Das Vertrauen der Bevölkerung in Institutionen wackelt. Das bestätigt das Edelman Trust Barometer Jahr für Jahr. Jetzt machte die Corona-Pandemie ein Umfrage-Update notwendig - mit Gewinnern und Verlierern. Wie Regierungen und CEOs dabei abschneiden.
Auf den Marktplätzen proklamieren sich die selbsternannten Corona-Rebellen die Kehlen wund, gegen Gesundheitsmaßnahmen, gegen Wissenschaft und Politik. So enigerichtet in einer mit allerlei wirklichkeitsverzerrendem Verschwörungsunsinn gefüllten Blase, entgeht ihnen Entscheidendes. Ihre auf Regierung und Institutionen gerichtete Wut überträgt sich nur scheinbar leicht. Im Gegenteil: Die Corona-Krise hat sich in diesem Frühjahr zum regelrechten Vertrauensbooster entwickelt.
Das Frühjahrs-Update des Edelmann-Trust-Barometer 2020 zeigt, Deutschland erlebt eine Vertrauenswende. Allen voran profitiert davon die Bundesregierung. Lagen deren Werte zu Jahresbeginn mit 45 Prozentpunkten noch im Distrust-Bereich (unter 49 Prozent), schnellten sie in den Krisenmonaten um 19 Prozentpunkte nach oben auf 64 Prozent. Das ist nicht nur der beste Wert des vergangenen Jahrzehntes, die Regierung setzte sich damit auch an die Spitze der Institutionen-Quadriga Regierung, Wirtschaft (56 Prozent/+8 Prozentpunkte), NGOs (50 Prozent/+7 Prozentpunkte) und Medien (53 Prozent/+4 Prozentpunkte), die allesamt in nur wenigen Wochen zugelegt haben.
Mehr Vertrauen in Regierungen weltweit
Der Trend, den Regierungen wieder mehr zu vertrauen, zeichnet sich übrigens weltweit ab, das zeigt die Befragung von mehr als 13.200 Menschen in elf Märkten (Kanada, China, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan, Mexiko, Saudi-Arabien, Südkorea, Großbritannien und USA). Der Vertrauensindex ist in Deutschland auf 56 Punkte gestiegen. Das sind zehn Indexpunkte mehr als zum Jahresbeginn.
Weltweit hat er sich um sechs Punkte auf ein Rekordlevel von 61 Punkten verbessert. Die Menschen sind bereit, die pandemiebedingten Einschränkungen zu akzeptieren (72 Prozent in Deutschland/73 Prozent weltweit) und ihre persönliche Daten für die Eindämmung des Virus zur bereit zu stellen (53 Prozent in Deutschland/61 Prozent weltweit). Nun gilt es, sie führungsstark durch die Finanz- und Wirtschaftskrise zu navigieren, ihnen Orientierung zu geben und transparent zu handeln. Misslingt das, ist der Vertrauensvorschuss verspielt. Umso mehr, als dass sich die Öffentlichkeit zu Jahresbeginn keineswegs einig präsentierte. Ganze 20 Indexpunkte klaffte die Vertrauenslücke zwischen der breiten Öffentlichkeit (44 Punkte) und der informierten Öffentlichkeit (64 Punkte). Das ist der größte Unterschied in der 20-jährigen Geschichte des Trust Barometers. Und er könnte wachsen, misslingt die Rückkehr in die Normalität.
Wenig Vertrauen für CEOs
Das gilt auch für Unternehmen. Zwar befürchten vergleichsweise wenige Deutsche (36 Prozent/56 Prozent weltweit) ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Vertrauen wollen die Deutschen ihren Arbeitgebern aber weniger als Mitarbeitende in den Vergleichsmärkten:
- 46 Prozent glauben, dass es ihren Arbeitgebern gelingt, Mitarbeiter und Kunden vor der Pandemie zu schützen (weltweit 49 Prozent),
- 30 Prozent meinen, dass Unternehmen Mitarbeiter wichtiger sind als der Profit (weltweit 36 Prozent),
- 24 Prozent glauben, dass CEOs den Anforderungen der Krise gewachsen sind (weltweit 29 Prozent),
- 50 Prozent wünschen sich von CEOs eine Führungsrolle bei der Pandemiebekämpfung (weltweit 65 Prozent)
Die Ergebnisse zeigen, vertrauenswürdige CEOs müssen in den kommenden Monaten Mitarbeitende und ihre Familien sicher durch die Auswirkungen der Pandemie in eine veränderte Normalität begleiten. Das bedeutet, Führungsstärke zeigen und den Austausch mit Wissenschaft und Politik suchen. "Die Überzeugung einer Gemeinschaft, eine Perspektive zu haben, fördert ihre Handlungsfähigkeit. Offenbar braucht sie dazu neben Klarheit, Konkretheit und Attraktivität des Zukunftsangebotes auch die Glaubwürdigkeit des Anbieters", schreiben die Springer-Autoren Michael Alznauer und Valerie Lesaar in "Die Kunst natürlicher Führung" (Seite 138).
