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2019 | OriginalPaper | Buchkapitel

6. Etablierung einer neoliberalen Welt an der transatlantisch-europäischen Peripherie seit 1980. Das liberal-konservative Bündnis und sein Weg nach ‚Europa‘?

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Zusammenfassung

Mit den Maßnahmen des 24. Januar (1980) wurde ein umfangreiches Liberalisierungsprogramm im Sinne der Bretton Woods Institutionen vorgelegt, das unter Federführung von Turgut Özal formuliert worden war (siehe Abschn. 5.17). Allerdings hatte erst der Militärputsch des 12. Septembers 1980 die Möglichkeit geschaffen, die Maßnahmen des 24. Januar effektiv in Regierungshandeln umzusetzen. Während die Junta ihren Fokus auf die Befriedung der Gesellschaft qua Repression und De-politisierung legte (siehe Abschn. 5.17), überließ sie die Formulierung ihrer neuen Wirtschaftspolitik Turgut Özal, der bereits die Maßnahmen des 24. Januars (1980) federführend entwickelt hatte. Seine unter der Militärregierung etablierte Rolle konnte er nach dem Übergang zur Zivilregierung bruchlos fortsetzen.

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Fußnoten
1
Weitere ISI-Ökonomien stellten zum Beispiel Argentinien, Südafrika oder Mexiko dar. Auch Taiwan und Südkorea wurden zum Teil auf Grund ihrer zielgerichteten Industriepolitik zu den ISI-Ökonomien gerechnet – banden diese Politik aber in eine stärker pointierte Strategie der Exportförderung ein.
 
2
Zudem offenbart sich die Bedeutung hoher Löhne für die kapitalistische Expansion vornehmlich bei makroökonomischer Betrachtung, die ein gewisses Maß an Abstraktion bedarf, nicht aber zwingend aus einzelunternehmerischer Perspektive.
 
3
Primärdistribution: Verteilung des auf Mehrwertproduktion erzielten Einkommens zwischen den Klassen. Sekundärdistribution: Umverteilung des gegenüber dem Staat versteuerten Surplus Einkommens zwischen den Klassen, zum Beispiel durch Subventionen oder staatliche Investitionen – oder durch die Stellung innerhalb des Kreditsystems (vgl. Boratav, 1986, 127).
 
4
Das der Vorsitzende an dieser Stelle den Versuch des Aufschließens zur Position der europäischen Wettbewerber als Politik komplementär und nicht etwa konkurrierend zu den Interessen der Europäischen Unternehmen darstellte, war einerseits diplomatische Lyrik und reflektierte anderseits die Tatsache, dass die Türkei von den ostasiatischen Staaten ökonomisch abgehängt worden war. Die türkische Industrie hoffte also mithilfe von (de facto) europäischen Investitionen die Segmente des Weltmarktes zu erschließen, in denen die ostasiatischen Firmen erfolgreich Fuß gefasst hatten. Dies war im Sinne der Triaden-Konkurrenz durchaus komplementär zu den Strategien europäischer Konzerne, die ebenfalls die asiatischen Konzerne und nicht etwa die türkischen als Konkurrenz betrachteten. Tatsächlich sollte die Türkei ab den neunziger Jahren auch eine gewisse Rolle im Export von Automobilen spielen, die auf europäischer Technologie basierten. Allerdings sollte sich in Folge des Kollapses des Realsozialismus in Mittel- und Osteuropa zu einem bedeutenderen Assembling-Standort entwickeln.
 
5
Allein durch das neue Schema der Investitionsbeihilfen, dass 1984 (Entscheidung des Ministerrates No:84/8860) das alte – noch aus ISI-Zeiten stammende – ersetzte, wurden die staatlichen Subventionen erheblich ausgeweitet. So erreichten allein die Investitionsboni im Zeitraum von 1983-1987 fast 38 Mrd. US$, was einen Anteil von 16,7 % am Bruttonationalprodukt darstellte (vgl. Karatepe, 2012, 46).
 
6
So hatte die türkische Regierung bereits 1985 während ihrer Verhandlungen mit den USA über eine Verlängerung des Defense and Economic Agreement (DECA) von 1981 keine Verbesserungen ihrer Exportbedingungen zum US-amerikanischen Markt heraushandeln können. Auch dies bedeutete einen Verlust an handelspolitischen Optionen (vgl. Kramer, 1988, 122).
 
