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2015 | Buch

Formalität und Informalität in Organisationen

herausgegeben von: Victoria von Groddeck, Sylvia Marlene Wilz

Verlag: Springer Fachmedien Wiesbaden

Buchreihe : Organisationssoziologie

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Über dieses Buch

Dass Formalität und Informalität in Organisationen zusammenspielen, ist für die Organisationsforschung nicht neu, aber immer wieder aktuell: Organisationen bewältigen Unsicherheit einerseits durch steigende Regelungsdichte und Standardisierung und andererseits dadurch, dass sie klassische formale Organisationsstrukturen abbauen und auf Flexibilität, Selbstmotivation und Kooperation setzen. Beide Entwicklungslinien führen zu Folgeproblemen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen thematisiert dieser Band folgende Fragestellungen: Wann findet warum eine Formalisierung des Informellen – oder umgekehrt eine Informalisierung des Formalen – statt? Ist die theoretische Unterscheidung von Formalität und Informalität für die Analyse aktueller empirischer Phänomene geeignet? Und wie lassen sich informelle Strukturen und Prozesse überhaupt erfassen?

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Auf dem Papier und zwischen den Zeilen
Formalität und Informalität in Organisationen
Zusammenfassung
Wenn Organisationsmitglieder zur Orientierung ihres Handelns allein das machten, was auf dem Papier steht, wenn sie nicht auch das verstehen könnten, was zwischen den Zeilen steht, wenn Organisationen sich auf ihre formalen Strukturen und Verfahren reduzieren ließen, dann gäbe es sie nicht. Diese Aussage scheint ein wenig zugespitzt formuliert und eigentlich unmittelbar einsichtig – jede/r, der bzw. die in irgendeiner Form in Organisationen eingebunden ist, weiß, dass es neben förmlichen Vorschriften und offiziellen Vorgängen immer auch ungeschriebene Regeln und vielfältige Handlungsoptionen abseits des Dienstwegs gibt. Sinnvoll ist die Aussage in ihrer Zuspitzung daher erst, wenn man sich den Hintergrund vergegenwärtigt: die mit Beginn der Organisationsforschung etablierte und seitdem zu einem zentralen Bezugspunkt der Analyse, wenn nicht zu einem Kern der Definition von Organisation, gewordene Unterscheidung von Formalität und Informalität in Organisationen.
Victoria v. Groddeck, Sylvia Marlene Wilz

I Theoretische Überlegungen

Frontmatter
Formalität und Informalität
Zu einer klassischen Unterscheidung der Organisationssoziologie
Zusammenfassung
Kaum ein Thema ist für die soziologische Theorie der Organisation so klassisch wie das der Unterscheidung von Formalität und Informalität. Soweit von Klassik die Rede ist, kann dabei nicht überraschen, dass sich der Stellenwert und die Bedeutung, die das Begriffsduo formal/informal in der Herausbildung der Organisationssoziologie einst hatte, im Verlaufe der Entwicklung des Fachs verändert haben. Machte in den 1930er Jahren zunächst die „informale Organisation“ Furore, ohne dass mit dieser Entdeckung bereits ein nennenswertes Interesse an einer Theorie der formalen Organisation verbunden gewesen wäre, fand das explizite Bemühen um eine soziologische Theorie der formalen Organisation, die mithin dann auch der Informalität Rechnung trägt, im Gefolge der Debatten um den weberschen Idealtypus der Bürokratie (im Überblick: Mayntz 1968) in den 1960er Jahren ihren Höhepunkt (Blau und Scott 1962; Luhmann 1964) – aber damit auch bereits ihr Ende.
Veronika Tacke
Von der formellen Organisation zum informellen Organisieren
Zum Wandel des Informellen aus einer arbeitssoziologischen Perspektive
Zusammenfassung
Durch die Dezentralisierung der Organisation von Unternehmen und die zunehmende Bedeutung der Selbstverantwortung der Mitarbeiter entsteht ein neues Verhältnis zwischen Formellem und Informellem. Dies wird jedoch nur dann erkennbar, wenn das Informelle in seiner eigenständigen Struktur und Logik erfasst wird. In dieser Perspektive entpuppt sich das Informelle als eine eigenständige Form des Arbeitshandelns und Organisierens, die in der aktuellen Entwicklung an Bedeutung gewinnt. In einem ersten Schritt wird kurz das bisher vorherrschende Verständnis informeller Arbeit umrissen (1), um dann das Konzept des subjektivierenden Handelns vorzustellen (2). Auf dieser Grundlage werden in einem zweiten Schritt aktuelle Veränderungen der Organisation von Unternehmen skizziert (3) und unterschiedliche Erscheinungsformen informellen Arbeitshandelns und Organisierens aufgezeigt (4). Der Beitrag schließt mit einer Diskussion von neuen Anforderungen an die formelle Organisation sowie neuen Konfliktfeldern zwischen Formellem und Informellem (5).
Fritz Böhle
Das Zusammenspiel des Informellen und Formellen aus organisationskultureller Perspektive
Zusammenfassung
Während informelle und formelle Aspekte Bestandteil jeder Organisation sind und diese beeinflussen, hat sich die Organisationskultur als Perspektive und damit als ein möglicher Zugang zum Informellen und Formellen erst seit den 1980er Jahren in der Organisations- und Managementlehre etabliert. Dabei kann diese Perspektive einen zentralen Beitrag zum Verständnis für das Entstehen von Informellem und Formellem leisten wie auch für deren Zusammenspiel im Kontext von Organisationen. Bevor diese beiden Aspekte in Form von vier Thesen und anhand von Beispielen näher exploriert und diskutiert werden, wird zunächst die organisationskulturelle Perspektive mit ihrer historischen Entwicklung näher erläutert. Der Beitrag schließt mit einem Unternehmensbeispiel zur Illustration und einem Fazit, das auch auf Implikationen für den theoretischen Zugang zu Formellem und Informellem aus organisationskultureller Perspektive und auf Implikationen für forschungsrelevante Fragen eingeht.
Sonja A. Sackmann

