwangsläufig notwendig, um überhaupt eine Führungsposition zu erreichen (vgl. 3:24 ¶ 43 in Interview 3.docx).
Einen weiterer Teilaspekt von Mentoring umfasst das Sponsoring, bei dem die Sponsor:innen direkte Unterstützung beim beruflichen Aufstieg bieten. Anders als bei Mentoring erhält die protegierte Person hier nicht nur Ratschläge oder Zugang zu Netzwerken oder Ressourcen, sondern wird proaktiv in ihrer Karriere unterstützt. Dies geschieht beispielsweise durch eine Führungskraft, die in einer Beförderungsrunde für die protegierte Person einsteht oder sie für attraktive neue Projekte vorschlägt. Einige Interviewpartnerinnen bezeichnen Sponsoring als entscheidend für ihre Karriere, auch wenn der Begriff in Abgrenzung zu Mentoring in der Praxis nicht immer trennscharf verwendet wird. So sagt eine Partnerin, sie habe „viele Jahre einen Mentor“ gehabt, von dem sie „maximal profitiert habe, sonst hätte [sie] diesen, diesen, den Weg so auch gar nicht gemacht“ (4:26 ¶ 35 in Interview 4.docx). Die hier als Mentor bezeichnete Führungskraft kann als Sponsor betrachtet werden: Die Interviewpartnerin hat auf ihrem Karriereweg insbesondere bei Beförderungen davon profitiert, von ihm unterstützt zu werden (vgl. ebd. 4:31). Einen ähnlich positiven Effekt von Sponsoring bestätigt auch eine andere Beraterin:
Es war in der Tat… Also muss ich meinem alten Chef auch, weiß ich nicht, danken. Weiß ich nicht, ob man es muss, wenn man einen guten Job macht. Aber er hat das gesehen. Und er hat das extrem gefördert. Was aus meiner Sicht auch ein schönes Signal, ein schönes Zeichen war. (9:13 ¶ 19 in Interview 9.docx)
Die Protegée profitiert also von einer Führungskraft, die sie fördert. Gleichzeitig muss sie aber auch die notwendige Leistung bringen („einen guten Job“), um überhaupt gesehen zu werden. Die proaktive Förderung ist in den Strukturen einer hierarchischen Organisation von großem Vorteil. Auch bei Wechseln in andere Firmen kann sich Sponsoring als hilfreich erweisen:
Ich hatte damals, als ich […] von der (Unternehmen) zu (Unternehmen) gegangen bin, hat mich meine damalige Chefin, die ist nämlich auch rüber gewechselt, die hat das Ding mitgegründet, die hat mich auch rüber geholt. Meine ehemalige Chefin, die damals auch schon Geschäftsführerin war, die hat gesagt „Komm (Name), du kommst jetzt mit und kommst dann direkt in mein Team. Ich brauch dich hier.“ (6:52 ¶ 67 in Interview 6.docx)
Die jetzige Geschäftsführerin hat damals davon profitiert, eine Führungskraft zu haben, die sie bei einem eigenen Wechsel in dem neuen Unternehmen einstellt. Sponsoring kann also einen direkten Einfluss auf die Karriereentwicklung von Berater:innen haben.
Voraussetzung für diesen direkten Einfluss ist, dass Sponsor:innen selbst in einer Position sind, in der sie an Beförderungen und anderen relevanten Entscheidungen beteiligt sind, also in einer hohen Führungsposition (vgl. 4:96 ¶ 72 in Interview 4.docx). Von Nachteil bei diesem Erfolgsfaktor ist das Ungleichgewicht der Geschlechter in Entscheidungspositionen. Deutlich mehr Männer als Frauen besetzen relevante Posten, in denen sie Protegés (be-)fördern können, wie sowohl die Zahlen aus Abschnitt 2.2.3 Frauen in der Beratungsbranche: Ein Überblick als auch die Erfahrungen von erfolgreichen Beraterinnen belegen:
Wenn du auch erfolgreiche Verbindungen – wenn du danach Ausschau hältst – dann ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass du auch erfolgreich bist. Dadurch dass es weniger erfolgreiche Frauen gibt, oder gab, gehe ich davon aus, dass viele Berater und Beraterinnen, ähm, eher nach Männern Ausschau halten, weil sie sagen, die werden eher gehört. Und die haben einfach vielleicht noch einen größeren Anteil vom Kuchen. Ich wünschte mir, ich könnte dir eine andere Antwort geben, weil es eigentlich einfach blöd ist, aber es wäre ja blöd zu sagen, „Liebe Frauen, haltet euch an und sucht euch erfolgreiche Männer im Job, die bringen euch weiter“, aber das ist ja die Quintessenz dessen, was ich gesagt habe. (4:97 ¶ 73 in Interview 4.docx)
Diese Interviewpartnerin beobachtet, dass mehr Männer als Frauen in den relevanten Positionen der Sponsor:innen arbeiten. Ihr Rat, sich einen „erfolgreichen Mann“ als Sponsor zu suchen, ergibt sich aus dieser ungleichen Verteilung. Herausfordernd ist dabei die Tendenz, dass Menschen eher solche Personen befördern, die der eigenen Person und Biografie ähnlich sind. Für dieses Phänomen wird der Begriff ‚Thomas-Kreislauf‘ verwendet (vgl. AllBright 2017), der bereits in Abschnitt 6.3.2 Nachweis einer Male Gendered Organization in der Beratungsbranche beschrieben wurde und auf die sich selbst erhaltende Dominanz männlicher Führungskräfte hinweist. Die Wahrscheinlichkeit, durch Sponsoring gefördert zu werden, ist also für Menschen, die Thomas oder Christian ähnlich sind, höher als für Frauen oder Minderheiten. Da männliche Führungskräfte als Sponsoren auch im Consulting häufiger vertreten sind als Frauen, könnten Beraterinnen hier tendenziell ebenso geringere Chancen haben, davon zu profitieren. Um dies zu ändern, bedarf es eines stärkeren Male Allyship, also der Solidarisierung von Männern mit den Anliegen rund um Gleichberechtigung und Frauen in Führung.
Vorbilder stellen einen weiteren Erfolgsfaktor hinsichtlich des Aspekts Netzwerken dar. Dieser Faktor wird von den befragten Beraterinnen wiederholt erwähnt. Unterschiedlich bewertet wird hingegen die Frage, ob explizit weibliche Vorbilder nötig sind oder ob von Vorbildern aller Geschlechter profitiert werden kann. So gibt eine Geschäftsführerin an, dass insbesondere ihre weibliche Führungskraft als Vorbild fungiert hat: „[D]ie war immer ein Vorbild für mich. Also hatte ich eben auch eine weibliche Führungskraft. Und mit der habe ich zwei Jahre lang sehr, sehr eng gearbeitet“ (6:53 ¶ 67 in Interview 6.docx), während diese Partnerin einer Big Four weniger Wert auf das Geschlecht legt:
Aber ansonsten muss ich sagen, hatte ich nie das Gefühl, dass das wirklich ein großer Faktor ist, weil ich immer das Glück hatte, dass ich tatsächlich Männer und Frauen kennengelernt habe, die mich geführt haben, die das wollten, dass ich erfolgreich bin. […] Also ich hatte die letzten zehn Jahre die gleiche Führungskraft. Das ist ein Partner-Kollege und der hat mich ganz fantastisch begleitet und immer unterstützt. (8:15 ¶ 37 in Interview 8.docx)
Die Vorbilder zeigen also, wie etwas geht und sorgen gleichzeitig durch Begleitung und Unterstützung für Erfolg. Es ist dabei entscheidend, dass die Beraterinnen sich mit ihnen identifizieren können und sie unterschiedliche Funktionen erfüllen. Dies kann von der reinen Beobachtung des jeweiligen Karrieremanagements über aktives Mentoring bis hin zu Sponsoring reichen (vgl. 2:33 ¶ 49 in Interview 2.docx, 10:36 ¶ 64 in Interview 10.docx). Auch hier ist Netzwerken notwendig, um Vorbilder überhaupt erst kennenzulernen oder mit ihnen in Kontakt zu kommen. Im Laufe der Karriere begreifen sich die Frauen dann auch selbst als Role Model und ermutigen andere, diese Vorbildfunktion für jüngere Kolleginnen einzunehmen, wie diese Direktorin erklärt:
Also, was ich total wichtig insgesamt bei dem Thema finde, dass dieses Leading by example und dass die Frauen erkennen, dass sie da Role Models sind. Und das sage ich auch meinen Mitarbeiterinnen ganz oft. Die nehmen sich da so nicht wahr. Ja, und das finde ich wichtig. Das können wir auch selbst für tun. Dann können wir selber dafür tun. (7:69 ¶ 160 in Interview 7.docx)
Insgesamt spiegelt die hier herausgearbeitete Relevanz von Netzwerken und ihren Teilaspekten vorhandene Erkenntnisse aus der Forschung wider. Dornheim ordnet diese in die Kapital-Theorie Bourdieus ein: „Umso größer beispielsweise das berufliche Netzwerk einer Beraterin ist, umso größer ist ihr soziales Kapital“ (2015, S. 70). Das soziale Kapital kann den beruflichen Erfolg von Beraterinnen entscheidend beeinflussen.
Dieser Erfolgsfaktor beinhaltet jedoch auch das Risiko von homosozialer Kooptation, dass also relevante Entscheidungspositionen weiterhin vor allem von Männern besetzt werden, die bevorzugt Männer fördern. So lautet das Fazit für Netzwerke und Sponsoring einer Partnerin: „[…] such dir erfolgreiche Männer und hänge dich daran“ (4:100 ¶ 73 in Interview 4.docx). Dieser Aspekt kann folglich eine Herausforderung für Beraterinnen auf dem Weg in höhere Führungspositionen darstellen.

