Künftig könnte CO2 in größerem Maßstab direkt aus der Luft entnommen werden. Erste industrielle Prototypen für das Direct Air Capture laufen bereits. Die Verfahren und Anlagen sind allerdings energieintensiv und teuer.
Die direkte Entnahme von Kohlendioxid aus der Luft, hier eine Anlage des Unternehmens Climeworks in der Schweiz
Climeworks
Die CO2-Konzentration in der Luft liegt heute bei 417 ppm – vor Beginn der industriellen Revolution waren es 280 ppm, und zwar über einen Zeitraum von mehreren Tausend Jahren. Das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) fordert eine "tiefgreifende, schnelle und anhaltende Minderung der Treibhausgasemissionen". Daneben könnte es künftig auch nötig werden, der Atmosphäre aktiv CO2 zu entziehen und so den Treibhauseffekt auf ein verträgliches Maß zu begrenzen.
Zu den möglichen Maßnahmen gehören einerseits Aufforstung, das Wiedervernässen von Mooren oder das Binden von CO2 durch eine beschleunigte Verwitterung von Gestein. Daneben werden aber auch sogenannte Direct-Air-Capture(DAC)-Technologien diskutiert; große Anlagen also, die das CO2 direkt aus der Umgebungsluft filtern.
DAC-Verfahren basieren auf verschiedenen Prinzipien: auf Absorbtion oder Adsorption, aber auch auf Membrantechnologien oder die Luftzerlegung kommen in Frage. Über die höchste technische Reife verfügen jedoch Absorbtion und Adsorption. Im Buch Carbon Capture erläutert Jennifer Wilcox die Verfahren eingehend.
CO2-Absorption in Lösungsmittel
Bei der Absorption wird CO2 in einer Flüssigkeit – beispielsweise einer wässrigen Monoethanolamin- oder Alkali/Hydroxid-Lösungen – entweder physikalisch gelöst oder chemisch gebunden. Anschließend wird das mit CO2 gesättigte Lösungsmittel in einem angekoppelten Prozess regeneriert. Dabei entsteht ein einigermaßen reiner CO2-Strom, der konzentriert und eingelagert oder anderweitig verwendet werden kann, während das recycelte Lösungsmittel erneut im Kreislauf geführt wird und CO2 aus der Luft aufnehmen kann.
Der Prozess findet in mehrstufigen Kolonnen statt. Mit der Anzahl an Stufen einer Kolonne steigt die CO2-Ausbeute. Die Luft wird mittels Ventilatoren in die Anlage geblasen, während die Flüssigkeit mit Pumpen bewegt wird. Auf Ventilatoren und Pumpen sowie auf den nötigen Wärmeeintrag zum Auslösen des CO2 aus dem Lösungsmittel entfällt ein Großteil der eingesetzten Energie und damit auch der Betriebs- und Wartungskosten. Beispielsweise wird beim Einsatz eine Sodium-Hydroxid-Lösung das CO2 bei Temperaturen um die 900 °C aus der Lösung desorbiert. Der Wärmebedarf liegt bei 1420 bis 2250 kWh je Tonne CO2.
Poröse Feststoff adsorbieren CO2
Ein anderes Prinzip kommt bei der Adsorption zum Tragen. Hier wird das CO2 an der Oberfläche eines porösen Feststoffs mit hoher CO2-Bindungsaffinität gebunden, entweder über schwache intermolekulare Kräfte oder über starke kovalente Bindungen. Als Filtermaterial eignen sich beispielsweise aminomodifizierte mesoporöse Kieselsäuren, Zeolithe oder metallorganische Gerüste. Von Porengröße und -verteilung hängt ab, wie schnell das Material gesättigt ist und wieviel CO2 es binden kann.
Durch Erwärmen auf 80 bis 100 °C und unter Vakuumbedingungen lässt sich das CO2 dann aus dem Filtermaterial desorbieren. Alternativ kann das CO2 auch durch Befeuchten des Filters herausgelöst werden, was bereits bei Temperaturen um die 45 °C möglich ist. Betriebs- und Wartungskosten hängen eng mit dem Wärmebedarf für die Regeneration des Filtermaterials sowie mit der Ventilatorleistung zusammen, mit der die Luft durch den Filter geblasen wird.
Gewaltige Luftmengen umzuwälzen
Die zugrundeliegenden Verfahren kommen bereits in der Industrie zum Einsatz. Dort werden sie allerdings auf Abgase mit CO2-Konzentrationen von 8 bis 14 % angewendet, während die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre bei lediglich 0,03 % liegt. Ventilatoren müssen den DAC-Anlagen deswegen Unmengen an Luft zuführen, damit der Prozess das Klimagas effektiv aus der Luft filtern kann. Das ist teuer und energieintensiv. Laut Gautam Sen verbraucht die Abscheidung einer festen Menge CO2 aus der Luft 1,8 bis 3,6 Mal mehr Energie, als wenn man die gleichen Verfahren auf Industrieabgase anwendet, wie er im Artikel Research & Development Pathways/Challenges in Direct Air Capture of CO2 darlegt.
