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2024 | Buch

Europäisches Strafrecht

verfasst von: Bernd Hecker

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Buchreihe : Springer-Lehrbuch

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Über dieses Buch

Die vorliegende Neuauflage liefert einen umfassenden Einblick in das aktuelle Themenspektrum des Europäischen Strafrechts. Der komplexe Rechtsstoff wird in Form eines Kanons „abfragbaren Wissens“ systematisch aufbereitet. Die Rolle der Akteure des Europäischen Strafrechts wird ebenso beleuchtet wie die rechtlichen Mechanismen, die eine Europäisierung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsordnungen bewirken. Breiten Raum widmet das Lehrbuch der EU-Gesetzgebung, die zu einer weitreichenden Harmonisierung des Straf- und Strafverfahrensrechts der EU-Mitgliedstaaten geführt hat. Weitere Schwerpunkte der Darstellung bilden die von Europol und Eurojust unterstützte polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit sowie die Rolle der Europäischen Staatsanwaltschaft, die als supranationale Strafverfolgungsinstitution Straftaten gegen den EU-Haushalt verfolgt. Ein eigenes Kapitel befasst sich mit der Ausformung des höchst praxisrelevanten transnationalen Doppelbestrafungsverbots. Als zentrales Thema ist schließlich der Schutz der Grund- und Menschenrechte im justiziellen Mehrebenensystem (EuGH – EGMR – BVerfG) hervorzuheben, der im europäisierten Strafverfahren von herausragender Bedeutung ist.

Zahlreiche Fallbeispiele erhöhen die Anschaulichkeit der Darstellung und erleichtern das Studium der klausurrelevanten Rechtsmaterie.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einführung

Frontmatter
1. Grundbegriffe und Grundfragen des Europäischen Strafrechts
Zusammenfassung
Die Strafrechtssysteme der EU-Mitgliedstaaten befinden sich in einem regelrechten „Europäisierungssog“. Europäisches Strafrecht lässt sich nicht als statischer Rechtszustand, sondern vielmehr als dynamisch ablaufender Prozess der Europäisierung des Strafrechts und der Strafrechtspflege begreifen. Dabei wird die Strafrechtsentwicklung von komplexen Europäisierungsmechanismen geprägt, die mit dem Phänomen der unionsrechtlichen Überlagerung des Straf- und Strafverfahrensrechts keineswegs abschließend beschrieben sind. Man denke nur an den Einfluss der Europaratskonventionen (insbesondere der EMRK) oder an die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit, an der auch Nicht-EU-Mitgliedstaaten (assoziierte Schengen-Vertragsstaaten) beteiligt sind.
Bernd Hecker
2. Strafrechtliche Spezialmaterien mit grenzüberschreitenden Bezügen
Zusammenfassung
Um strafrechtliche Spezialgebiete mit grenzüberschreitenden Bezügen handelt es sich beim internationalen Strafrecht, transnationalen Strafrecht und Völkerstrafrecht. Es geht hierbei um eigenständige Strafrechtsmaterien mit jeweils spezifischen Funktionen und Strukturprinzipien. Insbesondere das internationale und das transnationale Strafrecht werden in nicht unerheblichem Maße von Vorgaben des Unionsrechts beeinflusst. Insoweit können die betroffenen Regelungskomplexe zugleich dem Besitzstand des Europäischen Strafrechts zugerechnet werden. Das Völkerstrafrecht als supranationales Strafrecht mit weltweitem Geltungsanspruch könnte Vorbild für die Weiterentwicklung des Europäischen Strafrechts zu einem echten Europastrafrecht sein.
Bernd Hecker