6.5.3 Erfolg durch selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten

Als Erfolgsfaktoren für die eigene Karriere nennen mehrere der befragten Beraterinnen „selbstbewusstes Auftreten“ und „Durchsetzungsstärke“ (vgl. u. a. 1:74 ¶ 81 in Interview 1.docx, 6:90 ¶ 98 in Interview 6.docx). Beide Faktoren werden auch in entsprechenden Veröffentlichungen erwähnt (vgl. Dornheim 2015). Aus wissenschaftlicher Perspektive konstituiert sich Selbstbewusstsein durch den Umgang mit anderen Personen, also der Reflexion des eigenen Selbst im Außen. Ein selbstbewusstes Auftreten ist die Folge des Wissens um die Anerkennung durch andere Menschen (vgl. Rödl 2011). Mit dem selbstbewussten Auftritt einher geht die Fähigkeit zur klaren Kommunikation der eigenen Bedürfnisse und Meinung sowie die dadurch entstehende Diskussionsbereitschaft und Durchsetzungsstärke (vgl. ebd.).
Diese Attribute sind gesellschaftlich nicht weiblich konnotiert (vgl. u. a. Abschnitt 6.3.4 Männliches Berater-Ideal: Das Lack-of-Fit-Model). Forscher:innen wie Dornheim ordnen selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten als Form des Undoing Gender ein (vgl. 2015, S. 127 f.). Die Interviewpartnerinnen dieser Studie bezeichnen es sogar als „typisch männlich“ (1:67 ¶ 74 in Interview 1.docx) und verorten selbstbewusstes Auftreten und Durchsetzungsstärke damit im Bereich von Doing Masculinity. Die in diesem Zusammenhang benannten Erfolgsfaktoren sind gesellschaftlich dementsprechend männlich konnotiert:
Sondern man muss dann nachher beim Präsentieren oder auch im Gespräch mit dem Kunden Stellung beziehen, Rückgrat haben, selbstbewusst auftreten, klar sein, stark sein. Das sind, das sind die Attribute, die du mitnehmen musst. (6:90 ¶ 98 in Interview 6.docx)
Die Interviewpartnerinnen empfehlen demnach Doing Masculinity als Strategie. Wie bereits in Abschnitt 6.3.3 Rolleninkongruenz weiblicher Führungskräfte: Die Role-Congruity-Theory beschrieben wurde, begegnen weiblich gelesene Menschen dabei jedoch Herausforderungen, denen männlich gelesene nicht ausgesetzt sind. Das geschilderte Auftreten kann bei Männern selbstbewusst, klar und durchsetzungsstark wirken, wodurch sie als Führungskräfte in der Regel verlässlich und sympathisch wirken. Frauen dagegen können unter Umständen Sympathiepunkte verlieren, wenn sie durchsetzungsstark, also nach gesellschaftlichen Maßstäben unweiblich, agieren. (vgl. Eagly, Karau 2002) Dieser Wahrnehmung entspricht auch die Aussage einer Interviewpartnerin, die von ambitionierten Frauen in Führungspositionen berichtet:
Ich sehe manchmal schon in meinem Umfeld auch Menschen, die sichtbar sein wollen, die aber nicht sympathisch rüberkommen. Du merkst, dass du eine extreme Verkrampftheit hast und diese Position ist einfach nicht natürlich. Und in dem Moment, wo es nicht natürlich ist, nimmst du denen das auch nicht so wirklich ab, was sie erzählen. (6:97 ¶ 98 in Interview 6.docx)
Die weiblichen Führungskräfte werden von ihr als „verkrampft“ wahrgenommen, ihre Position als „einfach nicht natürlich“. Diese Wahrnehmung ist eine Folge von Doing Masculinity durch weiblich gelesene Personen und die damit einhergehende Dissonanz mit gesellschaftlichen Erwartungen. Das Zitat zeigt, dass die negative Bewertung von Frauen in Führungspositionen nicht nur durch andere Geschlechter, sondern auch durch Frauen selbst vorgenommen wird. Dies kann unter anderem auf die gesellschaftliche Prägung durch Geschlechterstereotype zurückgeführt werden, denen alle Menschen schon früh begegnen, wie in Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene beschrieben wurde.
Wie stark Doing Masculinity als Erfolgsfaktor in der Beratungsbranche wirkt, wird in den folgenden Zitaten noch deutlicher:
Aggressives Auftreten, unfreundlicher sein, ähm. Macht-Verhalten auch, also Macht ausspielen, ähm. Das sehe ich so als die stereotypisch männlichen Charakteristika, die da erwartet werden. Mit denen dann auch frau erfolgreicher wird. (5:56 ¶ 50 in Interview 5.docx)
Ich sehe da sowohl sehr talentierte Männer als auch sehr talentierte Frauen. Aber ich sehe schon, dass […] die Männer da ein bisschen forscher sind als die Frauen, wenn es um die Einstellungsgespräche geht, ja. (8:67 ¶ 109 in Interview 8.docx)
Die Gewinnung von Macht und das Ausspielen von Vorteilen, beispielsweise zugunsten eines höheren Gehalts oder einer Beförderung, werden unabhängig vom Geschlecht als Erfolgsfaktoren beschrieben. Gleichzeitig wird deutlich, dass Berater dabei „forscher“ vorgehen, ihnen solche Verhaltensweisen also unter Umständen leichter fallen. Dass auch die Beraterinnen kaum eine andere Wahl haben, als sich selbstbewusst und durchsetzungsstark zu präsentieren, zeigt die Relevanz dieser Attribute, die die Interviewteilnehmerinnen immer wieder betonen. Sie korrelieren mit einer gewissen Präsenz und dem Mut zu Sichtbarkeit, welche bereits in einem der vorherigen Kapitel als Erfolgsfaktoren benannt wurden (vgl. Abschnitt 6.5.1 Allgemeine und geschlechtsunabhängige Erfolgsfaktoren):
Sichtbar werden. Sichtbarkeit ist das A und O. Sich zeigen. Sich melden. Sich, sich positionieren, also positiv positionieren. […] Und du musst auch irgendwie so eine Aura haben, dass du präsent bist. Ne, es nützt nichts, wenn du viel arbeitest, aber keiner sieht dich. (6:89 ¶ 98 in Interview 6.docx)
Leistung allein reicht für eine erfolgreiche Karriere demnach nicht aus, Präsenz und Positionierung sind notwendig. Insbesondere Frauen müssen zudem sichtbar machen, was sie leisten (10:35 ¶ 64 in Interview 10.docx) und „die eigene Leistung promoten“ (1:75 ¶ 82 in Interview 1.docx). Eine Beraterin nennt die unterschiedliche Wahrnehmung der Leistung von Männern und Frauen explizit als Grund für die Notwendigkeit einer Selbstvermarktung von Beraterinnen:
Das ist aber wohl überall im Consulting so, dass du hart arbeiten musst, um es zu schaffen. Was ich aber spät verstanden habe: Gerade als Frau musst du das kommunizieren. Bei einem weißen Mann im schicken blauen Anzug geht man quasi per Definition davon aus, dass er hart arbeiten wird. Schließlich sieht er aus wie alle, die es geschafft haben. Aber als Frau musst du nicht nur hart arbeiten, sondern das auch mitteilen. Gerade gegenüber Führungskräften! (10:18 ¶ 45 in Interview 10.docx)
Die Annahme, dass weiße Männer in Anzügen Vorteile haben, basiert auf dem bereits zitierten Phänomen des Thomas-Kreislaufs (vgl. Abschnitt 6.5.2 Netzwerke, Mentoring und Sponsoring), dem zufolge Männer in Machtpositionen diejenigen Personen befördern, die ihnen ähnlich sind. Um diesen Mechanismus zu durchbrechen, sind ein selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten sowie eine Präsenz im physischen Sinne notwendig: „Weil ich es, also in einer aktuellen Beratungswelt, so wie sie ist, immer noch als Erfolgsfaktor betrachte, wirklich ein Gespräch, einen Workshop, einen, einen Raum einnehmen zu können“ (1:69 ¶ 74 in Interview 1.docx).
Für Frauen, denen ein solches Verhalten nicht naheliegt, kann es eine Herausforderung sein, diese Spielregeln zu durchschauen: „Die größte Herausforderung war in meinen ersten Jahren zu realisieren, dass gute und sehr gute Leistung nicht automatisch erkannt wird“ (4:17 ¶ 35 in Interview 4.docx). Auch die Umsetzung kann dann herausfordernd sein, wenn gesellschaftliche Erwartungen zu einem inneren Konflikt führen, wie ihn diese Interviewpartnerin beschreibt:
Nicht aufhören zu reden, wenn andere reden, also andere normalerweise Männer reden. Und meine ersten Male, als ich das ausprobiert habe, war „Oh mein Gott, ich bin so ein schlechtes Mädchen“. Und „wie kann ich sowas machen?“ Aber das ist… Das zeigt einfach: Ich nehme mir das. Ich darf den Raum nehmen und ich muss nicht Everybody‘s Darling sein. Es macht auch ein bisschen frei. (3:59 ¶ 100 in Interview 3.docx)
Der Ausbruch aus dem gesellschaftlich erwarteten Verhalten kann dementsprechend als Voraussetzung für Erfolg in der Branche gelesen werden. Als Ergebnis dieser Lesart folgt, dass Frauen sich für Erfolg „den Raum nehmen“ und dem männlich konnotierten Verhalten anpassen, also Doing Masculinity in Form eines selbstbewussten, durchsetzungsstarken Charakters zeigen müssen. Ob es notwendig ist, diese Verhaltensweisen bereits in den Beruf mitzubringen oder ob ihr Erwerb im Laufe der Karriere möglich ist, kann im Rahmen dieser Studie nicht eindeutig ermittelt werden.
Diejenigen Interviewpartnerinnen, deren Charakter der obigen Beschreibung entspricht, verorten dessen Ursprünge in der Kindheit, was unter Berücksichtigung von Abschnitt 3.2.2 Einflüsse auf struktureller Ebene zu Bildung und Einfluss von Geschlechterstereotypen naheliegt:
Diejenige, die auch von ihrem Elternhaus glücklicherweise, weil – also, wenn wir später nach Erfolgsfaktoren oder nach meiner Karriere fragen so – die so ein Grund-Selbstbewusstsein mitgegeben bekommen hat, nicht klein beizugeben oder, oder da für sich einzustehen […]. (1:17 ¶ 45 in Interview 1.docx)
Das „Grund-Selbstbewusstsein“ aus der Kindheit führt zu Durchsetzungsstärke im späteren Beruf. Diese kann entweder vom Elternhaus oder der schulischen Lernumgebung mitgegeben werden (vgl. 4:80 ¶ 60 in Interview 4.docx). Hier manifestiert sich der positive Einfluss einer nach Geschlechtern getrennten Lernumgebung, welcher im nächsten Kapitel ausführlicher vorgestellt wird:
Und das fand ich sehr interessant, weil ich ja auch auf einer Mädchenschule war und ich mich gefragt habe, ob ich dadurch diesen… diese Gendererwartungen so die „Jungs gegen die Mädels“, das ist ja alles… das hatte ich nicht in meiner Gymnasialzeit. Dass das ein Stück weit Einfluss hat. (7:23 ¶ 68 in Interview 7.docx)
Die Vermittlung von Geschlechterstereotypen könnte demnach auf einer Mädchenschule geringer ausgefallen sein, was die Beraterin als positiven Einfluss auf ihre Karriere beschreibt. Selbstbewusstsein qua Erziehung oder schulischer Erfahrung erworben zu haben, ist dementsprechend ein möglicher Erfolgsfaktor für die spätere Laufbahn.
Zusammenfassend kann ein selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten in der Beratungsbranche als Erfolgsfaktor bezeichnet werden. Gleichzeitig stellt dies für Frauen eine Herausforderung dar, da die genannten Attribute stereotypisch männlich konnotiert sind und eine selbstbewusste und durchsetzungsstarke Frau somit weniger positiv wahrgenommen wird als ein Mann mit denselben Eigenschaften. Diese Beraterin resümiert:
Das sehe ich so als die stereotypisch männlichen Charakteristika, die da erwartet werden. Mit denen dann auch frau erfolgreicher wird. Aber natürlich: Männer sind dann immer noch sympathisch, Frauen leider nicht mehr, aber, …sie können dann auch erfolgreich werden. (5:57 ¶ 50 in Interview 5.docx)

