03.12.2020 | Globalisierung | Im Fokus | Onlineartikel
Megatrends im Corona-Sog
Die Covid-19-Pandemie hat der digitalen Transformation großen Auftrieb verschafft. Gleichzeitig bremst sie die Globalisierung aus und stößt einen umfassenden Strukturwandel an. Worauf sich Politik und Wirtschaft einstellen müssen.
Die Globalisierung steht durch den Zusammenbruch der internationalen Lieferketten sowie wegen Warenengpässen während der Corona-Krise verstärkt in der Kritik.
Skórzewiak / stock.adobe.com"Die Corona-Transformation" lautet der bezeichnende Titel der zweiten Ausgabe des Megatrend-Reports der Bertelsmann-Stiftung. Schließlich wirkt sich die Corona-Krise noch weit stärker auf Wirtschaft und Gesellschaft aus als etwa die Wirtschaftskrise nach der Lehman-Pleite oder die in den letzten Jahrzehnten erlebten Epidemien. Auch Rolf G. Heinze spricht in dem Buchkapitel "Das Coronavirus als aktueller Katalysator für Solidarität oder Desintegration?" von einer "Disruption des gesellschaftlichen Lebens". (Seite 1)
Corona beschleunigt und verlangsamt
Dem Megatrend-Report zufolge zeigt die Analyse der aktuellen Situation nun vor allem zwei Entwicklungen im Zusammenhang mit den globalen Trends Globalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel.
1. Die Corona-Krise fungiert als zusätzlicher Katalysator für die Digitalisierung: In allen Bereichen, von der Produktion über den Handel bis zum Dienstleistungssektor, wird der Einsatz digitaler Technologien beschleunigt. Dies verringert für Betriebe die Gefahr von unmittelbaren Produktions- und Umsatzausfällen bei einer erneuten Pandemie.
2. Angesichts weltweit zusammengebrochener Lieferketten verlagern sich globale Wertschöpfungsketten und verlangsamen die Globalisierung. Hatte bisher Effizienz höchste Priorität, gewinnen nun Risikoabwägung und der Wunsch nach geringerer Auslandsabhängigkeit an Bedeutung.
Corona-Auswirkungen tangieren alle Bereiche
Ausgehend von diesen langfristig bedeutsamen Herausforderungen formulieren die Autoren des Megatrend-Reports fünf Thesen zur Zukunft von Digitalisierung, Globalisierung und demografischem Wandel:
These | Definition |
Die Frage der digitalen Souveränität gewinnt an Relevanz. |
|
Die internationale Arbeitsteilung gerät zunehmend unter Druck. |
|
Die Bedeutung der gezielten Industriepolitik nimmt zu. |
|
Die eigene Innovationsfähigkeit wird zu einem zentralen Resilienzfaktor. |
|
Der fortschreitende demografische Wandel beinhaltet zusätzliche "Störfaktoren". |
|
Die Thesen verdeutlichen, dass sich Wirtschaft und Gesellschaft in den nächsten Jahren auf tiefgreifende Veränderungen einstellen müssen, die für viele Menschen eine große Herausforderung sein werden. Der Megatrend-Report rät der Politik daher auch zu flankierenden sozial- und bildungspolitischen Maßnahmen, um eine Blockadehaltung breiter Bevölkerungsschichten zu vermeiden.
Nationale Politikgestaltung immer schwieriger
Doch einfach wird das nicht. Zum einen lässt die immense Verschuldung durch die Corona-Hilfsmaßnahmen wenig finanzielle Spielräume, zum anderen sind die wirtschaftspolitischen Probleme komplex. In dem Beitrag "Fünf Thesen zu den zukünftigen Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik" in der Zeitschrift "List Forum für Wirtschafts- und Finanzpolitik" skizziert Thieß Petersen von der Bertelsmann-Stiftung welche heiklen Aspekte in die Wirtschaftspolitik einzubeziehen sind.
Dies seien – jedenfalls in entwickelten Volkswirtschaften wie Deutschland – nicht nur die wachsende Kritik am internationalen Handel und zunehmende Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines weiteren Wirtschaftswachstums. Hinzu kämen komplexer werdende Verteilungskämpfe und ein stärkerer Systemwettbewerb der Marktwirtschaften mit Schwellenländern. Zudem bestehe eine zentrale Herausforderung für die Wirtschaftspolitik in Deutschland darin, dass die Zielkonflikte zunehmen, während die Lösungsmöglichkeiten der nationalen Politikgestaltung abnehmen.
Eine Fokussierung auf die Allokationseffizienz ohne eine Berücksichtigung von Fragen der Einkommens- und Vermögensverteilung, der Auswirkungen auf Umwelt und Klima, auf immaterielle Lebensaspekte etc. wird zunehmend schwieriger." Thieß Petersen, Fünf Thesen zu den zukünftigen Herausforderungen für die Wirtschaftspolitik, Seite 1
Stellt Corona den Gesellschaftsvertrag in Frage?
Wie weitreichend die Folgen der Corona-Krise am Ende sein werden, lässt sich zwar derzeit noch nicht abschätzen, doch Rolf G. Heinze geht davon aus, dass sich einiges am Verhältnis von Zivilgesellschaft, Staat und Wirtschaft verändern wird. "Das Virus hat bewusst gemacht, wie stark auch wirtschaftliche Wertschöpfungen von einer funktionierenden staatlichen Infrastruktur und öffentlicher Daseinsvorsorge abhängen", erklärt der Springer-Autor. (Seite 2) Das Vertrauen in die Selbstregulierungen des Marktes habe hingegen abgenommen.
Probleme müssen interdisziplinär angegangen werden
Vor dem Hintergrund der durch die Corona-Pandemie verschärften Probleme, rät Thieß Petersen zu einer theorie- und evidenzbasierten Wirtschaftspolitik und einer stärkeren Zusammenarbeit der wissenschaftlichen Disziplinen. Ferner empfiehlt er langfristig angelegte Maßnahmenpakete, die auch die Wechselwirkungen der verschiedenen Politikbereiche berücksichtigen.
Als Beispiel für zukunftsweisende Interdisziplinarität, nennt der Experte der Bertelsmann-Stiftung die Zusammenarbeit von 14 Wissenschaftlern aus Volkswirtschaftslehre, Verfassungsrecht, Ethik, Psychologie sowie Infektionsforschung, Pharmakologie und Epidemiologie bei den Anfang April 2020 veröffentlichten Empfehlungen zum Umgang mit der Pandemie in Deutschland. Es sei davon auszugehen, dass diese Herangehensweise künftig auch bei anderen wirtschaftspolitischen Fragen angewendet werde, etwa beim Kohleausstieg, dem Umgang mit dem Klimawandel und der weltweit zunehmenden Migration. (Seite 10)
Alle tagesaktuellen Beiträge rund um die Corona-Krise finden Sie hier