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2023 | OriginalPaper | Buchkapitel

4. Felder: Krisen, Umwelten und Institutionen

verfasst von : Thomas Matys

Erschienen in: Rating-Agenturen im Finanzmarktkapitalismus

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

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Zusammenfassung

Die Analyse des ‚Handelns‘ von Rating-Agenturen – im weitesten Sinne – kommt nicht daran vorbei, ein Phänomen aus Alltag und Wissenschaft aufzugreifen, welches den finanzmarktlichen Diskurs seit mindestens 2007 dominiert: Das Phänomen der Krise. Von einer „Finanzmarktkrise“, auch ist von „Schulden-“ oder „Eurokrise“ ist die Rede.

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Fußnoten
1
Damit ist angezeigt, dass Krise nicht rein negativ konnotiert sein muss: Jede Krise kann prinzipiell auch positive Wirkungen und Chancen entfalten (vgl. Steg ebd.: 423). Häufig wird auf das chinesische Schriftzeichen für Krise verwiesen, das aus dem Ausdruck für Gefahr bzw. Risiko und dem für Gelegenheit bzw. Chance besteht (vgl. ebd.). Sozialwissenschaftlich Diskurshaftes findet man dazu, im Vergleich zu den negativen Effekten, allerdings kaum etwas. Vielleicht folgt dies noch.
 
2
„Dabei handelt es sich um Verfahren, die wahrscheinlichkeitstheoretische Figuren ins Innere finanzökonomischer Geschäftspraktiken verpflanzen“ (Vogl 2012: 96).
 
3
Man kann noch eine Reihe weiterer Modelle der Rating-Agenturen anführen, CDOs zu bewerten, diese sind allerdings zumeist mit spezieller Software der Rating-Agenturen verbunden (vgl. Angelé ebd.: 88 ff.). Daher wird auf sie weiter unten in diesem Unterkapitel eingegangen, wenn Rating-Software systematisch behandelt wird.
 
4
Wer dieses Verhalten der Rating-Agenturen relativieren möchte, könnte, wie Hiß (2009) bemerkt, anführen, die Rating-Agenturen hätten erst wenige Jahre zuvor mit der Bewertung verbriefter Kreditprodukte begonnen, für die dementsprechend erst wenige historische Daten angesammelt hätten werden können (vgl. Hiß 2009: 6). Das Argument der ‚Unerfahrenheit‘ kann m. E. allerdings nicht so stark gewichtet werden, immerhin ist das ja im Grunde nicht kritisierbare Ziel der Rating-Agenturen, wirtschaftliche Gewinne aus den Bewertungen zu ziehen. Insofern sind natürlich stets auch (ebenso nicht kritisierbare) Verluste möglich: „In den ersten zehn Monaten des Jahres 2007 mussten die drei großen Ratingagenturen Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch zusammen 9.496 Abwertungen für Subprime-Tranchen vornehmen, im Vergleich zu „nur“ 836 im Jahr 2006 und 240 in Jahr 2005“ (Romey und Drut 2008 zit. nach Hiß ebd.; Herv. i. Orig.); Anschluss-Kritik kommt dann allerdings (berechtigt) auf, wenn man unterstellt, wie oben dargelegt, dass ein Großteil zahlreicher Produkte in Portfolios Privat-Anlegern gehörte (und gehört).
 
5
Eine Perspektive, die hier nicht weiter vertieft werden kann, lenkt den Blick auf „abweichendes Verhalten“ von Wirtschaftsorganisationen, wobei sich bestimmte Ereignisse als „Wirtschaftsskandale“ (Florian 2010: 1 ff.) kennzeichnen lassen: Manche Organisationen bzw. deren Agenten, so Florian weiter, hätten sozusagen Gefallen daran gefunden, „ … sich nach den institutionellen „Spielregeln“ des ökonomischen Feldes „falsch“ zu verhalten. Die enthüllende Berichterstattung in Massenmedien hat zugleich die Aufmerksamkeit und Sensibilität der Öffentlichkeit verstärkt, gesetzlich verbotene und moralisch zweifelhafte Wirtschaftspraktiken zu skandalisieren. Prominente, und als Spitze des Eisbergs weltweit beachtete Beispiele für solche Wirtschaftsskandale und damit verbundene spektakuläre Insolvenzen sind Unternehmen wie Enron (Oktober 2001), Arthur Andersen (November 2001) [Wirtschaftsprüfungsgesellschaft des o. g. Enron-Konzerns; im Anschluss an den Enron-Skandal nicht mehr tätig; Anm. T. M.] und WorldCom (März 2002), denen in den USA unter anderem massive Bilanzfälschungen, die Verletzung von Vorschriften der Börsenaufsicht und Wirtschaftsprüfung, Insidergeschäfte und Interessenkonflikte oder die Vernichtung von Beweismitteln zur Behinderung der Justiz vorgeworfen wurde“ (ebd.: 7; Herv. i. Orig.).
 