6.5.4 Einfluss monoedukativer Bildungseinrichtungen auf die Karriere

Die Sozialisierung in einer segregierten Lernumgebung wie einer Mädchenschule oder einer Mädchenklasse und die Auswirkungen auf die spätere berufliche Laufbahn sind bislang in der Beratungsforschung noch nicht untersucht worden.
In Deutschland sind weniger als 0,5 % aller Schulen reine Mädchenschulen (vgl. Verband Bildung und Erziehung e. V. 2016). Koedukative Lernumgebungen sind folglich die Norm. Statistisch gesehen dürfte daher unter den zehn berücksichtigten Interviewpartnerinnen keine auf eine nach Geschlechtern getrennte Schule oder in eine solche Klasse6 gegangen sein. Tatsächlich stellte sich in den Gesprächen jedoch heraus, dass vier der zehn Frauen zumindest zeitweise so unterrichtet wurden: Die Partnerin einer IT-Beratungsfirma verbrachte die gesamte Schulzeit ab zehn Jahren im Mädcheninternat, eine Direktorin einer internationalen Beratungsfirma besuchte ein reines Mädchengymnasium und eine Senior Managerin aus den Big Four sowie eine Partnerin einer Strategieberatung verbrachten zwischen drei und fünf Jahren vor dem Abitur in getrennten Klassen. Auch wenn reine Mädchenklassen im Vergleich zu Mädchenschulen statistisch nicht erfasst werden, kann hier von einem ähnlich seltenen Umfeld wie einer Mädchenschule ausgegangen werden.
Unabhängig davon, ob es sich um ganze Schulen oder nur einzelne Klassen handelt, ist es auffällig, dass deutlich mehr Interviewpartnerinnen monoedukativ unterrichtet wurden, als es statistisch wahrscheinlich wäre. Eine der Beraterinnen hat ähnliche Beobachtungen in der Branche gemacht:
Ich habe dann mal eine Schulung gemacht […] über Führungskompetenz von Frauen. Und interessanterweise hat man dann festgestellt, dass die Hälfte der Teilnehmerinnen – das waren sieben Stück – auf einer Mädchenschule war. Und das fand ich sehr interessant, weil ich ja auch auf einer Mädchenschule war und ich mich gefragt habe, ob ich dadurch diesen… diese Gendererwartungen so die „Jungs gegen die Mädels“, das ist ja alles… das hatte ich nicht in meiner Gymnasialzeit. Dass das ein Stück weit Einfluss hat. (7:22 ¶ 67 – 68 in Interview 7.docx)
Die Interviewpartnerin führt die Häufung von Frauen aus separierten Lernumgebungen in der Beratung auf die weniger oder gar nicht vorhandenen Rollenerwartungen und das Wegfallen des Vergleichs mit anderen Geschlechtern („Jungs gegen die Mädels“) zurück. Einer ähnlichen Annahme folgt auch Metz-Göckel mit der feministischen Kritik, dass „Koedukation eine unbewusste Einübung der Geschlechter in hierarchische Interaktionsstrukturen“ (Metz-Göckel 2005, S. 427) zur Folge habe. Ferner entstünde dadurch eine „einseitige Anpassung von Mädchen und Frauen an das männliche Geschlecht auf subtile, teils auch auf gewaltsame Weise“, welche „die Differenz zwischen den Geschlechtergruppen bestärkt“ (ebd.).
Diese Annahme wurde empirisch in verschiedenen Studien untersucht. So konnte festgestellt werden, dass Schülerinnen in gemischten Klassen typisch männlich konnotierte Fachgebiete konkurrenzlos den Jungen überließen, während sie diese in monoedukativen Klassen „auf vielfältigere Weise, dominant, konkurrent, aber auch kooperativ“ (ebd., S. 429) angingen und erfolgreich bearbeiteten (vgl. Metz-Göckel et al. 1991).
Der positive Einfluss monoedukativer Räume könnte darin begründet sein, dass diese „adoleszente Entwicklungsprozesse auf eine Weise […] begleiten und […] unterstützen, die zur Verflüssigung traditioneller Geschlechterbilder und Geschlechterverhältnisse beitragen kann“ (Flaake 2006, S. 4). Ob und inwiefern das immer gelingt und in welchen Lebensphasen ein getrennter Unterricht sinnvoll ist, ist jedoch umstritten (vgl. Metz-Göckel 2005, S. 430). Für das Fach Physik, bekannt als männlich geprägtes Gebiet, konnten positive Effekte belegt werden:
Zusammengefasst lässt sich in Bezug auf die Fachvorlieben und -abneigungen festhalten, dass Physik bei Mädchenschulschülerinnen signifikant beliebter und weniger unbeliebt ist als bei Schülerinnen koedukativer Schulen. Hinsichtlich der physikbezogenen Selbsteinschätzungen zeigt sich, dass Schülerinnen aus Mädchengymnasien eine höhere Selbstwirksamkeit in und ein größeres Interesse an diesem Fach haben; zudem ist ihre Stimmung im Unterricht besser und sie fühlen sich hier insgesamt wohler als Mädchen an gemischten Schulen. Die Unterschiede zwischen den beiden Schülerinnengruppen sind hochsignifikant; die Werte der Mädchenschulschülerinnen unterscheiden sich nicht ‚überzufällig’ von denen der befragten Jungen und liegen auf einem vergleichbaren Niveau. (Schurt, Waburg 2007, S. 250 ff.)
Eine weitere Studie, die sich mit den Zukunftsplänen von Schülerinnen einer Mädchenschule befasst, konnte zwar belegen, dass sich dieses Selbstbewusstsein auch auf den Berufswunsch Ärztin überträgt, den diese häufiger äußern als koedukativ unterrichtete Gleichaltrige (vgl. Schurt et al. 2009, S. 139). Dennoch zeigte die Erhebung auch, dass „gleichermaßen hohe Anteile der Gymnasiastinnen aus Mädchen- bzw. koedukativen Schulen nach wie vor Berufe präferieren, die in ihrer Konnotation als weiblich einzustufen sind“ (ebd., S. 146); dies bestätigen auch vorhergehende Untersuchungen (vgl. u. a. Hannover et al. 2002).
Ein direkter Zusammenhang zwischen monoedukativen Lernumgebungen und einer weniger genderkonformen Berufswahl – wie der der Beraterin – konnte demzufolge bislang nicht nachgewiesen werden. Darüber hinaus würden Mädchen tendenziell
durch die Berufs- und Studienwahl ‚frauentypische’ Gebiete […] wählen, beziehungsweise Bereiche, die eine Teilzeitbeschäftigung zulassen – ist der Frauenanteil in einem Beruf hoch, erscheint es äußerst plausibel, dass er mit einer Familie zu vereinbaren ist (Hagemann-White 1995). (Schurt et al. 2009, S. 124)
Auch in der Beratung wird die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie immer wieder als Herausforderung thematisiert, wie in Abschnitt 6.2.2 Herausforderung der Vereinbarkeit von Care-Arbeit und Karriere beschrieben.
Der Besuch einer Mädchenschule hat einen nur marginalen Einfluss auf gesellschaftlich verankerte Rollenbilder: Befragt zur Ehe gibt ein größerer Anteil koedukativ unterrichteter Mädchen an, später heiraten zu wollen (75,9 %) als getrennt unterrichtete Mädchen (67,0 %; vgl. ebd., S. 143). Metz-Göckel führt dies auf die Sozialisierung der Jugendlichen in der entscheidenden Phase der Pubertät in gemischtgeschlechtlichen Klassen zurück: „Für sie [die Mädchen] tritt in der Pubertät häufig ein Konflikt zwischen Intellektualität und Weiblichkeit auf, der in koedukativen Situationen meistens nicht zu ihren Gunsten aufgeklärt wird“ (2005, S. 431). Ihrer Annahme folgend erfahren jedoch Mädchen, die gleichgeschlechtlich gelernt haben, Vorteile hinsichtlich der Selbsteinschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten (vgl. ebd.). Diese Ansicht teilt auch eine der Interviewpartnerinnen:
Und ich war dann ab dem Alter von zehn in der Mädchenschule, in einem Mädcheninternat. Das heißt, ich persönlich habe in meiner ganzen Erziehung nie Benachteiligung, Diskriminierung, weder gedanklich noch im Alltag erlebt. Dementsprechend hab ich viel, viel bessere Voraussetzungen, eine solche Karriere zu machen als das viele andere weiblich gelesene Kolleginnen hatten. (4:29 ¶ 38 in Interview 4.docx)
Die besondere Erziehung führt demzufolge in ihrem Fall dazu, dass sie sowohl auf mentaler Ebene als auch basierend auf ihren Erfahrungen die eigenen Fähigkeiten seltener angezweifelt hat. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die hier zitierte Beraterin nicht nur auf einer Mädchenschule, sondern auf einem Mädcheninternat war. Die damit verbundene Situiertheit außerhalb des familiären Umfelds könnte den positiven Effekt auf das Selbstbewusstsein verstärken, da „gesamtgesellschaftliche Werte und Normen (insbesondere durch Peers, Eltern und die Situation auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt vermittelt) einen größeren Einfluss auf die Herausbildung von berufs- und familienbezogenen Vorstellungen“ haben können (Schurt et al. 2009, S. 147). Diese gesamtgesellschaftlichen Einflüsse können in einem Mädcheninternat geringer ausfallen als außerhalb. Auch ungünstige Geschlechterstereotype kommen potenziell weniger stark zum Tragen:
Wenn man mal in Augenschein nimmt, wie meine Projekte ausgestaltet sind. Dann muss man sagen, habe ich höhere Frauenquoten. Aber die hatte ich schon immer. Und das liegt sicherlich auch wieder an besagter Mädchenschule, dass ich sehr darin sozialisiert bin, mit anderen Frauen zusammen zu arbeiten. (7:53 ¶ 122 in Interview 7.docx)
Die Beraterinnen sind unter Umständen eher zu Kollaboration bereit als koedukativ unterrichtete Frauen und unterstützen andere Frauen auf ihren Karrierewegen, was sich wiederum positiv auf die Zahl der weiblichen Führungskräfte in der Branche auswirken kann.
Trotz der möglichen Vorteile werden Mädchenschulen in gesellschaftlichen und medialen Diskursen oft abgewertet (vgl. u. a. Hamburger Abendblatt 2022, Spiegel 2020). Dies könnte auf bestehenden Vorurteilen und Stereotypen basieren, die die Notwendigkeit von monoedukativer Bildung in Frage stellen (vgl. Theurer et al. 2014, Metz-Göckel 2005, S. 427). Die gesellschaftliche Abwertung wird unter anderem auf den historischen Kontext zurückgeführt, in dem Mädchenschulen für Tätigkeiten wie Hauswirtschaft und Kochen ausbildeten oder Schülerinnen der Zugang zu höherer Bildung verwehrten (vgl. Budde et al. 2016). Es ist vor diesem Hintergrund maßgeblich, die positiven Auswirkungen auf die individuelle Entwicklung von Frauen und deren beruflichen Erfolg zu berücksichtigen, wie es in der erziehungswissenschaftlichen Forschung zunehmend geschieht (vgl. ebd., S. 9).
Die Häufung von Interviewpartnerinnen mit einem monoedukativen Hintergrund und ihre Angaben zu den wahrgenommenen Vorteilen sind Anlass, dieses Thema in der folgenden quantitativen Forschungsphase erneut aufzugreifen. Es soll untersucht werden, ob ein vergleichsweise hoher Anteil an Frauen in der Beratung in Mädchenschulen oder -klassen unterrichtet wurde, um eine Grundlage für weitere Forschungsansätze zu schaffen (vgl. Abschnitt 6.5.4 Einfluss monoedukativer Bildungseinrichtungen auf die Karriere).
Zusammenfassend lassen sich in Bezug auf die Forschungsfrage verschiedene Einflüsse ermitteln, die einen potenziell positiven Effekt auf die Karrierewege von Beraterinnen in höhere Führungspositionen haben. Neben allgemeinen, geschlechtsunabhängigen Erfolgsfaktoren einer anspruchsvollen Branche wie dem Consulting wurden identifiziert:
  • die Bildung von Netzwerken innerhalb und außerhalb der Firma;
  • Unterstützung durch Mentoring oder Sponsoring beim Aufstieg;
  • die Sichtbarkeit der eigenen Leistung und ein selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten;
  • ein möglicher positiver Einfluss monoedukativer Schulformen auf die spätere Karriereentwicklung.
Einige dieser Aspekte wurden zur weiteren Prüfung in die quantitative Befragung aufgenommen und werden im folgenden Kapitel ausführlicher erläutert.

