Fahrerassistenzsysteme: Die Vielzahl an Sensoren, Aktoren und Steuergeräten macht die Entwicklung zur hochkomplexen Aufgabe - und somit auch das Testen.
Etas
Der Mensch am Steuer ist derzeit das größte Hindernis auf dem Weg zur unfallfreien Automobilität. Denn er ist nicht nur für nahezu 90 Prozent aller Verkehrsunfälle verantwortlich. Laut dem Centre of Automotive Research der Stanford University benötigt ein Autofahrer nach dem Erwerb des Führerscheins auch sieben Jahre, bis er beim Antizipieren von Verkehrssituationen sicher ist. Verständlich, dass die internationale Automobilindustrie auf Fahrerassistenzsysteme vertraut, die Gefahren schneller sehen als der Fahrer und durch aktive Eingriffe in die Fahrzeugführung kritische Situationen entschärfen können. Doch wie unfehlbar sind Fahrerassistenzsysteme?
Um die Sicherheit der vernetzten Hard- und Software auf ihre funktionale Sicherheit hin zu überprüfen, kommt zwar die ISO 26262 ins Spiel. Weil aber der Testaufwand aufgrund der vielen Steuergeräte und Funktionen enorm ist, muss ein effizienter Weg gefunden werden. "Um auch den Zeit- und Kostendruck zu bewältigen, sollten die Tests frühzeitig starten und realitätsnahe Resultate liefern", schreiben Joachim Löchner und Johannes Wagner in einem Artikel für die ATZelektronik 2-2016. So sehen sie in der Virtualisierung Schlüsseltechniken zur Komplexitätsbeherrschung beim Test von Fahrerassistenzsystemen.
Verifizierung und Validierung sicherheitskritischer Systeme
Durch Virtualisierung, so schreiben die Autoren, wird "der Aufwand für Verifizierung und Validierung sicherheitskritischer Systeme beherrschbar". Voraussetzung dafür sind jedoch Werkzeuge, die sich an die vielfältigen Anforderungen anpassen, die im ADAS-Umfeld durch die komplexe Technik, die Gesetzgebung und die domänenübergreifende Zusammenarbeit entstehen. Löchner und Wagner erklären ihre Vorgehensweise am Simulationswerkzeug Isolar-Eve von Etas.
Dieses Programm erlaubt Entwicklern die Generierung virtueller Steuergeräte, "um damit die Software bereits am PC in Software-in-the-Loop-Konfigurationen zu testen". Dank der Offenheit der Werkzeuge lässt sich die Erprobung dann nahtlos mit Hardware-in-the-Loop fortsetzen. Experten zufolge lassen sich im virtuellen Fahrversuch Automobile und ihre Assistenzfunktionen bereits heute in komplexen Fahrszenarien so exakt und auch automatisiert simulieren, dass man teilweise reale Fahrversuche in die virtuelle Welt verlagern kann. Doch genügt das?
Es müssen alle erdenklichen Alltagssituationen berücksichtigt werden
Steffen Schmidt, Geschäftsführer von IPG Automotive, ist skeptisch. Im Gespräch mit Markus Schöttle, stellvertretender Chefredakteur der ATZelektronik, mahnt der Entwickler, dass "die wesentliche Herausforderung beim Testen dieser Systeme darin liegt, dass man alle erdenklichen Alltagssituationen berücksichtigen muss". Denn hochautomatisierte Fahrfunktionen müssen auch die schwierigsten Alltagssituationen fehlerfrei meistern. "Wir befinden uns in einer spannenden Evolutionsphase", kommentiert Schmidt die unfallfreie Zukunft.
Seiner Ansicht nach gilt es, nicht nur "einzelne Routen abzutesten, sondern vielmehr große Straßennetze möglichst einfach in die Simulationsumgebung zu importieren". In einem zweiten Schritt geht es dann um das automatisierte Erstellen von Szenarien. Doch was bedeutet dies konkret? "Stellen Sie sich vor, ein Testfahrer fährt mit einem neuen Fahrzeug und einer neuen Software in einer Alltagssituation und dann reagiert das System nicht in der Art und Weise, wie er das erwarten würde. Diese Situation müssen wir nachstellen können - sozusagen ein reproduzierbares Testen auf Basis von aufgezeichneten Sensordaten aus dem realen Fahrversuch in das korrespondierende virtuelle Szenario projiziere", so Schmidt.