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31.03.2014 | Fahrzeugtechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Kältemittelstreit geht in die nächste Runde

verfasst von: Christiane Brünglinghaus

5 Min. Lesedauer

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Weil Daimler für seine Neuwagen nicht das Kältemittel 1234yf verwenden will, hat die EU ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Jedoch erhält der Konzern von der Bundesregierung Rückendeckung. Die hat nun ihre Stellungnahme nach Brüssel geschickt.

Seit Langem streiten Brüssel und die Bundesregierung über den Einsatz des neuen Kältemittels 1234yf für Klimaanlagen in Autos. Das neue Kältemittel ist zwar klimafreundlicher als das bisherige, aber auch gefährlicher, da bei Bränden Flusssäure (Fluorwasserstoff) entstehen kann. Vorläufiger Höhepunkt war das Aufforderungsschreiben der Europäischen Kommission vom 27. Januar 2014, das ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hat. Bis vergangene Woche hatte die Bundesregierung Zeit, sich zu dem Aufforderungsschreiben zu äußern.

Der Stuttgarter Konzern verstößt nämlich gegen EU-Recht, da Daimler auch in neuen Modellen weiterhin auf das ältere Kältemittel R134a setzt und die zuständige Bundesbehörde, das Kraftfahrtbundesamt, den Autohersteller bislang nicht daran gehindert hat.

Bundesregierung: Vertragsverletzungsverfahren unbegründet

Nach Angaben des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) sei das Aufforderungsschreiben der Europäischen Kommission im Vertragsverletzungsverfahren von der Bundesregierung am 26. März 2014 fristgerecht beantwortet worden. Die Bundesregierung sei der Auffassung, dass das Vertragsverletzungsverfahren unbegründet ist. Die im Aufforderungsschreiben erhobenen Vorwürfe würden nicht zutreffen.

Somit geht der Konflikt erst einmal weiter. Denn die inhaltlichen Signale der Kommission sind klar: Anfang März hatte die Kommission die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Überprüfung bekannt gegeben. Demnach gäbe es keinen Beweis für ernsthafte Gefahren, die vom normalen und berechenbaren Gebrauch dieser Chemikalie ausgehen. Die Gemeinsame Forschungsstelle der EU (Joint Research Centre, JRC) hatte die Untersuchungen für die Kommission durchgeführt. Damit stütze die EU-Studie die ebenfalls zuvor vom Kraftfahrtbundesamt erzielten Ergebnisse. Dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) zufolge besteht im Rahmen des Produktsicherheitsgesetzes keine ernste Gefahr, wie das KBA im vergangenen Jahr mitteilte. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit, wie Andreas Burkert in seinem Report "Kältemittelstreit und kein Ende" (Seite 30 f) aus der ATZ 3-2014 genauer erläutert: Bei schärferen Bedingungen konnten durchaus Entflammungen und Fluorwasserstoffexpositionen festgestellt werden. Die JRC zweifelt allerdings den Praxisbezug dieser Testbedingungen an. Diese Testszenarien seien nicht geeignet, um daraus Rückschlüsse auf die Sicherheit des Kältemittels zu ziehen.

Und die Reaktionen der Chemiekonzerne Honeywell und DuPont? Erwartbar: "Der Bericht des Joint Research Centre ist unabhängig und er ist unanfechtbar. Er lässt keinen Zweifel daran, dass HFO-1234yf sicher für die Anwendung in Fahrzeugen ist", sagt Ken Gayer, Vice President und Geschäftsführer Honeywell Fluorine Products. DuPont begrüßt ebenfalls die Schlussfolgerungen der JRC, "denn sie bestätigen unser großes Vertrauen in die Sicherheit von HFO-1234yf als Kältemittel in Kfz-Klimaanlagen." In der Vergangenheit hat sich Honeywell auch insbesondere auf Tests durch das Cooperative Research Program (CRP) der SAE International gestützt, die R1234yf als sicher für den Einsatz in Pkw-Klimaanlagen eingestuft hat.