6.6 Einordnung der quantitativ erhobenen Ergebnisse in den Gesamtkontext

Die Umfrage im Rahmen dieser Studie war im Zeitraum vom 08. bis 22. Januar 2024 online zur Teilnahme geöffnet. Über einen frei verfügbaren Link konnten potenzielle Teilnehmende den Fragebogen erreichen. Die Ansprache zielte auf Frauen und weiblich gelesene Menschen ab, die einen Bezug zur Beratungsbranche haben. Für die Teilnahme wurde insbesondere bei LinkedIn und in unternehmensinternen Gruppen für Beraterinnen verschiedener Consultingfirmen geworben. Insgesamt nahmen 555 Personen an der Umfrage teil. Sie wurde zu 84 % komplett abgeschlossen, was im Durchschnitt 6 Minuten und 9 Sekunden in Anspruch nahm. Die geringe Abbruchrate von unter 16 % kann als Beleg dafür betrachtet werden, dass die Länge und inhaltliche Tiefe für den Zweck, möglichst viele Frauen praxisnah zu erreichen, gut geeignet waren.
Geschlechtsidentität innerhalb des Samples
Um die Zuordnung der Teilnehmer:innen in dieser Studie besser zu verstehen, ist es wichtig, Gender nicht nur als biologische Kategorie (sex) zu betrachten, sondern als ein soziales, performatives Konstrukt, das sich im Alltag durch soziale Interaktionen, kulturelle Erwartungen und individuelle Selbstwahrnehmungen stetig neu reproduziert (vgl. Abschnitt 3.2.1 Verständnis von Geschlecht und Intersektionalität). Wie in der Theorie von Butler argumentiert, ist Gender keine angeborene Eigenschaft, sondern eine fortlaufende performative Praxis, die sich durch das Verhalten und die Interaktion der Menschen mit ihrer Umwelt manifestiert (vgl. 2011). Die in dieser Studie verwendete Unterscheidung von Cis-Frauen, Menschen, die sich als weiblich identifizieren, aber nicht als solche gelesen werden, und Menschen, die als weiblich gelesen werden, sich aber nicht als solche identifizieren, folgt genau diesem erweiterten Gender-Verständnis.
Zur Abfrage der notwendigen Informationen wurden obligatorische Filterfragen verwendet. Von den 555 Personen im Sample erklärten 553, cis-weiblich zu sein (99,6 %). Eine gab an, sich als weiblich zu identifizieren, aber nicht weiblich gelesen7 zu werden und eine Person, identifizierte sich nicht als weiblich, wurde aber so gelesen (zusammen 0,4 %; vgl. Filterfrage 2). Wer sich als männlich identifizierte, wurde direkt auf die Disqualifizierungsseite weitergeleitet. Aufgrund des Beschreibungstextes bei der Verbreitung der Umfrage war dies jedoch nicht notwendig: Keine Person bezeichnete sich als cis-männlich. Am Ende der Arbeit wurde das Thema Geschlecht erneut aufgegriffen, jedoch im Gegensatz zu den Filterfragen auf freiwilliger Basis. 466 Personen gaben an, bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet worden zu sein, eine Person bevorzugte, diese Frage nicht zu beantworten und 88 Personen übersprangen die Antwort (vgl. Frage 25).
Die folgende Frage nach der derzeitigen Geschlechtsidentität beantworteten 99,1 % mit cis-weiblich. Zwei Teilnehmende gaben an, sich als genderfluid zu identifizieren, was 0,4 % entspricht. Eine Person machte keine Angabe und eine wählte „männlich“ (vgl. Frage 26), 90 Personen übersprangen die Frage. Dass ein:e Teilnehmer:in am Ende des Fragebogens angab, sich als männlich zu identifizieren, könnte sich mit der Angabe der einen Person decken, die sich zu Beginn als „weiblich gelesen“ bezeichnete und aufgrund dessen in der Befragung verblieb. Aufgrund der hohen Anzahl an weiblich identifizierten und gelesenen Teilnehmenden (99,6 %, vgl. FilterfFrage 2) kann davon ausgegangen werden, dass die Summe an Personen, die die Frage nach der früheren oder derzeitigen Geschlechtsidentität übersprungen haben (88 bei Frage 25; 90 bei Frage 26), bei den letzten beiden Fragen auf Ermüdungserscheinungen aufgrund der Umfragelänge zurückzuführen ist. Wenn diese 90 Personen weder das ihnen zugewiesene Geschlecht noch ihre derzeitige Geschlechtsidentität hätten preisgeben wollen, wäre die Option „ich möchte dies nicht beantworten“ häufiger als je einmal verwendet worden. Zusammenfassend kann resümiert werden, dass die Teilnehmenden sich zu 99 % als cis-weiblich identifizieren und zu 100 % so gelesen werden, weshalb sie im Folgenden als Teilnehmerinnen der Umfrage bezeichnet werden.
Bezug des Samples zur Beratungsbranche
Neben dem Geschlecht der Befragten wurde auch ihr Bezug zur Unternehmensberatung geprüft, um sicherzustellen, dass die teilnehmenden Personen aus der Branche stammen und somit dem Forschungsansatz entsprechen. In einer verpflichtenden Qualifizierungsfrage zu Beginn (vgl. FilterfFrage 1) wurde daher untersucht, welchen Bezug sie zur Unternehmensberatung in Deutschland haben. 409 der 555 Personen gaben an, aktuell als Berater:in oder Führungskraft in der Branche zu arbeiten, was 73,7 % entspricht. Weitere 113 Teilnehmer:innen sind ehemalige Berater:innen oder Führungskräfte (20,3 %), 26 haben eine andere Position in dieser Branche (4,7 %). Sieben Teilnehmende (1,3 %) haben keinen Bezug zur Beratung und wurden daher nach den drei Filterfragen direkt zur Disqualifizierungsseite weitergeleitet.
Die 26 Personen, die keine beratende Rolle in der Branche haben, verteilen sich auf folgende Positionen (vgl. Frage 1):
  • HR, Recruiting und HR Business Partnerin (7x)
  • Marketing, Brand Management und Kommunikation (6x)
  • Führungsposition Marketing und Kommunikation (2x)
  • Projekt/Geschäftsführungsassistenz (2x)
  • Corporate Audit und Finance (2x)
  • Business Transformation (2x)
  • Kaufmännische Angestellte (1x)
  • Corporate Development (1x)
  • Digitale Transformation (1x)
  • Projektmanagerin (1x)
  • Innovation (1x)
Mehr als die Hälfte der Positionen (Punkt 1 bis 3) bewegt sich im Bereich der tendenziell weiblich besetzten Ressorts rund um Kommunikation und Personalverantwortung (vgl. FidAr 2023, S. 35 ff.). Die anderen Positionen umfassen verschiedene interne und externe Aufgabenfelder wie etwa Projektmanagement, Business Transformation oder Audit. Eine genaue Passung dieser Tätigkeiten mit dem Beruf der Beraterin oder der Führungskraft in der Beratung kann nicht mit Sicherheit vorausgesetzt werden. Dennoch ist es wahrscheinlich, dass diese 26 Teilnehmerinnen ähnliche Erfahrungen in der männlich geprägten Beratungsbranche gemacht haben wie die beforschte Gruppe der Beraterinnen. Daher werden sie in die Untersuchungsgruppe aufgenommen und im Folgenden als Teil des Samples mit ausgewertet.
Hinsichtlich der Größe der Beratungen erfüllte Frage 23 den Anspruch, möglichst viele Beraterinnen aus großen Unternehmensberatungen mit potenziell homogenen Erfahrungswelten zu erreichen (vgl. ebd., x = 468). Dieses Ziel war in Abschnitt 5.3.1 Methodik und Forschungsdesign des Fragebogens festgesetzt worden, um zu prüfen, ob das Sample die zu untersuchende Gruppe aus sehr großen Organisationen (vgl. Abschnitt 2.1.2 Unternehmensberatung heute: Daten und Arbeitsweise) überwiegend abbildet. Abbildung 6.2 zeigt, dass das Ziel erreicht wurde.
Abbildung 6.2
Prozentuale Verteilung des Samples auf Beratungsfirmen nach Anzahl der Angestellten (vgl. Frage 23).
(Quelle: Eigene Darstellung)
Karrierestufen innerhalb des Samples
Um das Sample noch besser analysieren zu können, wurde in der dritten Qualifizierungsfrage die aktuelle oder letzte Karrierestufe in der Beratung abgefragt (vgl. FilterfFrage 3). Von den 555 Teilnehmenden verweigerte eine Person die Antwort („Ich möchte das nicht beantworten“, 0,2 %), neun Personen gaben an, nicht in der Beratung zu arbeiten (1,6 %) und 18 Personen fanden ihre hierarchische Position nicht in der Aufzählung wieder („Anderes“, 3,2 %). Die Einordnung der übrigen 527 Teilnehmerinnen in die vorgeschlagenen Karrierestufen zeigt Abbildung 6.3.
Abbildung 6.3
Prozentuale Verteilung des Samples nach aktuellem oder letztem Karrierelevel (vgl. Frage 3).
(Quelle: Eigene Darstellung)
Die drei unteren Stufen, also die Einstiegslevel, geben den pyramidalen Aufbau der Beratungsbranche wieder. Fast die Hälfte der Beraterinnen befindet sich auf diesen Stufen und damit in der Projektarbeit mit geringer oder keiner Budget- und Personalverantwortung. Sie bilden die Basis der Beratungsbranche, wie in Abschnitt 2.1.4 Organisationsstruktur und Karrierepfade in der Beratung erläutert wurde. Im folgenden Bereich des mittleren Managements arbeitet ein Fünftel der Umfrageteilnehmerinnen, was einer Anzahl von 113 Personen entspricht. Sie tragen in der Regel Verantwortung für Projekte und Vertrieb bei ihren Kund:innen. Das höhere Management auf Karrierestufe der Senior Managerinnen und Direktorinnen verantwortet dagegen größere Budgets, Personal und Anteile der Geschäftsziele. Hier konnten ebenfalls 113 Teilnehmerinnen gewonnen werden. Auf höchster Ebene arbeitet etwas weniger als ein Zehntel des Samples (51 Personen). Diese weiblichen Führungskräfte leiten ganze Geschäftsbereiche oder Beratungsfirmen und verantworten zwei- bis dreistellige Millionenbeträge im Jahr (vgl. Abschnitt 6.1 Vorstellung der Interviewpartnerinnen und Überblick über die Ergebnisse).
Erfreulich ist die hohe Zahl an Frauen in sehr hohen Führungspositionen, die hier erreicht wurde. Laut Bundesverband sind nur 12 % der Geschäftsführer:innen und Partner:innen in der Beratungsbranche weiblich (vgl. BDU 2022, S. 8). Dass 51 von ihnen an der Umfrage teilgenommen haben, gibt einen Einblick in die Erfahrungswelt derjenigen, die bereits höchste Führungspositionen erreicht haben. Die Verteilung des Samples unterstützt zudem die Aussagekraft der Untersuchung zu Beraterinnen in höheren Führungspositionen, also der (Senior) Managerin und aufwärts.
Unter den 17 Personen, die ihre Karrierestufe nicht in der Auswahl wiederfanden, lassen sich drei Gruppen erkennen:
(1)
Vergleichbar mit Junior Consultant oder Analyst:
  • Praktikantin/Werkstudentin (2x)
  • Selbständig/Freiberuflich (3x)
 
(2)
Vergleichbar mit Senior Consultant, Assistant Manager:in und Manager:in:
  • Senior Projektmanagerin
  • Senior Associate in Finance mit MA-Verantwortung
  • Vorstands-Referentin/Assistenz (2x)
  • Leitung Projektredaktion
  • Distinguished Engineer
  • Technical Consultant
 
(3)
Vergleichbar mit Junior Partner:in, Partner:in und Geschäftsführung:
  • Gründerin und Geschäftsführerin
  • Inhaberin
  • Associated Partner/Principal (2x)
  • Head of HR
 
All diese Positionen sind mit den Erfahrungen einer Beraterin oder Führungskraft in der Beratung vergleichbar und Teil der Branche. Aus diesem Grund wird dieser Teil zum Sample dazugezählt.
Aufstellung des Samples nach den Qualifizierungsfragen
Von den 555 Teilnehmenden wurden nach den drei Filterfragen sieben Personen aufgrund der Antwort auf Frage 1 „Ich arbeite nicht in der Beratungsbranche“ und neun Personen aufgrund der Antwort auf Frage 3 zum Karrierelevel mit „Ich arbeite nicht und habe nicht in der Beratung gearbeitet“ für die weitere Teilnahme disqualifiziert. Vier dieser Personen haben sich bei beiden Fragen disqualifiziert und können demnach als Überschneidung herausgerechnet werden. Da bei Frage 2 keine Person angab, sich als cis-männlich zu identifizieren, wurden hier alle Teilnehmenden zugelassen.
Es ergibt sich eine Summe von 12 disqualifizierten Antwortenden, die nicht am folgenden inhaltlichen Teil des Fragebogens teilgenommen haben. Die Gesamtsumme der relevanten Antworten liegt daher bei 543 Personen. Da nach den drei Qualifizierungsfragen die Beantwortung der weiteren Fragen nicht obligatorisch war, konnten Teilnehmerinnen einzelne Fragen nach Belieben auslassen. Im vorliegenden Kapitel wird die jeweilige Anzahl an Antworten jeweils mit (x = ) angegeben, um eine Einsicht in die Häufigkeit der tatsächlichen Beantwortung der Frage zu vermitteln, wobei 543 den Maximalwert darstellt.
Demografische Verteilung des Samples
Den mit Abstand größten Teil der Befragten machen Mitarbeiterinnen aus Beratungsfirmen mit mehr als 1000 Mitarbeitenden aus (69,2 %, vgl. Abbildung 6.2. Prozentuale Verteilung des Samples auf Beratungsfirmen nach Anzahl der Angestellten (vgl. Frage 23), Quelle: eigene Darstellung). 54 % arbeiten derzeit oder zuletzt als Senior Consultant oder Managerin (vgl. Abbildung 6.3. Prozentuale Verteilung des Samples nach aktuellem oder letztem Karrierelevel (vgl. Frage 3), Quelle: eigene Darstellung). Hinsichtlich des Geburtsjahres zeigt sich eine breite Verteilung über die in der Beratung häufige Altersspanne: Etwa drei Viertel der Teilnehmerinnen sind zwischen 27 und 43 Jahre alt (76,1 %). Dies entspricht dem typischen Einstiegsalter nach Abschluss des für den Beruf notwendigen Studiums und dem Wechsel von Frauen in andere Branchen ab einer bestimmten Lebensphase (vgl. Abschnitt 2.2.3 Frauen in der Beratungsbranche: Ein Überblick). Die Verteilung auf die Geburtsjahre demonstriert die Grafik in Abbildung 6.4.
Abbildung 6.4
Prozentuale Verteilung der Altersgruppen anhand der Angaben von 457 Personen (vgl. Frage 24).
(Quelle: Eigene Darstellung)
Die Betrachtung nach Altersgruppen zeigt, dass Teilnehmerinnen zwischen 30 und 39 Jahren die mit Abstand größte Gruppe darstellen, gefolgt von je circa einem Fünftel 20- bis 29-Jährigen und 40- bis 49-Jährigen. Darüber nimmt die Anzahl rapide ab: Nur ein Zehntel der Teilnehmerinnen sind 50 bis 59 Jahre alt, ein Prozent zwischen 60 und 69 und nur eine einzige Person über 70. Spitzenwerte bezüglich des Alters sind 29, 31 und 34, die zusammen rund 20 % der Befragten ausmachen (vgl. Frage 24). Diese Verteilung entspricht in etwa der der Branche, wie sie in Abschnitt 2.1.4 Organisationsstruktur und Karrierepfade in der Beratung angegeben wurde.
Abschließend lässt sich anhand der vorgestellten Daten festhalten, dass das gewonnene Sample als Grundlage geeignet ist, die im Folgenden formulierten, positiven und negativen Einflussfaktoren bezüglich der Forschungsfrage zu beantworten.