Träger des Europäischen Strafrechts und ihre Handlungsformen

Frontmatter
3. Europarat
Zusammenfassung
Betrachtet man die Entwicklung des Europäischen Strafrechts im Spiegel internationaler Organisationen und Institutionen, so fällt der Blick zunächst auf den Europarat. Von ihm gehen schon seit Jahrzehnten die verschiedensten Initiativen in den Bereichen Strafrecht, Kriminalpolitik, Verfassungsrecht und Menschenrechtsschutz mit dem Ziel der Rechtsvereinheitlichung und der Förderung der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit aus. Von allen strafrechtsrelevanten Konventionen des Europarates hat die EMRK die nachhaltigste Wirkung auf die Strafrechtspflege der Konventionsstaaten entfaltet. Als gemeineuropäisches Grundgesetz gewährleistet sie einen bei jeder Strafverfolgung zu wahrenden Grundrechtsstandard. Durch die reichhaltige Spruchpraxis des EGMR werden die europäischen Grundfreiheiten nicht selten zu äußerst konkreten Gewährleistungen geformt und die Strafrechtssysteme der Konventionsstaaten „von außen her“ auf übernational gültige Maßstäbe der Fairness und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. Die Mitgliedstaaten des Europarates sind völkervertragsrechtlich verpflichtet, die Einhaltung aller in der EMRK verbrieften Rechte zu gewährleisten. In Deutschland wurde die EMRK durch das Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 07.08.1952 ratifiziert und gilt seit dem 03.09.1953 als Bundesgesetz.
Bernd Hecker
4. Europäische Union
Zusammenfassung
Vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon bildete das Gemeinschaftsrecht die erste Säule der EU. Daneben traten als zweite Säule die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP; ex-Art. 11–28 EUV) sowie als dritte Säule die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS; ex-Art. 29–42 EUV). Nach überkommener Verfassungslage war die ehemalige EU kein von den Mitgliedstaaten unabhängiges Rechtssubjekt, sondern ein Forum zur Bündelung der Willensbildung und -betätigung der Mitgliedstaaten und ein Dach für die rechtsfähigen Europäischen Gemeinschaften. Durch den am 01.12.2009 in Kraft getretenen Lissabonner Reformvertrag wurde die bisherige Drei-Säulen-Architektur der EU aufgelöst. An die Stelle der EG ist die EU („Union“) als deren Rechtsnachfolgerin getreten (Art. 1 III S. 3 EUV). Als internationale Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit (Art. 47 EUV) ist die Union Völkerrechtssubjekt und damit Trägerin eigener Rechte und Pflichten. Sie handelt durch eigene Organe (Rn. 2 ff.), die einen von den Mitgliedstaaten unabhängigen Willen bilden. Ihre Völkerrechtssubjektivität äußert sich namentlich in dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge mit Staaten oder anderen internationalen Organisationen. Im Hinblick darauf, dass die Mitgliedstaaten in bestimmten Bereichen Hoheitsrechte auf die Union übertragen haben und angesichts des hohen Grades verselbstständigter Willensbildung erscheint es korrekt, die EU nicht nur als internationale, sondern als supranationale (überstaatliche) Organisation zu charakterisieren. Die EU ist jedoch kein Staat oder auch nur ein staatsähnliches Gebilde. Das BVerfG beschreibt die EU mit dem neuartigen Begriff des Staatenverbunds, um die Eigenheiten des Unionssystems erfassen zu können, welches der EU eine zwischen einem Staatenbund und einem Bundesstaat anzusiedelnde Stellung zuweist.
Bernd Hecker
5. EU-Mitgliedstaaten im Netzwerk globaler, europäischer oder bilateraler Kooperation in Strafsachen
Zusammenfassung
Die EU-Mitgliedstaaten sind in ein komplexes Netzwerk weltweiter, europäischer und zwischenstaatlicher Kooperationssysteme eingebunden, die sich die internationale Zu-sammenarbeit in Straf-sachen zu einem Teil ihrer Aufgabengebiete gemacht haben. Diese Kooperationsformen können auf rein informeller politischer Zusammenarbeit der beteiligten Staaten beruhen, auf völker-rechtlich nicht ver-pflichtenden Zu-sammenschlüssen nationaler Behörden, aber auch auf völker-rechtlichen Abkommen, die zur Gründung inter-nationaler Organi-sationen geführt haben. Zu den Institutionen, die im Bereich der internationalen Kriminalitätsbekämpfung und Strafrechtspflege global tätig werden, gehören die Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation (Interpol), die Vereinten Nationen (UN), die Organisation für Wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) und die Gipfeltreffen der G7-Staaten. Auf europäischer Ebene ist die Strafrechtsentwicklung maßgeblich durch die Aktivitäten des Europa-rates geprägt worden. Daneben spielen auch die Nordische Passunion und die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) eine gewisse Rolle. Die intensivste Form internationaler Zu-sammenarbeit in Strafsachen findet unter dem Dach der Euro-päischen Union statt, nachdem deren ehemalige 3. Säule (PJZS) durch den Reformvertrag von Lissabon in den einheitlichen Rahmen des Unionsrechts überführt worden ist. Zum Netzwerk justi-zieller und polizeilicher Zusammenarbeit in Strafsachen gehören aber nicht zuletzt auch bilaterale Koope-rationsformen zwischen den EU-Mitgliedstaaten untereinander und mit Drittstaaten.
Bernd Hecker
6. Zusammenarbeit zwischen EuGH und nationaler Strafgerichtsbarkeit
Zusammenfassung
Die Judikatur des EuGH ist für die Entwicklung des Europäischen Strafrechts von herausragender Bedeutung. Strafrechtliche Relevanz kann grundsätzlich jeder Entscheidung des Gerichtshofes zukommen, unabhängig davon, in welcher Verfahrensart (Kap. 4 Rn. 23 ff.) sie getroffen wurde. Das Zusammenwirken von supranationaler und nationaler Gerichtsbarkeit lässt sich daher als institutioneller Faktor der Europäisierung des Strafrechts begreifen, der den materiell- und prozessrechtlichen Europäisierungsmechanismen (Teil III) nicht selten erst zur praktischen Durchsetzung und Wirksamkeit verhilft. Am intensivsten gestaltet sich das Kooperationsverhältnis zwischen dem EuGH und den mitgliedstaatlichen Strafgerichten im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV), denn dieses ist als Inzidentverfahren Teil des nationalen Strafverfahrens.
Bernd Hecker

