Das Phänomen Supraleitung steckt immer noch voller Rätsel. Mit immer neuen Materialien lassen sich immer höhere Sprungtemperaturen realisieren. Warum das so ist, suchen Forscher in komplexen Experimenten zu erkunden.
Viele Metalle verlieren beim Abkühlen bei einer kritischen Sprungtemperatur Tc abrupt ihren elektrischen Widerstand. Dies wurde erstmals 1911 von Heike Kamerlingh Onnes an Quecksilber beobachtet, das bei 4,15 K supraleitend wird. Gerd Czycholl gibt in "Theoretische Festkörperphysik Band 2" ab Seite 211 einen profunden Überblick über die Entwicklungen auf dem Gebiet der Supraleitung seither und erklärt die bei diesem Phänomen wirksamen Effekte und Zusammenhänge bis hin zu aktuellen Hochtemperatur-Supraleitern. Sein Fazit: "Mit einem Supraleiter kann man daher elektrischen Strom im Prinzip verlustfrei übertragen, weshalb ein technologisches Interesse an Supraleitern mit möglichst hoher Sprungtemperatur Tc besteht."
Über viele Jahre hinweg war es unklar, welche Mechanismen der Supraleitung zugrunde liegen. Einen entscheidenden Fortschritt erzielten im Jahr 1957 John Bardeen, Leon Cooper und Robert Schrieffer. Ihre "BCS-Theorie" wurde in der Physik schnell akzeptiert. "Die BCS-Theorie basiert auf der Idee, dass zwischen zwei Elektronen bei tiefen Temperaturen eine Anziehungskraft wirkt, sodass sich zwei Elektronen in bestimmter Weise zu Paaren zusammenschließen. Die dabei gewonnene Bindungsenergie führt zu einer Energieabsenkung", referiert Rudolf P. Huebener in "Geschichte und Theorie der Supraleiter" (Seite 26). Im Rahmen der BCS-Theorie wird im Falle der metallischen Supraleitung die Kopplung der Ladungsträger zu Cooper-Paaren auf "virtuelle" Phononen zurückgeführt, welche durch eine lokale Deformation des Kristallgitters eine Anziehungskraft zwischen zwei Elektronen vermitteln. "Anschaulich gesprochen", formuliert Peter Wellmann "deformiert das erste Elektron bei seiner Bewegung durch das Metall lokal die Position der positiven Gitteratome, was auf das zweite Elektron eine attraktive Wechselwirkung zur Folge hat" ("Materialien der Elektronik und Energietechnik", Seite 197). Die gleiche Betrachtung gelte auch für die Wirkung des zweiten Elektrons auf das Erste. Aufgrund der sehr schwachen Wechselwirkung bildeten sich solche Cooper-Paare somit bevorzugt bei niedrigen Temperaturen.
Allerdings: "Im Moment scheint es unwahrscheinlich, dass der noch nicht verstandene Mechanismus der Supraleitung in den Kupraten durch die BCS-Theorie erklärt werden kann", gibt Rainer Wesche im "Springer Handbook of Electronic and Photonic Materials" zu bedenken (Seite 1230). Und: "Die kürzlich entdeckten Supraleiter auf Eisenbasis scheinen eine zweite Klasse von Hochtemperatursupraleitern zu sein, die eine unkonventionelle Supraleitung aufweisen." In den letzten Jahren ist die sogenannte unkonventionelle Supraleitung in den Mittelpunkt des Forscherinteresses gerückt. So berichtet J. C. Nie in "Superconductivity" unter anderem über aktuelle Arbeiten zur unkonventionellen Supraleitung im System LaAlO3/SrTiO3. An diesen sogenannten LAO/STO-Grenzflächen könne neben dem supraleitenden Zustand auch der Grundzustand Ferromagnetismus auftreten. Ja, es gebe sogar eine Koexistenz von Supraleitung und Ferromagnetismus (Seite 338).
Die rätselhaften Leiteigenschaften von CeRhIn5
Aber was macht den Unterschied zwischen konventioneller und unkonventioneller Supraleitung aus? Ein weiteres Licht hat nun ein Wissenschaftlerteam um Toni Helm vom Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) ins Dunkel gestellt. Die Forscher haben extreme Versuchsbedingungen in bisher einzigartiger Weise miteinander kombiniert und dabei spannende Erkenntnisse über die rätselhaften Leiteigenschaften des kristallinen Metalls CeRhIn5 zu Tage zu fördern können, wie sie aktuell in Nature Communications berichten.
Bei CeRhIn5 handelt es sich um ein Metall mit überraschenden, bis heute nicht vollständig verstandenen Eigenschaften – einem unkonventionellen elektrischen Leiter, bei dem Strom mittels extrem schwerer Ladungsträger unter bestimmten Bedingungen verlustfrei fließen kann. Der Ursprung dieser Supraleitung wird in den magnetischen Eigenschaften dieses Metalls vermutet.
Komplexe Versuchsanordnung
Die Versuchsanordnung der Forscher hat es in sich wie Toni Helm beschreibt: "Zunächst tragen wir eine dünne Goldschicht auf einen mikroskopisch kleinen Einkristall auf. Dann fräsen wir mit einem Ionenstrahl feine Mikrostrukturen heraus. An ihren Enden bringen wir hauchdünne Platinstreifen an, um den Widerstand entlang verschiedener Richtungen zu messen, und zwar bei extrem hohen Drücken. Diese erzeugen wir durch das Zusammenpressen zweier Diamantdruckstempel. Zusätzlich lassen wir sehr starke Magnetfelder auf die Probe einwirken, bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt." Um sich das Ganze besser vorstellen zu können, hat Felix Waack vom HZDR dazu eine Animation erstellt.
Im Ergebnis erhielten die Forscher ein Phasendiagramm des kristallinen Metalls CeRhIn5, das als aussichtsreiches Modellsystem für das Verständnis von unkonventionellen Supraleitern gilt. Es ist viel reichhaltiger, als erwartet: Erreichte die Probe Temperaturen von knapp vier Grad über dem absoluten Nullpunkt, stießen die Physiker auf eine magnetische Ordnung im Metall. Von hier aus eröffneten sich ihnen verschiedene Wege. Kühlten sie weiter ab und setzen die Probe hohen Drücken aus, erzwangen sie den Übergang in den supraleitenden Zustand. Erhöhten sie stattdessen zunächst nur die Stärke des angelegten Magnetfelds auf das 600.000-fache der Feldstärke des Erdmagnetfelds, unterdrückten sie zwar ebenfalls die magnetische Ordnung, drangen jedoch in einen elektronisch nematischen Zustand vor. Dieser Begriff ist der Physik der Flüssigkristalle entlehnt und beschreibt dort eine bestimmte räumliche Orientierung von Molekülen, die über größere Bereiche eine Fernordnung aufweisen. Die Wissenschaftler nehmen an, dass dieser elektronisch nematische Zustand eng mit dem Phänomen der unkonventionellen Supraleitung verknüpft ist.