Auch Jennifer Wilcox weist auf die geringe Effizienz der DAC-Verfahren hin, wenn man sie auf Umgebungsluft statt auf Abgase anwendet. Ein durchschnittliches 500-MW-Kohlekraftwerk emittiert Wilcox zufolge täglich ungefähr 11.000 t CO2. Für die Abscheidung der gleichen Menge CO2 aus der Luft rechnet sie vor: "Geht man beispielsweise von einer Luftströmungsgeschwindigkeit von 2 m/s aus, so erfordert die Abscheidung von 11.000 t CO2 pro Tag direkt aus der Luft eine Fläche von etwa 133.000 m2, um 2,31 × 1010 m3 Luft pro Tag zu verarbeiten."
Als alleinige Lösung zu energieintensiv
Im Kapitel Technical Support for Long-Term Deep Decarbonization zitieren Forschende der Tsinghua University eine Studie, wonach die Entnahme von 30 Gt aus der Atmosphäre – heute liegt der weltweite Ausstoß pro Jahr bei etwa 40 Gt – den Bau von etwa 30.000 großen DAC-Fabriken bedeuten würde. Zum Vergleich: Heute werden weltweit weniger als 10.000 Kohlekraftwerke betrieben.
Wissenschaftler halten es für realistisch, dass zur Kompensation eines weiterhin chronisch hohen CO2-Ausstoßes DAC-Technologien bis zum Jahr 2100 bis zu einem Viertel der weltweiten Energieproduktion verschlingen würden – ungefähr 300 Exojoule. Diese Menge entspricht dem jährlichen Energiebedarf Chinas, der USA, der EU und Japans oder dem weltweiten Angebot an Kohle und Erdgas im Jahr 2018.
Mehrere DAC-Anlagen in Betrieb
Dennoch sind bereits mehrere industrielle Protopyen von DAC-Anlagen in Betrieb, und zumindest besteht die Hoffnung, dass durch weitere Forschungs- und Entwicklungsprojekte praktikable Optionen entstehen, um Maßnahmen zur Senkung der CO2-Emissionen zumindest zu flankieren.
Eine Übersicht über aktuelle Projekte, die eingesetzten Technologien und die ungefähren Kosten liefert Gautam Sen:
Unternehmen | DAC-Technologie | Kosten |
Antecy (Niederlande) | Nicht-organischer Feststoff | 50 bis 80 US-Dollar/t-CO2 |
Carbon Engineering (Kanada) | Kombination von KOH und Ca(OH)2 als Lösungsmittel | 136 US-Dollar/t-CO2, bei Wärme- und Stromkosten von 4 US-Dollar/GJ bzw. 7 US-cent/kWh |
Climeworks (Schweiz) und Union Engineering (Dänemark) | Feststofffilter | 600 US-Dollar/t-CO2 |
Global Thermostat (USA) | Amine-basierte chemische Lösung auf poröser Wabenstruktur aus Keramik | 10 bis 35 US-Dollar/t-CO2 bei Abscheidung von 1 Million t/Jahr |
Center for negative Emissions of Arizona State University | Ionenaustauschharz | 30 bis 200 US-Dollar/t-CO2 |
Carbon sink (USA) | Amine-basierter Ionenaustausch | - |
Coaway (USA) | Alkalische Lösung | Unter 20 US-Dollar/t-CO2, sofern Kraftwerksabwärme genutzt werden kann |
Kein Ersatz für Minderung von Emissionen
Trotz des hohen Energieverbrauchs sind Experten Gautam Sen zufolge zuversichtlich, dass DAC-Verfahren kostenmäßig mit anderen CO2-Abscheideverfahren konkurrieren können, wenn sie massiv eingesetzt würden. Dennoch bleibe fraglich, ob die Technologie überhaupt in der notwendigen Geschwindigkeit hochskaliert werden kann.
Im Kapitel Climate Action: The Feasibility of Climate Intervention on a Global Scale des Buchs Climate Geoengineering: Science, Law and Governance zieht Kimberly A. Gray folgendes Fazit: "Beim derzeitigen Stand der Technik und unter den gegenwärtigen wirtschaftlichen Bedingungen könnte jedoch keines der Verfahren zur Entnahme von CO2 aus der Luft allein oder in Kombination eingesetzt werden, um das Ziel einer Erwärmung um 2 °C zu erreichen, ohne dass es zu untragbaren biophysikalischen oder wirtschaftlichen Auswirkungen käme." Damit bleibe die aggressive Minderung der Treibhausgasemissionen das Kernstück eines Klimaaktionsplans.