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18.01.2019 | Führungsqualität | Schwerpunkt | Online-Artikel

Unconscious Biases? Die brauchen Mann und Frau nicht

verfasst von: Michaela Paefgen-Laß

6 Min. Lesedauer

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Offen sagt es niemand, doch fast die Hälfte aller Männer hegt Vorurteile gegen Frauen in Führungspositionen. Frauen gehen mit ihren Geschlechtsgenossinnen im Chefsessel aber auch nicht gnädiger um, wie eine Studie zeigt.​​​​​​​


Einhundert Jahre ist es nun her, dass Frauen sich in Deutschland eine Stimme erkämpft, sich das Recht erstritten haben, öffentlich mitreden und mitbestimmen zu dürfen. Einhundert Jahre sind eine lange Zeit, um Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern im Öffentlichen wie im Privaten herzustellen. Egal, ob in Politik, Wirtschaft, Verwaltung oder Kultur müsste die Zeit gereicht haben, um die Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern zu egalisieren. Müsste gereicht haben, um die konservativen bürgerlichen und antifeministischen Positionen des späten Kaiserreiches sowie das auf die Mutterrolle reduzierte Frauenbild der Nationalsozialisten vergessen zu machen. Die Zeit müsste gereicht haben für Gleichheit. Hat sie aber nicht. Im Jahr 2018 ist der schicke Begriff Gender Equality mehr Phrase als Realität. Haben Frauen wirklich noch immer gegen veraltete Geschlechterzuweisungen zu kämpfen?

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Parität nirgendwo

"Parität überall", forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Gedenkstunde zum 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts in Deutschland. Wie dringlich ihr Ruf ist, sieht sie im eigenen Haus. Der Frauenanteil im Bundestag ist mit 30,9 Prozent auf das Niveau von 1998 zurück gefallen und damit auf dem gleichen Stand wie im Sudan. Während in Frankreich und Großbritannien die Hälfte aller börsennotierten Unternehmen mindestes zwei Frauen im Vorstand hätten, sei das in Deutschland nur bei "mageren 16,7 Prozent" der Fall, kritisierte die Kanzlerin. Im November veröffentlichte die von Journalistinnen gegründeten Gleichstellungsinitiative "Pro Quote" ihre Zählung 2018 zur Geschlechterverteilung in journalistischen Führungspositionen . Auch hier sind die Spitzenposten überwiegend männlich besetzt.

In den Fernseh- und Hörfunkanstalten, die Zahlen dafür legte Pro Quote Medien in diesem Jahr zum ersten Mal vor, ist die breite Basis wie überall im Journalismus zwar weiblich besetzt, an der Spitze liegt der durchschnittliche Frauenmachtanteil aber nur bei 37,7 Prozent. Spitzenreiter ist die Deutsche Welle mit 51,9 Prozent, am Ende rangiert Deutschlandradio mit 24,3 Prozent. "Vielfalt in Führungspositionen ist gut für die Leistung von Unternehmen: Das ist in den Medien nicht anders als in anderen Wirtschaftsbereichen. Der Blickwinkel von Frauen macht Medien reicher und besser", sagt Bundesfamilienministerin Franziska Giffey im Interview zur Studie. Dazu lässt sich eifrig mit den Köpfen nicken, in selbigen angekommen ist die Botschaft allerdings längst nicht, wie eine andere Studie beweist - weder bei Männern, noch bei Frauen. 

In Geschlechterfragen lieber uneherlich

Vorurteile gegen weibliche Führungskräfte sind bei beiden Geschlechtern weit verbreitet. In Studien oder Umfragen zum Thema kommt es aber immer wieder zu Verzerrungen, weil eine ehrliche Antwort die Befragten ins schlechte Licht rücken würde und gegen soziale Normen verstößt. Deshalb ist Unehrlichkeit das Mittel der Wahl, wenn nach Geschlechterstereotypen und Vorurteilen im Job gefragt wird. Diesem Umstand haben sich Adrian Hoffmann und Jochen Musch vom Institut für Experimentelle Psychologie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf angenommen und 1.529 deutsche Studierende im Crosswise-Format zu ihrer Einstellung gegenüber weiblichen Führungskräften befragt. 

Die indirekte Befragungsmethode garantiert den Teilnehmern durch Zufallsverschlüsselung absolute Vertraulichkeit ihrer Antworten. Der in der Fachzeitschrift "Sex Roles" veröffentlichte Forschungsbericht "Prejudice against Women Leaders: Insights from an Indirect Questioning Approacc" offenbart: Nach herkömmlicher Methode befragt, hegen 23 Prozent der Studienteilnehmer Vorurteile gegen Frauen in Führungspositionen, indirekt befragt geben 37 Prozent ihre Vorbehalte zu. Bei Frauen stieg der Anteil von zehn auf 28 Prozent, bei den Männern von 36 auf 45 Prozent. Die Ergebnisse beweisen: Frauen sind nicht frei von Vorurteilen gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen, fühlen sich aber offenbar aus Solidaritätsgründen verpflichtet damit hinter dem Berg zu halten.

