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2023 | Buch

Form und Vergegenwärtigung

Funktionalistische Studien zur Organisation des Sterbens zu Hause

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Über dieses Buch

Das eigene Zuhause gilt vielen nach wie vor als der ›ideale‹ Sterbeort. In mehreren Fallstudien zeigt der vorliegende Band am Beispiel der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV), wie das Sterben zu Hause in organisierte Formen übersetzt und professionell begleitet bzw. versorgt wird. Die Ergebnisse der Fallstudien zeigen, wie zwischen vielfältigen und zum Teil auch widersprüchlichen professionellen Anforderungen, aber auch den Erwartungen von Patient:innen und Angehörigen vermittelt werden kann. Durch die Analyse der beruflichen Perspektiven von Palliativärzt:innen und Palliative Care Fachkräften wird ersichtlich, wie die sich in Folge von Ausdifferenzierung und Spezialisierung immer weiter verselbstständigende medizinische und pflegerische Expertise im privaten Raum gegenüber einem ›Laienpublikum‹ aus Patient:innen und Angehörigen bewähren kann. Es wird beispielhaft am Thema der Palliativversorgung zu Hause aufgezeigt, wie die ›Produkte‹ eines Prozesses der funktionalen Differenzierung gesellschaftlich anschlussfähig werden.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Einleitung und Forschungsstand

Frontmatter
Kapitel 1. Versozialwissenschaftlichung des Sterbens
Zusammenfassung
Es gehörte über Jahrzehnte hinweg zu einer Art Grundintuition beim Schreiben über das Sterben in der Moderne, im Umgang mit diesem Thema und im Verhältnis der Gesellschaft zum Tod im Allgemeinen den Kristallisationspunkt aller Unvollkommenheiten und Fehlentwicklungen der Moderne zu sehen. Deren Fortschritts- und Gleichheitsversprechen wurde der Spiegel einer Regression hinsichtlich der Bearbeitung ›letzter Fragen‹ vorgehalten. Über eine verklärende Rückschau auf den Umgang mit Sterbenden in besser geglaubten früheren Zeiten, in denen das Sterben beinahe zum Alltag gehörte und ein quasi öffentliches, von allgemeiner Anteilnahme gekennzeichnetes Ereignis war, erschien das Sterben in der Moderne an den Rand gedrängt.
Anna Bauer
Kapitel 2. Sterbebegleitung und Palliativversorgung zu Hause – eine kurze Geschichte
Zusammenfassung
In diesem einführenden Kapitel soll der spezifische Kontext beschrieben werden, mit dem sich die vorliegende Publikation genauer befassen wird. Diesen Kontext bildet die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (sapv), deren rechtliche und versorgungspolitische Grundlagen in diesem Kapitel dargestellt werden sollen. Diese Beschreibungen werden diachron perspektiviert, indem auf die Vorgeschichte und auf mögliche Zukünfte der sapv eingegangen wird – die sapv wird so weniger als Revolution in der Hospiz- und Palliativversorgung, sondern vielmehr als das Ergebnis eines länger andauernden, evolutionären und nach wie vor offenen Entwicklungsprozesses beschreibbar.
Anna Bauer
Kapitel 3. Gegenwarten der Einschreibung – zur soziologischen Thematisierung der Organisation des Sterbens
Zusammenfassung
Ziel des folgenden Kapitels ist es, den vorliegenden Forschungsstand zum Zusammenhang von Sterben und Organisation anhand der Darstellung zentraler in den vergangenen Jahrzehnten erschienener Monografien darzustellen. Statt lediglich summarisch unterschiedliche Untersuchungen zum Thema nur vorzustellen und zusammenzufassen, geht es mir darum, deren Perspektive auf das Thema nachzuzeichnen, um am Ende im Anschluss und in Abgrenzung daran eine eigene Beobachterperspektive entwickeln und präzisieren zu können. In diesem Sinne dient die Darstellung des Forschungsstandes als eine Art Prolog für die darauffolgende Konstitution der analytischen Perspektive.
Anna Bauer