6
Von neuem Institutionalismus wird gesprochen, weil prinzipielle Fragestellungen und Erklärungsstrategien der älteren Soziologie (Durkheim, Parsons, Selznick, Berger/Luckmann) aufgegriffen werden, von neuem Institutionalismus, weil organisationale Prozesse und Strukturen nicht auf autonome Entscheidungen zurückgreifen, sondern – wie vorn bereits erwähnt – als in gesellschaftliche Strukturen eingebettet erklärt werden (vgl. Türk 2004; Hasse und Krücken 2005 [1999]; Walgenbach 2001[1999]; Scott 1995).
 
7
Die bisherigen Ausführungen haben verdeutlicht, dass Rating in und von Organisationen eindeutig in ein gesamtgesellschaftliches Accounting-Setting einzuordnen ist. Miller (2007) weist darauf hin, dass sich eine Accounting-Perspektive sukzessive von der Soziologie emanzipiert habe, da nicht mehr schlicht soziologische – theoretische – Erklärungsmuster an Accounting-Fragen angelegt würden, sondern theoretische Konzepte sich auch zunehmend umgekehrt durch die Analyse kalkulativer Praktiken des Accounting herausgebildet hätten (vgl. Miller 2007: 29). Man kann dies als frühe praxistheoretische Perspektive kennzeichnen, die im Prinzip keine vorgängig existente soziologische Theorie behauptet, sondern ihren Fokus auf Phänomene und Ereignisse legt, die dann mit den Mitteln einer Soziologie bearbeitet werden können, aber zugleich auch Soziologie ‚hervorbringen‘. Die ermöglichte (mit) den Aufstieg der erkenntnis-erweiternden Theorierichtung, die sich im Prinzip aus organisationstheoretischen Fragestellungen heraus entwickelt hat: des hier zugrunde liegenden soziologischen Neo-Institutionalismus (vgl. Stickler 2005: 286 ff.).
 
8
Gesellschaftlichen Erwartungen zu entsprechen, ist für jede Organisation, so auch für jede Rating-Agentur, zentral: „Organisationen, die sich gegenüber den normativen Erwartungen ihrer gesellschaftlichen Umwelt konform verhalten, können so das Vertrauen wichtiger externer Akteure gewinnen“ (Stickler ebd.: 288). Damit sei die zentrale Relevanz von Vertrauen (vgl. Abschn. 4.1) in Rating-Settings erneut hervorgehoben.
 
9
Dieses „Sammelbecken“ hatte beginnend in den 1970-er Jahren die herrschende Organisationsforschung grundlegend irritiert: Einerseits galt die Parsons’sche Perspektive, nachdem die Kultur der Gesellschaft, mithin auch die einer jeden Organisation, im Prinzip gleichsam die herrschenden Normen und Werte repräsentierte. Andererseits war zwecks der Analyse des Unterschieds zwischen Organisationen die Kontingenztheorie vorherrschend; sie interessierte sich für zwei Grundmuster: Erstens ging es um die Unterstellung, nach der Organisationsstrukturen die rationalen Zwecke einer jeden Organisation abbildeten, z. B. würden Krankenhaus-Strukturen geschaffen, um Patienten bestmöglich zu heilen oder Industriebetriebe würden auf diese oder jene Art gestaltet, um Produktionsprozesse optimieren zu können. Zweitens standen Fragen der – gleichförmigen – Abweichung „von best management practices in Form bürokratischer oder tayloristischer Prinzipien“ (Hasse und Krüger ebd.; Herv. i. Orig.) von Organisationen im Fokus (vgl. Hasse und Krüger ebd.: 10).
 
