Um die Notwendigkeit und die Bedeutung dieser Arbeit im gesellschaftlichen Kontext zu erläutern, wird im Folgenden eine einleitende Betrachtung vorgenommen. Neben der Relevanz von Gender im beruflichen Zusammenhang wird die Diskrepanz zwischen rhetorischem Diskurs und praktischem Alltagshandeln aufgezeigt. Zudem werden Aufbau, Forschungsvorhaben und empirisches Vorgehen vorgestellt.
1.1 Bedeutung des Forschungsvorhabens
Arbeiten zu Genderthemen werden mitunter hinsichtlich ihrer Forschungsrelevanz infrage gestellt – gerade von Personen, die sich bisher noch nicht oder nicht ausführlich mit vergleichbaren Publikationen auseinandergesetzt haben. Bei näherer Betrachtung des Themas wird jedoch ersichtlich, dass Geschlecht nicht allein im wissenschaftlichen Rahmen eine bedeutende Rolle spielt, sondern auch in persönlichen, gesellschaftlichen und beruflichen Kontexten:
Hätte ich das geahnt, dass wir die ganze Zeit nach männlichen Maßstäben bewertet werden. Dann hätte ich… ja, was hätte ich eigentlich dann? Zumindest gewusst, dass es nicht fair ist.1
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In den vergangenen Jahren hat sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zunehmend auf Genderfragen im beruflichen Umfeld und auf den geringen Anteil von Frauen in Führungspositionen gerichtet. Hier zeigen sich punktuell Erfolge der feministischen Bemühungen der letzten Jahrzehnte, beispielsweise in der rechtlichen Gleichstellung oder hinsichtlich Bildungschancen. In „strukturelle[n] und institutionelle[n] Organisation[en] alltäglichen Lebens findet dagegen die Reproduktion männlicher Hegemonien ihre Fortsetzung“ (Thiessen 2004, S. 39). Dieses Phänomen der rhetorischen Modernisierung beschreibt die Diskrepanz zwischen Handlungspraxis und rhetorischem Diskurs (vgl. Wetterer 2003). Die umfangreichen Diskussionen rund um Frauen und Führungsverantwortung in den Medien, Kommentarbereichen von Social Media und alltäglichen Gesprächen stehen im Widerspruch zur Faktenlage: Nur 4 % aller Geschäftsführer:innen sowie 17 % der Vorständ:innen börsennotierter Unternehmen in Deutschland waren 2023 weiblich (vgl. AllBright 2023).
Die in dieser Arbeit beleuchtete Beratungsbranche erreicht einen Frauenanteil von circa 12 % auf der höchsten Leitungsebene (vgl. Bundesverband Deutscher Unternehmensberatungen – BDU 2022, S. 8).
Im rhetorischen Diskurs werden derweil scheinbar einfache Antworten für diese komplexe Problematik identifiziert. Die mediale Fremddarstellung der Beratungsbranche offenbart Erklärungsansätze, die Frauen für die notwendige Veränderung mitverantwortlich machen. So formuliert der Business Insider in einem Artikel, dass die geringe Anzahl an weiblichen Führungskräften „nicht allein ein strukturelles Problem“ sei, sondern „auch eine Frage der richtigen Karrierestrategie von Frauen“ (2023). Die Wirtschaftswoche postuliert, dass es Zeit für Veränderung in der Branche sei und nimmt die Frauen in die Pflicht: „Doch der Berater alter Schule ist auf dem Rückzug – ein neuer Stil ist gefragt. Vorangetrieben wird er von einer Reihe weiblicher Führungskräfte“ (2022).
Zumeist außer Acht gelassen werden dabei prägende Konzepte aus der Sozialforschung wie das Doing Gender im Berufskontext (vgl. West, Zimmerman 1987), die männliche Prägung von Organisationen wie Beratungsfirmen (Vgl. Dornheim 2015) sowie die zahlreichen zusätzlichen Hürden, die Frauen auf dem Weg in die Chefetage und, im Falle dieser Arbeit, Beraterinnen auf dem Weg zur Partnerin, nehmen müssen. Aus dieser Diskrepanz lässt sich schlussfolgern, dass
[…] die Modernisierung des Geschlechterverhältnisses rein rhetorischer Natur sei, denn in der alltagsweltlichen Praxis […] schreiben sich weiterhin tradierte geschlechtsspezifische Annahmen und Handlungsweisen fort, auch wenn sich die Idee einer Gleichheit von Frauen und Männern etabliert hat […]. (Wetterer 2003, zitiert nach Wustmann 2021, S. 215)
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Das Zitat lässt sich auf die Beratungsbranche in Deutschland übertragen und unterstreicht durch das Potenzial, rhetorischen Fortschritt in die Handlungspraxis zu überführen, die Bedeutung von Forschung in diesem Themenbereich.
Gerade bei wissenschaftlichen Arbeiten im Genderbereich ist es zudem notwendig, sensibel und inklusiv zu schreiben. Obgleich die vorliegende Arbeit dies anstrebt, kann sie es nicht gänzlich vermeiden, Zweigeschlechtlichkeit durch den Fokus auf „Frauen“ und „Männer“ im Berufskontext ungewollt zu reproduzieren. Dazu sei festgehalten, dass mit „Frauen“ als Untersuchungsgegenstand all diejenigen Menschen angesprochen sind, die sich als solche identifizieren oder im Berufskontext so gelesen werden und entsprechende Erfahrungen in dieser Rolle machen. Zukünftige Forschung mit einem Blick auf alle Geschlechter und Gender wird begrüßt. Möglichkeiten dazu finden sich im letzten Kapitel dieser Arbeit.
