Banken müssen vieles tun, um in einer immer digitaler werdenden Welt Schritt zu halten. Über die Herausforderungen, denen sie sich dabei stellen müssen, sowie die richtigen Strategien spricht Jochen Werne vom Bankhaus August Lenz im Interview mit Springer Professional.
Springer Professional: Herr Werne, was machen Sie als wichtigsten Treiber für den allerorts beschworenen Wandel bei den Banken aus? Ist es nur die fortschreitende Digitalisierung oder sehen Sie noch andere Gründe, die einen strategischen Change-Prozess der Institute erfordern?
Jochen Werne: Die Branche befindet sich in einem als wahrscheinlich historisch zu bezeichnenden Umbruch. Wir leben in Zeiten exponentieller Technologien und neben der kostenseitigen Notwendigkeit der Digitalisierung eines Großteils der Prozesse der Institute, stellt die mit der Technologie einhergehende schnelle Veränderung der Kundenerwartung, die mitunter nicht als agil angesehene Branche, vor große Herausforderungen. Diese Disruption wird vieles in den Schatten stellen und später vielleicht ähnlich revolutionär bewertet werden, wie die Erfindung der Dampfmaschine. In den vergangenen Wochen hat dies kaum etwas so deutlich gemacht wie der Aufstieg des Online-Zahlungsabwicklers Wirecard. Wirecard konnte nicht nur im September die Commerzbank im Dax überflügeln. Das 1999 gegründete Unternehmen hat auch die Deutsche Bank in Punkto Börsenwert bereits überholt. Neben der fortschreitenden Digitalisierung gibt es aber auch noch weitere aktuelle Herausforderungen: Die nun bereits lang andauernde Niedrigzinsphase drückt die Marge der traditionellen Häuser massiv. Politische Krisen, Handelsstreitigkeiten, Währungsprobleme wie in der Türkei und Brexit wirken natürlich auch direkt auf die klassischen Geschäftsmodelle der Banken: Sie werden sich in Zukunft stärker denn je anpassen müssen und zunehmend ihre Agilität unter Beweis stellen.
Die Weltwirtschaft insgesamt wird aufgrund der exponentiellen Technologiesprünge und immer kürzeren Produktzyklen stärker als je zuvor zum Wandel beziehungsweise zur Adaption an sich ändernde Umstände gezwungen. Kodak ist ein gutes Beispiel. Oftmals wird hier aus Gründen der Vereinfachung fehlende Weitsicht vorgeworfen, doch vielmehr scheiterte das Unternehmen an seiner Kultur, die notwendige Transformationen kaum zuließ. Zwei Buchstaben elektrisieren aktuell die Wirtschaft: KI. Nach Jahrzehnten des Desinteresses gilt künstliche Intelligenz plötzlich wieder als der entscheidende Garant für die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens. Die möglichst umgehende Integration von KI ins eigene Business Modell scheint unabdingbar, ja überlebensnotwendig. Ohne kluge Software wähnt man sich der Bedeutungslosigkeit geweiht.
Ähnlich wie Facebook hält die Finanzbranche sehr wertvolle Daten vor. Das Aufbereiten und Verarbeiten dieser Daten wird durch reifende KI-Systeme nicht nur einfacher, sondern sehr viel schneller, kostengünstiger und zielgerichteter werden. Es handelt sich gleichwohl um private und sensible Daten. Um diese Ressource in Verbindung mit externen Daten nutzbar zu machen, muss die Branche gleichzeitig deren Sicherheit dauerhaft gewährleisten. Daten dürfen nur im Sinne des Kunden, des Menschen, eingesetzt werden – eine Zielsetzung, die sicherlich für alle KI-basierten Ansätze gilt. Künstliche Intelligenz bietet hier eine enorme Bandbreite an Chancen für Unternehmen, besser zu werden und näher beim Kunden zu sein. Doch sie hat auch ihre Grenzen und hier ist nicht nur von technischen Grenzen die Rede, sondern von Grenzen, die entstehen, wenn das Mindset der Kunden nicht mit dem technisch Möglichen einhergeht. Technologie setzt sich nur durch, wenn die Menschen die Technik auch akzeptieren. Ein zu radikaler Schritt, ohne Rücksicht auf alle drei Bereiche Human, Digital und Culture zu nehmen, ist immer kontraproduktiv.
Sie beschreiben, dass sich viele Entscheider in den Banken über die nötigen Veränderungen im Geschäftsmodell wohl bewusst sind. Zugleich scheint aber das Top-Management scheinbar häufig keine konkreten Weichen zu stellen und entsprechende Visionen zu haben. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Digitalisierung, technologischer Fortschritt und die Beschleunigung der Produktzyklen zwingen Führungskräfte, ihre Unternehmen neu aufzustellen. Die Frage lautet nicht mehr, ob und warum die Unternehmen sich wandeln und eine flexiblere Organisationsform einführen sollen, sondern nur: Wie schnell und nachhaltig können sie es tun? Die Notwendigkeit zu erfolgreichem Change Management ist nicht neu und auch die Digitalisierung war kein unvorhersehbares Ereignis. Was allerdings neu ist, ist die Summe der technischen Innovationen, der Möglichkeiten durch die Techniksprünge und der daraus resultierende Bedarf nach extrem hoher Umsetzungsgeschwindigkeit. Dieser Umstand hat weitreichende Ausstrahleffekte auf die gesamte Unternehmensführung. Dies führt oft dazu, dass sich verschiedene Change Prozesse überlagern, einzelne Change Prozesse unterbrochen, modifiziert oder neu begonnen werden und sich die Organisation somit in kontinuierlichem Wandel befindet. Und dies gilt auch für die Führungskraft.