6.6.1 Potenzieller Erfolgsfaktor I: Monoedukative Bildung

Im Abschnitt 6.5.4 Einfluss monoedukativer Bildungseinrichtungen auf die Karriere wurde deutlich, dass vier der zehn Interviewpartnerinnen eine monoedukative Schule oder Klasse besucht haben und dies teilweise als Grundlage für ihren Erfolg im Beruf betrachten. Erkenntnisse aus der Fachrichtung Physik, durch die eine Korrelation zwischen Mädchenschulen und der Wahl eines naturwissenschaftlichen Berufsfeldes hergestellt werden konnte (vgl. Schurt, Waburg 2007, Metz-Göckel 2005), lassen vermuten, dass auch für den Beruf der Berater:in ein solcher Effekt möglich ist. Um eine zufällige Häufung unter den Interviewpartnerinnen auszuschließen, wurde dieses Thema in die quantitative Erhebung integriert (vgl. Fragen 8 bis 10).
Die Frage, ob sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Ausbildung eine Mädchenschule oder reine Mädchenklasse besucht haben, beantworteten 514 der Teilnehmerinnen. 11,5 % gaben an, eine solche besucht zu haben. Die große Mehrheit mit 87,7 % lernte in gemischten Bildungseinrichtungen (x = 451). Vier Personen (0,8 %) wählten „Anderes“ und gaben Details im Kommentarfeld ein. Drei davon bezogen sich auf Situationen, in denen bedingt durch die Wahl der Kurse (Musik, Sport, Art der Ausbildung) der Anteil an Schülerinnen „bedeutend höher“ beziehungsweise „bedeutend niedriger“ war als der der Schüler (vgl. Antwortfeld Frage 8). Eine Teilnehmerin lässt sich durch ihre Antwort in die Kategorie der Mädchenschule einordnen:
Ich war auf einer katholischen Mädchenschule (Gymnasium). Es gab drei homogene Klassen (nur Mädchen) und eine gemischte (also bei 100 Schülern im Jahrgang etwa 13 Jungs). Erst in der Oberstufe wurden wir mit einer anderen Schule zusammengelegt, was den Anteil an Jungs etwas erhöhte. (vgl. Freitextfeld Frage 8)
Diese Antworten hätten also ebenfalls in die Kategorie „Mädchenschule“ gepasst.
Die große Mehrzahl der Teilnehmerinnen, die nie eine entsprechende Bildungseinrichtung besucht hatten, wurden direkt zum nächsten Frageblock weitergeleitet; ebenso diejenigen, die „Anderes“ angegeben haben. Die 11, 5 %, die mit Ja geantwortet haben, wurden im Anschluss in Frage 9 nach der Art der Einrichtung befragt. Mit knapp zwei Dritteln lag die reine Mädchenschule deutlich vorne (66,7 %), gefolgt von gemischten Schulen mit unbeabsichtigt entstandenen Mädchenklassen (26,7 %) und gemischten Schulen mit getrennten Klassen (4,9 %). Eine Person (1,7 %) gab unter „Anderes“ an, einen Frauenstudiengang belegt zu haben. Die folgende Frage prüfte dann die Dauer des Besuchs der monoedukativen Einrichtung. Mehr als die Hälfte der Gruppe lernte mehr als drei Jahre getrennt von anderen Geschlechtern (55,9 %). Mehr als ein Drittel wurde zwischen einem und drei Jahren getrennt unterrichtet (37,3 %) und nur Einzelne weniger als ein Jahr (6,8 %; vgl. Frage 10). Drei Aspekte sind hier besonders bedeutsam: Die Anzahl, die Intensität und die Dauer.
  • Gut ein Zehntel der gesamten Teilnehmerinnen hat einen monoedukativen Bildungshintergrund. Wie im Abschnitt 6.5.4 Einfluss monoedukativer Bildungseinrichtungen auf die Karriere erläutert wurde, sind nur 0,5 % aller Schulen in Deutschland Mädchenschulen. Die Anzahl an reinen Mädchenklassen könnte entsprechend der Interviews (vier der zehn Interviewpartnerinnen hatten monoedukative Lernumgebungen) etwas höher sein, jedoch nicht in signifikantem Ausmaß. Belastbare Zahlen wurden dazu in der Forschung bisher nicht erhoben. Dass 11,5 % der Beraterinnen einen monoedukativen Bildungshintergrund aufweisen, ist bemerkenswert.
  • Fast zwei Drittel der getrennt unterrichteten Frauen haben eine reine Mädchenschule besucht. Die Auswirkung für den Bereich der naturwissenschaftlichen Karrierewege wurden oben beschrieben. Sie wird damit begründet, dass Mädchen in monoedukativen Umgebungen stereotypfreier lernen können und keine „unbewusste Einübung der Geschlechter“ (Metz-Göckel 2005, S. 427) im Unterricht geschieht. Es ist demzufolge möglich, dass eine Mädchenschule aufgrund der gänzlichen Trennung der Geschlechter einen stärkeren Effekt als Mädchenklassen in gemischtgeschlechtlichen Schulen haben kann. Diesem stärkeren Effekt wären rund 66,7 % ausgesetzt gewesen.
  • Mehr als die Hälfte der entsprechenden Personen wurde länger als drei Jahre geschlechtergetrennt unterrichtet. Über mehrere Jahre in einer Mädchenschule oder -klasse zu lernen, ermöglicht es den späteren Beraterinnen unter Umständen, ihre Fähigkeiten in jungen Jahren stereotypfreier zu testen und auszubauen (vgl. Flaake 2006). Wie im Abschnitt 6.5.4 Einfluss monoedukativer Bildungseinrichtungen auf die Karriere dazu beschrieben wurde, unterstützen mehrere Interviewpartnerinnen diese These (vgl. u. a. 7:23 ¶ 68 in Interview 7.docx, 4:29 ¶ 38 in Interview 4.docx).
Ein möglicher Effekt monoedukativer Bildung auf die Karrierewege von Beraterinnen dürfte bei dieser Konstellation (mehrjährige und physische Trennung durch separate Schulen) am deutlichsten zum Tragen kommen. Die vergleichsweise hohe Zahl an Teilnehmerinnen, die so unterrichtet wurden, führt zu der Hypothese, dass diese Schulform eine positive Auswirkung auf die Berufswahl oder den beruflichen Erfolg hat.
Gleichzeitig ist auch ein Einfluss durch andere Faktoren möglich, wie die finanzielle Situiertheit der Familie oder der akademische Hintergrund. So wäre es beispielsweise denkbar, dass sich insbesondere finanziell gut aufgestellte Familien eine bestimmte Schule oder ein Internat für ihre Töchter leisten können oder Töchter akademisch hoch ausgebildeter Eltern eher eine solche Schule besuchen. Dies liegt nahe, da alle vier Interviewpartnerinnen, die eine Mädchenschule besucht haben, aus akademisch geprägten Haushalten stammen, während sich unter den anderen auch First-Generation Students befinden.
Die gewonnenen Daten geben Anlass, einen möglichen Effekt auf die Berufswahl ‚Beraterin‘ oder das Erreichen einer höheren Führungsposition zu untersuchen. Potenzielle Ansatzpunkte für eine solche zukünftige Untersuchung bieten Hypothesen hinsichtlich der Länge des Besuchs einer monoedukativen Einrichtung oder ihrer Intensität (Schule im Vergleich zu Klasse), dem Erwerb von erfolgsfördernden Charaktereigenschaften und einer späteren Berufswahl:
  • Wenn weibliche Führungskräfte in der Beratungsbranche in ihrer Kindheit oder Jugend in monoedukativen Einrichtungen gelernt haben, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie ein stereotypisch männlich geprägtes Berufsfeld gewählt haben.
  • Wenn weibliche Führungskräfte in der Beratungsbranche in ihrer Kindheit oder Jugend in monoedukativen Einrichtungen gelernt haben, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie in ihrem Beruf eine Führungsposition erreicht haben.
  • Wenn weibliche Führungskräfte in der Beratungsbranche in ihrer Kindheit oder Jugend in monoedukativen Einrichtungen gelernt haben, dann ist es wahrscheinlicher, dass sie für den Erfolg förderliche Charaktereigenschaften wie ein selbstbewusstes Auftreten und Durchsetzungsstärke erworben haben.
  • Wenn weibliche Führungskräfte in der Beratungsbranche intensivere Erfahrungen in einer monoedukativen Umgebung hinsichtlich Dauer und Intensität der Geschlechtertrennung im Alltag gemacht haben, dann ist es wahrscheinlicher, dass die drei oben genannten Effekte stärker auftreten.
Eine repräsentative Erhebung unter Beraterinnen in Deutschland wäre hierfür ebenso naheliegend wie eine qualitative Analyse der Eigenwahrnehmung oder eine experimentelle Studie mittels getrennter Lernumgebung und deren Auswirkung auf die spätere Karriere.

6.6.2 Potenzieller Erfolgsfaktor II: Sponsoring

Sponsoring, also die proaktive Unterstützung bei der Karriere durch eine qua Erfahrung und Hierarchie dafür geeignete Person, wurde in Abschnitt 6.5.2 Netzwerke, Mentoring und Sponsoring bereits als ein potenzieller Erfolgsfaktor für die Karrierewege von Beraterinnen identifiziert. Aufgrund der Aussagen der Interviewpartnerinnen wurde das Thema in der Umfrage berücksichtigt und in den Fragen 4, 5 und 6 umgesetzt.
Den Fragen vorangestellt ist ein erklärender Text zum Thema Sponsoring, da dieses in der Beratung potenziell verbreitet ist, ohne jedoch als solches explizit benannt zu werden. Sponsoring wird zur besseren Verständlichkeit in Verbindung mit Mentoring gebracht, das als Konzept be- und anerkannter ist:
Im Karrierekontext bezeichnet „Sponsoring“ die Praxis, in der eine erfahrene oder einflussreiche Person (Sponsor) aktiv eine andere Person (Protegé) fördert und für deren berufliche Entwicklung eintritt. Im Gegensatz zu Mentoring, in dem oft beratender und unterstützender Austausch im Vordergrund steht, geht Sponsoring weiter, indem es gezielt berufliche Chancen schafft. Ein Beispiel kann eine Führungskraft sein, die in Beförderungsrunden für eine bestimmte Person eintritt oder sie für relevante Projekte vorschlägt. Sponsoring zeigt sich auch, wenn eine Person einer anderen nach einer Beförderung die eigene Position ungeachtet anderer Kandidat:innen überlässt. (Einleitung Frage 4)
Auf Grundlage der Erklärung folgen drei Fragen. Die erste bezieht sich darauf, welche Aktivitäten die Teilnehmerinnen in ihrer eigenen beruflichen Praxis beobachtet oder selbst erlebt haben, ohne zwischen diesen beiden Aspekten zu unterscheiden (vgl. ebd.). Zur Auswahl stehen „Mentoring“ (81 %), „Sponsoring“ (59,2 %) sowie „keine“ (12,4 %). Mehrfachnennungen waren möglich (x = 515). Unterstützung beim Aufstieg durch erfahrene oder hierarchisch höhere Führungskräfte oder Kolleg:innen ist demnach in der Beratung weit verbreitet, wobei Mentoring deutlich häufiger beobachtet oder selbst erlebt wird als Sponsoring.
Von den Praktiken direkt profitiert haben 75,3 % der Teilnehmerinnen als Mentees und 45,5 % als Sponsoring-Protegés. Nur knapp jede Fünfte (19 %) hat keines dieser beiden Angebote in Anspruch genommen (Mehrfachnennung möglich, vgl. Frage 5, x = 510). Angesichts der hohen Zahlen können diese Angebote als relevante Einflussfaktoren auf die Karriereentwicklung von Beraterinnen benannt werden.
Dieser Annahme stimmt auch die Mehrheit der Teilnehmerinnen zu: Die Frage 6 „Welche Relevanz hatte Sponsoring für Ihre eigene Karriereentwicklung?“ hatte fünf Optionen zur Auswahl auf einer unbeschrifteten Likert-Skala von 1,0 (unwichtig) bis 5,0 (unverzichtbar; x = 511).
Abbildung 6.5
Prozentuale Verteilung der Bewertung der Relevanz von Sponsoring für die eigene Karriere und Karriere in der Beratung allgemein (von 1 unwichtig bis 5 unverzichtbar; vgl. Frage 6 und 7).
(Quelle: Eigene Darstellung)
Wie Abbildung 6.5 zeigt, liegt die Mehrheit der Antworten hinsichtlich der Relevanz von Sponsoring für die eigene Karriere im Bereich von ‚unverzichtbar‘ und direkt daneben (Option 4 und 5, zusammen 52,3 %). Nur 16 % bewerten es als ‚unwichtig‘ mit Option 1 und 2. Insgesamt 105 Personen entschieden sich für „keine Angabe“ (20,6 %) und 44 übersprangen die Frage. Die eindeutige Verteilung der 511 Antworten zugunsten der Optionen 4 und 5 illustriert, dass Sponsoring für die eigene Karriereentwicklung der Teilnehmerinnen als unmittelbar relevant empfunden wird.
Ein noch deutlicheres Bild zeichnet das Antwortverhalten hinsichtlich der Relevanz von Sponsoring für die Karriere in der Beratung allgemein, wie der dunklere Balken oben darstellt: 47,1 % wählten Option 5 ‚unverzichtbar‘, gefolgt von 31 % für Option 4. Nur etwa 11 % wählten eine der drei unteren Auswahlmöglichkeiten, ebenso viele ‚keine Angabe‘ (vgl. Frage 7). Das Ergebnis belegt eindeutig, dass mehr als drei Viertel der Teilnehmerinnen Sponsoring als einen wichtigen Einflussfaktor auf den Karriereverlauf in der Beratung erachten.
Vor dem Hintergrund der in Abschnitt 6.3.2 Nachweis einer Male Gendered Organization in der Beratungsbranche erläuterten homosozialen Kooptation und der in Abschnitt 6.5.2 Netzwerke, Mentoring und Sponsoring als positive Einflüsse erläuterten Relevanz von Sponsoring für die Karriereentwicklung bestätigt sich der Eindruck, dass Sponsoring zwar ein Erfolgsfaktor für die Karriere von Frauen in höheren Führungspositionen sein könnte, hierbei jedoch einige Hürden bestehen. Mehr als drei Viertel der Beraterinnen geben an, Sponsoring sei „allgemein förderlich für die Karriere“, aber nur die Hälfte bewertet es als tatsächlich „förderlich für die eigene Karriere“. Diese Differenz könnte unter anderem darauf zurückzuführen sein, dass nicht alle Frauen Zugang zu passenden Sponsor:innen hatten, was wiederum mit dem Prinzip der homosozialen Bevorzugung zusammenhängen könnte. Dieses kann männlichen Beratern den Zugang zu geeigneten Sponsoren erleichtern, da sie das gleiche Geschlecht teilen. Aufgrund der geringeren Anzahl von weiblichen Führungskräften in passenden Positionen haben Beraterinnen hier unter Umständen geringere Chancen auf diesen Karrierevorteil.