7
Während die Assoziation der Türkei mit der EWG/EG in Folge des Militärputsches de facto eingefroren worden war, hatte der Disput über türkische Textilexporte das einzige Feld gebildet, auf welchem die Akteure die Assoziation aufrechterhalten hatten. Auf Grund ihrer Politik der Exportförderung und wegen der schrittweise in Kraft tretenden Liberalisierungen des Textilhandels mit der EG, hatte die Türkei seit Anfang der achtziger Jahre ihre Exporte dorthin erheblich steigern können. Obwohl diese Liberalisierungen auf den Bestimmungen des Zusatzprotokolls von 1970 (zum Ankara-Abkommen von 1963 über die Assoziierung der Türkei mit EWG) basierten, hatte die EG-Kommission Antidumping-Zölle verhängt, die jahrelange Konsultationen mit der Türkei nach sich zogen, an dessen Ende sich die Parteien auf ein System langsam wachsender Exportquoten verständigen konnten (vgl. Kramer, 1988, 112–120).
 
8
Die Türkei hatte das 1973 vereinbarte Ergänzungsprotokoll zur Assoziation erst 1980 ratifiziert. Auf Grund des Putsches am 12. September desselbigen Jahres war es jedoch nicht zur Übergabe der Ratifikationsurkunde durch die EG gekommen. Die EG hatte – bei formaler Betrachtung – über die Aushändigung der Ratifikationsurkunde entschieden, die schließlich am 17. Februar 1986 stattfand (vgl. Kramer, 1988, 126).
 
9
Unter anderem formulierte die EEA das Ziel der Schaffung einer Europäischen Union, die Vollendung des europäischen Binnenmarktes bis zum 31.12.1992, inklusive des „freien Verkehrs von Waren, Personen und Dienstleistungen“ (Binnenmarktprojekt), das Ziel der Konvergenz in der wirtschafts- und währungspolitischen Zusammenarbeit und die Strukturfonds neu zu konzipieren; des weiteren sah sie im Bereich der Binnenmarktpolitiken künftig Mehrheitsentscheidungen als Regel vor und stellte die Europäische Politische Zusammenarbeit auf eine vertragliche Basis (Einheitliche Europäische Akte, 1987).
 
10
Wie schon in der Debatte über die Wiederaufnahme der Assoziation formulierte (damals) die griechische Regierung als einzige offen eine grundsätzliche Ablehnung einer Mitgliedschaft der Türkei in der EG, wenngleich die anderen Regierungen auch kein Interesse an einem Beitritt in absehbarer Zeit hatten, aber grundsätzlich die Möglichkeit eines türkischen Beitritts nicht Frage stellten (vgl. Yılmaz, 2008, 5).
 
11
Die Formulierung „ungeachtet der Methoden“ war entfernt worden. Allerdings blieb die lange Aufzählung von Methoden (inklusive Verbalkommunikation) bestehen, womit der Artikel weiterhin seinen Charakter als Gummiparagraph bewahrte (vgl. Balkır, 1998, 57).
 
12
De jure trug die Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei – trotz der zwischenzeitlichen Namensänderungen von EWG zu EG (1965 Fusionsvertrag von EURATOM, EGKS und EWG) und zu EU (seit dem Vertrag von Maastricht 1992) – noch immer diesen, 1963 in den Vertragsdokumenten, vereinbarten Namen. Mit dem 31. Dezember 1995 trat dann die EU-Türkei-Zollunion an deren Stelle.
 
13
Der Topos vom „Erreichen des Niveaus kontemporärer Zivilisation“ stellte einen motivierenden Mythos der nachholenden kapitalistischen Entwicklung dar, der als solcher auf die Gründungszeit der Republik und ihre kulturellen und politischen Reformen zurückging, welche die übernommenen Superstrukturen des Osmanischen Reiches an die der europäischen Nationalstaaten angleichen sollten (siehe Kap. 3). Gleichwohl hatte sich auch der politische Islam als Zivilisationsprojekt verstanden, das auf rasches technisch-ökonomisches Aufschließen zu den kapitalistischen Zentren bedacht war – ein Rekurs auf das kulturell-religiöse Erbe des Osmanischen Reiches sollte dies erleichtern (siehe Abschn. 5.​12). Das Forcieren technischer sowie kapitalistischer Entwicklung und Durchrationalisierung der Gesellschaft hatte damit letztlich den kleinsten gemeinsamen Nenner hegemonialer Politik in der Türkei konstituiert. Die nicht säkulare Kodierung eines derartigen Verständnisses von Zivilisation – wie im Falle des politischen Islam – stellte daher weniger eine völlige Antithese zum kemalistischen Projekt dar, sondern vielmehr eine Variante des Zivilisationsprojektes.
 
14
Die Industrieunternehmen der türkischen Großkonglomerate produzierten weiterhin wesentlich auf Basis von Lizenzen aus den kapitalistischen Zentren. Mit dieser Form der indirekten Marktpräsenz gaben sich die europäischen Konzerne nicht zuletzt deshalb zufrieden, weil sie vorrangig auf die Erschließung der Märkte Osteuropas fokussiert waren.
 
15
Private Investitionen brachen um 7,6 % ein.
 
16
Diese Tendenz setzte sich auch mit Beginn der Neoliberalisierung fort: Im Schnitt flossen zwischen 1980 und 2002 mehr als 40 % aller Investitionsbeihilfen in die Marmara-Region um İstanbul herum (vgl. Karatepe, 2012, 49).
 