II Methodische Herangehensweisen

Frontmatter
Die Entdeckung des Informellen im Organisationswandel
Zum Potenzial kommunikativer Forschungsmethoden
Zusammenfassung
Die Arbeits- und Organisationsforschung blickt inzwischen auf eine jahrzehntelange Tradition der Konzeptualisierung und Analyse informeller Strukturen, Praktiken und Sozialbeziehungen in Organisationen zurück. Einen gemeinsamen Ausgangspunkt dieser Forschungstradition bildet die Kritik an Forschungs- und Gestaltungsansätzen in der Organisationsperspektive des rationalen Systems (Scott und Davis 2007), welche die rationale Gestaltbarkeit von Organisationen und ihrer Formalstrukturen betonen. Die Kritik an der Perspektive der Organisation als rationales System förderte die Herausbildung einer neuen, in sich konzeptionell heterogenen Forschungsperspektive, die Organisationen als ‚natürliche Systeme‘ (Scott 1986; Preisendörfer 2005) fokussiert. Die übergreifende Gemeinsamkeit der diversen Ansätze dieser Forschungsperspektive besteht darin, dass sie soziales Handeln in und von Organisationen durch Verweis auf informelle Strukturen, Praktiken und (mikrosoziale) Prozesse erklären.
Guido Becke
Die geheimen Spielregeln der Organisation
Informalität als Thema wissenschaftlicher Weiterbildung
Zusammenfassung
Ständig hören wir, dass Organisationen gestaltet werden müssen. Doch warum Veränderungsprojekte manchmal nicht gelingen – oder zumindest nicht so, wie es meist vermittelt wird – darüber wird zumindest offiziell weitestgehend geschwiegen.
Henry Johns, Christine Schwarz

