Das große Bibbern hat begonnen - und nicht nur in den USA. Denn die Präsidentschaftswahlen am 5. November haben auch Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft - in einem Fall vor allem negative.
Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Republikaner Donald Trump und Demokratin Kamala Harris liefern sich bei der US-Wahl ein knappes Duell. Es ist davon auszugehen, dass es bis zum Ende spannend bleiben wird, auch wenn die Wahllokale bereits jetzt geöffnet haben, um für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen.
Denn erfahrungsgemäß entscheidet es sich letztendlich in den sogenannten Swing States, wer Präsident der Vereinigten Staaten wird, also in Arizona, Georgia, Michigan, Nevada, North Carolina, Pennsylvania und Wisconsin, wo der Wähler besonders wankelmütig ist.
Trump vs. Harris: Größeres gegen kleineres Übel
Im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wäre Donald Trump an der Spitze des mehr als 300 Millionen Einwohner zählenden Staates auf jeden Fall das größere Übel und ein Sieg von Kamala Harris besser für die bislang ausbleibende Konjunktur hierzulande. Zu diesem Ergebnis kommen Studien und Prognosen unterschiedlicher Forschungsinstitute.
Wie eine aktuelle Analyse des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim zeigt, für die Einschätzungen von 189 Finanzmarktexperten ausgewertet wurden, erwartet eine Mehrheit unter der Regie der 60-Jährigen ein moderates Wirtschaftswachstum für Deutschland. Eine erneute Präsidentschaft von Donald Trump bewerten die Experten hingegen weit weniger optimistisch.
Die Studienautoren erklären diese Einschätzung an einem Beispiel: Während 45 Prozent der Analysten unter Harris für 2025 ein stärkeres Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) annehmen, rechnen nur sieben Prozent der Befragten damit, dass eine Trump-Präsidentschaft besser für das deutsche BIP sei. Der Rest erwartete keinen Unterschied.
Wächst deutsches BIP während Amtszeit?
Die Forschenden rechnen damit, dass das deutsche Wirtschaftswachstum über die vierjährige Amtszeit hinweg leicht zunehmen wird - und zwar unabhängig davon, ob Trump oder Harris die Wahl gewinnen. Bei der Demokratin fällt der Effekt allerdings mit einer Durchschnittsprognose 0,14 Prozentpunkte für 2025 etwas stärker aus und wächst bis 2028 auf 0,26 Prozentpunkte an.
Das klingt auf den ersten Blick marginal. Doch die Prognoseunterschiede zwischen den Kandidaten seien wirtschaftlich relevant, betonen die Wissenschaftler. Denn die Experten rechnen mittelfristig nicht mit einer starken wirtschaftlichen Erholung in Deutschland: Im Durchschnitt liegt das erwartete BIP-Wachstum in keinem der vier Jahre höher als 1,7 Prozent.
US-Protektionismus könnte Wachstum hemmen
Die ZEW-Ökonomen Alexander Glas und Lora Pavlova sehen bei einem Wahlsieg von Harris etwas größere Chancen für Preisstabilität und robuste internationale Finanzmärkte. Beim Republikaner Trump werde im Gegensatz dazu ein stärkerer Fokus auf protektionistische Maßnahmen wie Zölle kommen. Das könne das Wachstumspotenzial Deutschlands beeinträchtigen. Schließlich ist die Bundesrepublik einer der wichtigsten Handelspartner der USA.
Die Experten schlagen aus diesem Grund auch Maßnahmen vor, um die deutsche Wirtschaft vor möglichen negativen Folgen des Wahlergebnisses zu schützen. Dazu gehören verstärkte Handelsbeziehungen mit anderen Ländern, höhere Militärausgaben und Programme, die die inländischen Investitionen ankurbeln.
Zölle wären Hiobsbotschaft für deutsche Exportindustrie
Bereits vor wenigen Wochen hatten Ökonomen von Ifo-Institut und Econpol Europe davor gewarnt, dass ein Wahlsieg Trumps erhebliche Folgen für die ohnehin bedrängte deutsche Industrie haben könnte. Sollte er nach einer Rückkehr ins Weiße Haus sein Wahlversprechen höherer Einfuhrzölle umsetzen, könnten die deutschen Ausfuhren in die USA nach Einschätzung der Institute um knapp 15 Prozent sinken.
Trump hat einen Zollsatz von 60 Prozent auf US-Importe aus China und von 20 Prozent auf Importe aus der restlichen Welt angekündigt. Das würde deutsche Produkte in den USA viel teurer machen. Besonders betroffen wären die Auto- und Pharmaindustrie sowie die deutschen Maschinenbauer.
Eine Untersuchung der Hans-Böckler-Stiftung bläst in das gleiche Horn. Demnach würden Trumps Zollpläne die deutsche Wirtschaft empfindlich treffen, aber auch den USA große Verluste bescheren. Das deutsche Bruttoinlandsprodukt könnte laut der arbeitnehmernahen Stiftung in den ersten beiden Jahren nach Zolleinführung um ein Prozent niedriger ausfallen als ohne solche Sanktionen. Das geht aus einer Simulationsrechnung des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) hervor. Um gegenzusteuern, könnten nach Einschätzung der Experten kurzfristige Investitionsprogramme den negativen Effekt dämpfen.
