Gerade engagierte Mitarbeiter brennen oft aus, weil Chefs To Dos bei ihnen in guten Händen wissen und sie mit zu vielen Aufgaben überlasten. Das bestätigt eine aktuelle Studie aus den USA. Ist die Mitarbeiterloyalität hoch, nutzen Manager das schamlos aus.
Den Weg des geringsten Widerstands wählen Manager offenbar gerne, wenn es um Mehrarbeit und die Extrameile bei ihren Mitarbeitenden geht. Das legen die Ergebnisse einer Studie von Wissenschaftlern der Universitäten Arizona und West Virginia nahe. Sie ist im Januar unter dem Titel "Loyal workers are selectively and ironically targeted for exploitation" im "Journal of Experimental Social Psychology" erschienen.
Loyalität fördert Ausbeutung
Matthew L. Stanley, Christopher B. Neck und Christopher P. Neck konfrontierten für die Studie rund 1.400 Manager online mit einem fiktiven Mitarbeiter namens John, der in einem Unternehmen mit knappen Budgets arbeitet. Die befragten Führungskräfte mussten entscheiden, ob sie John zusätzliche Stunden und Aufgaben ohne Extra-Bezahlung aufbürdeten, um die Kosten zu senken.
Ein wichtiges Entscheidungskriterium war dabei die Loyalität des erfundenen Mitarbeiters. "Loyalität von Mitarbeitenden zeigt sich durch ihre Bereitschaft, sich mit den Werten, Normen und Denkvorstellungen des Unternehmens zu identifizieren. Die Mitarbeiterloyalität zeigt sich in einem höheren Commitment gegenüber den Unternehmenszielen und einem überdurchschnittlich hohen Bindungsverhalten", erklärt Astrid Szebel-Habig im Buchkapitel "Mitarbeiterloyalität als Asset" auf Seite 200 den Begriff.
Unabhängig vom jeweiligen Szenario, welches die US-Forschenden für ihre Analyse gestalteten, waren die Manager eher bereit, John unbezahlte Arbeit aufzubürden, wenn dieser als 'loyal' eingestuft wurde. Brachte John bei einer anderen Befragungsgruppe ein Empfehlungsschreiben mit, dass ihn als 'loyal' lobte, waren Manager schneller geneigt, ihn für unbezahlte Arbeit einzustellen, als wenn John für seine Ehrlichkeit oder Fairness gerühmt wurde.
Wurde dem fiktiven Mitarbeiter attestiert, Überstunden und Arbeitsbelastung ohne Murren zu akzeptieren, stuften die Manager ihn als anständiger und integrer ein als einen John, dem anderen nachgesagten, dieselbe Arbeitsbelastung abzulehnen.
Einmal loyal - immer ausgebeutet
"Es ist ein Teufelskreis", sagt der Psychologe und Neurowissenschaftler Matthew Stanley. "Loyale Arbeiter neigen dazu, ausgebeutet zu werden. Wenn sie das mitmachen, haftet ihnen der Ruf als loyale Arbeitskraft an und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass sie auch in Zukunft ausgenutzt werden."
Als Grund für das ausbeuterische Verhalten von Führungskräften gegenüber guten Mitarbeitern ermittelten die Forschenden die Überzeugung, dass Loyalität mit der Pflicht einhergehe, persönliche Opfer für ihr Unternehmen zu bringen. Bösartigkeit unterstellen die Wissenschaftler Managern zwar nicht, wohl aber das, was Psychologen allgemeinhin als "ethische Blindheit" bezeichnen. Dabei erkennen Menschen nicht, dass ihr Handeln den eigenen Prinzipien und Werten zu wider läuft.
Eine schnelle und einfache Lösung für das Ausbeuterproblem beziehungsweise das unethische Führungsverhalten liefern die Wissenschaftler nicht. Letztendlich müssten Führungskräfte ihr Fehlverhalten wohl erkennen - idealerweise, bevor sie ihre besten Leute in den Burn-out getrieben, kurzum verheizt, haben.
Integre Führung als Mitarbeiterschutz
Ein möglicher Ansatzpunkt ist Integrity Leadership (IL), ein wertebasiertes Führungskonzept für Unternehmen auf Grundlage der Soziallehre. Demnach sind Mitarbeitende handelnde und verantwortungsvolle Subjekte, die soweit wie möglich einbezogen und adäquat behandelt werden sollten, definieren Peter Hügelmeyer und Anne Glöggler diese Führungstheorie.
IL "ist personales Führungsverständnis, Führungskonzept, Führungstechnik, Führungskommunikation sowie Organisations- und Mitarbeiterentwicklung in einem". Dafür müsse sich eine Führungskraft vor allem selbst kennen - "mit ihren Stärken und Wirkpunkten sowie mit ihren Schwächen und blinden Flecken", betonen die Springer-Autoren und Berater im Buchkapitel "Integre Führung - konkret". Wie sich dieser Ansatz im Führungshandeln widerspiegelt, haben die Experten in einer Tabelle zusammengefasst:
Erst der Mensch, | dann die Sache |
Konkrete Einflussnahme auf Verhalten, | keine Einflussnahme auf Einstellungen. |
Nachhaltige Führung, | kein kurzfristiger Aktivismus. |
Die eigene Verantwortung annehmen, | nicht Verantwortung wegdelegieren. |
Fremde Würde respektieren, | keine Menschen herabsetzend behandeln. |
Eher Menschen und Organisation weiterentwickeln, | als Entwicklungsfragen wegdelegieren. |
Eher personal führen | als funktional. |
Eher individuelle Freiheit achtend, | als einengend sein. |
Mehr sinnstiftende und SMARTe Ziele vereinbaren | als sinnlose oder unkonkrete Ziele. |
Mehr transparente Entscheidungen treffen | als Entscheidungen nach Gutsherrenart. |
Konsequente Unterscheidung – Entscheidung – Umsetzung | als keine konsequente Umsetzung. |
Eher Menschen wachsen lassen, | als Menschen klein machen/klein halten. |
Eher mehr wertschätzend und anerkennend sein, | als wenig anerkennend sein. |
Eher empfängerorientiert kommunizieren, | als senderorientiert kommunizieren. |
Eher auf Augenhöhe kommunizieren, | als einen Kommunikationsstil von oben nach unten praktizieren. |
Eher respektvoll sein, | als respektloses Verhalten zeigen. |
Eher verschiedene Führungsstile anwenden, | als einen Führungsstil für alle und jede Situation. |
Eher Pull-Techniken anwenden | als Push-Techniken. |
Eher Höflichkeit und Mäßigung im Führungshandeln | als forsches Draufgängertum im Umgang. |
Quelle: "Integre Führung – konkret", Seite 196.