Strafrechtsrelevante Europäisierungsmechanismen

Frontmatter
7. Assimilierungsprinzip
Zusammenfassung
Die Union besitzt – von dem Bereich der EU-Betrugsbekämpfung (Art. 325 IV AEUV) abgesehen (Kap. 4 Rn. 68 ff.) – keine originären Rechtsetzungsbefugnisse auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts (Kap. 4 Rn. 58). Insoweit ist sie nicht in der Lage, durch den Erlass supranationaler Strafgesetze selbst für den strafrechtlichen Schutz ihrer Rechtsgüter und Interessen zu sorgen. Folglich ist die Union darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten durch die Ausgestaltung und Anwendung ihres Kriminalstrafrechts dafür Sorge tragen, strafwürdige und strafbedürftige Angriffe auf Unionsinteressen wirksam zu bekämpfen. Die Einbeziehung unionsrechtlicher Schutzgüter in den Anwendungsbereich nationaler Straftatbestände (Assimilierung) ist indes keine Selbstverständlichkeit und nicht ohne weiteres gewährleistet. Denn eine solche Strafgesetzgebung deckt sich nicht notwendigerweise mit nationalen Interessen. Es kann z. B. gerade zur erklärten Politik eines Staates gehören, sich durch eine auf weitreichende und einschneidende Strafbestimmungen verzichtende Gesetzgebung als besonders wirtschaftsfreundlicher Standort zu empfehlen.
Bernd Hecker
8. Harmonisierung des materiellen Strafrechts
Zusammenfassung
Wenn von einer Harmonisierung des materiellen Strafrechts gesprochen wird, so ist damit die inhaltliche Angleichung der mitgliedstaatlichen Strafrechtsnormen auf der Tatbestands- und Rechtsfolgenseite auf der Grundlage unionsrechtlich definierter und verbindlicher Standards gemeint. Bereits in den 1990er-Jahren unternahm die Europäische Kommission zahlreiche Anläufe, den Mitgliedstaaten im Wege der Richtliniensetzung die Verpflichtung aufzuerlegen, nationale Strafbestimmungen zum flankierenden Schutz bestimmter Gemeinschaftspolitiken zu erlassen. Anweisungen dieser Art wirkten sich auf einen Gesetzgebungsbereich aus, der bis heute in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten fällt (Kap. 4 Rn. 58). Damit stellte sich die vielfach diskutierte Grundsatzfrage, ob der früheren EG eine sog. „Anweisungskompetenz“ auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts zustand und wie weit diese ggf. reichte. Vereinzelt wurde der EG eine strafrechtliche Anweisungsbefugnis vor allem unter Hinweis auf die nationale Souveränität im Bereich der Kriminalstrafgesetzgebung schlechthin abgesprochen. Es wurde die Gefahr beschworen, dass der demokratisch legitimierte nationale Gesetzgeber die auf europäischer Ebene getroffenen strafrechtlichen Zielbestimmungen nur noch exekutiere. Daran war richtig, dass die fehlende Rechtsetzungskompetenz der EG auf dem Gebiet des Kriminalstrafrechts nicht umgangen werden durfte, indem solche Harmonisierungsmaßnahmen zugelassen werden, die denselben Effekt wie die Setzung von Kriminalstrafrecht hätten.
Bernd Hecker
9. Vorrang des Unionsrechts
Zusammenfassung
Dem unmittelbar anwendbaren Unions-recht kommt gegenüber dem nationalen Recht kein Geltungsvorrang, sondern lediglich ein Anwendungsvorrang zu. Das mit Unionsrecht kollidierende nationale Recht ist also nicht etwa unwirksam, sondern darf lediglich im konkreten Fall nicht angewendet werden. Bei einer direkten Kollision zwischen Strafrecht und Unionsrecht bewirkt diese Vorrangregel eine Neutralisierung der betroffenen Sanktions-vorschrift. Die Neutrali-sierungswirkung schlägt sich strafrechts-dogmatisch in einem Tatbestandsausschluss nieder. Das BVerfG bestätigt den uneingeschränkten Vorrang des Unions-rechts gegenüber deutschem Gesetzes-recht, relativiert das Vorrangprinzip jedoch, wenn die Vereinbarkeit von sekundärem Unionsrecht mit nationalem Verf-assungsrecht in Frage steht. Beide Senate des BVerfG haben ihre Position inzwischen neu justiert, indem sie im Anwendungsbereich vollharmonisierter Rechtsbereiche grund-sätzlich nicht die deutschen Grundrechte, sondern die Unions- grundrechte als Prüfungsmaßstab heranziehen.
