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31.10.2019 | Geldpolitik | Kolumne | Online-Artikel

Hausarzt Draghi geht in den Ruhestand

verfasst von: Prof. Dr. Christian Rieck

4:30 Min. Lesedauer

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Dies ist die Geschichte eines Hausarztes, der lange Zeit einen schwächelnden Sportler in Behandlung hatte. Sein Name ist Mario Draghi. Wie seine Therapie aussah und welche Optionen seine Nachfolgerin hat, beleuchtet Kolumnist Christian Rieck.

Mario Draghi hat alles getan, damit sich sein Patient besser fühlt. Er hat beim ersten Schwächeanfall vor einigen Jahren Amphetamine verschrieben, damit der Patient sofort sein bisheriges Leben fortsetzen und weiter an Wettkämpfen teilnehmen konnte. Koste es, was es wolle, wie er damals sagte. Der Patient erholte sich schnell und gewann wieder Wettkämpfe. Alle feierten den Arzt als Genie. Er hatte angekündigt, dass er die Medikamente nach einer Besserung bald wieder absetzen würde, aber wann immer er davon zu sprechen begann, bekam der Patient Zitteranfälle, die im Laufe der Jahre immer schlimmer wurden. Der Arzt erhöhte in diesen Fällen lieber schnell die Dosis, statt sie zu senken.

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Niedriger Zins als Aufputschmittel

Was für den Arzt die Aufputschmittel sind, ist für den Notenbanker der niedrige Zins. Niedrige Zinsen führen dazu, dass auch schwächelnde Unternehmen noch Investitionsprojekte finden, die lohnend erscheinen. Sie führen auch dazu, dass die Staaten Schulden machen können, ohne dass sie das allzu viel kostet. Bei einem akuten Schwächeanfall ist das durchaus die richtige Medizin, denn sie verhindert eine Kaskade umkippender Unternehmen oder Staaten. Aber natürlich kann das nur eine Übergangslösung sein, damit sich der Patient Volkswirtschaft wieder erholt und wieder trainieren kann. Verabreicht man diese Medizin zu lang, dann fließen immer mehr Mittel in eigentlich nicht lohnende Projekte, sowohl im privaten als auch im staatlichen Bereich. Aus der Medizin wird Doping.

Wie beim Doping wirkt die Besserung zunächst wie eine echte Leistungssteigerung, aber sie ist ein Strohfeuer und mobilisiert Reserven, die an der Substanz zehren und deshalb nicht dauerhaft zu halten sind. Daher kommt danach entweder der Kater oder die Dosis muss erhöht werden. Irgendwann wirkt das Mittel gar nicht mehr. Deshalb haben wir jetzt negative Zinsen. Die Zinssteuerung der Zentralbank wirkt allerdings nur bei kurzen Laufzeiten. Wenn die Teilnehmer einer Volkswirtschaft an das Strohfeuer nicht glauben, dann machen die langfristigen Zinsen etwas ganz anderes. 

EZB macht die Preise für Schulden

Nachdem die alten Dopingmittel nicht mehr wirkten, suchte Hausarzt Draghi stärkere Drogen und fand 'unkonventionellen Methoden', die direkt auf die langfristigen Zinsen abzielen. Er verabreichte zusätzlich Antidepressiva und Testosteron, indem er mit Zentralbankgeld Anleihen mit langen Laufzeiten kaufte. Im Resultat haben die Wirtschaftsteilnehmer nun gar nichts mehr zu sagen. Die Preise für Schulden werden nur noch durch die EZB gemacht, der Markt ist ausgeschaltet.

Damit das nicht passiert, ist das eigentlich verboten. Denn wenn die EZB Staatsanleihen kauft, dann ist das Staatsfinanzierung. Aber der Hausarzt Draghi hat es geschafft, den EuGH davon zu überzeugen, dass der Kauf 'vom Markt' gar nicht 'direkt' sei und außerdem ja allen europäischen Staaten zugutekomme. Das ist dann so, wie wenn der Hausarzt die verbotenen Doping-Medikamente nicht seinen Patienten direkt verschreibt, sondern immer nur der Diakonie, die sie ungeprüft und originalverpackt weitergibt. Das Doping wird dadurch legal, dass es alle Sportler erhalten.

Unternehmenskauf ist harte Droge

Nach dem etwas verstohlenen Doping können auch noch die harten Drogen kommen, indem die Zentralbank Unternehmen kauft und somit faktisch verstaatlicht oder direkt die Löhne der Angestellten bezahlt – beides übrigens Vorgänge, die unser scheidender Arzt andeutet, natürlich mit Fachbegriffen, die den Sachverhalt für Außenstehende nicht sofort erkennbar werden lassen. Es ist das komplette Ausschalten des Marktes, also der Ansatz, den die Staaten jenseits des Eisernen Vorhangs gewählt hatten. Auch dort gelang zunächst ein schneller Aufschwung, der leider alsbald volkswirtschaftliche Wracks hinterließ. So ist das mit Doping und Drogen. Deshalb sind sie verboten. Eigentlich.

Jetzt geht der Arzt in Ruhestand. Die Praxis wird von einer neuen Ärztin übernommen. Sie heißt Christine Lagarde. Es hatte andere Anwärter gegeben, die von Training und guter Ernährung gesprochen hatten, aber die Sportler wollten solche Ärzte nicht. Ob die neue Ärztin ihre Patienten auf bekannte Nebenwirkungen untersuchen wird, wie Herzprobleme, Überempfindlichkeitsreaktionen, Psychosen, Verwirrtheit und Abhängigkeit? Oder ob sie stattdessen nach juristischen Wegen für die harten Drogen suchen wird, wie ihr scheidender Vorgänger andeutete? 

Christine Lagarde hat zwei Optionen

Wenn sie eine gute Medizinerin ist, wird sie den ersten Weg gehen und sehr unbeliebt sein. Aber vielleicht werden ihre Patienten gesund. Wenn sie den zweiten Weg geht, wird sie für einige Zeit so beliebt sein wie ihr Vorgänger, aber sie muss sich juristisch sehr gut absichern. Das allerdings kann sie, denn sie hat vor ihrer Zusatzausbildung zur Medizinerin Rechtswissenschaften studiert. Und genau das könnte ihre Chance sein.

Weil jeder damit rechnet, dass sie den einfachen Weg geht, stellt sich ihr niemand in den schwierigen Weg, falls sie doch diesen wählt. Den harten Weg des Entzugs, der ihre Patienten auf lange Sicht retten kann. Das Mandat dazu hat sie.


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