Skip to main content

03.11.2021 | Fahrzeugsicherheit | Schwerpunkt | Online-Artikel

Adaptive Rückhaltesysteme schützen nicht alle Insassen gleich

verfasst von: Christiane Köllner

3:30 Min. Lesedauer

Aktivieren Sie unsere intelligente Suche, um passende Fachinhalte oder Patente zu finden.

search-config
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
loading …

Groß, klein, schwer, leicht: Fahrzeuginsassen unterscheiden sich in ihrem Körperbau. Welche Auswirkungen hat das auf die Sicherheit im Auto? Funktionieren Gurt und Airbag bei allen Menschen gleich gut? Der ADAC hat es analysiert. 

Im Jahr 2019 kamen in Deutschland bei Verkehrsunfällen laut ADAC mehr als 3.000 Menschen ums Leben, 1984 waren es noch 12.000. Rückhaltesysteme wie Gurt und Airbag haben einen wesentlichen Anteil an dieser positiven Entwicklung. Der Airbag habe insbesondere die Kopfverletzung und der Gurtkraftbegrenzer die Brustverletzung reduziert, heißt es im Kapitel Fahrzeugsicherheit der Springer-Autoren um Mark Gonter aus dem Vieweg Handbuch Kraftfahrzeugtechnik

Doch die Entwicklung von Rückhaltesysteme ist noch nicht am Ende. Derzeit steht vor allem der adaptive Insassenschutz im Fokus der Forschung. Das Besondere daran: Ein adaptives Rückhaltesystem löst in Abhängigkeit der Unfallschwere und den individuellen Eigenschaften des Insassen variabel aus. "Im Idealfall gilt das für alle Unfallschweren und alle Insassen", so die Springer-Autoren um Gonter. Unterschiedliche Sensoren können zum Beispiel erkennen, wie gravierend ein Unfall sein wird, und wie schwer, groß und alt die zu schützende Person auf dem Sitz ist. Weiter gehen Pre-Crash-Systeme, die sogar aktiviert werden, bevor ein Unfall geschieht, wie BMW und ZF im Artikel Prädiktive Sicherheit – Wahrnehmungsbasierte Aktivierung von Pre-Crash-Systemen aus der ATZ 1-2021 erläutern. 

Empfehlung der Redaktion

2021 | OriginalPaper | Buchkapitel

Fahrzeugsicherheit

Die Sicherheit des Transports für Menschen und Güter hat weltweit einen hohen Stellenwert. Obwohl in den Industrieländern erhebliche Fortschritte erzielt wurden, waren 2013 ca. 1,24 Mio. Verkehrstote zu verzeichnen, mehr als 20 Mio. wurden verletzt. 80 % der tödlichen Verkehrsunfälle geschahen dabei in „middle-income Countries“. In der Prognose von Murray et al. würden die Verkehrsunfälle nach Herzkrankheiten und Depressionen an die dritte Stelle der Todes- und Erwerbsunfähigkeitsgründe rücken. Zahlreiche Organisationen wie die UN, Regierungen, Forschungseinrichtungen und Industrie haben Programme initiiert um diesen Trend umzukehren.

Aber funktionieren die adaptiven Rückhaltesysteme in der Praxis – und bei allen Menschen gleich gut? Die Entwicklungsziele dieser Systeme sind häufig in der Kritik, weil der Standard-Dummy lediglich einen 77 kg schweren Mann repräsentiert. Ob sie bei allen Menschen gleich gut funktionieren können, wollte der ADAC herausfinden und hat hierfür vergleichbare Crashtests mit Dummys unterschiedlicher Größe und Gewicht durchgeführt. Unklar war bislang, wie gut die Rückhaltesysteme auf Menschen außerhalb von durchschnittlichen Normen wirken. 

Alter spielt eine Rolle

Anhand einer Analyse von Unfalldaten wurde zudem untersucht, ob Pkw-Insassen bei Frontalzusammenstößen aufgrund von Größe und Gewicht ein erhöhtes Verletzungsrisiko aufweisen. Die ADAC-Unfallforschung hat gezeigt, dass es bei den Unfallfolgen keine Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Insassen gibt. Es zeigte sich lediglich eine Varianz im diagnostizierten Verletzungsmuster, welche sich anhand der anatomischen Unterschiede zwischen Mann und Frau erklären lässt. Allerdings könne das Alter eine Rolle spielen: Aufgrund abnehmender Knochendichte mit zunehmendem Alter erleiden Menschen jenseits der 60 häufiger schwere Verletzungen. Besonders betroffen seien dabei Kopf, Brustkorb und der Bauchraum.

Basierend auf den Erkenntnissen der Unfalldatenauswertung wurden insgesamt zwölf Schlittenversuche durchgeführt, bei denen die verschiedenen Dummys von 48 bis 125 kg Gewicht und einer Körpergröße von 1,51 bis 1,91 m jeweils einmal auf dem Fahrer- und Beifahrersitz Platz nahmen. Die Crash-Schlittenversuche simulierten einen Frontalaufprall mit mehr als 50 km/h. Dabei haben die ADAC-Tester die Wirkung von herkömmlichen und von adaptiven Rückhaltesystemen untersucht und verglichen. 

Positiver Einfluss auf den Verletzungsgrad

Im Test habe sich gezeigt, dass adaptive Systeme die Belastung eines Unfalls auf den durchschnittlichen Mann (THOR 50th) und die kleine Frau (THOR 5th) reduzieren. Da die konventionellen Rückhaltesysteme allerdings schon optimal für den durchschnittlichen Mann ausgelegt wurden, konnten die adaptiven Systeme beim THOR 50th nur ein geringes Verbesserungspotenzial mit sich bringen. Beim THOR 5th profitiert vor allem die Fahrerin von adaptiven Systemen. Hier konnte die Beschleunigung des Kopfes um 60 % verringert werden.

Adaptive Systeme konnten auch die Belastung eines Unfalls auf die ältere Dame (Elderly ATD) reduzieren. Beim Elderly ATD bestehe aber noch weiteres Entwicklungspotenzial, adaptiv gesteuerte Sicherheitssysteme für ältere Insassen zu gestalten, um die Veränderungen der körperlichen Eigenschaften mit steigendem Alter noch besser abdecken zu können. 

Erhöhtes Risiko für große und schwere Insassen

Den großen und schweren Insassen (H III 95th, THOR Obese) hätten nur die konventionellen Gurte und Airbags ausreichend schützen können. Es sei nicht möglich gewesen, die Sicherheit durch adaptive Rückhaltesysteme zu verbessern. Laut ADAC könnten zusätzlich alternative Rückhaltesysteme wie ein Knieairbag oder eine mehrfache Gurtstraffung in dieser Personengruppe für eine Verbesserung der Insassensicherheit sorgen.

Der Vergleich zwischen konventionellen und adaptiven Rückhaltesystemen habe laut ADAC also bewiesen, dass adaptive Gurte und Airbags die Belastung während eines Frontalcrashs auf Insassen, die den Dummys THOR 50th, THOR 5th und Elderly ATD entsprechen, reduzieren können. Die in den Schlittenversuchen eingesetzten adaptiven Sicherheitssysteme hätten jedoch den großen und schweren Dummy nicht ausreichend zurückgehalten. 

print
DRUCKEN

Weiterführende Themen

Die Hintergründe zu diesem Inhalt

    Premium Partner