6.6.3 Herausforderung I: Zusatzaufwand durch die Aufbereitung des Äußeren

Der Einfluss von Schönheitshandeln als zusätzliche Herausforderung für weiblich gelesene Menschen in der männlichen geprägten Beratungsbranche wurde bereits in Abschnitt 6.4.2 Zusatzaufwand durch Schönheitshandeln identifiziert. Der Umgang von Beraterinnen mit ihrem eigenen, weiblich gelesenen Äußeren in einer Organisation, die maskuline Eigenschaften als erfolgversprechender beurteilt, kann sie vor Herausforderungen stellen, mit denen sich männlich gelesene Personen nicht konfrontiert sehen.
Um die Ergebnisse aus den Interviews zu vertiefen und unter Beraterinnen verschiedener Karriere- und Altersstufen zu verifizieren, wurde das Thema in die Umfrage integriert. In Frage 19 wird entsprechend erhoben, ob die Teilnehmerinnen sich Gedanken um ihr Aussehen und ihre Wirkung gemacht haben, beispielsweise zu Frisur, Kleidung oder Make-Up. Neben „Ich weiß es nicht“ (0,2 % der Antworten) gab es vier Antwortoptionen (vgl. ebd., x = 475).
Abbildung 6.6
Prozentuale Verteilung der Antworten zum Umfang der Gedanken rund um Schönheitshandeln (vgl. Frage 19).
(Quelle: Eigene Darstellung)
Drei Viertel der Beraterinnen (74 %) macht sich demnach regelmäßig Gedanken um Aussehen und Wirkung als weiblich gelesene Person in der Beratungsbranche (Abbildung 6.6). Inwiefern aus diesen Gedanken ein Aufwand folgt, wird in Frage 20 thematisiert. Es geht dabei um die Aufbereitung hinsichtlich Aussehen und Wirkung, also beispielsweise einen besonderen Kleidungsstil, Make-Up oder eine spezielle Frisur für die Arbeit, um sich gut oder „sicher“ zu fühlen (vgl. ebd.).
Abbildung 6.7
Prozentuale Verteilung der Antworten zum Aufwand rund um Schönheitshandeln (vgl. Frage 20).
(Quelle: Eigene Darstellung)
Von den 475 Antworten gab die Mehrheit an, einen solchen Aufwand regelmäßig zu betreiben und knapp ein Fünftel, dies eher selten zu tun. Nur wenige Beraterinnen haben minimalen oder gar keinen Aufwand mit ihrem Äußeren im beruflichen Kontext (vgl. Abbildung 6.7). Aus den regelmäßigen Gedanken rund um Aussehen und Wirkung entsteht also offenbar auch ein regelmäßiger Aufwand.
Um den Umfang des Aufwands zu beziffern, wurden die Teilnehmerinnen in Frage 21 gebeten, diesen auf einer fünfstufigen, an den Enden beschrifteten Likert-Skala zu bewerten. Zwischen den Extremen (1) ‚kein Aufwand‘ und (5) ‚sehr großer Aufwand‘ entstand ein Mittelwert von 3,1 (x = 441). Die Tendenz in Richtung größerer Aufwand ist dementsprechend klar zu erkennen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass nur knapp 15 % der Teilnehmerinnen angaben, minimalen oder keinen Aufwand zu betreiben.
Inwiefern der Umfang bei der Aufbereitung des eigenen Äußeren, den zwei Drittel der Frauen sogar regelmäßig betreiben (vgl. ebd.), im Laufe der Karriere divergiert, wurde in Frage 22 untersucht. In einem Freitextfeld antworteten 333 Teilnehmerinnen auf die Frage, inwiefern sich der Aufwand im Laufe ihrer Karriere verändert hat. Die Ergebnisse lassen sich thematisch gruppieren.
Veränderungen im Laufe der Zeit
Die Variation des Aufwands im Laufe der Zeit könnte unter anderem damit zusammenzuhängen, dass die Beraterinnen sich in der Regel zu Beginn der Karriere an die Branchenideale („Vermeidung weiblicher Kleidung“, „typischer Business Look, immer Anzug“, Antworten auf Frage 22, x = 333, Antworten im Freitextfeld) angepasst haben; so lautet ein Kommentar: „Innerhalb der ersten 10 Wochen habe ich mich sehr schnell dem Business Style im Office angepasst, obwohl ich mich nicht unbedingt in der Kleidung identifiziere.“ (ebd.) Der Grad des Schönheitshandelns mit dem Ziel, dem Umfeld zu entsprechen, könnte also tendenziell zu Beginn der Karriere am höchsten sein, bis „der Aufwand […] sich reduziert, weg von „in ein bestimmtes Bild passen wollen“ hin zu „ich trage Kleidung, in der ich mich wohl fühle, was dazu führt, dass ich selbstbewusster auftrete“ (ebd.). Dies könnte den Kommentaren zufolge sowohl mit der Position („Ich muss mich nicht mehr beweisen“), dem Alter („Je älter, desto weniger. Ein Hoch! Auf die 50!!“, ebd.) oder den generellen Veränderungen in der Branche zusammenhängen.
Mit zunehmender Erfahrung und steigendem Selbstbewusstsein durch beruflichen Erfolg nimmt der Aufwand für das äußere Erscheinungsbild tendenziell ab: „Der Aufwand hat sich verringert, da ich selbstsicherer geworden bin“ (ebd.). Die Position hat hierauf ebenfalls Einfluss: „Am Anfang muss man sich sehr anpassen, um ernst genommen zu werden. Als Partnerin kann ich jetzt anziehen, was ich will, weil ich Respekt qua Position hab.“ (ebd.) Ursächlich könnte sein, dass sich die Beraterinnen selbstbewusster fühlen und dies auch ausstrahlen, was in Abschnitt 6.5.3 Erfolg durch selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten als Erfolgsfaktor identifiziert wurde. Es ist sowohl möglich, dass ihr Äußeres weniger negativ kommentiert wird, als auch, dass sie diese Kommentare weniger berücksichtigen. Ab welcher Position oder welchem Alter diese positiven Veränderungen eintreten, lässt sich aus den Daten nicht ableiten.
Hinsichtlich der Veränderungen der Rahmenbedingungen zeigen sich zwei Einflussfaktoren: die Weiterentwicklung der Branche („Deutlich weniger geworden, da Branche insgesamt jetzt einen lockereren Kleidungsstil hat“, Antwort auf Frage 22) und die Covid-Pandemie. Letztere hat durch die überwiegende Arbeit von zuhause die Kleiderordnung neu definiert, seitdem „ist weniger formelle Kleidung auch in Ordnung“ (ebd.). Die aufwendige Aufbereitung von Frisur über Kleidung bis zu den Schuhen habe das „Homeoffice […] unnötig gemacht“ (ebd.).
Die Lockerung der Branche nutzen viele der Teilnehmerinnen, um (wieder) einen authentischen Stil zu tragen, wobei sie überwiegend betonen, dass dieser ohnehin „seriös“ oder „professionell“ wirkt. Schönheitshandeln erfolgt also auch hier tendenziell weiterhin nach den Rahmenbedingungen der Umwelt, in diesem Fall der männlich geprägten Arbeitsumgebung, die definiert, was unter „seriös“ oder „professionell“ zu verstehen ist („biz-Look zu casual biz-Look“, ebd.). Sowohl die Pandemie als auch die Lockerung der Branche können also dazu beitragen, dass sich der Aufwand mit der Aufbereitung des Äußeren verringert, wie es die Teilnehmerinnen überwiegend angeben.
Gleichzeitig berichten einige der Befragten auch Gegenteiliges: „Je höher die Position, desto höher der Aufwand“ (Antwort auf Frage 22). Diese konträren Äußerungen machen jedoch nur einzelne der 333 Antworten aus. Ebenfalls vereinzelt wird angegeben, generell einen „bevorzugt männlich[en] Kleidungsstil“ (ebd.) zu pflegen, oder dass sich nichts am Umfang des eigenen Schönheitshandelns geändert habe („kaum“, „wenig“, „ich sehe keine Veränderung“, ebd.). Die Veränderungen bezüglich der Aufbereitung des Äußeren im Laufe der Karriere sind also nicht einheitlich. Unabhängig davon, mit welcher Tendenz sich der Aufwand entwickelt, lässt sich jedoch festhalten, dass es für die Beraterinnen gewisse Grenzen gibt, innerhalb derer sie Schönheitshandeln betreiben:
Mit der Erfahrung bin ich selbstbewusster geworden und stehe mehr zu meinem persönlichen Stil. Der Aufwand wurde daher geringer. Dennoch überlege ich regelmäßig, ob mein Kleidungsstil passend ist. Es muss weiblich, darf aber nicht sexy sein. (Antwort auf Frage 22)
Auftreten und Äußeres als Beraterin unterliegt also stets der Beurteilung von außen. Dabei werden Regeln impliziert, die potenziell Geschlechterstereotypen reflektieren („muss weiblich, darf aber nicht sexy sein“). Der Maßstab („passend“) ist zwar individuell auslegbar, wie in Abschnitt 6.4.2 Zusatzaufwand durch Schönheitshandeln bereits beschrieben, jedoch ist er der Branche entsprechend tendenziell männlich geprägt („Anpassung an männliche Vorgaben“, ebd.).
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse bezüglich der Kategorie Schönheitshandeln die Aussagen der Interviewpartnerinnen widerspiegeln (vgl. Abschnitt 6.4.2 Zusatzaufwand durch Schönheitshandeln). Diese postulieren, dass sie sich einem Sonderaufwand gegenübersehen, welcher Kapazitäten bindet, die ihre Kollegen eher in karriererelevante Aufgaben investieren können. Unabhängig davon, wie genau eine Beraterin ihr Äußeres aufbereitet, nehmen bereits die Gedanken dazu und im Anschluss auch die entsprechenden Routinen Raum ein, den sie nicht mit erfolgsrelevanten Tätigkeiten verbringen kann. Dies ist nicht auf die freiwillige Entscheidung eines Individuums zurückzuführen, sondern auf die Dissonanz zwischen weiblichem Erscheinungsbild und männlichem Ideal der Branche. Der Sonderaufwand dadurch kann eine zusätzliche Herausforderung für weibliche Führungskräfte auf dem Weg in höhere Führungspositionen darstellen.