10
Am Term dieser für Rating-Agenturen geltenden „institutionellen Regeln“ wird die generelle Fokussierung auf einen zentralen soziologischen Grundbegriff deutlich: Den der Institution. Bei allen Detailschwierigkeiten können Institutionen dabei zumindest als Komplexe sozial definierter, dauerhafter, gegenüber abweichendem Verhalten relativ resistenter Regeln, Normen, Deutungen, Orientierungen sowie Handlungs- und Denkmuster verstanden werden, die einen verbindlichen gesellschaftlichen Geltungsanspruch erheben und in den Erwartungen der Akteure verankert sind (vgl. Türk 1997; Florian 2008). Diesen durch Internalisierung verfestigten Mustern und Sinngebilden kommt eine regulierende bzw. orientierende Funktion zu (vgl. Göhler 1997: 28). Insbesondere Berger und Luckmann (1972 [1970]) hatten herausgearbeitet, dass institutionalisierte Regeln im Prinzip habitualisierte Handlungen darstellen, die „durch Typen von Handelnden reziprok typisiert werden“ (Berger und Luckmann ebd.: 58). Es handelt sich um normative Verpflichtungen, die im Grunde „soziale Tatsachen“ sind, die außerhalb der Individuen (und auch außerhalb der Organisationen) existieren und ihre eigene Wirkmächtigkeit, als Realität sui generis, darstellen und seitens der Gesellschaftsakteure berücksichtigt werden müssen. Nun wird mit Blick auf die seit 2007 ff. andauernden und ineinandergreifenden Banken-, Finanz- und Schuldenkrisen häufig betont, dass sich das weltgesellschaftliche Institutionen-Gefüge in einem beschleunigten und grundlegenden gesellschaftlichen Wandlungsprozess befinde. Oft werden hier Einheiten als Institutionen genannt, die relativ unzweifelhaft innerhalb dieses Gefüges verortet werden können, wie etwa Staat, (Finanz-) Markt oder Organisation. In erster Ansicht könnten Rezipient*innen noch geneigt sein zu glauben, hier sei Institution mit Organisation verwechselt worden. Spätestens der zweite reflektierende Blick allerdings vergegenwärtigt, dass wir gar nicht umhinkommen, diese genannten Einheiten bzw. die durch sie geschaffenen Ausprägungen als handlungsanleitende Denk- und Praxisregel zu begreifen. Einzig ein a priori dieser Regeln, sodass sie ‚einfach da‘ wären, kann wohl nicht unterstellt werden.
 
11
Dies wäre eine Interpretation des Ansatzes Meyers und Rowans als „kontingenztheoretische Lesart“ (Türk 1997: 128): Eine solche bedeutete, dass Organisationen institutionelle Erwartungen aus Legitimationsgründen berücksichtigen müssen (vgl. ebd.)
 
12
Die Figur der organisationalen Doppelstruktur ist später in differenzierter Form v. a. von Brunson (1989) aufgegriffen worden, der zwischen den nur lose miteinander gekoppelten Prozessen von „talk“ (Darstellung), „decision“ (Entscheidung) und „action“ (faktisches Handeln) unterscheidet und damit noch eine dritte Strukturdimension einführt (vgl. Türk 2004: 928).
 
13
Kirchner/Meyer bemerken, dass das Verhältnis dieser beiden Strukturtypen im Prinzip „gesellschaftliche Werte, kognitive Skripte, die ready made accounts und die Standards der Organisationsumwelt zur zentralen Analyseeinheit“ (Kirchner und Meyer 2017: 1; Herv. i. Orig.) mache.
 
14
Erneut Kirchner und Meyer (ebd.) sind es, die darauf aufmerksam machen, dass – mit Verweis auf Weick 2009 – die Konzentration auf die Entkopplung zwischen materieller und symbolischer Ebene den Fokus darauf versperrt, dass auch Organisationsteile sich voneinander entkoppeln können, also nicht allzu schnell von einer Organisation als Einheit, als Ganze, ausgegangen werden soll (vgl. ebd.). Diese Auffassung ist im Prinzip zu unterstützen, spricht sie sich doch auch im Sinne der hier dargelegten Organisations-Definition dafür aus, dass eine Einheitsfiktion von Organisation zu vermeiden ist. Ein derart durch Meyer/Rowan transportiertes abstrakteres Organisationsverständnis dagegen zeigt das frühe (organisationstheoretische) Stadium der Arbeiten der beiden Autoren an, in die Aspekte wie „Mikropolitik“ oder „Organisations- (Sub-) Kulturen“ noch nicht eingeflossen sind.
 