Erhebliches Gefährdungspotenzial von R1234yf

Allerdings konnten bei einem neuen Brandtest der Deutschen Umwelthilfe (DUH) kürzlich gesundheitsgefährdende Konzentrationen an Flusssäure nachgewiesen werden. Die DUH fordert daher ein sofortiges und europaweites Verwendungsverbot für die im Brandfall große Mengen giftigen Gases freisetzende Substanz. Sowohl der KBA-Bericht als auch der jüngste DUH-Test hätten gezeigt, dass unter realistischen Szenarien ein erhebliches Gefährdungspotenzial von R1234yf ausgehen kann. "Die lebensgefährliche Konzentration von 50ppm Flusssäure wird bereits erreicht, wenn in einer etwa 1700 Quadratmeter großen Tiefgarage ein einziges Auto mit R1234yf abbrennt. Kommt es zu einem Brandfall mit einem 5kg-Behälter R1234yf, wie er üblicherweise in Werkstätten verwendet wird, können sogar ganze 17.000 Quadratmeter kontaminiert werden. Der neue Verkehrsminister Alexander Dobrindt muss daher dringend Maßnahmen ergreifen. Dazu gehören ein Einfahrtsverbot von R1234yf-Fahrzeugen in Tiefgaragen und eine drastische Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen für Werkstätten", erläutert der internationale Verkehrsexperte Axel Friedrich.

Dass das Kältemittel zum Beispiel in Werkstätten zur Gefahr werden könnte, zeigt auch das Sicherheitsdatenblatt von Honeywell. Bei unbeabsichtigter Freisetzung, so heißt es dort, seien ein vollständiger Schutzanzug und ein umgebungsluftunabhängiges Atemschutzgerät zu tragen.

Milliardengeschäft für Honeywell und DuPont

Es geht also um Fragen der Sicherheit, und es geht natürlich auch um Geld, das die Chemiekonzerne Honeywell und DuPont mit dem Kältemittel verdienen wollen. Ein Milliardengeschäft, wie es Experten dem Manager-Magazin vorgerechnet haben. Deren Schätzungen zufolge ist das neue Kältemittel im Großhandel bis zu zwanzigmal teurer als R134a. Alleine mit neuen Autoklimaanlagen winke Honeywell und DuPont damit in Deutschland ein Umsatz von mehr als 200 Millionen Euro pro Jahr. Dazu komme noch das Wartungsgeschäft. Weltweit dürfte der Markt Expertenschätzungen zufolge mehrere Milliarden schwer sein.

Alternative CO2

Bereits jetzt arbeitet Daimler mit Hochdruck an der Alternative zum umstrittenen Kältemittel. Dabei hat sich Mercedes-Benz für die Entwicklung von CO2-Klimaanlagen entschieden. Bislang ist das Kältemittel R1234yf von Honeywell und DuPont das einzige Produkt auf dem Markt, das die Anforderungen der EU erfüllt. Und es kann ohne größere Umbaumaßnahmen in bestehende Auto-Klimaanlagen eingefüllt werden. Das neue Kältemittel wird auch längst verwendet, zum Beispiel in neuen Modellen französischer Hersteller, von Opel oder BMW.

Weitere Schritte im Vertragsverletzungsverfahren

Wie geht es jetzt weiter? Nach Angaben des BMVI sehen die weiteren Schritte im Vertragsverletzungsverfahren folgendermaßen aus: Das Aufforderungsschreiben war zunächst der erste formale Schritt im mehrstufigen Vertragsverletzungsverfahren. Nach Erhalt der Mitteilung der Bundesregierung prüft die Europäische Kommission das weitere Vorgehen. Sie kann das Verfahren einstellen oder weiterverfolgen. Im Falle einer Weiterverfolgung versendet die Europäische Kommission eine "mit Gründen versehenen Stellungnahme". In dieser legt sie dar, aus welchen Gründen sie zu dem Schluss gekommen ist, dass der betreffende Staat einer Verpflichtung aus dem EU-Vertrag nicht nachgekommen ist. Diese Stellungnahme wird wiederum durch die Bundesregierung innerhalb von zwei Monaten (mit Möglichkeit zur Fristverlängerung) beantwortet. In einem weiteren Schritt entscheidet die Europäische Kommission, ob sie das Verfahren einstellt oder Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EUGH) erhebt (Vertragsverletzungsklage).

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