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06.02.2018 | Fahrzeugakustik + NVH | Schwerpunkt | Online-Artikel

Wie Warntöne für Elektroautos entstehen

verfasst von: Christiane Köllner

4:30 Min. Lesedauer

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Lange Zeit war es immer das Ziel, Autos leiser zu machen. Mit Elektroautos ändert sich das. Die Stromer müssen nun künstlich lauter gemacht werden. Wie das geht, erforschen Psychoakustiker der TU München.

Der Straßenverkehr gilt seit langem als die dominierende Lärmquelle in Deutschland. Mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung fühlt sich durch Straßenverkehrslärm gestört oder belästigt. Wenn es von der Straße dröhnt, leiden Herz, Kreislauf und Gehirn. 

Abhilfe könnten Elektroautos schaffen. Mit ihrem fast geräuschlosen Elektromotor wären sie in der Lage, die Städte der Zukunft deutlich leiser machen. Ein lärmmindernder Beitrag durch elektrische Antriebe ist vor allem bei Stop-and-go-Verkehr und insbesondere bei Stadtbussen und Lkw, die innerstädtisch eingesetzt werden – wie etwa Müllautos – zu erwarten. "Deren Anfahrgeräusch ist sehr belästigend und könnte durch elektrische Antriebe durchaus signifikant reduziert werden", wie die Springer-Autoren Peter Zeller, Hugo Fastl und Stefan Kerber im Kapitel Außengeräusch aus dem Handbuch Fahrzeugakustik erläutern.  

Empfehlung der Redaktion

2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

Außengeräusch

Das Fahrzeugaußengeräusch ist diejenige Fahrzeugeigenschaft, welche nicht nur für den Besitzer des Fahrzeugs selbst, sondern gleichermaßen für Passanten und Anwohner von Bedeutung ist. Die Palette der Geräuschphänomene reicht dabei vom Röhren …

Eine Wohltat für die Ohren, sollte man meinen. Doch einer der großen Vorteile von Elektroautos kann für unaufmerksame sowie seh- und hörbeeinträchtigte Fußgänger und Kinder zu einem Nachteil werden. "Blindenverbände fürchten bereits um die Verkehrssicherheit von sehbehinderten Menschen, weil diesen bei im elektrischen Fahrmodus nahezu geräuschlos fahrenden Autos die erforderliche Orientierung fehlt. Auch Testfahrer derartiger Fahrzeuge berichten aus dem Stadtverkehr von unaufmerksamen Passanten, welche die flüsterleisen Fahrzeuge erst im letzten Moment wahrnehmen und deutliche Schreckreaktionen zeigen", betonen die Springer-Autoren Zeller, Fastl und Kerber weiter.

Akustisches Warnsystem ab Sommer 2019

Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, müssen daher ab Sommer 2019 alle neuen Elektro- und Hybridfahrzeuge mit einem akustischen Warnsystem ausgestattet werden. Die Vorgaben für ein Warngeräusch, dem Acoustic Vehicle Alert System, wie es Elektro- und Hybridfahrzeuge abgeben müssen, seien eher weit gefasst, erklären Psychoakustiker von der Technischen Universität München (TUM), die sich mit der Entwicklung von Geräuschen für Elektroautos beschäftigen. Zwar dürften keine Musikstücke abgespielt werden, aber mit welchem Sound die einzelnen Fahrzeuge Fußgänger vor ihrem Herannahen warnen, sei den Herstellern überlassen. Vorgeschrieben sind laut den Forschern die Warngeräusche für E-Fahrzeuge bei Geschwindigkeiten von bis zu 20 Stundenkilometern in Europa. Bei höheren Geschwindigkeiten sei bereits das Geräusch ausreichend, das die Reifen auf der Fahrbahn erzeugen.

Hugo Fastl, Professor am Lehrstuhl für Mensch-Maschine-Kommunikation der TUM, erforscht die Grundlagen des Geräuschdesigns für Elektroautos. Zwar unterliegen die Geräusche noch der Geheimhaltung. Was Fastl aber verraten kann: Jede Firma will ihr eigenes Branding, ein Geräusch, das für das Auto typisch ist. "Schließlich klingt im Moment ein BMW auch anders als ein Mercedes oder ein Porsche – das soll bei den E-Autos ebenfalls so sein." Hierbei kommt das sogenannte Sound-Engineering zum Einsatz, das gewünschte akustische Informationen mit einem möglichst angenehmen und auch markentypischen Klang ausstattet. Es betont "die wesentlichen markentypischen Eigenschaften eines Fahrzeugs und prägt die Emotionalität der Fahrzeugwahrnehmung mit", wie es Springer-Autor Bernd Pletschen im Kapitel Akustikgestaltung in der Fahrzeugentwicklung aus dem Buch Sound-Engineering im Automobilbereich auf den Punkt bringt.

Frequenzbereich, Klangfarbe und Rauigkeit

Aber wie genau wird ein solcher Sound entwickelt? "Wir haben zunächst ein Grundgeräusch, dem wir eine Tonhöhe zuordnen", sagt Fastl. Dabei bewegen sich die Forscher im mittleren Frequenzbereich. "Sehr tiefe Frequenzen sind schwierig abzustrahlen", so der Forscher. "Dafür müssen die Lautsprecher am Auto sehr groß sein." Zu hohe Frequenzen dagegen könnten von älteren Menschen nicht mehr wahrgenommen werden. Die Tonhöhe könne außerdem einen Hinweis darauf geben, wie schnell das Auto fährt. Bei einem Auto, das beschleunigt, werde die Tonhöhe daher nach oben gehen. Eine weitere Eigenschaft der Geräusche sei die Klangfarbe. 

"Ein selbst konzipierter und programmierter Sound-"Baukasten" hilft dabei, zielgruppenrelevante Geräusche zu entwickeln. "Das ist ein Computer, der diverse Schalle wie Zutaten abrufen kann; über Algorithmen, die wir selbst entwickelt haben." Die Geräuschmaschine sieht aus wie ein Mischpult im Tonstudio. Über Regler wird ein synthetischer Klang kreiert und anschließend nach Hörversuchen mit Probanden bearbeitet und angepasst.

Neben dem Frequenzbereich und der Klangfarbe gibt es einige Merkmale, die beim Sounddesign für Autos besonders wichtig sind. So etwa die Rauigkeit. Diese wird dadurch bestimmt, wie schnell sich die Lautstärke des Tons ändert. Besonders große Rauigkeit entsteht, wenn die Lautstärke etwa 50 bis 70 Mal pro Sekunde schwankt. "Wenn Rauigkeit in einem Geräusch ist, wird es als sportlich empfunden", erklärt Fastl. "Einen Ferrari ohne Rauigkeit können Sie schlecht verkaufen."

Auch das Innengeräusch wird designt 

Die Innengeräusche werden für die E-Fahrzeuge ebenfalls designt – auch wenn es dazu keine Vorschriften gibt. Denn bei dem Original-Geräusch, das ein Elektromotor erzeugt, könnte sich der Fahrer an eine Straßenbahn erinnert fühlen. Das Innengeräusch ist genauso auf die Zielgruppe wie das Außengeräusch zugeschnitten. "Wer einen BMW 7er fährt, mag es eher ruhig", erklärt Fastl. "Ein Porschefahrer dagegen möchte von seiner Investition auch was hören."

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Die Hintergründe zu diesem Inhalt

2018 | OriginalPaper | Buchkapitel

Außengeräusch

Quelle:
Handbuch Fahrzeugakustik

01.05.2014 | Simulation und Berechnung

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