Der Bundesgerichtshof hat die Zustimmungsfiktion in den AGB der Banken gekippt. Rechtsanwalt Christof Blauß ordnet das Urteil und seine Folgen für die Kreditwirtschaft juristisch ein, das auch eine Reihe anderer Bereiche des Massengeschäfts im Wirtschaftsleben tangiert.
Das Urteil des BGH stellt die deutsche Kreditwirtschaft vor große Herausforderungen. Aber auch andere Branchen sind betroffen.
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Mit Urteil vom 27. April 2021, Aktenzeichen XI ZR 26/20, entschied der BGH, dass die Ziffern 1.2 beziehungsweise 12.5 der AGB-Banken, die eine Änderungsklausel mit sogenannter Zustimmungsfiktion vorsehen, gemäß § 307 BGB unwirksam sind. Seit mehreren Jahrzehnten blieben die Änderungsklauseln mit Zustimmungsfiktion in den Banken-AGB durch die Rechtsprechung nahezu unbeanstandet.
Hintergründe zum BGH-Urteil
Die Vorinstanzen, das LG Köln und das OLG Köln (LG Köln, Urteil vom 12. Juni 2018, Aktenzeichen 21 O 351/17; OLG Köln, Urteil vom 19. Juni 2019, Aktenzeichen 12 U 87/18) hatten ebenfalls keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Ziff. 1.2 beziehungsweise 12.5 der AGB-Banken. Die herrschende Meinung in der Fachwelt hielt die Klauseln in den Banken-AGB ebenfalls für wirksam. Auch der auf der Zahlungsdiensterichtlinie basierende § 675g BGB geht seit seinem Inkrafttreten 2009 davon aus, dass ein Zahlungsdienstleister Vertragsänderungen mit Zustimmungsfiktion seinen Kunden anbieten darf (Art. 44 PSD 1, RL 2007/64/EG, beziehungsweise Art. 54 I PSD 2, RL 2015/2366/EU).
Trotz alledem nimmt der BGH nunmehr eine Unwirksamkeit der Ziff. 1.2 beziehungsweise 12.5 der AGB-Banken an, weil diese nicht nur Zahlungsdiensterahmenverträge, sondern jegliche Vertragsbeziehung, zum Beispiel auch Wertpapiergeschäfte oder Sparverkehr. Die Regelung des § 675g BGB, die Änderungsangebote mit Zustimmungsfiktion im Zahlungsdiensterecht zulasse, soll daher nach Ansicht des BGH die AGB-Kontrolle gemäß § 307 BGB für sonstige Vertragsregelungen zwischen Bank und Kunden nicht sperren.
Neben der Zahlungsdiensterichtlinie sind auch die Vorgaben der Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (RL 93/13 EWG) anzuwenden, so der BGH. Das Gericht beruft sich hierbei auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 11. November 2020 (Aktenzeichen C-287/19, kurz "Deniz Bank").
Unangemessene Benachteiligung zu Lasten des Kunden
Die Ziffer 1.2 AGB ist nach Ansicht des BGH nach § 307 I Satz 1/II Nr. 1 BGB unwirksam, da die AGB-Regelung sämtliche Geschäftsbeziehungen zwischen der Bank und ihrem Kunden erfasst. Die Fiktion der Annahmeerklärung des Kunden weiche deshalb von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung ab und stelle eine unangemessene Benachteiligung zu Lasten des Kunden dar.
Die Vermutung einer unangemessenen Benachteiligung könne auch nicht durch eine umfassende Interessenabwägung gerechtfertigt werden und der Schutzweck des § 307 BGB sei auch nicht anderweitig sichergestellt. Durch die Regelung Ziffer 1.2 könnten die Leistungspflichten zugunsten der Bank einseitig geändert werden. In diesem Zusammenhang möchte der BGH auch das Argument, die neuen Regelungen seien selbst nach § 307 BGB kontrollfähig, nicht gelten lassen.
BGH lässt Gründe des Vertrauensschutzes nicht gelten
Obwohl in früheren Entscheidungen des BGH (Urteil vom 20. Juli 2010, Aktenzeichen XI 236/07) ähnliche AGB-Klauseln nicht beanstandet wurden, möchte der BGH auch Gründe des Vertrauensschutzes nicht gelten lassen. Unter Berufung auf seine Entscheidung zur Rückforderbarkeit von Bankgebühr (Urteil vom 14. Mai 2014, Aktenzeichen XI ZR 405/12) nimmt der BGH eine sogenannte unechte Rückwirkung des Verbotes der Verwendung der Änderungsklauseln mit Zustimmungsfiktion seit 1. April 1977 in Kauf.
Allerdings möchte der BGH die Verwendung der Anpassungsklauseln mit Zustimmungsfiktion offensichtlich nicht vollständig verbieten. Unter Bezugnahme auf bankbetriebswirtschaftliche Erwägungen wird angedeutet, dass eine einschränkende konkretisierende Formulierung der Anpassungsklauseln zulässig sein könne.
Auch die Regelung zur Preisanpassung gemäß Ziffer 12.5 AGB-Banken hält nach Ansicht des BGH einer Wirksamkeitskontrolle gemäß § 307 I Satz 1/II Nr. 1 BGB nicht stand, da mittels der Zustimmungsfiktion zu Lasten des Kunden das Äquivalenzprinzip seitens der Bank verändert werden könne. Hierfür sei eine Änderung mittels ausdrücklichem Vertragsschluss erforderlich. Eine Zustimmungsfiktion genüge nicht, so der BGH.