III Formalität und Informalität und die Beschreibung empirischer Phänomene

Frontmatter
Informalität als organisationaler Basisrhythmus
Beobachtungen in Familienunternehmen
Zusammenfassung
Organisationen sind überaus komplexe soziale Gefüge, in welchen verschiedene Akteure einen Teil ihrer Handlungen so aufeinander abstimmen, dass sie eine Sinnhaftigkeit ihrer Handlungen erkennen können und in der Lage sind, gemeinsame Produkte oder Dienstleistungen verfügbar zu machen. Will man Organisationen verstehen, so stellt sich unweigerlich die Frage, wie sie ihre spezifische Ordnung herstellen, erhalten, verändern oder zerstören. Dieser Beitrag konzentriert sich in diesem Zusammenhang auf die Rolle von Formalität und Informalität in diesem Prozess.
Ulrike Froschauer, Manfred Lueger
Der lange Abschied von der männlichen Organisation
Geschlechterverhältnisse zwischen Formalität und Informalität am Beispiel des Militärs
Zusammenfassung
Organisations- und Geschlechterforschung hatten sich lange Zeit recht wenig zu sagen: Die Organisationssoziologie hat die Geschlechterungleichheiten in Organisationen lange Zeit mit dem Hinweis darauf, dass Organisationen prinzipiell geschlechtsneutral seien, ignoriert, während die Geschlechterforschung im Gegenzug nicht selten behauptet hat, dass Organisationen per se diskriminierend seien. Dabei bezog sich die Geschlechtersoziologie etwa auf das Normalarbeitsverhältnis in Organisationen, das letztlich dem Modell des männlichen Ernährers entsprach, oder auf die These von Joan Acker (1992), dass die Erwartungen an Organisationsmitglieder nur scheinbar geschlechtsneutral seien, in Wahrheit seien sie immer männlich; Frauen würden dadurch offen oder verdeckt als ungeeignete Abweichungen für die Organisation (vgl. Müller 2005) behandelt.
Maja Apelt
Vom Versuch, „mit dem Arsch an die Wand zu kommen“: Paradoxien der Compliance-Kontrolle
Zusammenfassung
Der Informalität in Form von Regelverletzungen scheint in Organisationen in den letzten Jahren zunehmend Relevanz zugesprochen worden zu sein. Kristallisationsbegriff hierfür ist „Compliance“, eine Sammelbezeichnung für Kontrollmaßnahmen (nicht nur in Unternehmen, sondern auch in Behörden, NGOs und Vereinen) sowie für eine neuere Managementdisziplin, die derzeit erheblichen Zuspruch findet (Becker und Holzmann 2012; Quentmeier 2012). Bei dem Versuch normenkonformes Verhalten sicherzustellen, empfehlen Propagandisten der Compliance-Kontrolle Mittel wie die verschärfte selektive Behandlung von Organisationsmitgliedern, eine Reduktion und zugleich Formalisierung von Verhaltensmöglichkeiten (Überwachung) und sie legen die Formulierung von „Codes of Conduct“, Ethik-Richtlinien, „Guidelines“ oder „Mission Statements“ nahe – also eine „Moralisierung von Systemproblemen“ (Luhmann 1991, S. 31)
Jens Bergmann
Flexibilität und Inklusion: Die Integrationskraft informeller Kooperationsstrukturen
Zusammenfassung
Organisationale Flexibilisierungsprozesse werfen Fragen zum Verhältnis zwischen Organisationen und ihren Mitgliedern auf: Wie können Loyalität und Leistungsbereitschaft von Beschäftigten ohne das Versprechen langfristiger Einkommens- und Beschäftigungssicherheit und Aufstiegsperspektiven gewährleistet werden? Setzt eine Lockerung der Bindung zwischen Organisation und ihren Mitgliedern formalere, genau spezifizierte Leistungserwartungen und -kontrollen voraus? Gehen damit eine größere Offenheit gegenüber individuellen Lebensentwürfen oder deren stärkere Kontrolle einher, und unter welchen Bedingungen?
Birgit Apitzsch
Identitätsbedrohungen und Identitätsbehauptung: Professoren in reformbewegten Universitäten
Zusammenfassung
Wenn individuelle Mitglieder einer Organisation im Rahmen ihrer Tätigkeit für diese Organisation je eigene Interessen verfolgen oder Identitätsbehauptung betreiben, ist dies nicht Teil ihrer formalen Rolle, sondern Teil des informalen Geschehens, das sich in dieser Organisation abspielt. Die formale Mitgliedsrolle sieht vor, dass eine Person sich mit ihrem Handeln idealiter vollständig und reibungslos in die organisatorischen Verhaltenserwartungen fügt und dabei weder an sich selbst und ihre eigenen Interessen denkt noch sich selbst als Individuum zur Geltung bringt. Ein Organisationsmitglied hat hinter seiner Rolle zu verschwinden und soll völlig austauschbar sein.
Uwe Schimank

IV Das Unterlaufen der Unterscheidung: Die Empirisierung von Formalität und Informalität

Frontmatter
Politische Beratung: Ein Spiel mit Formalität und Informalität
Zusammenfassung
Organisationen produzieren Formalität. Die Fähigkeit zur Formalisierung und damit das Möglichmachen von Reproduzierbarkeit, das auf Dauer stellen von Strukturen und Prozessen, gehört zu den wesentlichen Merkmalen moderner Organisationen. Aus dieser Beobachtung resultiert sowohl eine gewisse Bewunderung der Soziologie für die Leistungsfähigkeit dieser Sozialform als auch ein Unbehagen angesichts der aus derselben Leistungsfähigkeit erwachsenden einschränkenden, mithin entmenschlichenden und entfremdenden Tendenzen. Bereits Max Webers Beschreibungen der bürokratischen Herrschaft sind von dieser Ambivalenz durchzogen, die sich in der kritischen Theorie Theodor W. Adornos zur Diagnose steigert, dass die Organisationen den Individuen die Chance zur Entwicklung verwehrten und Widerstand unmöglich machten (Adorno 1954).
Katharina Mayr, Jasmin Siri
Lob der Vagheit
Über die (Un-)Bestimmtheit formaler und informaler Regeln – eine Problemskizze
Zusammenfassung
1.
Ceterum censeo: Organisationen (Plural) sind die mächtigen Akteure und Sprecher der Moderne (Ortmann 2010, 2011, 2012).
 
Günther Ortmann
Die Listen der Organisation – Und der Blick zwischen die Zeilen
Zusammenfassung
Dieser Aufsatz handelt von den Listen der Organisation und ihrem praktischem Gebrauch – d. h. wir blicken im Folgenden sowohl auf das Papier, auf das Formale, als auch zwischen die Zeilen (und Spalten) von Listen. Wir interessieren uns für die soziale Praxis, die das Formale konstituiert und sich in seinen Zwischenräumen, informell, aber nicht weniger gekonnt, vollzieht.
Fabian Brückner, Stephan Wolff
Backmatter
Metadaten
Titel
Formalität und Informalität in Organisationen
herausgegeben von
Victoria von Groddeck
Sylvia Marlene Wilz
Copyright-Jahr
2015
Electronic ISBN
978-3-658-00603-7
Print ISBN
978-3-658-00602-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-658-00603-7