17
Die gewählten Regierungen, waren – wie der bisherige Argumentationsgang dieser Arbeit veranschaulicht – seit 1950 bis auf wenige und kurze Zwischenspiele durchweg konservativ bis rechtskonservativ dominiert gewesen. Derweil hatte sich insbesondere zwischen 1960 und 1980 die politische Linke die laizistisch-modernistische Erzählung, durch von ihnen forcierte Verschränkung mit einer redistributiven Agenda als gegenhegemonialen Diskurs zu eigenen gemacht (siehe Kap. 5). Trotz beträchtlicher Differenzen in der Frage der Zielsetzung und des Weges der Umsetzung ihrer redistributiven Agenda, waren diese Strömungen in der modernistisch-urbanistischen Kodierung ebendieser Agenda eng verwandt. Relevante Ausnahmen davon bildeten in der Linken vor allem maoistische Strömungen und die PKK, deren Entstehen nicht unwesentlich dieser Konfliktlinie geschuldet war.
 
18
Nach Keyder (1987, 174 f.) arbeiteten nur 27 % der 1,3 Mio. Industriebeschäftigten in Betrieben, die mehr als 50 Lohnarbeitende umfassten.
 
19
Sie stellten also Konflikte um die Verteilung jener Teile des Mehrwertes dar, die auf dem Wege der Besteuerung an den Staat abgeführt worden waren oder aber im Finanzsystem zirkulierten und nun in Gestalt von privaten Krediten, öffentlichen Ausgaben, staatlichen Investitionen oder Subventionen zwischen Klassen- und Klassenfraktionen verteilt wurden.
 
20
Denn der Ausbau der staatlichen İmam Hatip Schulen – mit kumuliert Millionen von Absolventen_innen – war schon seit den fünfziger Jahren von den konservativen Regierungen ohnehin deutlich über das Maß an benötigten Geistlichen hinaus forciert worden (vgl. Çağlar, 2003, 184).
 
21
Hoşgör (2011, 345) berichtet über mehr als 500.000 Firmen, die zwischen 1983 und 2000 gegründet wurden. Wenngleich sich darunter natürlich zahlreiche Klein- und Kleinstbetriebe fanden, so ist das Wachstum der 1990 gegründeten MÜSİAD, die primär die prosperierenden Segmente der ‚anatolischen Bourgeoisie‘ vertrat, aufschlussreich: Ausgehend von 5 Gründungsmitgliedern wuchs sie bis 1997 auf 2,700 Mitglieder, die 10,000 Firmen repräsentierten (vgl. ebd., 348).
 
22
Die sozialdemokratisch-kemalistische DSP sowie die ebenfalls sozialdemokratisch-kemalistische CHP hatten 14,64 beziehungsweise 10,70 % der abgegebenen Stimmen erhalten und damit ebenfalls das zum Einzug in das Parlament erforderliche Quorum von 10 % erreicht (vgl. Kalayçıoğlu, 2005, 126).
 
23
Beispielsweise musste die Türkei die Zölle der EU mit übernehmen, das allein stand bereits der Realisierung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes mit nicht EU-Staaten diametral entgegen – ganz zu schweigen von der tiefen rechtlichen Integration, die die Zollunion nicht nur in Bezug auf Handelsfragen darstellte (siehe Abschn. 6.4).
 
24
Aufgrund der 10 Prozenthürde war im fragmentierten türkischen Parteiensystem der neunziger Jahre die Bildung einer Alleinregierung schon bei Wahlergebnissen möglich, die nur geringfügig über 30 % lagen.
 
25
Vor diesem Hintergrund ließ die TÜSİAD keinerlei Zweifel hinsichtlich der von ihr präferierten Orientierung: “Turkey can not [sic.] accelerate its economic growth and acquire the competitive potential required for the 21st century through more intensive cooperation with countries that are more backward than herself, but by co-operating with more advanced nations. We should design our strategies not according to our present position, but according to the objectives we set for ourself. We should have, as our model, developed Western democracies.” (TÜSİAD: Türkiye’de Demokratıkleşme Perspektifleri, İstanbul 1997, zitiert nach Buğra, 1998, 527).
 
26
Sofern diese nicht (wie die Hak İşçi Sendikaları Konfederasyonu/Konföderation der Gerechten Arbeiter_innen Gewerkschaften) selbst integraler Teil der islamistischen Bewegung waren.
 
Metadaten
Titel
Etablierung einer neoliberalen Welt an der transatlantisch-europäischen Peripherie seit 1980. Das liberal-konservative Bündnis und sein Weg nach ‚Europa‘?
verfasst von
Axel Gehring
Copyright-Jahr
2019
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-24572-6_6