Bernd Hecker
10. Unionsrechtskonforme Auslegung
Zusammenfassung
Das Institut der unionsrechtskonformen Auslegung nationaler Rechtsnormen erweist sich nicht nur auf dem Gebiet des Strafrechts als bedeutsamer Europäisierungsmechanismus. Es sorgt für eine Anpassung der innerstaatlichen Rechtsanwendung an die normativen Vorgaben des Unionsrechts und sichert dessen Geltungsanspruch. Der unionsrechtskonformen Auslegung kommt schon deshalb eine besondere Bedeutung für die Rechtspraxis zu, weil sie es ermöglicht, auch nicht unmittelbar in allen Mitgliedstaaten anwendbaren supranationalen Rechtsakten, insbesondere RL, zu innerstaatlicher Beachtlichkeit zu verhelfen. Durch die Rezeption unionsrechtlicher Wertungsvorgaben lösen sich einzelstaatliche Normen nicht selten von dem Inhalt, der ihrer bisherigen, unter Umständen schon lange zurückreichenden nationalen Auslegungstradition entspricht. Dies mag mitunter – je nach rechtspolitischem Standpunkt – als erwünschter oder unerwünschter Eingriff in die nationale Rechtskultur empfunden werden. Auf der anderen Seite trägt das Institut aber auch zur Schonung der nationalen Rechtsordnung bei, wenn sich bereits durch eine den unionsrechtlichen Wertungen Rechnung tragende Rechtsinterpretation Kollisionen mit unmittelbar geltendem Unionsrecht und damit die Unanwendbarkeit innerstaatlicher Rechtsvorschriften vermeiden lassen.
Bernd Hecker
11. Europäisches Strafverfahrensrecht
Zusammenfassung
Der Vertrag von Lissabon bildet das unionsverfassungsrechtliche Fundament für die Fortentwicklung der JZS zu einem Europäischen Strafverfahrensrecht. Er schreibt in Art. 82 I AEUV die gegenseitige Anerkennung justizieller Entscheidungen als grundlegendes Strukturprinzip primärrechtlich fest und überträgt der Union in Art. 82 II AEUV die Befugnis zur Angleichung des nationalen Strafverfahrensrechts durch Richtlinien, die das gesamte innerstaatliche Strafverfahren vom Ermittlungs-, über das Haupt- und Rechtsmittelverfahren bis zum Vollstreckungsverfahren erfassen. Im Bereich der JZS bezieht sich die gegenseitige Anerkennung auf die justizielle Entscheidung eines Mitgliedstaats („Entscheidungsmitgliedstaat“), die von der zuständigen Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaats („Vollstreckungsmitgliedstaat“) grundsätzlich als gültig anerkannt und wie ihre eigene vollstreckt wird. Als prominente Rechtsakte, die das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung sekundärrechtlich ausformen, sind der Europäische Haftbefehl und die Europäische Ermittlungsanordnung hervorzuheben.
Bernd Hecker
12. Transnationales Doppelbestrafungsverbot
Zusammenfassung
Das in Art. 54 SDÜ verankerte trans-nationale Doppelbe-strafungsverbot (ne bis in idem) erstreckt die Erledigungswirkung der in einem Erstver-folgerstaat getroffenen „rechtskräftigen Aburteilung“ einer Tat auf alle Vertragsparteien – derzeit insgesamt 31 europäische Staaten (27 EU-Mitgliedstaaten sowie Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein als assoziierte Staaten). Erfasst sind neben den von einem Gericht nach Durchführung einer Hauptverhandlung in Urteilsform gefällten Verurteilungen und Freisprüchen auch sonstige Verfahrens-abschlüsse, die nach dem Recht des Aburteilungsstaates materielle Rechtskraft entfalten. Nach dem vom EuGH entwickelten europarechtlichen Tatbegriff ist das einzig maßgebende Kriterium für die Anwendung des Art. 54 SDÜ die Identität der materiellen Tat, verstanden als das Vorhandensein eines Komplexes unlösbar miteinander verbun-dener Tatsachen, unabhängig von der rechtlichen Qualifi-zierung dieser Tat-sachen oder von dem rechtlich geschützten Interesse („idem factum“). Art. 54 SDÜ knüpft die trans-nationale Erledigungs-wirkung im Fall einer Verurteilung an das Er- fordernis, dass die Sanktion bereits voll-streckt worden ist, gerade vollstreckt wird 1399 oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.
Bernd Hecker

