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15.03.2018 | Erneuerbare Energien | Schwerpunkt | Online-Artikel

100 % Ökostrom - Was Deutschland von Costa Rica lernen kann

verfasst von: Conrad Schiffmann

4:30 Min. Lesedauer

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​​​​​​​Costa Rica deckt den Strombedarf nahezu aus Erneuerbaren Energiequellen. Wie hat das kleine Schwellenland das geschafft und was kann Deutschland davon lernen, damit die Klimaziele erreicht werden?

Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen ist es wieder deutlich geworden: Deutschland hinkt seinen Ansprüchen bei der Erfüllung seiner Klimaziele weit hinterher. Vor allem das deutsche Flagship der Energiewende bereitet dabei Sorge. Am anderen Ende des großen Teichs schaffte es Costa Rica seinen Strombedarf 2017 das dritte Jahr in Folge fast vollständig aus alternativen Energiequellen zu gewinnen. 

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2017 | OriginalPaper | Buchkapitel

Costa Rica

Das Land zählt zu den stabilen Demokratien Süd- und Mittelamerikas. Die Amts- und Mandatszeiten für Präsident und Parlamentarier sind so strikt begrenzt wie nirgendwo sonst in der Region. 


Ist von Costa Rica die Rede, denken viele zuerst an eine Bananenrepublik, an Café oder Ananas. Bei einem näheren Blick überrascht das Land aber mit seiner politischen Struktur und ökonomischen Stabilität. Mit der Abschaffung des Militärs im Jahre 1948 beginnt seine Erfolgsgeschichte. Der frei gewordene Haushaltsetat wurde zugunsten des Gesundheits- und Bildungssystems umstrukturiert. Bis heute verfügt Costa Rica über ein ausgeprägtes soziales Sicherungs- und Gesundheitssystem. 

Die Abwesenheit des Militärs und die relative soziale Gleichheit ermöglichten eine stete Entwicklung, ohne die in Zentralamerika allgegenwärtigen Militärputsche und Bürgerkriege. Seit Mitte der 80er Jahre engagiert sich das Land im Umweltschutz und entwickelte sich dadurch zu einem Paradies des Ökotourismus. Dies war der Start einer gezielten Marktdiversifikation weg vom reinen Agrarexport, die mittlerweile um Dienstleistungs- und Technologiesektoren erweitert wurde. Somit ist ist die "Schweiz Zentralamerikas" trotz seiner geopolitisch schwierigen Nachbarschaft ein relativ fortschrittlicher Staat.

Nachhaltig wie kein anderes Land

Die Rolle eines Innovationsmotors spielte dabei auch der Energiesektor. Und von Beginn an lag der Fokus bei der Elektrizitätsgewinnung auf erneuerbaren Energiequellen. San José war 1884 eine der ersten elektrisch beleuchteten Hauptstädte der Welt. Die Laternen wurden versorgt von einem kleinen Wasserkraftwerk. Das an natürlichen Ressourcen reiche Land gewinnt seitdem einen Großteil seines Elektrizitätsbedarfes aus Wasserkraft. Heute produzieren etwa 20 Wasserkraftwerke verschiedener Größe ca. 70 Prozent des Elektrizitätsbedarfs. 

In den 90er Jahren wurde ein Ausbau und eine Diversifikation der erneuerbaren Energiequellen angegangen. Anlass war die deutlich wachsende Nachfrage. Der Stromverbrauch Costa Ricas versechsfachte sich zwischen 1990 und 2017. Der neue Anspruch einer nachhaltigen Wirtschaft war auch die Antwort auf die schwere Wirtschaftskrise der 80er Jahre. Zudem konnten Chancen und Risiken des Endes des kalten Krieges durch eine unabhängige Energiegewinnung ausreichend gewürdigt werden.

Spezial-Knowhow in Geothermie

Zu Beginn des Ausbauprozesses erschloss das an aktiven Vulkanen reiche Land geothermische Quellen. Heute besitzt Costa Rica das Know-how Geothermiekraftwerke von der Planung bis zur Realisierung eigenständig umzusetzen. Neben einem Anteil von knapp 15 Prozent am Elektrizitätsmix erschloss das Instituto Costarricense de Electricidad (ICE) dadurch neue Märkte. Es exportiert seine Expertise erfolgreich ins Ausland. Damit positioniert sich Costa Rica in der globalen Elite des Zukunftsmarktes Geothermie. 