6.6.4 Herausforderung II: Wahrnehmung der Kompetenz weiblicher Führungskräfte

Die Ergebnisse in den Abschnitten 6.3.3 Rolleninkongruenz weiblicher Führungskräfte: Die Role-Congruity-Theory und 6.3.4 Männliches Berater-Ideal: Das Lack-of-Fit-Model legen Herausforderungen für weibliche Führungskräfte in der Beratungsbranche nahe, die mit der Wahrnehmung und Anerkennung ihrer Kompetenzen zusammenhängen. Um diese Hypothese weiter zu verfolgen, wurden die Fragen 11 bis 18 entwickelt, die sich auf die eigenen Erfahrungen als Führungskraft und auf die Einschätzung anderer Führungskräfte beziehen.
Frage 11 adressiert zunächst die Selbsteinschätzung der Teilnehmerinnen, als Führungskraft unterschätzt zu werden. Von den 503 Antworten gaben 335 an, eine Führungsposition zu haben. Davon hat je mehr als ein Drittel „regelmäßig“ (37,9 %) und „selten“ (34,6 %) das Gefühl, in der Rolle unterschätzt zu werden. Es liegt also nahe, dass ein beträchtlicher Teil der weiblichen Führungskräfte zumindest partiell mit dieser Herausforderung konfrontiert ist. 10,1 % nahmen diese nur minimal oder einmalig wahr und 14,6 % gaben an, als Führungskraft noch nie unterschätzt worden zu sein.
Die Verteilung zeigt, dass die Erfahrungen diesbezüglich individuell unterschiedlich ausfallen können. Um objektivere Blickwinkel zu berücksichtigen, wurde daher die Frage 13 konzipiert. Sie bezieht sich auf die Beobachtung anderer weiblicher Führungskräfte und fragt: „Unabhängig von Ihnen selbst: Haben Sie bei weiblich gelesenen Kolleginnen erlebt, dass diese in Führungspositionen unterschätzt wurden?“. Hier ist das Ergebnis deutlicher als zuvor: Von 504 Teilnehmerinnen, die diese Frage beantworteten, gaben 78,2 % an, erlebt zu haben, dass andere weibliche Führungskräfte unterschätzt wurden. Nur jeweils 10,9 % stimmten für „Nein“ oder „Ich weiß nicht“ (vgl. Frage 13, x = 504). Dass Frauen in einer Führungsposition in der Beratung durch ihr Umfeld unterschätzt werden, wird an dieser Stelle deutlich.
Um zu prüfen, ob sich das Ergebnis nicht unter Umständen auf alle Geschlechter bezieht und somit ein Großteil der Führungskräfte generell unterschätzt wird, wurde Frage 15 entwickelt: „Unabhängig von Ihnen selbst: Haben Sie bei männlich gelesenen Kollegen erlebt, dass diese in Führungspositionen unterschätzt wurden?“ Die Antworten demonstrieren, dass männlich gelesene Führungskräfte entweder seltener unterschätzt werden oder dies weniger sichtbar ist: Mehr als die Hälfte der Teilnehmerinnen antwortete mit „Nein“ (57,1 %), 15,3 % wählten „Ich weiß nicht“ und 27,6 % gaben an, erlebt zu haben, dass männlich gelesene Führungskräfte unterschätzt werden (vgl. Frage 15, x = 490). Der Unterschied zwischen 78,2 % weiblichen und 27,6 % männlichen Führungskräften ist auffällig. Angesichts dieser Zahlen ist anzunehmen, dass Frauen in leitenden Positionen in größerem Maße unterschätzt werden als Männer.
Die Fragen 16, 17 und 18 zielen darauf ab, zu verstehen, wie sich das Unterschätzen weiblich gelesener Führungskräfte genau manifestieren kann. Sie evaluieren, ob die Teilnehmerinnen bei anderen beobachtet oder selbst erlebt haben, dass
  • einer weiblichen Führungskraft im Vergleich zu anderen weniger zugetraut wurde;
  • sich eine weibliche Führungskraft im Vergleich zu anderen erst beweisen musste;
  • eine weibliche Führungskraft im Vergleich zu anderen schwächer bewertet wurde.
Abbildung 6.8 zeigt die Ergebnisse in den Kategorien „beobachtet“, „selbst erlebt“, „weder noch“ und „anderes“, wobei Mehrfachnennungen möglich waren (vgl. Frage 16, x = 476; Frage 17, x = 478; Frage 18, x = 475).
Abbildung 6.8
Prozentuale Verteilung der Antworten zu der Ausprägung der Unterschätzung weiblicher Führungskräfte (vgl. Frage 16–18).
(Quelle: Eigene Darstellung)
Hier wird erneut deutlich, dass fast alle Teilnehmerinnen bestätigen, die Unterschätzung einer weiblichen Führungskraft in irgendeiner Form beobachtet zu haben: Etwa drei Viertel von ihnen geben an, erlebt zu haben, dass Frauen sich erst beweisen mussten; fast ebenso viele haben erlebt, dass ihnen weniger zugetraut wurde. Die schwächere Bewertung der Leistung weiblicher Führungskräfte wurde etwas seltener beobachtet, jedoch berichteten immer noch zwei Drittel der Befragten davon.
Die Zahlen belegen zudem erneut eine Differenz zwischen Beobachtung und eigenem Erleben. Die Tatsache, dass weniger Teilnehmerinnen eine derartige Bewertung persönlich erfahren haben, lässt sich unter anderem damit erklären, dass nicht alle von ihnen selbst eine Führungsposition innehaben. Unabhängig davon hat jedoch fast die Hälfte der Befragten (46 %) selbst erlebt, sich stärker beweisen zu müssen. Es ist denkbar, dass sich diese Kategorie auch auf die Erfahrungen vor dem Erreichen einer Führungsposition beziehen lässt und sie daher eine höhere Zustimmung unter der Gesamtzahl der Teilnehmerinnen findet. Wie Abbildung 6.8. Prozentuale Verteilung der Antworten zu der Ausprägung der Unterschätzung weiblicher Führungskräfte (vgl. Frage 16–18, Quelle: eigene Darstellung), ebenfalls zeigt, gaben die wenigsten an, diese Arten von Unterschätzung weder beobachtet noch selbst erlebt zu haben (9,2 %, 14,5 % und 23,8 %, „weder noch“).
Es ist also anzunehmen, dass weibliche Führungskräfte im Vergleich zu ihren männlichen Pendants größere Anstrengungen unternehmen müssen, um Vertrauen in ihre Führungsfähigkeiten zu gewinnen und diese anschließend zu beweisen. Dabei bleiben sie stets dem Risiko ausgesetzt, für eine ähnliche Leistung schwächer bewertet zu werden. Eine Folge davon könnte die in Abschnitt 4.2.4 Gender Pay Gap und Motherhood Wage Penalty unter Beraterinnen beschriebene mögliche Differenz in der Bezahlung zwischen Beraterinnen und Beratern sein.
Die Gründe dafür, warum Frauen allgemein und die betroffenen Teilnehmerinnen im Speziellen unterschätzt wurden, greifen die Fragen 12 und 14 auf. Die erste Frage enthält ein Freitextfeld und lautet: „Wenn Sie als Führungskraft unterschätzt wurden: Welche Gründe vermuten Sie?“ 82 Personen übersprangen diese Frage und 15 gaben an, sie nicht beantworten zu wollen. 164 Befragte erklärten, keine Führungskraft zu sein; 41, dass sie dieses Gefühl nie gehabt hätten. Die Mehrheit der Teilnehmerinnen (253 Personen) beantwortete die Frage, indem sie das Freitextfeld ausfüllten (vgl. Frage 12, x = 473). Diese mehr als 250 Antworten wurden zur Auswertung einer Inhaltsanalyse unterzogen, wofür sie thematisch sortiert und entsprechend der Grounded Theory gruppiert wurden (vgl. Glaser, Strauss 1998). Dabei entstanden die Gruppen erst durch den Zuordnungsprozess, sodass eine bestmögliche inhaltliche Zusammenfassung der einzelnen Zitate realisiert wurde. Die Gruppen mit den zugeordneten Originalzitaten können in Tabelle 6.2. Gruppierte Antworten auf die Frage 12: „Wenn Sie als Führungskraft unterschätzt wurden: Welche Gründe vermuten Sie?“ (Quelle: eigene Darstellung) nachgelesen werden. Die Analyse findet sich im Anschluss daran.
Tabelle 6.2
Gruppierte Antworten auf die Frage 12: „Wenn Sie als Führungskraft unterschätzt wurden: Welche Gründe vermuten Sie?“. (Quelle: Eigene Darstellung)
Thematische Gruppe
Antworten
Biases hinsichtlich Kompetenz und Geschlecht, Alter oder Race
„Sexismus, Unconscious Bias, Misogynie“
„Im Vergleich zu männlichen Kollegen nochmal mehr Anspruch“
„Insbesondere attraktiven, jungen Frau traut man kein [sic!] Fachkenntnis zu.“
„Die Senior-Herren in meinem Team waren keine weibliche Führungskraft gewöhnt und mussten sich erst mal ‚rantasten‘“
„Vermeintlich zu jung“
„Junges Aussehen“
„Ich sehe sehr jung aus“
„Mein junges Alter“
„Alter, Geschlecht, freundliches Auftreten“
„Alter, weiblich,“
„Alter und Geschlecht“
„Frau, Mutter, Aussehen (klein, blond)“
„Ich habe ein neurodivergentes Profil und meine Art zu kommunizieren ist sehr offen, ehrlich und direkt. Meine Fragen auch.“
„Als Frau, die auch noch deutlich jünger ist, als sie aussieht, wurde ich oft in die ‚Püppchen‘-Ecke gestellt. Dies lässt sich erst revidieren, wenn einem die Chance gegeben wird, gehört zu werden.“
„Zusammenarbeit mit Männern, Rassismus“
„zu jung, zu hübsch, ausländischen Wurzel (deutsche insider-Kulturkreise Referenzen nicht immer gleich verstanden), hat ein Kind“
Herausforderungen aufgrund des Geschlechts
„Weil ich eine Frau bin“
„Typisch weiblich-assoziierte Eigenschaften: zu emotional, zu ‚weich‘, zu niedliches/junges aussehen, zu klein, …, zu nett, zu versöhnlich…“
„Als zu emotional, zu leidenschaftlich bewertet; zu jung“
„Als Frau nicht so belastbar wie Männer, weil Kind zu Hause, und ggf. weniger durchsetzungsstark als die männlichen Kollegen“
„Mutter sein“
„Teilzeit Mutter“
„Weil ich eine Frau und Mutter bin“
„Weil ich Frau und Mutter bin“
„Berufstätige Mutter zweier Kinder; Quereinsteigerin in die Branche“
„Als Frau im geburtsfähigen Alter“
„Arbeit in Teilzeit“
„Teilzeittätigkeit“
„weiblich unter Mitte 30“
„Weiblichkeit“
„Weiblich“
„Weiblich, jung“
„Als Frau, die auch noch deutlich jünger ist, als sie aussieht, wurde ich oft in die ‚Püppchen‘-Ecke gestellt. Dies lässt sich erst revidieren, wenn einem die Chance gegeben wird, gehört zu werden.“
„Weiblich, klein, blond und jung (mit 35 Jahren 15 Jahre Berufserfahrung)“
„Weiblich, International, Zierlich, Klein (Größe)“
„Aufgrund meines Alters, bzw weil ich recht jung aussehe für mein Alter.“
„Als junge Frau werde ich von älteren Managern manchmal unterschätzt“
„Frau Ende 20 mit kleinem Kind“
„Gebärfähiges“ Alter“
Male Gendered Organization und ihre Regeln
„Männer machen die Regeln, Frauen kennen sie manchmal nicht mal“
„Patriarchalische Strukturen und unsichere Männer“
„Männer ab 50 kennen es nicht, dass Frauen mit 30 führen“
„Zu wenig Repräsentation: ich wurde mit eigenen Töchtern, Assistentinnen verglichen, aber eher nicht mit männlichen Peers“
„Mein Co-Founder war 17 Jahre älter, grösser, breiter, lauter und männlich“
„Zu wenig prominent aufgetreten, keine Rampensau“
„Zu unsicher im Auftreten“
„Männerdomäne“
„Junge Führungskraft (Alter) mit wenig Führungserfahrung“
„Generationsunterschiede, Männerdominierter Bereich, jugendliches Aussehen, weibliche Kleidung“
„Nicht laut zu sein!“
„Zu wenig forsch im Auftritt, zu wenig Ellenbogen“
„Frauen wird weniger Durchsetzungskraft zugetraut“
„Frauen werden aufgrund ihres Geschlechts unterschätzt, Männer sind der Maßstab in der Beratung“
„Alter, Geschlecht, ggf. nicht der berufliche (technische) Hintergrund wie Vorgänger“
„Frau in IT“
„Frau sein in der Automobilbranche“
Habitus
„Ich dränge mich nicht in den Vordergrund, ich ‚schleime‘ mich nicht ein, ich prahle nicht mit meinen Erfolgen“
„Bin eher introvertiert und kann mich nicht so gut ‚verkaufen‘“
„zu freundlich, zu harmonisches Auftreten, zu weiblich; Fokus auf unterstützende Führung statt Top-Down“
„Kooperatives Auftreten, involvieren vieler bei Entscheidungen“
„Eher entspanntes Gemüt und auf das ‚Wir‘ bedacht, nicht so ‚streng‘“
„Nicht so laut und selbstdarstellend wie viele männliche Kollegen“
„Ich bin nicht sehr laut“
„Kein Alpha Verhalten in Meetings“
„Die bestehende Arbeitsumgebung und -kultur, die oft von männlichen Normen geprägt ist, kann Frauen dazu zwingen, sich anzupassen oder nicht angemessen geschätzt zu werden.“
Biases hinsichtlich Kompetenz und Geschlecht, Alter oder Race
Die Teilnehmerinnen geben an, als weibliche Führungskraft aufgrund verschiedener Biases unterschätzt worden zu sein. Neben dem weiblich gelesenen Geschlecht und den damit verbundenen Vorurteilen, werden auch das tatsächliche Alter oder ein vermeintlich junges Äußeres genannt. Auch Rassismus und Sexismus sowie der Nachteil durch ein attraktives Aussehen werden als Auslöser aufgezählt. Die damit zusammenhängenden Unconscious Biases (vgl. Abschnitt 2.2.2 Frauen in Führungspositionen und ihre Karrierewege) können also dazu führen, dass Frauen in ihrer Rolle als Führungskraft unterschätzt werden.
Herausforderungen aufgrund des Geschlechts
Weitere Antworten beziehen sich speziell auf die Herausforderungen als Frau im Beruf. Die Führungskräfte berichten, dass eine weiblich gelesene Optik, gegebenenfalls verbunden mit einem jungen Äußeren, hinderlich sein kann. Ebenso werden berufliche Teilzeit und Mutterschaft oder Gebärfähigkeit als Herausforderungen genannt. Eine mögliche Folge könnte sein, dass Beraterinnen dadurch als weniger geeignet eingeschätzt werden.
Male Gendered Organization und ihre Regeln
Die bestehende Arbeitsumgebung und -kultur sind oft von männlichen Normen geprägt (vgl. Abschnitt 6.3.2 Nachweis einer Male Gendered Organization in der Beratungsbranche). Nach Angaben der Teilnehmerinnen wird von Frauen erwartet, diese zu übernehmen. Diejenigen, die die Regeln nicht kennen oder nicht befolgen, können in ihrer Rolle als Führungskraft folglich unterschätzt werden.
Habitus
Die Beratungsbranche pflegt und belohnt männlich geprägte Verhaltensmuster und Kommunikationsstile, insbesondere in leitenden Rollen. Die Teilnehmerinnen geben an, dass es für sie zu Nachteilen führt, wenn sie ein für Führungskräfte untypisches Verhalten zeigen (vgl. Abschnitt 6.3.4 Männliches Berater-Ideal: Das Lack-of-Fit-Model) oder zu wenig selbstbewusst und durchsetzungsstark auftreten (vgl. Abschnitt 6.5.3 Erfolg durch selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten). Gesellschaftlich als weiblich konnotiertes Verhalten kann dazu führen, dass Frauen in Positionen mit Entscheidungsbefugnis unterschätzt oder nicht ernst genommen werden, was sie dazu zwingt, sich anzupassen.
Aus den Erfahrungen der befragten Frauen lassen sich zahlreiche Gründe ableiten, die dazu führen, dass 73 % derjenigen mit Führungserfahrung bereits regelmäßig oder zumindest selten unterschätzt wurden (vgl. Frage 11). Zusammen mit denjenigen, die dies zumindest einmalig erlebt haben, ergeben sich 83 %, die aufgrund von Biases, ihrem weiblichen Geschlecht oder der männlichen geprägten Beratungsbranche in ihrer Rolle als Führungskraft unterschätzt wurden.
Frage 14 schließt daran an und fragt, welche Gründe die Teilnehmerinnen dafür vermuten, dass weibliche Führungskräfte generell unterschätzt werden, unabhängig von ihrer eigenen Erfahrung. 228 Personen übersprangen diese Frage, mutmaßlich aufgrund der inhaltlichen Nähe zu Frage 12. Die Inhalte der 327 Antwortenden wurden nach demselben Vorgehen ausgewertet, wie es oben beschrieben wurde. Die Aussagen der Teilnehmerinnen spiegeln die zentralen Aspekte der vorangegangenen Ergebniskapitel wider, die Originalzitate finden sich unter Frage 14.
(Unconscious) Bias und Geschlechterstereotypen
  • Die Teilnehmerinnen berichten, dass Frauen stereotypisch weniger Kompetenz und Durchsetzungsvermögen zugeschrieben wird (vgl. u. a. Ergebnisse aus dem Abschnitt 6.2.1 Geschlechterstereotype als hinderliche Rahmenbedingung) und weibliche Führungskompetenzen als weniger wertvoll oder effektiv angesehen werden können (vgl. u. a. Ergebnisse aus den Abschnitten 6.3.3 Rolleninkongruenz weiblicher Führungskräfte: Die Role-Congruity-Theory und 6.3.4 Männliches Berater-Ideal: Das Lack-of-Fit-Model).
  • Den Aussagen zufolge werden Männer in Führungspositionen tendenziell bevorzugt und unterstützen eher ihresgleichen (vgl. u. a. Thomas-Kreislauf aus Abschnitt 6.3.2 Nachweis einer Male Gendered Organization in der Beratungsbranche).
  • Frauen werden dagegen oft mit familiären Verpflichtungen in Verbindung gebracht, was Zweifel an ihrer Verfügbarkeit und ihrem Engagement zur Folge haben kann (vgl. u. a. Ergebnisse aus Abschnitt 6.2.1 Geschlechterstereotype als hinderliche Rahmenbedingung).
Habitus
  • Laut den Ergebnissen des Fragebogens können weibliche Führungskräfte dazu tendieren, sich zurückhaltender zu präsentieren und weniger aggressiv oder dominant aufzutreten, was ihnen als Schwäche ausgelegt wird (vgl. Erfolgsfaktoren aus Abschnitt 6.5.3 Erfolg durch selbstbewusstes und durchsetzungsstarkes Auftreten).
  • Weniger Selbstmarketing und Zurückhaltung bei der Präsentation der eigenen Erfolge können die Sichtbarkeit und Akzeptanz von Frauen in Führungspositionen beeinträchtigen (vgl. Abschnitt 6.5.1 Allgemeine und geschlechtsunabhängige Erfolgsfaktoren).
Fehlende weibliche Vorbilder
  • Das Fehlen von weiblichen Vorbildern erschwert nach Aussage der Teilnehmerinnen Frauen den beruflichen Aufstieg und die Anerkennung (vgl. Ergebnisse aus Abschnitt 6.5.2 Netzwerke, Mentoring und Sponsoring als positive Einflüsse).
  • Die Zitate zeigen, dass weibliche Führungskräfte unter Umständen seltener passende Mentor:innen oder Sponsor:innen finden, was ihre Karrierechancen potenziell beeinträchtigt (vgl. Abschnitt 6.5.2 Netzwerke, Mentoring und Sponsoring als positive Einflüsse).
Die Ergebnisse der Fragen zur Wahrnehmung der Kompetenz weiblicher Führungskräfte zeigen, dass diese durch eine Vielzahl an Einflüssen verringert werden kann. Die Mehrheit der Befragten hat selbst erlebt oder beobachtet, dass ihnen weniger zugetraut wurde, sie sich stärker beweisen mussten und gegebenenfalls trotzdem schwächer bewertet wurden. Die Gründe hierfür reflektieren die in dieser Arbeit aufgezeigten Einflüsse auf Makro-, Meso- und Mikroebene, die die Karrierewege von Beraterinnen in Führungspositionen erschweren können.
Übergeordnet lässt sich feststellen, dass die Ergebnisse der quantitativen Erhebung die Befunde aus den Interviews validieren und zwei potenziell positive sowie zwei potenziell negative Einflüsse auf die Karrierewege von Frauen in höheren Führungspositionen in der Beratung belegen:
  • Der Einfluss von monoedukativen Bildungseinrichtungen auf den späteren Karriereweg von weiblichen Führungskräften hinsichtlich eines positiven Zusammenhangs bedarf weiterer Untersuchung, zeigt sich in dieser Arbeit aber als potenziell relevant;
  • Sponsoring konnte als wichtiger Erfolgsfaktor identifiziert werden, wobei sich eine Differenz zeigte zwischen etwas über 50 % der Teilnehmerinnen, die dies für die eigene Karriere als relevant bezeichnen und 78 %, die es generell für relevant halten;
  • Die Aufbereitung des Äußeren ist für 74 % der Befragten ein regelmäßiger zusätzlicher mentaler Aufwand; für 66 % auch in Form eines Aufwands durch Schönheitshandeln, der Kapazitäten für karriererelevante Tätigkeiten reduziert;
  • Die Kompetenz weiblicher Führungskräfte wird häufiger in Frage gestellt (beobachtet: 75 %) als die männlicher (beobachtet: 28 %). Die Zweifel umfassen, dass Frauen weniger zugetraut wird, sie sich erst beweisen müssen und im Vergleich mit anderen schwächer bewertet werden. Dies haben bis zu 63 % der Teilnehmerinnen schon selbst erlebt und 75 % beobachtet.
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Fußnoten
1
Aufgrund der Nachvollziehbarkeit der Identität anhand persönlicher Angaben werden Details, wo nicht für das grundsätzliche Verständnis notwendig, verfremdet.
 
