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26.04.2023 | Fahrwerk | Interview | Online-Artikel

"Wir verwenden recycelte PET-Flaschen für Fasern in Reifen"

verfasst von: Michael Reichenbach

5 Min. Lesedauer

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Reifen werden sauber und nachhaltig, erklärt Hélène Bathias von Michelin. Im Interview spricht sie über die neue Euro-7-Norm, die erstmals den Abrieb von Reifen miteinbeziehen wird, und begründet den Nutzen von luftlosen Pneus und Reifen aus Bioethanol und PET-Flaschen. 

Hélène Bathias ist Initiative Leader Connected Solutions bei Michelin in der Firmenzentrale in Clermont-Ferrand (Frankreich). Das Unternehmen unterstützt die Empfehlungen der Europäischen Kommission zur Festlegung von Grenzwerten für den Reifenabrieb nach Euro 7.


ATZ _ Springer Professional: Frau Bathias, der neue Standard Euro 7 nimmt erstmals den Reifenabrieb als gesundheitsschädliche Emissionsquelle mit ins Sauberkeits-Portfolio auf. Wie wird Michelin darauf reagieren, auch in Sachen einer praktikablen Messprozedur für die Homologation?

Bathias: Die Berücksichtigung der Umweltauswirkungen unserer Produkte ist fester Bestandteil unserer Strategie. Die Euro-7-Norm ist auf dem Weg und wird auch den Reifenabrieb einbeziehen. Wir arbeiten mit unseren Wettbewerbern in der European Tyre & Rubber Manufacturers Association (ETRMA) zusammen, um eine standardisierte Messmethode zu definieren. 

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In der System Fahrzeug-Straße nimmt der Reifen eine hervorgehobene Rolle ein. Als Bindeglied zwischen Fahrbahn und Fahrzeug überträgt er alle Kräfte und Momente, sein Übertragungsverhalten geht deutlich in Sicherheit, Fahrverhalten und Komfort des Gesamtfahrzeugs ein. 

Wie sind die weiteren Schritte und Hürden, wann wird über die Prüfmethoden der Euro 7 entschieden?

Bei den Vereinten Nationen wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, um die Testmethode festzulegen. Die Europäische Kommission wird in einem Bericht vor Ende 2024 darüber und über den Abriebgrenzwert entscheiden. Der Grad der Abnutzung kann innerhalb einer bestimmten Reifenfamilie oder Größenordnung ganz ähnlich sein. Deshalb gehen wir aktuell davon aus, dass die Regulierungsbehörden eine Prüfmethode und eine entsprechende Verordnung einführen, die es den Reifenherstellern ermöglichen, Reifenfamilien zu definieren. Innerhalb dieser Familien können die Reifenhersteller bestätigen, dass die Leistungen gleich oder besser sind, sodass die Reifenhersteller nicht jede einzelne Reifendimension testen müssen.

Michelin ist Mitglied des Tyre Industry Project (TIP). Am TIP arbeiten seit 2005 aktuell zehn Unternehmen mit, es ist das wichtigste globale Forum für die Reifenindustrie in Sachen Nachhaltigkeit. Wie kann das Projekt in Sachen Reifenabrieb helfen?

Die Michelin-Gruppe befürwortet die Festlegung von Grenzwerten für den Reifenabrieb, um die Partikelemissionen weltweit zu begrenzen. Und wir unterstützen die Empfehlungen der Europäischen Kommission zur Festlegung von Grenzwerten für den Reifenabrieb nach der Euro-7-Norm. Gemeinsam mit anderen Akteuren der Branche im Rahmen des TIP beteiligt sich die Michelin-Gruppe auch an der Finanzierung unabhängiger Studien, um die wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Reifen- und Straßenabrieb zu erweitern.

Nachhaltigkeit ist ein Trendthema. So möchte etwa Goodyear bis 2030 einen Reifen aus 100 % nachhaltigen Materialien in die Branche einführen. Und Continental nutzt im Versuchsstadium Löwenzahn-Milch, um herkömmlichen Naturkautschuk zu ersetzen. Welche Ansätze für mehr Nachhaltigkeit verfolgt Michelin?