Analytische Perspektiven

Frontmatter
Kapitel 4. Erkenntnistheoretische Vorannahmen
Zusammenfassung
Forschung beginnt nie an einem Nullpunkt, sondern sie tastet sich anhand bestimmter Vorannahmen allmählich zu ihrem Gegenstand hervor. Allein das Stellen einer Forschungsfrage impliziert bereits Eigenschaften des Gegenstandes. An dieser Stelle sei noch einmal an die Forschungsfrage erinnert: Für welches Problem ist die ambulante Palliativversorgung eigentlich die Lösung? Wie eingangs erwähnt wurde (vgl. Kapitel 1), ist dies eine funktionalistische Frage, die nicht nach Wesenheiten oder Kausalitäten fragt, sondern mit dieser Frage soll vielmehr versucht werden, mit möglichst sparsamen Prämissen an den Untersuchungsgegenstand heranzutreten.
Anna Bauer

Methodik und Material

Frontmatter
Kapitel 5. Methodologische Grundannahmen
Zusammenfassung
Es sollen in diesem Kapitel einige Grundannahmen hinsichtlich der Methodologie dargestellt werden, um die Genese der Daten selbst, aber auch die eingenommene Perspektive auf die Daten nachvollziehbar zu machen. Es geht um die Frage, wofür man sich überhaupt interessiert, wenn man der Analyse zugrunde legt, dass es Systeme gibt, dass man also systemtheoretisch forscht. Im darauffolgenden Abschnitt soll erläutert werden, wie konkret im Rahmen der vorliegenden Ergebnisdarstellung geforscht und wie das Datenmaterial hierfür erzeugt wurde.
Anna Bauer
Kapitel 6. Datengrundlage und Auswertungsmethode
Zusammenfassung
Das Ziel der Datenauswertung war es, die Kommunikation zu beobachten, die die berufliche Praxis derjenigen umgibt, die das Sterben zu Hause professionell begleiten und versorgen. Rückbezogen auf die in Kapitel 1 dargestellte Forschungsfrage und auf die sich daraus ergebende Methodologie bedeutet dies, sich für Kommunikationsmuster und Beschreibungen typischer Praxisformen zu interessieren, vor der Hintergrundannahme, dass diese deshalb vorkommen, weil sie sich bewähren, weil sie also ein Problem lösen. Es geht um den Blick auf eine sich im Material entfaltende »Logik der Praxis«, die sich in einem organisierten Rahmen ereignet und die nicht vollkommen zufällig, aber auch nicht beliebig ist; das ist damit gemeint, wenn vom System die Rede ist.
Anna Bauer

Gegenwarten des Sterbens zu Hause: empirische Fallstudien

Frontmatter
Kapitel 7. Gegenwart des Arztes am Sterbebett – die Empirie der Palliativmedizin
Zusammenfassung
In der von Philippe Ariès so genannten Epoche des »gezähmten Todes«, die im 5. Jahrhundert nach Christus begann und bis zum Ende des 18. Jahrhunderts andauerte, sei das Sterben und der Tod etwas ganz natürliches gewesen, was mit Gelassenheit hingenommen wurde und ein quasi öffentliches Ereignis darstellte – es war charakterisiert durch eine »naive und spontane Fügung ins Schicksal und in den Willen der Natur« (Aries.1980: 43). Ariès’ Auswahl historischer Quellen von Schilderungen der Situation des Sterbens in dieser Zeitspanne verdeutlichen immer wieder, dass der Platz am Sterbebett nicht der des Arztes gewesen sei, sondern des Pfarrers.
Anna Bauer
Kapitel 8. Gegenwart der Familie – organisierte Regulation von Nähe und Distanz
Zusammenfassung
Zentral für das Verständnis der ambulanten Hospiz- und Palliativarbeit ist es, dass die Sterbebegleitung bzw. die Palliativversorgung anders als in Hospizen oder auf Palliativstationen nicht in einer speziell auf die Versorgung und Begleitung von Sterbenden spezialisierten Einrichtung stattfindet. Die Mitarbeitenden der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (sapv) kommen in das Zuhause der Patient:innen und versorgen diese dort. Typischerweise sind die Patient:innen dort nicht allein, sondern Ärzt:innen, Pflegekräfte und weitere Berufsgruppen treffen auf Angehörige, d. h. auf Söhne, Töchter, Mütter, Väter, Freund:innen oder Nachbar:innen.
Anna Bauer
Kapitel 9. Ausgedehnte Gegenwarten – operative und topografische Räume
Zusammenfassung
Bis auf wenige Ausnahmen fokussierte sich die sozialwissenschaftliche Forschung zu Palliativversorgung und Sterbebegleitung bisher überwiegend auf stationäre Kontexte wie Hospize und Krankenhaus- bzw. Palliativstationen. Es scheint plausibel, Organisationen anhand eines konkreten Ortes, eines Gebäudes oder bestimmter Räumlichkeiten zu identifizieren. Es sind dies Orte, in die Forschende eintreten können, in denen sie sich umsehen und beobachten können.
Anna Bauer