2
KPIs sind die Abkürzung für „Key Performance Indicators“ und unter anderem in der Beratungsbranche verbreitet. Sie beschreiben die Kennzahlen, die den Erfolg einer Organisation definieren und damit förderlich für die Karriereentwicklung von Berater:innen sind.
 
3
Das Leistungsprinzip beruht auf der Annahme, dass sich Erfolg nach der Leistung richten sollte und diese ein objektiv messbarer Faktor sei.
 
4
Managing Gender beschreibt die Anforderungen an den Umgang mit dem eigenen Geschlecht und Strategien, wie beispielsweise Undoing Gender, Doing Masculinity oder Doing Femininity, die dafür herangezogen werden (vgl. u. a. Dornheim 2015, S. 168).
 
5
Mehr dazu wurde in Abschnitt 3.2.4 Einflüsse auf individueller und zwischenmenschlicher Ebene beschrieben.
 
6
Zahlen zu reinen Mädchenklassen werden nicht erhoben. Es ist davon auszugehen, dass sie häufiger vorkommen als Mädchenschulen und mindestens teilweise die gleichen Effekte einer monoedukativen Lernumgebung erzeugen. Einzelne, nicht-wissenschaftliche Berichte kommen in Tageszeitungen vor (vgl. Hauschild 2015 im Spektrum, Teutsch 2006 im Tagesspiegel).
 
7
Im Fragebogen wird die Formulierung „weiblich gelesen“ statt „weibliche“ oder „Beraterin“ verwendet, um sicherzustellen, dass auch diejenigen Menschen berücksichtigt werden, die sich unter Umständen nicht als Cis-Frau definieren, aber von anderen so eingeordnet werden.
 
Metadaten
Titel
Ergebnisse der empirischen Datenerhebung
verfasst von
Kim Dede
Copyright-Jahr
2025
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-47890-2_6