Fortführung alter Handelskonflikte droht
Die Wissenschaftler erinnern an die erste Amtszeit Trumps, die von Handelskonflikten geprägt war, insbesondere mit China. Die IMK-Experten warnen, dass auch die demokratische Kandidatin Kamala Harris nicht als Verfechterin des Freihandels bezeichnet werden könne. Bereits als Vizepräsidentin unter Joe Biden habe sie die von Trump eingeführten Zölle mitgetragen und auf einzelne Güter sogar weitere Zölle gelegt. Allerdings waren diese moderater als unter Trump und würden es weiterhin bleiben.
Die IMK-Experten rechnen vor diesem Hintergrund mit drei möglichen Szenarien:
- Das "Harris"-Szenario: Hier komme es zu leichten Zollerhöhungen für Importe aus China und nur zu geringfügigen Zollerhöhungen für Importe aus dem Rest der Welt.
- Das "Trump 1"-Szenario: Dabei drohen kräftige Zollerhöhungen für China und weitere globale Abgabenerhöhungen, "die allerdings eher am unteren Rand" von Trumps Ankündigungen liegen.
- Das "Trump 2"-Szenario: Große globale Zollerhöhungen und starke handelspolitische Gegenreaktionen insbesondere Chinas könnten Handelskonflikte befeuern.
Deutschland und Europa brauchen Finanzierungsoffensive
"Es dürfte einen massiven Verbraucherpreisschock mit entsprechend negativen Konsequenzen für die US-Wirtschaft geben", urteilen Sebastian Dullien, Sabine Stephan und Thomas Theobald in ihrer IMK-Kurzstudie. Für die Handelspartner rechnen sie mit einer schrumpfende Exportnachfrage, die das Wachstum dämpft.
Während die deutsche Wirtschaft im "Harris"-Szenario kaum negative Wachstumseinbußen hinnehmen müsste, könnte der BIP-Verlust im Szenario "Trump 2" in den beiden Jahren nach Einführung der protektionistischer Zölle mehr als ein Prozent betragen. Für die deutsche Wirtschaft sehen die Wissenschaftler das Problem insbesondere darin, dass sie die Zölle treffen, wenn sich die Industrie noch nicht vollständig vom Energiepreisschock infolge des Ukraine-Kriegs erholt habe und durch die aggressive Industriepolitik Chinas und der Vereinigten Staaten ohnehin unter Druck stehe.
"Ein weiterer negativer äußerer Schock könnte zu einer Verfestigung der aktuellen Stagnationsphase beitragen", warnt das IMK und rät für diesen Fall zu einer Finanzoffensive mit einem kreditfinanzierten öffentlichen Investitionsprogramm. "Angesichts des durchaus bestehenden Risikos einer Wiederwahl Donald Trumps und einer tatsächlichen Umsetzung seiner Zollpläne sollten die deutsche und die europäische Politik solche Maßnahmen jetzt schon vorbereiten", sagt IMK-Direktor Dullien. Gerade Deutschland habe ohnehin einen großen Investitionsbedarf, "um die öffentliche Infrastruktur auf die Höhe der Zeit zu bringen." Die möglichen Folgen der US-Wahl sollten daher wie ein Katalysator wirken, um etwa die Schuldenbremse zu reformieren.
Transatlantischer Handelskrieg schadet allen
Bislang hat die Europäische Union als Reaktion auf Trumps Ankündigungen mit gleichwertigen Zollerhöhungen gedroht. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat in einer Simulation berechnet, dass Deutschland dadurch über eine weitere vierjährige Amtszeit Trumps einen BIP-Verlust von mehr als 127 Milliarden Euro verschmerzen müsste.
Ein transatlantischer Handelskriegs mit beiderseitigen Importzöllen von 20 Prozent, kostet die deutsche Wirtschaft demnach schlimmstenfalls 80 Milliarden Euro. Somit würde das deutsche BIP am Ende der Amtszeit des Republikaners 1,5 Prozent niedriger ausfallen, lautet die düstere Prognose des IW.
"Ein transatlantischer Handelskrieg ist negativ für beide Seiten. Insbesondere für die deutsche Exportindustrie, die ohnehin in einer Krise steckt“, warnt Studienautor Thomas Obst. Trotzdem ist die Gegenstrategie der EU, auf Zollerhöhungen mit Zollerhöhungen zu reagieren, richtig, urteilt der Experte.
"Bestenfalls reicht die angedrohte Vergeltung der EU aus, um Trump in seine Schranken zu weisen", so IW-Ökonomin Samina Sultan. Zudem müsse beiden Partnern klar sein, dass eine Partnerschaft auf Augenhöhe die Position beider gegenüber China stärke. Darüber hinaus plädieren die IW-Experten für ein EU-Freihandelsabkommen, etwa mit Südamerika oder dem im indopazifischen Raum, um zu diversifizieren.