Palliativversorgung zu Hause und funktionale Differenzierung

Frontmatter
Kapitel 10. Drei Bezugsprobleme ambulanter Palliativversorgung und Sterbebegleitung
Zusammenfassung
Die vorliegende Untersuchung begann ursprünglich einmal mit der Frage: Für welches Problem ist die ambulante Palliativversorgung und Sterbebegleitung eigentlich die Lösung? Diese Frage liegt gewissermaßen quer zu den Themen der Fallstudien, denn jede Fallstudie trägt einzelne Elemente zur Beantwortung der Frage bei. Diese Elemente sollen in dem nun folgenden Kapitel zusammengetragen, einer abschließenden Beantwortung der Forschungsfrage zugeführt sowie – wo sinnvoll und möglich – mit dem Stand der Forschung rückgekoppelt werden.
Anna Bauer
Kapitel 11. Die Palliativversorgung der Gesellschaft: Ausblick & Fazit
Zusammenfassung
Der vorliegende Band ergänzt den Forschungsstand zum Sterben in Organisationen, aber auch zum Sterben zu Hause in verschiedenen Hinsichten und es ergeben sich relevante Erkenntnisse für mehrere Teilgebiete der Soziologie. Aus der Aufarbeitung des Forschungsstandes ergab sich, dass das Sterben in stationären Einrichtungen, aber auch im ambulanten Sektor beinahe typischerweise ethnografisch erforscht wird. Der Blick richtet sich dann klassischerweise auf das Geschehen in diesen Einrichtungen oder im Zuhause der Sterbenden, auf das Handeln der beteiligten Akteur:innen, auf die das Sterben umgebenden Praktiken, kurzum – in den Worten Stefan Hirschauers: auf »materielle Settings, wortlose Alltagspraktiken, stumme Arbeitsvollzüge, bildhafte Performativität usw.« (Hirschauer 2001: 437) Aus den teilnehmenden Beobachtungen entstehen dann Beobachtungsprotokolle, die zu »dichten Beschreibungen« (Geertz 1987) werden. Es wird hier das Problem der »›Schweigsamkeit‹ des Sozialen« bearbeitet, in dem »etwas zur Sprache gebracht wird, was vorher nicht Sprache war« (Hirschauer 2001: 430). Es gelingt diesen Studien, das Nebeneinanderherlaufen verschiedener Praktiken mit bisweilen widersprüchlichen Zielrichtungen sehr anschaulich zu beschreiben – z. B. das Nebeneinander von Leben und Sterben im Altenheim (vgl. Salis Gross 2001), das Nebeneinander von kurativer und palliativer Medizin in der Universitätsklinik (vgl, Streckeisen 2001) –, um auf diese Weise den neugierigen Leser:innen einen authentischen Einblick in die außeralltägliche Welt des Hospizes, der Palliativstation oder der ambulanten Hospizarbeit zu geben.
Anna Bauer
Backmatter
Metadaten
Titel
Form und Vergegenwärtigung
verfasst von
Anna Bauer
Copyright-Jahr
2023
Electronic ISBN
978-3-658-40678-3
Print ISBN
978-3-658-40677-6
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-40678-3