15
Damit ist also explizit mehr als ein bloßes Wettbewerbsverhältnis zwischen Konkurrenten, wie etwa vom Populationsumwelt-Ansatz propagiert, oder ein Netzwerk interagierender Organisationen gemeint. Ein Feld so zu definieren, wie DiMaggio/Powell dies tun, setzt voraus – und das ist ja für den Grundtenor der vorliegenden Arbeit von großer Bedeutung –, dass grundsätzlich unterstellt wird, dass alle Teilnehmer des Feldes Organisationen sind. In einem organisationalen Feld entstehen Angleichungsprozesse zwischen den einzelnen Organisationen; diese Felder sind durch vier Merkmale gekennzeichnet (vgl. Türk 1997): (1) die Häufigkeit der Interaktion von Organisationen, (2) die Existenz klar definierter interorganisationaler Strukturen von Dominanz und von Koalitionen, (3) ein hohes Maß an Informationsdichte (information load), mit der die Organisationen umgehen müssen und (4) die Entwicklung des Bewusstseins der organisationalen Akteure, dass sie in einen gemeinsamen Bereich involviert sind. In organisationalen Feldern institutionalisieren sich im Laufe der Zeit bestimmte Formen und Praktiken, die Legitimitätsgeltung erhalten. Sie werden aus diesem Grunde übernommen und nicht deshalb, weil sie effizient sind. Wichtig ist für DiMaggio und Powell in erster Linie, dass die Akteure im Feld ein Bewusstsein dafür entwickeln, Teil eines gemeinsamen Bedeutungssystems zu sein. Scott hat dies über die von ihm beschriebene kulturell-kognitive Säule noch einmal weiter spezifiziert. Diese legt die den Akteuren im Feld zu Verfügung stehenden Identitäten, Handlungslogiken und Legitimitätskriterien fest (vgl. Scott 1994). Die Ausbildung eines solchen geteilten Bedeutungssystems ist ein Prozess, in dessen Verlauf eine Zunahme an Interaktionen und die Ausbildung interorganisationaler Kooperations- und Herrschaftsbeziehungen zwischen den Organisationen im Feld beobachtet werden kann.
 
16
Dem Aspekt, auf den Becker-Ritterspach und Becker-Ritterspach (2008) eingehen, dass es nämlich bspw. bei ähnlichen Ressourcen oder wenig organisationalen Alternativ-Modellen im Rating-Feld anstatt zur Isomorphie auch zu einer Polymorphie (z. B. innovative Organisationsmodelle) kommen kann, kann hier ohne weitere empirische Forschung nicht nachgegangen werden. Interessant wäre hier die Frage isomorpher/polymorpher Strukturvergleiche bspw. zwischen US-amerikanischen und asiatischen Rating-Agenturen.
 
17
Allerdings sollten wir nicht von einer naiven Ablösung ausgehen, insofern, dass kognitive normative Institutionalisierungsprozesse schlicht ersetzt hätten. In praxi müssen wir nach wie vor von einer Parallelität verschiedener Wirkaspekte ausgehen, bspw. von normativen (z. B. bindende Erwartungen), kognitiven (z. B. konstitutive Schemata) und regulativen (z. B. Regeln) (vgl. Scott 1994; 2001).
 
18
Die Deutung, dass praktisch die Weiter-Entwicklung bzw. die Verarbeitung von Institutionen wichtiger sei als die Entstehung und Verfestigung, ist für weite Teile dieser Arbeit in dieser Zuspitzung sicherlich wohl so nicht durchgängig vorzunehmen: Im Falle von Ratings scheint ja gerade die Tatsache, dass sich dieses Dispositiv zu einer Institution verhärtet und eine ganze Reihe von unhinterfragten Eigendynamiken produziert hat, zunächst einmal als feststellenswert (darüber geben ja auch die hier dargelegten Kapitel extensiv Auskunft). So möchte ich Hasse/Krücken in Bezug auf diese Aussage so interpretieren, dass die soziologische Theorieentwicklung im Nachklang zu Meyer/Rowan bzw. DiMaggio/Powell (notwendige) Perspektiven eröffnet hat, Institutionen nicht bloß in Bezug auf ihre Statik, sondern gerade in Bezug auf ihre Dynamik zu analysieren. Es sei denn, man interpretiert den Hinweis dahingehend, dass es wichtiger sei, kognitiv aktualisierende Institutionen denn (parsonianerische) Institutionen, die sich auf Normen und Werte beziehen, zu analysieren. Das wäre dann die vollzogene „kognitive Wende“, der zeitgenössische Soziologie im Grunde längst nicht mehr widersprechen kann (vgl. dazu die Ausführungen gegen Ende des vorigen Unterkapitels).
 