Folgen des Urteils für die Kreditwirtschaft
Das BGH-Urteil betraf die AGB der Postbank AG. Die AGB aller Privat- und Genossenschaftsbanken enthalten identische Regelungen. Entsprechendes gilt für die AGB der Sparkassen (Ziffer 2.1/Ziff. 17.6 AGBSp). Eine Vielzahl der Banken sieht daher jetzt von der Verwendung der entsprechenden AGB-Klauseln ab, um Abmahnungen oder Unterlassungsklagen zu vermeiden. Auch ein auf § 4 Abs. 1 a FinDAG gestütztes Vorgehen der Bafin ähnlich der Allgemeinverfügung zu den Zinsanpassungsklauseln bei Prämiensparverträgen (Allgemeinverfügung der Bafin vom 21. Juni 2021) ist nicht ausgeschlossen.
Aufgrund der Unwirksamkeit der auf Ziffer 1.2 gestützten Vertragsänderungen, insbesondere aber der Unwirksamkeit von auf Ziffer 12.5 AGB gestützten Entgeltänderungen können Kunden beispielsweise in der Vergangenheit entrichtete Kontoführungsgebühren kondizieren, wobei fraglich ist, wann derartige Rückforderungsansprüche verjähren.
Geht es nach dem EuGH (Urteil vom 10. Juni 2021, Aktenzeichen C-776/19 und C-77/19) läuft die Verjährung nicht an, solange die Bank die Kunden nicht über die missbräuchliche Klauselverwendung aufgeklärt hat. Zieht man dagegen die BGH-Rechtsprechung zu den unzulässigen Bankentgelten heran, gelten die Regelungen der §§ 196/199 BGB (Urteil vom 13. Mai 2014, Aktenzeichen XI ZR 170/13; Urteil vom 28. Oktober 2014, Aktenzeichen XI ZR 348/13).
Soweit es um die Kondizierbarkeit von Kontoführungsgebühren geht, dürfte sich der wirtschaftliche Schaden der Banken bei Anwendung der BGH-Rechtsprechung in einem überschaubaren Rahmen halten, zumal die Vergütung von Zahlungsdienstleistungen und deren Vergütungsanpassung durch die Regelung des § 675g BGB in den meisten Fällen nicht betroffen sein dürfte.
Vielzahl von Vertragsanpassungen der Vergangenheit unwirksam
Weitaus problematischer ist dagegen die Tatsache, dass eine Vielzahl von Vertragsanpassungen der Vergangenheit unwirksam sind und die Banken im Massengeschäft zukünftig die einfache Handhabung der Änderungsmitteilung mit Zustimmungsfiktion nicht mehr einsetzen können. Mit dieser Problematik ist aber die Kreditwirtschaft nicht alleine konfrontiert. Auch in einer Vielzahl anderer Bereiche unseres Wirtschaftslebens kommen nämlich Änderungsklauseln mit Zustimmungsfiktion zum Einsatz, so beispielsweise bei Versicherungen, Energielieferverträgen oder Verträgen über Internet- beziehungsweise Telekommunikationsdienstleistungen.
Mögliche zukünftige Handhabungen durch die Kreditwirtschaft: Zunächst einmal wird die Kreditwirtschaft sicherstellen müssen, dass Vertrags- und Entgeltanpassungen der Vergangenheit nachträglich durch die Kunden genehmigt werden. Der BGH hielt die AGB-Klauseln für unwirksam, weil Schweigen als Annahme des Änderungsangebotes und nicht als Ablehnung angesehen werde (Urteil vom 27. April 2021, Aktenzeichen XI ZR 26/20 Rn. 22).
Bekanntlich sieht das Zustandekommen eines Änderungsvertrags ausdrücklich die Annahmeerklärung des Vertragspartners gemäß §§ 145 ff. BGB vor. Demgemäß kann eine unwirksame Vertragsänderung der Vergangenheit durch den Kunden auch nachträglich noch (konkludent) genehmigt werden. Schon aus Beweiszwecken bietet sich aber an, nachträgliche Genehmigungsvereinbarungen mit den Kunden schriftlich zu fixieren und darin nicht nur den aktuellen konkreten Vertragsstand zu fixieren, sondern auch den Kunden über die entstandene Unwirksamkeitsproblematik aufzuklären, um so der Rechtsprechung des EuGH Rechnung zu tragen (Urteil vom 10. Juni 2021, Aktenzeichen C-776/19 beziehungsweise C-778/19).
Möglichkeiten künftiger Vertragsänderungen
Bislang nicht geklärt ist die Frage, wie zukünftige Vertragsänderungen erfolgen können. Der BGH hielt Ziffer 1.2 der AGB für unwirksam, weil diese zu weitgehend ist und alle Sonderbedingungen erfasst sowie die Möglichkeit bietet, die Leistungspflichten zu Lasten des Kunden zu verändern. Abhilfe könnte hier eine konkrete Regelung schaffen, welche Sonderbedingungen mit einer Änderungsklausel mit Zustimmungsfiktion versehen werden können sowie Regelungen, unter welchen Bedingungen die Änderung mit Zustimmungsfiktion eingesetzt werden darf, zum Beispiel im Falle von Gesetzesänderungen oder bei Änderung der Rechtsprechung.
Die Änderung der Preisanpassung gemäß Ziffer 12.5 AGB könnte dagegen zukünftig der Gestalt erfolgen, dass diese an einen bestimmten Index gekoppelt und ein Stichtag für die Überprüfung sowie weitergehende Regelungen zur "Technik" der Preisanpassung in die AGBs aufgenommen werden, wie dies bereits in den AGB österreichischer Banken erfolgt
Sowohl zur nachträglichen Genehmigung, als auch zur zukünftigen Gestaltung der Änderungsklauseln liegt aber noch keine Rechtsprechung vor. Die Thematik wird auch zukünftig die Gerichte beschäftigen.