Das Thema Nachhaltigkeit ist in der Tat in aller Munde. Wir schätzen es sehr, dass sich mittlerweile die gesamte Reifen- und Automobilindustrie sehr ernsthaft damit auseinandersetzt. Bei Michelin tun wir das schon sehr lange in unterschiedlichen Bereichen. Bei unseren Reifen haben wir dabei immer im Blick, deren ökologischen Fußabdruck insgesamt zu reduzieren. Wir bewerten diesen mithilfe einer Lebenszyklusanalyse. Haupteinflussparameter des ökologischen Fußabdrucks sind der Ressourcenverbrauch und die CO2-Emissionen, aber auch der Reifenabrieb. Die Nutzungsphase des Reifens auf dem Auto wirkt sich dabei zu ungefähr 80 % auf den gesamten ökologischen Fußabdruck aus. Die eingesetzten Materialien stehen an zweiter Stelle mit etwa 15 %. 

Wie muss man sich die Analyse des ökologischen Fußabdrucks genau vorstellen?

Wir schauen uns genau an, welche Technologien und Materialien einen möglichst großen Einfluss auf den ökologischen Fußabdruck haben, um dann die richtigen Entscheidungen für noch umweltfreundlichere Reifen zu treffen. Das bedeutet beispielsweise, dass wir recycelte und erneuerbare Materialien im Reifen nur dann einsetzen, wenn sie insgesamt einen positiven Einfluss auf den ökologischen Fußabdruck haben. Im Gegenzug heißt das aber auch, dass wir Materialien wie mikronisiertes Kautschukpulver im Laufstreifen nicht einsetzen, wenn es den Rollwiderstand so stark erhöht, dass der ökologische Fußabdruck insgesamt verschlechtert wird. Das gleiche gilt, wenn eine Technologie einen erhöhten Verschleiß zur Folge hat und dadurch die Reifen öfter getauscht werden müssten. Es lohnt sich also, bei wirklich jeder Maßnahme genau hinzuschauen, ob sie das Produkt oder einen Prozess am Ende tatsächlich nachhaltiger macht. Das gilt im Übrigen auch für die Löwenzahn-Milch.

Welche Nachhaltigkeits-Entwicklungsprojekte laufen noch bei Ihnen? Gibt es bald den luftlosen Reifen oder Pneus aus PET-Flaschen?

Ja, Michelin arbeitet an seinem Vision-Konzept, das ist ein Rad mit einem luftlosen Reifen. Hergestellt aus 100 % nachhaltigen Materialien, vernetzt und mit einem erneuerbaren Profil aus dem 3-D-Drucker bietet das Konzept ein überzeugendes Beispiel dafür, wie das nachhaltige Entwicklungsmodell von Michelin den Reifen bis 2050 verändern wird. Im BioButterfly-Projekt forschen wir zudem mit Partnern daran, für die Herstellung von synthetischem Kautschuk Butadien aus Bioethanol zu nutzen, um die Reifenherstellung deutlich umweltschonender zu gestalten. Auch die Verwendung von recycelten PET-Flaschen als Ausgangsmaterial für hochtechnische Fasern in Reifen ist ein Ansatz für mehr Nachhaltigkeit, den Michelin gemeinsam mit dem Unternehmen Carbios vorantreibt.

Wie kann der runderneuerte Reifen, der ja an sich ökologischer ist, für die Kundschaft attraktiver gemacht werden? Verkaufszahlen und Image von ihm sind, soweit ich weiß, schlechter als die von Neureifen.

Die Runderneuerung von Reifen ist vor allem im Lkw-Sektor ein großes und wichtiges Thema, um die Umwelt durch die Reduzierung von Abfällen und den geringeren Einsatz von Rohstoffen zu schonen. Lkw-Karkassen von uns sind auf eine Runderneuerung ausgelegt und haben danach vergleichbare Leistungen wie Neureifen in Bezug auf Sicherheits- und Haftungs­eigenschaften, Widerstandsfähigkeit, Fahrverhalten und Handling. Karkassen von Pkw-Reifen sind heutzutage zumeist noch nicht auf mehrere Reifenleben ausgelegt. Wenn wir sie dafür innerhalb unserer Qualitätsmaßstäbe ertüchtigen wollen, müssen wir die Karkassen entsprechend verstärken. Bei den für Pkw üblichen Einsatzbedingungen und Reifenauslegungen führt eine Verstärkung der Karkassen zu mehr Rollwiderstand und somit zu einem höheren Kraftstoffverbrauch in der Nutzungsphase. Dadurch wäre die Ökobilanz runderneuerter Reifen derzeit leider noch deutlich schlechter als die von Neureifen.

Frau Bathias, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch.

Mehr vom Interview können Sie in der ATZ 6/2023 lesen, die am 26. Mai 2023 erscheinen wird.

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