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06.08.2014 | Fahrzeugtechnik | Schwerpunkt | Online-Artikel

Bitkom: Pkw-Maut ist unzeitgemäß und halbherzig

verfasst von: Christiane Brünglinghaus

4 Min. Lesedauer

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Das Pkw-Mautsystem verwendet veraltete Technik. Das kritisiert der IT-Branchenverband Bitkom. Und fordert eine moderne Pkw-Maut - inklusive intelligenter Verkehrssteuerung.

Die Kritik an der Pkw-Maut reißt nicht ab: Erst im Juli hatte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt das Konzept für eine Pkw-Maut in Deutschland vorgestellt. Dann zweifelten unlängst Juristen des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages in einem Gutachten an der EU-Rechtskonformität der Pkw-Maut-Pläne, wie der Deutschlandfunk berichtet. Und nun kritisiert auch der IT-Branchenverband Bitkom die Pkw-Maut. Denn für den Bitkom ist die geplante Umsetzung der Pkw-Maut halbherzig - und die Technik hinter der Maut nicht auf dem neuesten Stand.

"Wenn eine Maut für alle Fahrzeuge eingeführt wird, dann sollte sie technisch auf der Höhe der Zeit sein“, sagt Bitkom-Präsident Professor Dieter Kempf. "Eine Maut darf nicht nur die öffentlichen Einnahmen steigern. Sie muss vor allem bei den Verkehrsteilnehmern sinnvolle Verhaltensanreize setzen und den Verkehr steuern. Wenn Maut, dann richtig!" So könnten die bestehenden Verkehrswege intelligenter und gleichmäßiger ausgelastet werden. Dafür brauche es Anreize für die Teilnehmer am Straßenverkehr, ihre Routen anzupassen - etwa durch unterschiedliche Preise je nach Tageszeit und Verkehrsaufkommen.

"Wenn Maut, dann richtig!"

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Mit den aktuellen Pläne der Bundesregierung zur Pkw-Maut könnte auch eine große Chance zur Modernisierung der Verkehrsinfrastruktur verspielt werden, sagt der Branchenverband. "Während zum Beispiel die niederländische Bahn derzeit komplett auf elektronische Tickets umstellt, will die Bundesregierung künftig jedes Jahr an alle Pkw-Fahrer per Post verschiedenfarbige Aufkleber verschicken, die auf die Windschutzscheiben geklebt werden sollen", bemerkt Kempf zu dem unzeitgemäßen Verfahren. Zudem sei die geplante Vignette als Flatrate konzipiert: Ihr Preis richte sich nach Emissionsklassen, nicht nach gefahrenen Kilometern. "Eine intelligente Maut sollte das Verursacherprinzip beachten", sagt Kempf. Die Kosten für Erhalt und Ausbau der Straßen sollten abhängig von der Nutzung gestaffelt werden, erklärt der Bitkom.

In diesem Zusammenhang kritisiert der Branchenverband eine weitere gesetzliche Regel, und zwar den Entwurf des "Gesetzes zur Änderung mautrechtlicher Vorschriften". Das Gesetz diene als Grundlage für bisherige und zukünftige elektronische Mautsysteme in Deutschland und Europa. Laut Entwurf darf für die Erhebung einer Maut neben Satellitenortung und Mikrowellentechnik ausschließlich der Mobilfunkstandard der zweiten Generation GSM/GPRS verwendet werden, wie der Bitkom erläutert. "Aktuelle Gesetze zur Regelung zukünftiger elektronischer Mautsysteme schreiben technische Standards vor, die bereits heute veraltet sind“, wundert sich Kempf. Seit 2013 kann in Deutschland der Mobilfunkstandard der vierten Generation, LTE, genutzt werden. Kempfs Forderung: Daten sollten mit allen zur Verfügung stehenden Mobilfunkstandards übertragen werden dürfen.

Smart Traffic: Intelligentes Verkehrsnetz könnte 10 Milliarden Euro bringen

Eine Modernisierung des Verkehrssystems würde sich auch finanziell lohnen. Denn ein intelligentes Verkehrsnetz könnte einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen von insgesamt zehn Milliarden Euro jährlich erzeugen. Das hat die Studie "Gesamtwirtschaftliche Potenziale intelligenter Netze in Deutschland" des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung im Bitkom-Auftrag ergeben. Der größte Anteil von rund 4,4 Milliarden Euro ergebe sich aus der Vermeidung von Staus und entsprechenden Zeitverlusten sowie Umweltschäden. Neue Logistiksysteme würden weitere 3,6 Milliarden Euro jährlich sparen. Hinzu kämen Wachstumsimpulse in Höhe von 2 Milliarden Euro mit neuen Apps und Services, die die unterschiedlichen Verkehrsnetze miteinander verbinden.

Als Beispiel für die Potenziale verkehrstelematischer Systeme nennt der Bitkom die Stadt Stockholm: Dort werden pro Sekunde insgesamt 250.000 anonymisierte GPS-Daten von Handybesitzern, Stau- und Unfallmeldungen sowie Daten von Sensoren und dem Mautsystem analysiert und so der Verkehr gesteuert, berichtet der Branchenverband. Die individuellen Fahrzeiten ließen sich so um 50 Prozent verringern, das Verkehrsaufkommen und die Emissionen um 20 Prozent.

Wie wirken verkehrspolitische Maßnahmen?

Aber zu einem Smart-Traffic-Konzept gehören neben intelligenten Verkehrsleitsystemen auch intelligente Mobilitätslösungen. So zum Beispiel die IT-Unterstützung von Mobilitätsanwendungen, bei denen die Nutzer verschiedene Verkehrsmittel hintereinander nutzen, um zu ihrem Ziel zu kommen (Multimodalität). Die Multimodalität kann dabei neben Privat-Pkw und öffentlichen Verkehrsmitteln auch E-Bikes oder Carsharing-Fahrzeuge umfassen. Allerdings bestehen noch zentrale Herausforderungen bei Smart-Traffic-Systemen, und zwar bei der Koordination des Aufbaus eines solchen Systems, bei der Standardisierung - insbesondere des Sensorennetzes - und beim Datenschutz.

Daher ist eine nachhaltige Verkehrsplanung wichtig. Denn: Entscheidungen im Verkehrssektor wirken sich über Jahrzehnte aus. Maßnahmen müssen langfristig geplant und die Folgen frühzeitig abgeschätzt werden. Dabei helfen Modelle, die Wirkungsmechanismen verkehrspolitischer Maßnahmen im Computer abbilden. Ein solches Modell entwickeln zum Beispiel Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) im europäischen Projekt High-Tool (Strategic high-level transport model). Dieses quantitative Instrument soll die Wirkungen von politischen Maßnahmen auf Verkehr, Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt langfristig abschätzen können. Mit Projekt-Ergebnissen ist voraussichtlich 2016 zu rechnen.

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