Seit den 2000er Jahren wird vermehrt auf Windenergie gesetzt. Nach anfänglichen Forschungsprojekten verdoppelte Costa Rica seine äolische Energiegewinnung in den letzten zwei Jahren. Die natürlichen Begebenheiten des Landes ermöglichen eine konstante Energiegewinnung. Mittlerweile machen Windquellen 8 Prozent des costa-ricanischen Energiebedarfs aus – Tendenz steigend. Und das Entwicklungspotenzial alternativer Energien ist noch nicht ausgeschöpft. Solarenergie und Biomassekraftwerke stehen erst am Anfang politischer Initiativen des sonnenreichen Agrarlandes. Dadurch bereitet man sich auf die wachsende Nachfrage auch aus den Nachbarstaaten und auf Ausfälle in der Wasserkraftgewinnung durch klimabedingte Trockenperioden vor.

Fazit: Drei Meilensteine in der Entwicklung

Drei Punkte waren für diese beachtliche Entwicklung Costa Ricas entscheidend. Den Rahmen bildet erstens die politische Öffentlichkeit. Zivilgesellschaftliche Diskurse erreichen die politischen Entscheidungsträger und fördern den politischen Willen zur Umsetzung eines derart engagierten Projektes. Zweitens gaben internationale Impulse den Anstoß zu nachhaltigen Entwicklungsmodellen. Aus den Klimaverhandlungen resultierende Anreize erwirkten einen spürbaren Mehrwert nachhaltiger Entscheidungen. Diese lassen sich drittens im von staatlichen Unternehmen geprägten Energiesektor leicht integrieren. Das weit über die Grenzen Costa Ricas hinaus bekannte ICE verleiht den politischen Rahmenbedingungen viel Durchschlagskraft. Der Staat entwickelte so auch ein direktes Interesse an kostengünstig und unabhängig generierter Energie.

Das ursprünglich auf Agrarexport und Tourismus spezialisierte Land von der Größe Niedersachsens entwickelte sich zu einem regionalen Player der sauberen Energien. Aus deutscher Perspektive lohnt sich der Blick auf die costa-ricanische Erfolgsgeschichte. Natürlich lässt sich dieses Konzept nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen. Costa Rica ist reich an natürlichen Ressourcen, die der Energiegewinnung dienen. Zudem ist sein Strombedarf deutlich geringer, als der der Industrienation Deutschland. Trotzdem erlaubt Costa Rica als Best-Practice-Modell fünf Rückschlüsse auf die Machbarkeit und Potentiale der Energiewende auch in Deutschland zu ziehen.

  1. Ein Land ausschließlich mit alternativen Energiequellen zu versorgen ist grundsätzlich möglich. Wichtig sind dabei verschiedene Energiequellen, die bedarfsgerecht auf die volatile Nachfrage reagieren können.
  2. Der politische Wille entscheidet. Der Druck der Öffentlichkeit hat zu einer Umgestaltung der politischen Kultur geführt. Eine umweltschädliche Politik kann sich ein glaubwürdiger Politiker in Costa Rica nicht mehr erlauben.
  3. Elektrizitätswende heißt nicht Energiewende: Costa Ricas Elektrizitätsbilanz rechnet mit 99 Prozent Ökostrom, fossile Energieträger decken aber noch immer 70 Prozent des Gesamtenergiebedarfs. Mit dem aktuellen Gesetz zur Förderung der Elektromobilität wurden erste Lösungsansätze eingeführt.
  4. Energiewende allein ist kein Klimaschutz. Sauberer Strom ist nicht immer umweltfreundlicher Strom. Gerade die Wasserkraftwerke produzieren erhebliche Umweltschäden. Für einen effizienten Klimaschutz ist ein Gesamtkonzept nötig aus u.a. Umweltschutz, erneuerbarer Energiequelle und einer elektrifizierten Gesellschaft.
  5. Ein nachhaltiges Framework bei der nationalen Lösungsfindung fördert die Erschließung zukunftsorientierter Wachstumsmärkte für und durch die heimische Industrie.
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