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28.04.2017 | Fahrerassistenz | Nachricht | Online-Artikel

Fahrerassistenz am Wendepunkt

verfasst von: Markus Schöttle

4:30 Min. Lesedauer

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Die langfristigen Ziele und der Nutzen automatischer Fahrfunktionen stehen zwar nicht infrage, aber bei den ersten Markteinführungen gilt es nun, genauer hinzuschauen, wie auf der ATZ-Fahrerassistenztagung in Frankfurt.

Die Automobilhersteller rüsten sich für das neue Zeitalter des Autofahrens, vielmehr des in definierten Fahrsituationen freigeschalteten "Gefahren-werdens". Heute muss der Fahrer die hilfreichen Assistenzfunktionen wie den Spurhalte- und Spurwechselassistenten noch lückenlos und ohne jegliche Ablenkung überwachen. In feineren und sehr erklärungswürdigen Abstufungen sollen bereits ab Ende dieses Jahres erste Ablenkungen des Fahrers erlaubt sein. Aufklärung und Orientierung für die Automobil- und Versicherungsbranche gab die 3. Internationale ATZ-Tagung "Fahrerassistenzsysteme – von der Assistenz zum Automatisierten Fahren" in Frankfurt am Main.

Verkrustete Strukturen aufbrechen

"Wir stehen an einem Wendepunkt", verdeutlichte Dr. Thomas Müller in seiner Eröffnungsrede. Der neue Audi-Elektronikchef fokussierte in seinen Ausführungen die technischen Herausforderungen, die aber nur durch weitreichende Entscheidungen im Management und im Umbau der automobilen Prozesskette gemeistert werden können. Verkrustete Strukturen gilt es nun aufzubrechen. "Jetzt müssen wir die vieldiskutierte Trennung von Hardware und Software endlich umsetzen",  betonte Müller. Das gelinge nur mit komplett neuen, sogenannten End-to-End-Bordnetzarchitekturen, die es dann erst ermöglichen, Funktionen skalierbar, sowie über die Cloud Up-date- und "Re-use“-fähig zu machen. "Zu meiner Überraschung haben das einige Zulieferer noch nicht verstanden", berichtet der seit Dezember 2016 von Volvo gewechselte Elektronik-Chef. Zu einigen wichtigen etablierten Zulieferern könnten durchaus neue Player aus den Start-up-Szenen hinzustoßen. Die Karten werden neu gemischt, berichten auch andere Tagungsteilnehmer in Frankfurt. Security- und Bigdata-Know-how seien dabei zwei der weiteren wichtigen Themen, eigentlich die wichtigsten neuen Disziplinen, die das Deep Learning und die künstliche Intelligenz mit einschließen. "Wir müssen unsere Ziele jetzt in der realen Welt umsetzen", appelliert Müller. "Da sind wir noch nicht."

Von akademischer Brillanz zur Kundenakzeptanz

Das, was in der Forschung und Vorausentwicklung seit vielen Jahren minutiös und mit deutscher Gründlichkeit erarbeitet wurde, muss jetzt in die zahlreichen Serienentwicklungen sukzessive migrieren. Auch technische Publikationen und Tagungen sind gefordert, sich hier mit wichtigen Transferleistungen einzubringen. Ingenieure und Entscheider auf Managementebenen zusammenzubringen, das wird seit Jahren praktiziert. Aber auch Entwicklungen in Richtung Kundenakzeptanz und der Kommunikation mit anderen Marktteilnehmern, Versicherungen und Rechtsgelehrten abzuprüfen. Das gilt es zu konkretisieren. So mussten sich deren Vertreter auf der ATZlive-Tagung beispielsweise mit den Interpretationen der Level-3- und Level-4-Phasen des automatisierten Fahrens auseinandersetzen. Wieder einmal. Man scheitert oft noch in einer zu akademischen geführten Diskussion, wie die Podiumsdiskussions-Teilnehmer von BMW, Bosch, Continental, Deutsche Rückversicherung, Roland Berger und dem Verkehrsministerium in der Podiumsdiskussion feststellten. Ab Level 3 darf der Fahrer kurzzeitig abgelenkt sein, aber was darf er genau tun? Und wer erklärt ihm das? Diese Fragen blieben teilweise offen. Die Kommunikation mit dem Kunden und Endverbraucher muss intensiviert werden. Das bestätigt auch BMW und verweist bereits auf sogenannte Product Genius, Fahrerassistenzexperten, die dem Endverbraucher beim BMW-Händler komplexe Assistenzsysteme erklären. Begeisterte Erstkunden dürfen nicht enttäuscht werden, weil Funktionen nur in Ausnahmesituationen freigeschaltet werden. Bei Bedenkenträgern oder Gegnern darf nicht, wie heute noch der Fall, der Eindruck des naiven Umgangs mit automatisierten Fahrfunktionen entstehen. In diesem Zusammenhang genügt die Abstufungen der Level, beispielsweise In Level 4 a und 4 b, nicht. Das grobe Raster macht auch Versicherer unsicher.

Kein Stein mehr auf dem anderen: Die Kfz-Versicherung in 15 Jahren

Ein drastisches, aber doch realistisches Bild der Kfz-Versicherungssparte zeichnete beispielsweise Marc-Oliver Matthias, Leiter Innovation Lab der R+V Allgemeine Versicherung AG in einer der Parallelsessionen auf der ATZlive-Veranstaltung. Matthias ist überzeugt, dass es in bis zu 15 Jahren die bislang bekannte und etablierte Wertschöpfungskette in seiner Sparte nicht mehr geben und "eine extreme Konsolidierung“ diese prägen wird. Genauso extrem werde auch die Zahl der Wettbewerber zunehmen, die nicht aus dem Versicherungssektor kämen. Sicher werde es in 15 Jahren noch die Kfz-Versicherung geben, aber genauso wie es heute noch Kutschen gebe.

So stark die Aussagen mehrerer Versicherungsexperten in der Einschätzung der neuen Mobilitätswelt auch sein mögen, die ATZ-Fahrerassistenztagung 2017 machte deutlich, dass allein bei den Begrifflichkeiten und den im Hier-und-Jetzt zu leistenden Vorarbeiten noch Missverständnisse und Fehldeutungen der Versicherer gibt. Einen wichtigen Beitrag zur Verständigung leistete Professor Dr. Hilgendorf, Ordinarius für Strafrecht, Strafprozessrecht, Rechtstheorie, Informationsrecht und Rechtsinformatik an der Universität Würzburg. Er sieht in der Rechtssprechung und den ethischen Betrachtungen insbesondere in den vergangenen und noch in diesem Jahr kommenden Monaten wesentliche Fortschritte, die den Experten der Versicherungs- und Automobilbranche helfen, bessere Rahmenbedingungen für den Markthochlauf automatisierter Fahrfunktionen zu schaffen. Im Fokus dabei stehen die Abgrenzung der Haftung des Kunden und die Abdeckung der Produkthaftung durch den Fahrzeughersteller. Nicht zuletzt wird dies für die notwendige Kundenakzeptanz sorgen.

Weitere und vertiefende Inhalte werden in der Juniausgabe der ATZelektronik veröffentlicht. Darunter Statements von Continental und Etas sowie des Kartenherstellers Here.

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