Um als Bank zum Innovationstreiber zu werden, müssen nicht nur kommende technologische, sondern auch gesellschaftliche Veränderungen, die zum Teil noch regional stark differenzieren, antizipiert werden. Ein Beispiel ist etwa das Bezahlverhalten der Kunden, das in Deutschland anders aussieht als in Europa oder gar in Asien. Mittlerweile übernehmen bei vielen Finanzdienstleistern so genannte Think-Tanks oder Innovation Labs diese Aufgabe. Verpufft dennoch manch gute Idee aufgrund eines schlecht durchdachten Change Managements?
Jedes neue innovative Angebot muss für den Kunden leicht verständlich, intuitiv anwendbar und als Bank hinsichtlich der Datensicherheit absolut vertrauenswürdig sein. Der Kunde vertraut auf die Sicherheit der Kommunikationswege sowie den sorgfältigen Umgang mit seinen privaten Daten. Die Herausforderung besteht darin, das Thema Datenschutz bei gleichzeitig höchstmöglichem Kundenkomfort sicherzustellen. Die Ressourcen traditioneller Bankhäuser bieten hier enorme Vorteile. Eine etablierte Bank wird von den Kunden als Marke wahrgenommen, die sie im besten Fall mit wichtigen Werten wie Vertrauenswürdigkeit, Kompetenz, Branchenwissen und persönlichem Service assoziieren. Dieser Vertrauensvorschuss ist für uns enorm wichtig und sollte unbedingt genutzt werden.
Unternehmen anderer Branchen tun sich mit den Change-Prozessen mitunter leichter, da sie nicht noch zusätzlich strengen Regularien unterworfen sind, wie das bei Banken der Fall ist. Dennoch schaffen es Finanzdienstleister wie Wirecard sich mit ihrem Geschäftsmodell von den klassischen Banken deutlich abzuheben. Jüngst hat der Aktienwert des Fintech sogar Branchenprimus Deutsche Bank als wertvollstes Institut überholt. Was kann die Branche daraus lernen?
Gesetze und Richtlinien haben einen starken Einfluss auf die Wettbewerbssituation. MIFID II und PSD II sind hierfür Paradebeispiele. Beim Zweiteren wurde von Branchenkennern vorausgesagt, dass alleine die darin vorgesehene Öffnung der Bankeninfrastruktur für Dritte zu einer starken Wettbewerbsverschiebung führen kann. Dies ist ein großer Vorteil für FinTechs, doch auch die bereits jetzt in Marktkonsolidierung befindliche FinTech-Industrie muss dadurch nicht unerhebliche Investitionen und Anpassungen vornehmen, auch wenn die neuen Regularien nun auch neue Marktchancen eröffnen. Nicht anpassungsfähige Dienstleister ohne langen Atem und tragfähigem Geschäftsmodell werden ebenso vom Markt verdrängt werden, wie Banken, die mit ihrem Angebot nicht die Bedürfnisse des Kunden in einer digitalen Welt erfüllen.
Das Beispiel zeigt nicht nur die Sinnhaftigkeit von Kooperationen, sondern auch ihre Notwendigkeit. Denn die Vorteile der Banken, wie etwa die Routine im Umgang mit aufsichtsrechtlichen Themen oder die Cross-Selling-Möglichkeiten aufgrund des bereits existierenden Kundenbestands, werden auch nach der Marktkonsolidierung der FinTech-Branche und der Einführung neuer technologischer Standards Bestand haben.
Um Innovationstreiber zu sein, muss eine Bank nicht zwangsläufig alle Aufgaben alleine stemmen. Wo und wann machen Kooperationen etwa mit Fintechs aus ihrer Sicht Sinn?
Was die einen haben, fehlt den anderen. Banken verfügen über eine solide gewachsene Kundenbasis, größere finanzielle Ressourcen und – ganz wichtig – eine Banklizenz und das notwendige know-how im Umgang mit den entsprechenden Aufsichtsbehörden. Darüber hinaus können traditionelle Finanzhäuser mit langjähriger Markterfahrung, Expertise im Kundengeschäft und deren Vertrauen punkten. Fintechs dagegen sind mit ihren Geschäftsmodellen genau darauf ausgerichtet, kundenzentriert innovative Digital-Tools in kurzer Zeit auf den Markt zu bringen. Strategische Allianzen machen da durchaus Sinn, denn letztlich profitiert jeder – besonders die Kunden. Nicht nur die Young Generation stellt heute sehr hohe Ansprüche an innovatives mobiles Banking, sondern sämtliche Altersstufen haben in kürzester Zeit die neuen mobilen Möglichkeiten für sich entdeckt. Der persönliche Zugang zum Kunden, der trotz aller bisherigen Finanzkrisen weiterbesteht, ist ein Zeichen dafür, dass die Banken ihr wichtigstes Asset bewahrt haben – das Vertrauen ihrer Kunden. Inwieweit jedoch die Loyalität des Kunden zu seiner Bank in einer immer transparenteren und für den Kunden offeneren Finanzwelt bestand hat, ist offen.