Krisenbewältigung braucht Zuverlässigkeit
Die Auswirkungen der Pandemie nicht nur auf Beruf und Privatleben, sondern im besonderen Maße auch auf die Psyche der Mitarbeitenden, verstärkt ihre Ansprüche an Stabilität und Sicherheit. In Krisen-, wie Konfliktsituationen fühlen sich viele Menschen von einer enormen Komplexität überrollt und geraten in eine Art seelischen Belagerungszustand, wie Springer-Autor Werner Pfab beschreibt. Dieses Gefühl der Bedrohung führt zur Fixierung auf überschaubare Strukturen, die übersichtlich erscheinen und Vereinfachungen, die Stabilität versprechen. Ein psychologischer Prozess setzt sich in Gang, der den neutralen Blick auf die Realität und lösungsorientierte Handlungsoptionen blockiert (Seite 7):
- Die Fähigkeit zum komplexen Erleben des kommunikativen Geschehens wird beeinträchtigt, weil "einfache" Wahrnehmungen emotionale Sicherheit versprechen.
- Die Aufmerksamkeit wird selektiv auf Bedrohungspotenziale gerichtet, weil diese in Bedrohungssituationen primär relevant sind.
- Selbstbestätigungen werden präferiert wahrgenommen, weil sie emotional stabilisieren.
- Lebensgeschichtlich frühe, regressive Denk-, Erlebens- und Verhaltensmuster werden aktiviert, präferiert und fixiert, weil sie vertraut sind und Sicherheit versprechen.
Schutzversprechen schaffen Vertrauen in der Corona-Krise
Wenn Krisen oder Katastrophen die Psyche von Mitarbeitenden wie beschrieben belasten, ist es wichtig, dass sie ihrer Organisation vertrauen können und sich dort zukunftsicher aufgehoben fühlen. Am Führungspersonal liegt es nun, ihnen diese Berechenbarkeit und Zuversicht zu vermitteln. Es gilt Vertrauen aufzubauen, zu halten - und gegebenenfalls zurück zu gewinnen. Keine leichte Aufgabe, denn auch Chefs sind in der Krise nicht immun gegen aufkeimende Ängste. Doch der erfolgreiche CEO stellt die eigene Empfindlichkeit hinten an. Er zeigt sich als emphatischer Zuhörer und Motivator. Alzauer und Lesaar raten Führenden, sich in Krisensituationen auf vier evolutionär gewachsene Schutzversprechen zu besinnen (Seite 134):
- "Ich werde Sie dabei unterstützen, Ihren Marktwert hoch zu halten bzw. zu erhöhen, – unabhängig davon, wo Sie ihn im unglücklichsten Fall irgendwann realisieren." (Leistung und Beitrag jedes Einzelnen wachsen)
- "Sie können sich auf mich verlassen, wenn ich mich auf Sie verlassen kann und Sie weiterhin Ihr Leistungsversprechen halten." (Team bleibt eine Leistungsgemeinschaft)
- "Ich werde meinen Teil dazu beitragen, dass Sie auch in anderen Aufgaben und Teams erfolgreich sein können." (Mehr Flexibilität im Team)
- "Wir werden gemeinsam daran arbeiten, sinnvolle Schutzmaßnahmen zu entwickeln." (Neue gemeinsame Aufgabe)
Die Rückkehr zum Alltag ist der Vertrauenstest. An CEOs, Vorständen und Regierenden, liegt es nun, den Teil der Bevölkerung nicht zu enttäuschen, der vertraut und den Teil zurück zu holen, der sich misstrauisch abgewendet hat. "Mit einem gemeinsamen Ansatz kann es ihnen gelingen, dass das Vertrauenshoch mehr als nur ein Trend bleibt und sich langfristig stabilisiert", so das Fazit der Edelmann-Studie.
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