19
Die stärkste Form innerhalb des Institutionalisierungs-Spektrums, die De-Institutionalisierung, ist laut Hasse/Krücken die interessanteste, da sie eigentlich nicht auf der neo-institutionalistischen Forschungsagenda gestanden habe (vgl. Hasse und Krücken ebd.). Im Grunde ist dem wohl auch zuzustimmen. Diese Arbeit verfolgt allerdings, auch wenn dies neo-institutionalistisch als klassisch erscheinen mag, die Perspektive, die (historische) Institutionalisierung bzw. die Institutionalisierungsprozesse nebst der entsprechenden Akteure und Praktiken herauszuarbeiten. Eine ‚reine‘ De-Institutionalisierung müsste ja relativ exakt, zumindest plausibel, angeben können, welche Institutionen durch das Aufkommen von Rating verdrängt und weniger ‚gültig‘ geworden sind. Nicht, dass nicht Elemente dessen in die hier dargelegte Arbeit hineingelesen werden könnten (etwa die gesellschaftliche Institution ‚Gerücht‘ durch jene der ‚Zahl‘ ersetzt zu haben u. a. m., vgl. Kap. 2). Allerdings ist dies keine institutionen-theoretische Arbeit und zudem würde nach Auffassung des Verfassers die Pointe der Institutionalisierung von Rating wenn nicht verwischt, so doch zumindest relativiert.
 
20
Eine vertiefende Analyse zu den ursächlichen, auslösenden Faktoren einer De-Institutionalisierung liefert Oliver (1992). Als Faktoren nennt sie namentlich „funktionale“ (ebd.), „politische“ (ebd.) und „soziale“ (ebd.).
 
21
Hier schließe ich mich Hiß und Nagel (ebd.) an, wenn sie „theorization“ mit Theorisierung übersetzen und nicht mit Theoretisierung: Ersterer Begriff meint, einen empirisch-begründete Idee in eine Theorie zu überführen – was etwas anderes ist, als einen empirischen Sachverhalt theoretisch zu überprüfen (= Theoretisierung) (vgl. ebd.).
 
22
Dass angesichts der Übermacht der „big three“ die Legitimitätsnotwendigkeit für zahlreiche europäische Rating-Agenturen de facto kaum bestehen dürfte, sei hier als Randnotiz bemerkt.
 
23
Es soll hier angemerkt werden: Die in den vorigen Kapiteln zu Abnahme der Bedeutung von Nationalstaatlichkeit („Governance“ vgl. Abschn. 2.​3) bzw. zur Dominanz von Nationalstaatlichkeit (wohlgemerkt als Form von der sich nicht-staatliche Einheiten dadurch erst absetzen konnten; vgl. v. a. den neo-institutionalistischen Ansatz Meyers et al.) wiedersprechen sich einander nicht.
 
24
Diese Komplexität wird nicht nur durch (national-) staatliche Bedingungen Aktivitäten gespeist, sondern auch durch die grundsätzlich die ökonomischen Interaktionen unterliegende Kapitalismus-Variante: Eher liberalere Modelle, wie bspw. in den USA, betonen die Ausrichtung der Unternehmenspolitik am shareholder value sowie die Finanzierung konkurrierender Unternehmen eher über den Kapitalmarkt als über Banken; dahingegen stehen koordinierte – eher kontinental-europäische – Modelle für eine Stakeholder-Orientierung sowie Unternehmenskooperationen (vgl. Schröder 2014). Unter der Prämisse, dass 95 % des Rating-Geschäfts durch die „big three“ vollzogen werden, wird schnell klar, welches die dominante Kapitalismus-Variante im Rating-Feld ist. Zugleich kennzeichnen ‚die Anfänge‘ der liberalen Variante auch zentrale Bedingungen der Möglichkeit, erste Kreditauskufteien, als „Mercantile Agencies“ (vgl. Kap. 2), in den USA zu etablieren.
 
25
Die Verwendung dieser Vergangenheitsform soll nicht suggerieren, dass etwa die Epoche des Management-Kapitalismus bereits reine Vergangenheit sei: Er existiert ja auch in zeitgenössischen ökonomischen Organisationspraxen fort.
 
Metadaten
Titel
Felder: Krisen, Umwelten und Institutionen
verfasst von
Thomas Matys
Copyright-Jahr
2023
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40796-4_4