Our results further indicate that men are more prejudiced against female leaders than women are, but that women have a stronger tendency to conceal their prejudice. (Hoffmann/Much, 2018) 

Vorurteile gegen Frauen in Führungspositionen sind also nicht nur allgegenwärtig, sondern auch schwer zu erfassen. Die Studienautoren raten deshalb dazu, Umfragen zu Themen der Geschlechtergerechtigkeit am Arbeitsplatz grundsätzlich im aussagekräftigeren Crosswise-Format durchzuführen. "The present work demonstrates that explicit self-reports of prejudice against women leaders are prone to the influence of social desirability bias." 

Was ist bitte typisch männlich?

Handlungsorientiert, bereit auf Risiko zu entscheiden und Überstunden zu schieben - das sind nur drei Merkmale, die gerne im Zusammenhang mit Mann und Karriere genannt, durchaus positiv betrachtet und wohlwollend aufgenommen werden. Frauen definieren sich selbst dagegen eher in ihrer Beziehung zur Umwelt und werden auch so wahrgenommen - als empathisch und gemeinschaftsorientiert. Was aber lässt sich daraus wirklich über Geschlechterunterschiede schlussfolgern, fragen die Springer-Autorinnen Melanie C. Steffens und Irena D. Ebert. 

Über den Vergleich von Studien hinsichtlich Kompetenz und Dominanz, Interessen und Verhalten sowie spezifischen Fähigkeiten, fanden die Autorinnen heraus: Es fehlt an Belegen, um Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die nicht kulturabhängig sind, zuverlässig benennen zu können. Vielmehr hat sich gezeigt, das Selbstbilder und Verhaltensweisen der Geschlechter durch Annahmen und Zuweisungen von Außen bestimmt bestimmt werden. Die tatsächlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau seien aber eher gering. "Daher können sie die Geschlechtersegregation am Arbeitsplatz, die großen Unterschiede hinsichtlich Macht und Status sowie die hinsichtlich des Gesamtverlaufs der Leben von Frauen und Männern nicht erklären" (Seite 101). Hilft der Blick auf Geschlechterstereotype

Tatsächlich sind Stereotype recht zweckmäßig, wie die Autorinnen erklären, weil sie eine komplexe Welt vereinfachen und hilfreich, weil sie Gruppenunterschiede rationalisieren. "Stereotype tragen jedoch auch dazu bei, den Status Quo in Gesellschaften zu legitimieren", erklären die Autorinnen (Seite 23). Die Unterscheidung in die beiden Kategorien "Mann" und "Frau" fällt aber zu grob aus, also brauchen Menschen zur Orientierung  weitere Subtypen und erfinden sich so Kategorien wie "Karrierefrau" oder "Hausfrau". Diese wiederum sind, wie oben beschrieben, verantwortlich für unbewusstes Wahrnehmen und Verhalten sowie die Segregation am Arbeitsplatz, die sich durch die minimalen Geschlechterunterschiede eben nicht erklären lässt. Wie lassen sich so manifestierte Glaubenssätze durchbrechen?

Sprich mal geschlechtsneutraler, Frau!

Sicher nicht, indem Frauen - die ihr Recht auf eine Führungsposition einlösen wollen - in wohlwollender Ratgeberliteratur Coachings vorgeschlagen und sie zum Erlernen von männlichen Handlungs- und Verhaltensweisen sowie männlicher Rhetorik aufgerufen werden. Denn genau dann stimmen sie den Stereotypen bei und lassen sich von ihnen bestimmen. Statt dessen müssen  Organisationen an ihr "Eingemachtes", sich kritisch reflektieren und wandeln. Sich Fragen nach Fairness, Gleichstellung und Gerechtigkeit gefallen lassen. So, wie es die Springer-Autorinnen Regine Bendl, Helga Eberherr und Johanna Hofbauerin in "Magie der Meritokratie. Hindernisse transformativer Geschlechterpolitik in Organisationen" fordern: "Dies bedeutet, im Zuge der Nachhaltigkeit nicht nur die Dimension Geschlecht, sondern auch andere Diversitätsdimensionen (z. B. Alter, Behinderung, sexuelle Identitäten, ethnische Herkunft) in Bezug auf mehr nachhaltigkeitsfördernde Konstruktionen „umzubewerten“ und unter egalitären inklusiven mindsets Geschlechterfragen und anderer Diversitätsdimensionen in Organisationen und Institutionen lokal, national und global neu zu denken". (Seite 196)

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