1.2 Vorgehen in dieser Arbeit
Die vorliegende Dissertation ist im Wesentlichen in zwei Abschnitte, theoretische Implikationen und empirisch erhobene Daten, gegliedert und untersucht interdisziplinär die Beratungsbranche im deutschen Raum als Explorationsfeld für das Thema der Karrierewege von Frauen in Führungspositionen. Aus diesem Grund werden sowohl wirtschaftswissenschaftliche als auch sozialwissenschaftliche und gendertheoretische Ansätze für die Untersuchung herangezogen.
Das folgende Kapitel 2. Einführung: Unternehmensberatung und Frauen in der Wirtschaft stellt eine fundierte Basis für die weitere Arbeit her. Neben der historischen Betrachtung dieser Branche mit langer Tradition und Einfluss auf Politik und Wirtschaft (vgl. Dornheim 2015, S. 4) werden der pyramidale Organisationsaufbau und die Karrierepfade beleuchtet, die eine substanzielle Rolle für die Einordnung der Ergebnisse spielen. Die Einführung in die Beratungsbranche ist für ein grundlegendes Verständnis der dortigen männlich geprägten Struktur und Normen notwendig. Ebenso wird hier mittels Literaturrecherche die Rolle von Frauen im beruflichen Kontext analysiert und unter anderem aufgezeigt, dass diese historisch bedingt in der Beratung und Wirtschaft nur einen geringen Anteil an Führungspositionen besetzen.
Im folgenden Kapitel 3. Theoretischer Bezugsrahmen wird dann eine permissive Definition der Beratungsbranche (vgl. Nissen 2019) sowie das Verständnis von Gender als performatives Element entwickelt (vgl. Butler 1990, 2011, Hördt 2002). Außerdem werden Einflüsse auf das Geschlecht im strukturellen, organisationalen und individuellen Kontext vorgestellt und relevante theoretische Konzepte diskutiert. Diese umfassen auf Makro-Ebene die Soziale Rollentheorie (vgl. Koenig, Eagly 2014) und Geschlechterstereotype (vgl. Thiele 2023, Hannover, Wolter 2019) sowie auf Meso-Ebene die Gendered Organization (vgl. Acker 1990), Tokenism (vgl. Kanter 1977), die Role-Congruity-Theory (vgl. Eagly, Karau 2002) und das Lack-of-Fit-Model (vgl. Heilman 1983). Auf Mikro-Ebene wird neben Doing Gender (vgl. West, Zimmerman 1987) das Konzept des Schönheitshandelns (vgl. Degele 2004) in Bezug auf diese Arbeit diskutiert. Alle genannten Ansätze werden nach der Vorstellung der empirischen Vorgehensweise im Ergebniskapitel wieder aufgegriffen und dienen als Grundlage zur Einordnung der gewonnenen Erkenntnisse.
Das Kapitel 4. Einordnung von Forschungsstand und Implikationen für diese Arbeit schließt die theoretische Betrachtung des Forschungsfeldes mit einem Überblick über relevante Studien zu Frauen in Führungspositionen (vgl. u. a. Eagly, Carli 2007, Bryant 1984) und Frauen in der Beratungsbranche (vgl. u. a. Nissen 2019, Dornheim 2015) ab. Es beinhaltet darüber hinaus eine Zusammenfassung der Implikationen und die Vorstellung der Forschungsfrage:
Wie wirken strukturelle, institutionelle und individuelle Einflüsse auf die Karrierewege von Frauen ein, die in der Unternehmensberatung höhere Führungspositionen erreicht haben?
Das folgende Methodenkapitel widmet sich der zweistufigen Feldphase, bestehend aus einem qualitativen Leitfadeninterview mit insgesamt zehn Beraterinnen, die hohe Führungspositionen erreicht haben, sowie einer quantitativen Befragung von 555 aktuellen und ehemaligen Beraterinnen zu einzelnen Aspekten aus den Interviews. Die Inhaltsanalyse der Gespräche nach Gläser und Laudel (vgl. 2009) wird ebenso vorgestellt wie die aus den Interviews entwickelten 27 Codes, gruppiert in sechs Code-Gruppen, entsprechend der theoretisch basierten Kategorisierung.
Das Ergebniskapitel 6. Ergebnisse der empirischen Datenerhebung stellt das zentrale Element der Arbeit dar. Es zeigt auf, welche Einflüsse in den qualitativen Leitfadeninterviews hinsichtlich der Karrierewege der Beraterinnen identifiziert werden konnten und wie diese vor dem Hintergrund der theoretischen Implikationen auf Makro-, Meso- und Mikro-Level einzuordnen sind. Außerdem werden relevante Erfolgsfaktoren aus den erhobenen Daten extrahiert und vorgestellt, welche Aspekte in der zweiten, quantitativen Feldphase erneut aufgegriffen wurden. Diese befasst sich mit zwei potenziellen Erfolgsfaktoren sowie zwei Hindernissen für Frauen, die in der Beratung höhere Führungspositionen erreicht haben.
Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse, der kritischen Würdigung und einem Ausblick auf Felder möglicher Anschlussforschung, die sich aus der quantitativen Studie ergeben.
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