Gute Customer Experience ist auch in der Corona-Krise ein Wettbewerbsvorteil. Was CX-Champions besser machen und wie sie durch eine positive Kundenerfahrung mehr Wachstum erzielen, erläutert Experte Ulrich Hoffmann im Interview mit Springer Professional.
Deutschland hat den Ruf der Servicewüste noch immer nicht richtig ablegen können. Was ist an diesem Ruf aktuell noch dran?
Seit Hermann Simon vor 25 Jahren den Begriff Servicewüste prägte, hat sich viel getan: Zu den klassischen Servicekanälen, wie Telefon, Kontaktformular oder E-Mail, sind immer mehr hinzugekommen: vom Help Center über Social Media bis hin zu Support via Whatsapp ist heute alles möglich. Jedes Unternehmen muss definieren, welche Omnichannel-Strategie die richtige für seinen Business Case ist. Unsere Studie mit dem Marktanalyse-Unternehmen Enterprise Strategy Group (ESG) Research ergab jedoch, dass derzeit nur acht Prozent aller deutschen Unternehmen den höchsten Reifegrad in Sachen Kundenerlebnis haben.
Es gibt zwar gute Ansätze für den Kundenservice, aber das ganzheitliche Kundenerlebnis, die Customer Experience, steht für einige noch nicht im Fokus. Unternehmen müssen ihr volles Potenzial noch ausschöpfen und die Vorteile einer höheren Kundenbindung, Kundenzufriedenheit sowie einer effizienteren Kundenakquise erkennen. Die Marktforschung von ESG stellte auch einen direkten Zusammenhang zwischen einem hohen CX-Reifegrad und mehr Geschäftserfolg fest, vor allem in Bereichen wie Marktanteil, steigenden Kundenausgaben und Management-Unterstützung von Customer Experience-Teams.
Wie können Unternehmen in der Corona-Krise mit Customer Experience punkten?
Unsere Auswertung der Pandemie-Auswirkungen auf den Support zeigt, dass das Anfragevolumen bei Unternehmen volatiler und größer ist als je zuvor. Allein in Europa liegt es 16 Prozent höher als vor der Pandemie. Die Herausforderung: auf diese Entwicklung reagieren und gleichzeitig das Service-Level auf einem hohen Niveau halten. Dies gelingt mit der Einführung eines Help Centers. So lassen sich wiederkehrende Fragen wie etwa zu Lieferkosten oder Stornobedingungen abfangen.
Zudem wollen die Kunden entscheiden, wie sie angesprochen werden - und das ist zunehmend über Messaging. Allein zwischen Februar und Oktober 2020 ist die Zahl der Anfragen über Kanäle wie Whatsapp, Facebook Messenger, Direktnachrichten auf Twitter oder SMS um fast 50 Prozent gestiegen. Marken müssen den Service, die sie sonst persönlich bieten, online reproduzieren. Dabei können virtuelle Tools wie Videoberatungen oder auch der Austausch von Bildern über Messaging-Plattformen hilfreich sein.
Wie schätzen Führungskräfte den Einfluss von Customer Experience auf den Geschäftserfolg ein?
In der ESG-Studie haben wir den Zusammenhang zwischen einem hochwertigen Kundenerlebnis und dem Geschäftserfolg untersucht. Ein Ergebnis war, dass die CX-Champions größere Investitionen und mehr Unterstützung vom Management erhielten als andere Unternehmen. Führungskräfte bei den Champions der Mittelstands- und Großunternehmen sehen mit drei, vier-mal höherer Wahrscheinlichkeit den Kundenservice als Differenzierungsmerkmal an als bei den CX-Starters. Es bleibt zu hoffen, dass die Wahrnehmung dieser Beziehung den Unternehmen hilft, von denen zu lernen, die auf der CX-Reifegradskala vorne liegen.
In wirtschaftlich angespannten Zeiten werden Investitionen heruntergefahren. Ist das beim Thema Kundenerfahrung eine gute Idee?
Es ist verständlich. Unsere Untersuchung mit ESG ergab jedoch einen Zusammenhang zwischen CX-Spitzenleistungen und Unternehmenswachstum. Unternehmen auf Champions-Niveau verzeichnen nicht nur bessere Ergebnisse bei traditionellen Servicekennzahlen, wie Zeit bis zur Problemlösung und Kundenzufriedenheit, sondern können auch eine Verbesserung der Geschäftsergebnisse feststellen, etwa bei den Ausgaben und der Kundenloyalität. So ist bei den CX-Champions die Wahrscheinlichkeit, ihren Marktanteil zu steigern, drei, vier-mal höher als bei den Starters, die Ausgaben pro Kunde zu erhöhen, ist sogar 7,3-mal so hoch. Die Investition in ein gutes Kundenerlebnis zahlt sich also aus.
Trotz dieser ungewissen Zeit sehen wir, dass die Champions weiter in die Verbesserung ihrer Kundenerfahrung investieren. Für die nächsten zwölf Monate rechnen die Champions 14,3-mal häufiger als die Starters damit, ihre Investitionen in Tools und Technologien zu erhöhen. Für die Starters stellt dies eine Herausforderung dar: Sie müssen nicht nur versuchen, zu den Champions aufzuschließen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Sie riskieren auch, weiter zurück zu fallen, wenn sie ihre Investitionen im verschärften Wettbewerb zurückschrauben.
An welchen CX-Champions sollten sich Unternehmen im Sinne von Best Practice-Beispielen orientieren und warum?
Ein gutes Beispiel dafür, wie Unternehmen trotz schwieriger Zeiten ein exzellentes Kundenerlebnis bieten können, ist der HR-Software-Anbieter Personio. Als die erste Pandemiewelle bei kam, half das Support-Team von Personio seinen Kunden, ihre HR-Prozesse schnell anzupassen, Kurzarbeit einzuführen und alle unmittelbaren Fragen zu beantworten. So konnten Unternehmen dafür sorgen, dass sich ihre Mitarbeiter sicher und gut informiert fühlten. Gleichzeitig blieb die Kundenzufriedenheit von Personio trotz des massiven Anstiegs der Anfragen gleich. Der Grund dafür: Personio hatte ein Help Center für seine Kunden eingerichtet, die dieses Self-Service-Angebot nutzen konnten, um sich selbst zu informieren oder sich bei Bedarf direkt an das Personio-Supportteam zu wenden.