Strafrechtlicher Schutz der EU-Finanzinteressen

Frontmatter
13. Strafrechtlicher Schutz der EU-Finanzinteressen
Zusammenfassung
Der EU-Finanzhaushalt bildet eine attraktive Zielscheibe für eine facettenreiche Vielzahl betrügerischer Praktiken, welche letztlich darauf abzielen, das Finanzaufkommen der Union zu schmälern. Dabei sind auf der Einnahmenseite insbesondere die Zölle und Mehrwertsteuereinnahmen, auf der Ausgabenseite vor allem die Aufwendungen für die Agrar- und Strukturpolitik (Subventionen, Erstattungen) betroffen. Die zum Nachteil des EU-Finanzhaushalts begangenen Betrugs-, Steuer und Zolldelikte stellen typische Erscheinungsformen der – auch organisierten – Wirtschaftskriminalität dar. Der Schutz der EU-Finanzinteressen steht daher seit Jahrzehnten im Zentrum der strafrechtsrelevanten Aktivitäten auf Unionsebene. Am 5.7.2017 wurde die RL (EU) 2017/1371 des EP und des Rates über die strafrechtliche Bekämpfung von gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtetem Betrug (PIF-RL) verabschiedet, die am 17.8.2017 in Kraft trat. Die PIF-RL legt Mindestvorschriften für die Definition von Straftatbeständen und Strafen zur Bekämpfung von Betrug und sonstigen gegen die finanziellen Interessen der EU gerichteten rechtswidrigen Handlungen fest, die zu Lasten der Einnahmen- und Ausgabenseite und der Vermögenswerte des Gesamthaushalts sowie des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems begangen werden. Sie steht in einem engen funktionalen Zusammenhang mit der Errichtung der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA), die neben den Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten – für die Verfolgung der „PIF-Delikte“ zuständig ist.
Bernd Hecker
Backmatter
Metadaten
Titel
Europäisches Strafrecht
verfasst von
Bernd Hecker
Copyright-Jahr
2024
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-69492-3
Print ISBN
978-3-662-69491-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-69492-3

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