Hinsichtlich des Essens und Trinkens verfügt der Mensch über eine hohe alltagskulturelle Kompetenz, die seinem Ess- und Trinkverhalten trotz genereller Heterogenität und Reflexivität eine situative Plausibilität verleiht. Den Ausgangspunkt der Überlegungen des Beitrags bildet die Ernährung selbst. Diese gilt der kulturwissenschaftlichen Nahrungsforschung ganz grundsätzlich als „soziales Totalphänomen“, insofern sie weit über den rein physiologischen Prozess der Nahrungsaufnahme und -verwertung hinaus wesentliche Aspekte gesellschaftlichen Zusammenlebens spiegelt. Sie ist also Teil dessen, was Clifford Geertz als kulturelles Bedeutungsgewebe verbildlicht hat: eines Gewebes, das der Mensch zwar selbst erschafft, in welches er sich aber stets auch verstrickt. Es präsentiert sich als „Menschenwerk“ und ist doch nur bedingt individuell beherrschbar. Es bietet Handlungsspielräume, verdichtet sich aber auch zu einem Gewirr von Fäden, welches unser Denken und Handeln begrenzt, unwahrscheinlich oder gar unmöglich machen kann. Was also tatsächlich gegessen wird, was hingegen konsumiert werden sollte und wie resultierend aus diesem Spannungsfeld Positionen einer sinnvollen Ernährungsethik zu etablieren sowie darauf ausgerichtete Handlungsempfehlungen an unterschiedlichste Akteure zu formulieren sind, dies alles ist abhängig von der Art und Weise individuellen wie kollektiven Navigierens durch das selbstgesponnene Bedeutungsgewebe der Kultur. Ganz offensichtlich nimmt unser „Wissen“ in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle ein – und steht somit auch im Fokus dieses primär wissensanthropologisch orientierten Beitrags.
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Mangelt es, wie dem Jurastudenten Karl Victor von Hase, auf dessen gerichtliche Falschaussage von 1854 diese Redensart zurückgehen soll (Gutknecht 2008, S. 14), dem Verbraucher tatsächlich an Wissen oder aber am Willen, sich dem eigenen Wissen moralisch, politisch und vielleicht auch juristisch verantwortlich zu zeigen?
Der vorliegende Beitrag nutzt grundlegende (wissens-)theoretische Überlegungen meiner an der Universität Regensburg angesiedelten Doktorarbeit: „Die Not der Anderen?“ Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf Fairen Handel und globale Armut (Stand August 2013).
Vgl. ähnliche Befunde in den Ausführungen zur Normalität im Ess- bzw. Trinkalltag bei Heimerdinger 2008, S. 50 u. a. Quantitative ernährungsbezogene Umfragen erscheinen so grundsätzlich problematisch.
Der Begriff „Suchbewegungen“ ist den Feldern und Gegenständen, vor allem aber den darin stets zentralen Akteuren einer empirischen Kulturwissenschaft besonders adäquat, insofern er die individuellen Bemühungen um Orientierung und Verhaltenssicherheit im Alltag veranschaulicht.
Dieser Befund spiegelt sowohl die zentrale Position der Disziplin Kulturanthropologie/Volkskunde (Moser 2008) als auch die des deskriptiven Relativismus, welcher globale Lebenswirklichkeiten als derart different ansieht, dass daraus zwingend abweichende Moralvorstellungen erwachsen müssten. Im normativen Relativismus begründet hingegen die jeweilige umgebende Gesellschaft moralische Gültigkeit. Es wird als problematisch erachtet, dass sich in politischer Dimension mittels ethischem Relativismus beispielsweise die universelle Gültigkeit der Menschenrechte – etwa das Recht auf Nahrung (UN-Sozialpakt) – anzweifeln ließe. Hierzu exemplarisch Herskovits 1976; Ernst 2009.
Im Zentrum der Kritik stehen implizit soziale Ungleichheit und asymmetrische Machtgefüge, die am Beispiel westlicher Konsumgewohnheiten, globaler Handelsströme und konkreter EU-Subventionierung explizit gemacht werden.
Abseits der „(Welt-)Risikogesellschaft“ skizzieren unter dem Begriff der „Zweiten Moderne“ verschiedene Theoretiker ähnliche Problemstellungen. Vgl. exemplarisch Bauman 1992; Giddens 1996.
Hier ist ein Machtbegriff in der Tradition einer Diskurstheorie Foucaults zugrundezulegen. „Diese Macht ist nicht so sehr etwas, was man besitzt, sondern vielmehr etwas, was sich entfaltet; nicht so sehr das erworbene oder bewahrte ‚Privileg‘ der herrschenden Klasse, sondern vielmehr die Gesamtwirkung ihrer strategischen Positionen“ (Foucault 1976, S. 38).
Die Konzeption des hier vorgestellten Wissensbegriffs basiert insbesondere auf Impulsen folgender Arbeiten: Foucault 1973; Barth 2002; Knoblauch 2005; Koch 2006; Breidbach 2008; AutorInnenkollektiv 2010.
Differenzierungen in Anlehnung an modellhafte Wissenspyramiden, die beispielsweise in Psychologie, Informatik und praxisorientierten Wirtschaftswissenschaften Anwendung finden, aber mitunter auch in den Geschichtswissenschaften adaptiert wurden. Dazu: Aamodt und Nygård 1995, S. 196 ff.; Breidbach 2008, S. 12/25 ff.
Unter teilstrukturierten Informationen sind beispielsweise Stereotype, Glauben, Moral, Normen und Werte, aber auch Erfahrungen und Erinnerungen sowie Einstellungen und Meinungen zu verstehen. Sie liegen individuell, kollektiv sowie im übergeordneten Kontext von Gesellschaften bzw. Kulturen vor.
Forschungsprojekte können hier von der Actor-Network-Theory profitieren, welche strikt situativ auf soziale und materielle Handlungseinflüsse ausgerichtet ist. Hierzu exemplarisch Latour 2005; Belliger und Krieger 2006.
Hier erscheinen weitere theoretische Importe der Diskurs- und Wissenstheorie sinnvoll, insbesondere zu Spezial-, Inter- und Alltagsdiskursen bzw. zu Experten- und Alltagswissen. Vgl. insbesondere Luckmann 1969, S. 100; Foucault 1973, S. 224 f.; Soeffner 1983, S. 17; Pêcheux 1984, S. 93 ff.; Hitzler et al. 1994; Keller 2005 S. 86 ff., 261 f.; Link 2005, S. 86 f., 90; Tänzler et al. 2006b; Wandschmidt et al. 2007, S. 5, 9 f., 12 ff., 16; Heimerdinger 2008, S. 52.
Hier erscheinen weitere theoretische Importe zur Diskurs- und Dispositivanalyse, zu Machtfragen, zur Governance-, Regime- und Policyforschung sinnvoll. Vgl. insbesondere Foucault 1978; Hartmann 1991; Shore und Wright 1997; Foucault 2000; Lemke 2001; Seier 2001; Hess und Kasparek 2010; Shore und Wright 2011; Eggmann 2013; Schwertl 2013.